"Space Night" - eine Sendung, die vor zwanzig Jahren im Nachtprogramm des Bayerischen Rundfunks ihre Premiere feierte und innerhalb kürzester Zeit Kultstatus erreichte. Mit dem Zugang zu den großen Archiven internationaler Raumfahrtbehörden konnte ein Format entwickelt werden, welches zu Beginn die Lücke im Nachtprogramm schließen sollte. In dieser Arbeit soll die "Space Night" als Gesamtwerk näher beleuchtet und in ihren Einzelteilen untersucht werden. Hieraus soll sich das Gesamtwerk erschließen und die Frage geklärt werden, ob die Gestaltung und Darstellung der "Space Night" eine neue Wahrnehmungsform darstellt und woraus diese zusammengesetzt ist.
Zunächst wird dafür der Faszinationstyp Weltall in einer kurzen Vorgeschichte in der menschlichen Wahrnehmung und ihrer gesellschaftlichen Funktion dargestellt. Anschließend werden das Weltall und dessen Rezeption in den Medien dargestellt. Die Theorien der Cinema of Attractions sowie der Ereignischarakter des Fernsehens dienen der näheren Bestimmung von Wirkung und Wahrnehmung der "Space Night", sowie der bemannten Raumfahrt, als Vorbedingung und Grundlage des Formats.
Im Anschluss wird die bemannte Raumfahrt als Errungenschaft der Astronomie und Technologie auf seine mediale Inszenierung untersucht, um anschließend dessen besondere Bedeutung für die "Space Night" zu beurteilen. Abschließend sollen die gewonnenen Erkenntnisse auf die "Space Night" übertragen werden, um, auf die mediale Konstruktion blickend, den Innovationscharakter auszumachen.
Inhaltsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Das Weltall - Ein Ort von Fantasie und Wissenschaft
2.1 Der Beginn einer Faszination
2.2 Das Fernrohr als vermittelndes Element
2.3 Zur Entstehung der Fiktion im Weltall
2.4 Abenteuer Weltall - Von der Literatur zum Film
3 Visualisierung der Faszination und Attraktion
3.1 Cinema of Attractions
3.2 Das Fernsehen - Zum Ereignischarakter eines Mediums
4 Die Inszenierung der Mondlandung
4.1 Das Raumfahrtduell
4.2 Die Live-Übertragung der Mondlandung im Fernsehen
4.3 Das medien-technische Wunderwerk der Live-Übertragung
4.4 Das Medienereignis und seine Auswirkung
4.5 Gestaltung und Darstellung der Apollo-Sendung
5 Faszination und Attraktion der Space Night
5.1 Die Sendezeit der Space Night
5.2 Die Geschichte der Space Night
5.3 Sendungsformate
5.4 Gestaltung und Darstellung der Space Night
5.5 Zur Typisierung der Musik in der Space Night
5.6 Earth Views - Zwischen Traum und Wirklichkeit
6 Fazit
7 Ausblick
8 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Das einleitende Zitat Hermann Hesses aus dessen Roman Das Glasperlenspiel, kann auf das Format Space Night übertragen werden. Eine Sendung, die vor zwan- zig Jahren im Nachtprogramm des Bayerischen Rundfunks ihre Premiere feierte und innerhalb kürzester Zeit Kultstatus1 erreichte. Die Sendung, die zunächst nur die Lücke des Nachtprogramms schließen sollte, konnte mit Zugang zu den großen Bildarchiven internationaler Raumfahrtbehörden, zu einer bedeutsamen Sendereihe ausgebaut werden. Hierzu zählt die Space Night-Reihe Earth Views, in der überwie- gend Satellitenaufnahmen der Erde gezeigt und mit Musik unterlegt wurden. Mittler- weile zählt die Reihe zu den Klassikern des so genannten Chill-Out2 Fernsehens. Die Kritiker der Space Night berufen sich zumeist auf die, von der Sendung ausgehende, Wirkung auf den Rezipienten. Der Space Night werden Eigenschaften, wie traumhaft, hypnotisch oder tranceartig zugesprochen. “Sie schweben zurück ins Bett und träu- men von einem Planeten, den Sie am liebsten erobern würden.”3 Zudem wird die Sendung, so die Kritik, als Erlösung vom Fernsehen gesehen.4 Worin besteht die Erlösung vom Fernsehen? Das Massenmedium Fernsehen kann als Träger von Informationen und Zeichen gekennzeichnet werden. Wenn die Space Night nun die Erlösung vom Fernsehen darstellt, so muss es das Medium überschreiten und eine neue mediale Form darstellen. Woran lässt sich die mediale Form der Space Night ausmachen und kann es somit eine neue Dimension der ästhetischen Wahrnehmung ermöglichen?
1994 war die Kombination von Video und Musik keine neue mediale Errungenschaft mehr. Diese gab es bereits durch Musikvideos in den 1980er Jahren, oder als weitere Chill-Out Formate5 in den 1990er Jahren. Die Space Night beschränkt sich nicht nur auf das Zusammenspiel von Musik und Video.
In Zeiten von digitalen Effekten und nahezu perfekten Abbildungen des Weltalls in Film und Fernsehen, stellt sich die Frage, womit die Space Night den Zuschauer immer noch faszinieren kann. Welche ästhetische Wirkung löst die Sendung aus und wie ist diese aufgebaut?
In dieser Arbeit wird nun die Space Night als Gesamtwerk näher analysiert und in ihren Einzelteilen untersucht. Hierzu sollen nun verschiedene Faktoren überprüft werden, die die mediale Konstruktion der Space Night, in Form der klassischen Earth Views-Reihe, ausmachen. Um die Earth Views klarer von anderen Space NightFormaten abzugrenzen, wird die Sondersendereihe Space Cowboys herangezogen. Die Sondersendung soll anhand ihrer Gestaltung und Darstellung untersucht werden, um die mediale Konstruktion der Earth Views klarer abzugrenzen.
Zunächst wird der Faszinationstyp Weltall in einer kurzen Vorgeschichte in der menschlichen Wahrnehmung und ihrer gesellschaftlichen Funktion dargestellt. Fas- zination wird hierbei als anziehende Wirkung verstanden, welche Interesse weckt und einen unerklärlichen Einfluss auf den Menschen ausübt. Darauffolgend wird das Weltall und dessen Rezeption in den Medien dargestellt. Das Medium wird an dieser Stelle als vermittelnde Apparatur, zwischen dem Weltall und dem Menschen ver- standen, die Bedeutungen in Form von Informationen und Zeichen vermittelt. Die Theorien der Cinema of Attractions sowie der Ereignischarakter des Fernsehens, dienen der näheren Bestimmung von Wirkung und Wahrnehmung der Space Night, sowie der bemannten Raumfahrt, als Vorbedingung und Grundlage des Formats.
Im Anschluss wird die bemannte Raumfahrt als Errungenschaft der Astronomie und Technologie auf seine mediale Inszenierung untersucht, um anschließend dessen besondere Bedeutung für die Space Night zu beurteilen. Abschließend sollen die gewonnenen Erkenntnisse auf die Space Night übertragen werden, um auf die mediale Konstruktion blickend, den Innovationscharakter auszumachen.
2 Das Weltall - Ein Ort von Fantasie und Wis- senschaft
Das Weltall übte schon immer eine große Faszination auf den Menschen aus - das reicht zurück bis zu den ersten Hochkulturen. Astronome, Sterndeuter und Philosophen haben versucht seine Hintergründe und seine Wirkung auf den Menschen zu ergründen. Daraus entwickelten sich Mythen, Sagen und Geschichten.
Im Mittelalter konnten die Astronomen durch die Erfindung des Fernrohrs das Weltall erforschen und die Wahrnehmung des Menschen durch ein neues Weltbild grundle- gend verändern. Die wissenschaftliche Erforschung des Kosmos trug im Wesentli- chen zur Erweiterung der Weltall-Fantasien bei. Das geozentrische Weltbild wurde durch ein heliozentrisches abgelöst, das die Erde, sowie seine Bewohner, aus dem Mittelpunkt des Universums rückte. Da die Erforschung des Weltalls nur von der Erde aus stattfand, wurde der Wunsch einer extraterrestrischen Reise in der Literatur verwirklicht.
Mit dem Beginn der Moderne entstand auch der Film als Projektionsfläche für fantastische Geschichten und aus wissenschaftlichem Forschungsdrang die Raumfahrt als Verwirklichung utopischer Vorstellungen.
2.1 Der Beginn einer Faszination
Seit Anbeginn der Menschheit hat die Stern- oder Himmelskunde einen hohen Stel- lenwert und somit einen hohen Einfluss auf das Leben und auf die Kultur ausgeübt.
Die Wissenschaft - “von der im Weltall vorhandenen Materie, ihren Bewegungen, ihrer Verbreitung und ihrer physikalischen Zusammensetzung.”6 - wird als Astrono- mie bezeichnet. Der Ursprung der Astronomie war die Astrologie, sie wird seit langer Zeit zur Klärung von Naturphänomenen und zur Deutung von Himmelskörpern und ihrer systematischen Darstellung in Symbolen und Tierkreisen genutzt.7
Die Astrologen versuchten in dem unendlich großen Sternenhimmel eine Ordnung zu konstruieren, indem sie die Sterne zu Sagengestalten, irdischen Gegenständen oder den Göttern zu ordneten.8 Daraus entstanden Mythen, Legenden und Fantasien.
Die Milchstraße, die die größte Erscheinung am Nachthimmel darstellt, wurde beispielsweise in den Mythen der Griechen mit der Muttermilch Heras versinnbildlicht, die über das Himmelsgewölbe verspritzt wurde.9 In der arabischen und persischen Mythologie wiederum steht die Milchstraße für ein Ufer, an dem sich Kamele, Pferde und Gazellen befinden.10
So wurden die Sterne aufgrund ihrer unendlichen Präsenz, durch die Vergabe von Bildern, in eine vom Menschen konstruierte Wirklichkeit zugeordnet. Die Wahrnehmung der Realität wurde auf diese Weise angenehmer.11
Die Menschen haben den Himmel und seine Körper kategorisiert und durch Symbole sowie Bilder wahrnehmbarer und greifbarer gemacht. Sie haben überirdische Wesen und Gestalten erschaffen um ihr Dasein zu erleichtern und sich nach diesen zu rich- ten.
Die Astrologie wird als älteste Wissenschaft der Welt bezeichnet12, aber auf der anderen Seite als ein Sternaberglaube13, ein Vorgang der zum Weissagen dient, degradiert. Mit der heutigen modernen und wissenschaftlichen Erforschung des Himmels hat die Astrologie nichts mehr gemein. Durch die zunehmende Trennung von Astrologie und Astronomie sowie der Weiterentwicklung der Astronomie zur reinen Wissenschaft, wurden vor allem im Mittelalter große Errungenschaften erzielt.
2.2 Das Fernrohr als vermittelndes Element
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde das Fernrohr vom holländischen Brillenma- cher Hans Lipperhey entwickelt.14 Das neuartige Gerät ermöglichte es mithilfe von optischen Linsen eine Strahlenbrechung hervorzurufen.15 So wurde es möglich, weitaus tiefer ins All zu blicken. Das Fernrohr war nicht nur ein optisches Instrument zur Betrachtung von Himmelskörpern. Es hatte zu jener Zeit eine vermittelnde Rolle zwischen den Menschen und den Gestirnen übernommen. Das bisherige Wissen über Himmelskörper wurde durch das Fernrohr komplett umgewälzt. Es wurden neue Planeten entdeckt, Sonnenflecken gesichtet und zahlreiche neue Sterne in der Milchstraße sichtbar.16
Das Fernrohr an sich wurde durch das neu etablierte Wort “Medium…” von einem “...in-der-Mitte-befindlichen zu einem vermittelnden Element”.17
Die Faszination des Weltalls verwandelte sich mehr und mehr in einen Forschungsdrang, gerade durch das neue Medium, welches das präzise Beobachten ermöglichte und neue wissenschaftliche Erkenntnisse lieferte. Durch die neue technische Errungenschaft kam es zu einer Sinneserweiterung des Menschen, weil Dinge erkennbar wurden, die vorher verborgen blieben.
“In dieser Periode verbanden sich beide Leidenschaften ‘d.h. Neugierde und Staunen’ zu einer Psychologie des Fragens und Forschens...”18
2.3 Zur Entstehung der Fiktion im Weltall
Im antiken Griechenland hatte bereits der Schriftsteller Lukian mit seinem Werk “Ikaromenippus oder die Luftreise” eine Reise und Besiedlung des Mondes und damit den ersten Weltallroman der Geschichte verfasst.19 Daraufhin blieb das Weltall- bzw. Mondreisemotiv bis ins 17. Jahrhundert nahezu im Verborgenen.
Einer der Gründe für die Wiederentstehung von extraterrestrischer und phantasti- scher Literatur war die wissenschaftliche Abhandlung “Sidereus Nuncius” des italie- nischen Astronomen Galileo Galilei im Jahre 1610.20 Es enthielt Forschungsberichte über erdähnliche Himmelskörper und eine Theorie zur Besiedlung des Mondes.21 Schnell wurde die mögliche Existenz von Außerirdischen zu einem prominenten Thema der astronomischen und philosophischen Literatur des 17. Jahrhunderts.22 Zudem eröffnete sich mit der heliozentrischen Weltanschauung und den unzähligen Theorien über mögliches außerirdisches Leben, ein “grenzenloses Reich der Wunder und Abenteuer”23, welches durch den technischen Fortschritt sichtbar wurde, jedoch stets unerreichbar blieb.
Mit dieser Vorrausetzung sind unzählige Werke entstanden, die aufgrund der damaligen “Unerreichbarkeit”24 des Himmels, nicht falsifizierbar waren.
Die Wissenschaft und die Erfindung des Fernrohrs dienten als Vehikel für die fiktiven Geschichten über Abenteuerreisen in unbekannte Welten. Im Gegensatz zu bereits stattgefundenen Reisen in “unbekannte Welten” auf der Erde, wie die des Seefahrers Christoph Kolumbus, sind die Entdeckungen Galileis in einer bereits dem Menschen bekannten Welt zu zuordnen. Das Weltall war keine unbekannte Erscheinung, da sie vom Menschen seit Jahrtausenden wahrgenommen wird. Aber dennoch gilt es als unerforschtes Gebiet, ein Ort voller Faszination und Geheimnisse.
2.4 Abenteuer Weltall - Von der Literatur zum Film
Die Reiseutopie von einem Flug ins Weltall, wurde im 19. und 20. Jahrhundert insbesondere durch H.G. Wells “The First Men in the Moon” (1827) und vor allem durch Jules Vernes “De la Terre a la Lune” (1865) und dem Folgeroman “Autour de la Lune” (1870) geprägt.25 Das Unbekannte zu erforschen und auch zu besiedeln erreichte einen neuen Höhepunkt.
Der französische Schriftsteller Jules Verne vereinte in seinem Zukunftsroman “De la Terre a la Lune” Technologie und Fiktion und übte damit einen großen Einfluss auf die im 20. Jahrhundert aufkommende moderne Raumfahrt aus.
In seinem Werk beschreibt Verne die Entwicklung und Realisierung einer Reise zum Mond. Die Basis der Mondfahrt, setzte er nach Florida, USA. “Ein Land, das erst wenige Jahre zuvor begann, sich wirtschaftlich und technisch in den Vordergrund zu schieben.”26 Es sollte eine Entdeckungs- und Eroberungsreise werden, genauso wie bei der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus. Selbst Verne beschreibt es wie folgt:
“Vielleicht ist es uns vorbehalten, für diese unbekannte Welt, die Rolle des Kolumbus zu spielen”27
Desweiteren wurden zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse aus seinem Buch, in der modernen Raumfahrt verwirklicht. Seine Berechnungen für einen Raketenstart um der Erdanziehung zu entfliehen, oder die optimale Ausnutzung der Erdbeschleu- nigung vom Äquator aus, wurden in der aufkommenden Raumfahrt von Fiktion zur Realität.28
Der Beweis dafür ist der amerikanische Weltraumbahnhof John F. Kennedy Space Center, der in Florida seinen Sitz hat und von dem aus bemannte Raumflüge starten.
Die Reiseutopie setzte sich mit der fortschreitenden Technologie weiter voran. In der ab 1895 aufkommenden Kinematographie, welche “fragmentarische Aufnahmen in eine scheinbar fließende Bewegung”29 überführt, wurde die “Reise zum Mond” im Medium Film visualisiert.
3 Visualisierung der Faszination und Attraktion
Zunächst existierte aufgrund fehlender visueller Technologie nur eine fantasievolle Vorstellung vom Weltall, doch konnte es zu Beginn des letzten Jahrhunderts zum ersten Mal auf eine Leinwand projiziert werden.
Durch die Übertragung der Raumfahrt im Fernsehen wurden diese Fantasien durch ein realistisches Bild ersetzt.
Seine Medialität erhielt das Weltall mit der fortschreitenden astronomischen Erforschung. Am Anfang war das Buch, dann das Fernrohr, der Film, das Radioerlebnis und schließlich der Fernseher. Space Opera30 oder eben die Science-Fiction erobern seit dem letzten Jahrhundert das Kino und das Fernsehen. Der Mond ist mittlerweile zum Außenposten der Erde geworden und im Fernsehen konnte seine Eroberung durch den Menschen mitverfolgt werden.
In diesem Kapitel soll die Theorie der Cinema of Attractions herausgearbeitet wer- den, um die innovative Fähigkeit des frühen Kinos, bestehend aus Spezialeffekten und Attraktionen, im weiteren Verlauf der Arbeit an der Space Night zu untersuchen. Zudem wird der Ereignischarakter des Mediums Fernsehen näher beleuchtet, um diese ebenfalls auf die Space Night aber auch auf die Inszenierung der Mondlandung anzuwenden.
3.1 Cinema of Attractions
In den 1980er Jahren arbeitete der amerikanische Filmwissenschaftler Tom Gunning in seiner Analyse The Cinema of Attractions die Eigenschaften des Kinos in seiner Anfangsphase bis circa 1907 heraus. Das Kino konstituierte sich als neue Kunstform und hatte nicht dieselbe narrative Motivation wie das Theater und sollte auch nicht dem narrativen Film untergeordnet werden.
“Its unique power was a matter of making images seen”31
Die besondere Fähigkeit des Kinos war die Sichtbarkeit von Bildern. Der Akt des Darstellens an sich wurde zum Ziel, um die Menschen zur Illusionierung zu animie- ren. Gunning unterscheidet dabei realistische Illusion von magischer Illusion, dessen Hauptvertreter zum einen die Gebrüder Lumière mit ihrem realistischen Wanderki- no32 (1895) und zum anderen der Filmemacher George Méliès, insbesondere durch seinen fantastischen und magischen Film “Die Reise zum Mond - Le Voyage dans la Lune”33 (1902), wurden.
Beim realistischen Film wurde die Kamera kaum bewegt, sodass die Filme aus lan- gen und totalen Einstellungen bestanden und einen dokumentarischen Stil aufwie- sen. Der Film “L’Arrivee d’un train en gare de la Ciotat”34 (1895) zeigt einen, in einen Bahnhof einfahrenden, Zug. Der Film löste angeblich eine Massenpanik aus, da der Film den unerprobten Zuschauern suggerierte, dass tatsächlich ein Zug auf sie zu fahren würde.35 Obgleich es sich um einen Stummfilm mit statischer Aufnahme han- delte, soll es ein faszinierendes Erlebnis für das damalige Publikum gewesen sein. Es stellte eine revolutionäre Entwicklung dar, die die Malerei und Fotografie ablöste und bewegte Bilder zeigte.36
Auch wenn fiktive Filme, wie die von Méliès, eine narrative Struktur aufweisen, zählte Gunning diese zum Cinema of Attractions. Diese Ansicht wurde von Méliès selbst untermauert und seinerseits folgendermaßen formuliert:
“As for the scenario, the fable, or tale, I only consider it at the end. I can state that the scenario constructed in this manner has no importance, since I use it merely as a pretext for the stage effects, the tricks, or for a nicely arranged tableau.”37
Die Reise zum Mond wird oft als erster Science-Fiction-Film der Geschichte angese- hen, in dem Wissenschaftler eine Reise zum Mond unternehmen. Dabei treffen sie auf Mondwesen und müssen einige Kämpfe überstehen. Das Besondere an diesem Film waren zuvor noch nie verwendete Spezialeffekte, wie z.B. dass Darsteller plötz- lich verschwanden und wieder auftauchten. Méliès arbeitete mit Animationen, Belich- tung und diversen Tricks, die Überraschung und Staunen beim Zuschauer auslösten.
Zudem war er ein Film, welcher die verstärkt aufkommende Faszination für das Reisen thematisierte. Der Forschungsdrang und die Expedition ins Unbekannte kamen damals vor allem in der Literatur vor. Die Reiseutopie ins All wurde im 19. und 20. Jahrhundert insbesondere durch H.G. Wells The First Men in the Moon (1827) und vor allem durch Jules Vernes De la Terre a la Lune (1865) und dem Folgeroman Autour de la Lune (1870) geprägt.38 Das Bestreben, das Unbekannte zu erforschen, zu erkunden und auch zu besiedeln, hatte einen neuen Höhepunkt erreicht. Jules Verne beschreibt in seinem Werk De la Terre a la Lune, dass der Start einer Rakete in den Himmel eine massenhafte Begeisterung und eine ungeheure Faszination auslösen würde.39 Méliès setzte diese Faszination als Vorstufe der bemannten Raumfahrt in seinem Film um.
“So konnte der ehemalige Zauberer in seinem vierzehn Minuten langen Film [...] eine Reise zum Mond als illusionistisches Erlebnis präsentieren, und dadurch das visuelle Zeigen der Gebrüder Lumière in ein visuelles Erzählen verwandeln.”40
Die Handlung wird so gesehen nur zu dem Zweck genutzt, die Effekte und Tricks vorzuführen und sichtbar zu machen. Dem Zuschauer soll ein Spektakel gezeigt werden, das fesselt und Spannung aufbauen soll. Eine illusionäre Kraft, die vom Film ausgeht und dem Zuschauer alles, was er wissen muss, sichtbar macht. Die kurzen und knappen Handlungsstränge im Film dienten lediglich dem Zweck, die Reihe an Tricks und Attraktionen miteinander zu verknüpfen. Der Film diente Méliès zur ver- besserten Darstellung seiner Zaubertricks, mit denen er die Sinne der Zuschauer manipulieren konnte. Seine bewusste Inszenierung ermöglichte ihm, seine Darstel- lung zu kontrollieren. Somit konnte er auch der Aufmerksamkeit seiner Zuschauer sicher sein. Seine Tricks erforderten eine große Vorbereitung und viele Mitarbeiter bei der Umsetzung. Méliès schloss dafür, so sagt er, auch andere Künste, wie Male- rei und Architektur mit ein, da “ ... man das Unmögliche möglich machen” (muss), “denn man photographiert und zeigt es ja!” .41
Die Filmemacher dieser Zeit, so Gunning, haben die narrative Erzählweise erlernt, deshalb sieht er ihre filmische Umsetzung als eine “evolution of narrative editing”42 an. Im Zuge dieser Evolution entstand auch das exhibitionistische Kino, welches ebenfalls zum Cinema of Attractions zählt. Im Film durchbricht der direkte Blick oder die direkte Handlung der Akteure die vermittelnde Instanz der Kamera zwischen Schauspiel und Zuschauer. Die direkte Konfrontation soll den Zuschauer faszinieren und ihn illusionär am Film teilhaben lassen. Dieses Verfahren wurde im Zuge des ab 1907 aufkommenden Cinema of Narrations zum Tabubruch. “...the attraction was a term of the fairground, [...] it primarily represented their favorite fairground attraction, the roller coaster...”.43 Das Cinema of Attractions war ein Schaufenster-Kino, dessen Sinn und Zweck dem einer Jahrmarktsattraktion glich. Für die Zuschauer war es kein Kinobesuch, sondern vielmehr die Möglichkeit, an einer Attraktion teilzuhaben - einer von einer Maschine sichtbar gemachten Exhibition.
“Early audiences went to exhibtions to see machines demonstrated [...] rather than to view films.”44
Mit dem Cinema of Attractions kam ein wundersames und neues Gerät auf den Markt, welches magische Dinge zeigen konnte. Wie gemacht für die neu aufkom- mende Massenkultur oder Alltagskultur - im Text als “mass culture”45 bezeichnet, die
- auf eine Gesellschaft abzielt, deren kulturelle Befriedigung in der Sinnlichkeit statt in der Sinnstiftung liegt. Die breite Mittelklasse stand stärker im Fokus des Cinema of Attractions, die Elite war mehr dem Theater zugeneigt.
“The source is significant. The enthusiasm of the early avant-garde for film was at least partly an enthusiasm for a mass culture that was emerging at the beginning of the century, offering a new sort of stimulus for an audience not acculturated to the traditional arts.”46
Die Filme jener Zeit waren experimentell, fortschrittlich und oft futuristisch und konn- ten durch den Attraktionscharakter der Aufführung einen einzigartigen Zugang für die Massen darstellen. Im Hinblick auf diese Vergangenheit, kann auch ein Ausblick auf die aufkommende Popkultur47 unserer Zeit gegeben werden, deren verstärktes Ziel der Unterhaltung ebenfalls in der fortschreitenden Stimulation der Sinne des Zu- schauers liegt. Diese sieht Gunning jedoch mehr als Effekt als Attraktion an. “But effects are tamed attractions,...”48 Für ihn liegt die Zeit des Cinema of Attractions ganz klar zwischen 1895 bis 1907.
Danach hält das Cinema of Narrations Einzug im Film. Schauspieler rücken nun in den Fokus und erlangen Ruhm. Die Handlung wird wichtiger als die Attraktionen. Vielmehr werden die Schauspieler zur Attraktion des Films.
Eine weitere Entwicklung findet in den späten 70er Jahren und 80er Jahren statt. Die aufkommenden Blockbuster-Filme, die Gunning als “Spielberg-Lucas-Coppola Ci- nema of Effects”49 bezeichnet, zeichnen sich wiederum besonders durch teilweise digitale Special Effects aus, die erneut zu einer Entfernung vom narrativen Charak- ter führen.
Neben der Fimindustrie, haben sich aber auch die Raumfahrtbehöden an den fortgeschrittenen und neuen digitalen Produktionswerkzeugen bedient und im Lauf der Jahre opulente und visuelle Effekte in ihre Videoproduktionen einfließen lassen, die spätestens seit der neuen Space Night-Staffel auch im deutschen Fernsehen jede Nacht hochauflösend ausgestrahlt werden.
[...]
1 Kult kann durch die emotionale Vermittlung eines Mythos oder einer Geschichte erreicht werden.
2 Chill-Out wird hier als ein Format verstanden, welches dem Rezipienten eine ruhige und entspannte Darstellung bieten soll. Vgl.: Reißmann, Ole: Neue Gema-Tarife: Bayerischer Rundfunk stellt “Space Night” ein. 2013. <http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/neue-gema-tarife-bayerischer-rundfunk- stellt-space-night-ein-a-878431.html> (Zugriff am: 09.08.2014).
3 Kritik der Sueddeutschen Zeitung. <
http://www.br.de/mediathek/video/sendungen/spacenight/space- night104.html#tab=bcastInfo&jump=tab> (Zugriff am: 09.08.2014)
4 SZ: Es ist Fernsehen als Erlösung vom Fernsehen. Vgl.: Space Night. <http://www.fernsehserien.de/space-night> (Zugriff am: 09.08.2014)
5 So entstand beispielsweise beim Hessischen Rundfunk die Nachtsendung “Flowmotion”. In diesem Format werden grafische Animationen gezeigt, welche mit Musik unterlegt sind.
6 Das Weltall - Planeten, Sonnen, Galaxien. Natur und Wissen München: Verlagsgruppe Bertelsmann International GmbH, 1984, S.12.
7 Vgl.: Ebd. S.15.
8 Vgl.: Das Weltall - Planeten, Sonnen, Galaxien. Natur und Wissen, 1984 S.20
9 Vgl.: Ebd.
10 Vgl.: Ebd.
11 Vgl.: Maier, Ursula: Zwischen Zeit und Ewigkeit: Die Suche nach Wahrheit und Sinn. Berlin: Pro Business, 2011, S. 61.
12 Vgl.: Tomma, Tiziana Della: Astrologie. Norderstedt: Books on Demand, 2010,S.9.
13 Vgl.: Knappich, Wilhelm: Geschichte der Astrologie. Frankfurt am Main: Verlag Vittorio Klostermann, 1998, S.10.
14 Vgl.: Hamel, Jürgen: Geschichte der Astronomie - Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Basel: Birkhäuser Verlag, 1998, S.188.
15 Vgl.: Grinsted, Daniel: Zur Faszinationsgeschichte eines medienkulturellen Phänomens zwischen Realität und Fiktion. Berlin: Logos Verlag, 2009, S.58.
16 Hamel, 1998.S.182.
17 Vgl.: Große, Ernst-Ulrich: “Massenmedien” S.405. In: Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie: Ansätze-Personen-Grundbegriffe. Stuttgart: J.B. Metzler, 2001, 5. Aufla- ge, S. 405.
18 Vgl.: Daston, Lorraine: “Die Lust an der Neugier in der frühneuzeitlichen Wissenschaft” S. 147 - 175. In: Krüger, Klaus (Hrsg.): Curiositas: Weitererfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit. Göttingen: Wallstein Verlag, 2002, S. 158
19 Vgl.: Grinsted, 2009. S.67.
20 Vgl.: Ebd. S.64.
21 Ebd.
22 Vgl.: Hamel, 1998.S.193.
23 Bülow, Ralf: “Rückblicke in die Zukunft”. S.17. In: Bülow, Ralf (Hrsg.): Weltraum. 7 Hügel - Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts: [14. Mai - 29. Oktober 2000 im Martin-Gropius-Bau Berlin; eine Ausstellung der Berliner Festspiele]. Berlin: Henschel, 2000, S.17.
24 Vgl.: Grinsted, 2009. S.68
25 Vgl.: Grinsted, 2009. S.69.
26 Kulke, Ulli: Weltraumstürmer: Wernher von Braun und der Wettlauf zum Mond. Köln: Bastei Lübbe, 2012, S.35.
27 Ebd.
28 Vgl.: Kulke, 2012. S.35.
29 Fritsch, Daniel: George Simmel im Kino: Die Soziologie des frühen Films und das Abenteuer der Moderne. Bielefeld: transcript Verlag, 2009, S.11.
30 Begriffsbestimmung: Space Opera projiziert technische und politische Gegenwart in eine futuristi- sche Fiktion: Vgl: Neuhaus, Wolfgang: Die Geburt der Space Opera aus dem Geiste des Imperialis- mus. 2003. <http://www.heise.de/tp/artikel/14/14985/1.html> (Zugriff am: 15.08.2014)
31 Leger, Fernand: A Critical Essay on the Plastic Qualities of Abel Gance’s Film The Wheel in Functions of Painting. New York: Viking Press, 1973, S.21.
32 Vgl.: <http://www.wanderkino.de/wanderkino/index2.php?link=filme&link1=filmliste> (Zugriff am: 16.08.2014)
33 Ebd.
34 Ein Film von Auguste und Louis Lumière
35 Die angebliche Massenpanik ist nicht widerlegt wurden. Pethke, Stefan: Filmvermittlung und frühes Kino. <http://www.kunst-der-vermittlung.de/dossiers/fruehes-kino/mueller-cinematographe/> (Zugriff am: 16.08.2014)
36 Vgl.: Gunning, Tom: “An Asthetic of Astonishment: Early film and the (In)Credulous Spectator”.114 - 133. In: Williams, Linda: Viewing positions: ways of seeing film. New Brunswick: Rutgers University Press, 1995, S.115.
37 Gunning, Tom: The Cinema of Attractions - Early Film, Its Spectator and the Avant-Garde. 1986. S.64. <http://www.columbia.edu/itc/film/gaines/historiography/Gunning.pdf> (Zugriff am: 17.08.2014)
38 Vgl.: Grinsted, 2009. S. 69.
39 Vgl.: Grinsted, 2009. S.126.
40 Vgl.: Ebd. S. 104.
41 Vgl.: Georges Méliès. Magier der Filmkunst (47 - 52) In: Kessler, Frank (Hrsg.); Lenk, Sabine (Hrsg.); Loiperdinger, Martin (Hrsg.) KINtop 2. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films. Frankfurt am Main: Stroemfeld/ Roter Stern, 1992.
42 Gunning, 1986. S.64
43 Gunning, 1986. S.66
44 Ebd.
45 Ebd.
46 Ebd.
47 Damit ist vor allem der aufkommende Blockbuster-Film gemeint.
48 Gunning, 1986. S.70
49 Gunning, 1986. S.70.
- Arbeit zitieren
- Can Söm (Autor:in), 2014, Faszinationstyp Weltall. Zur medialen Konstruktion der "Space Night", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/359143
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