Leseprobe
Inhalt
I. Einleitung
II. Philosophischer Hintergrund der Aufklärung
II.1. Aufklärung in England
II.1.1. Vorläufer des englischen Empirismus
II.1.2. John Locke
II.1.3 Englische Religionsphilosophie und Ethik
II.2 Aufklärung in Deutschland
II.2.1 Christian Wolff
II.2.2 G.E. Lessing
III. Die jüdische Reformationsbewegung
III.1 Mendelssohn. Ein konservativer Reformator
III.1.1 Gradwanderung zwischen Erneuerung und Identität
III.1.2 Die Pentateuchübersetzung
III.2 David Friedländer und die neue Schule
III.2.1 Orthodoxe Kräfte
III.3 Leopold Zunz
III.3.1 Die Neubewertung der Predigt
I. Einleitung
Die Anfänge jüdischer Emanzipation in Deutschland sind auf das Innigste mit dem Namen Moses Mendelsohn konnotiert und verknüpft. Dies findet seine Begründung nicht in dem umfangreichen philosophischen Werk Mendelssohns, in dem er vielleicht eine theoretische Begründung für die Gleichstellung der Juden liefert. Vielmehr steht er als Mensch für die in den Anfängen der deutschen Aufklärung überraschende Symbiose aus jüdischer Identität und weltlicher Bildung. Zwar tauchte das Ideal des aufgeklärten Juden zuvor schon in der Literatur auf[1], doch seine leibhaftige Entsprechung ließ auf sich warten. Erst mit dem Erscheinen Mendelssohns in der geistigen Welt Berlins fand die Bewegung der Aufklärung ihre Ikone, nach der sie geradezu gelechzt hatte. Allen voran Lessing griff den jungen Mendelssohn als beispielhaften Juden auf und stellte ihn dem Göttinger Theologen Johann David Michaelis und dessen Rezension[2] des Stückes „Die Juden“ entgegen. Michaelis hielt es für höchst unwahrscheinlich, den von Lessing beschriebenen Juden in der Wirklichkeit jemals vorzufinden. Lessing schrieb an Michaelis:
„[Mendelssohn] ist wirklich Jude, ein Mensch von etliche zwanzig Jahren, welcher, ohne alle Anweisung, in Sprachen, in der Mathematik, in der Weltweisheit, in der Poesie, eine große Stärke erlangt hat. Ich sehe ihn im voraus als Ehre seiner Nation an...“[3]
Um Mendelssohn aber nicht zu einem deus ex machina zu stilisieren, soll folgend die philosophische Grundlage, auf der sich für das Judentum erstmals eine Forum für die Gleichstellung mit Christen entwickeln konnte, dargestellt werden. Dabei dürfen Widerstände und Konflikte, denen Mendelssohn sowohl von christlicher als auch von jüdischer Seite begegnete, nicht ausgespart bleiben. In dem Prozess zaghafter Annährung nimmt allem voran die Sprache eine Schlüsselrolle ein: Während sie von je her für die Juden weltweit bereits durch die generelle[4] Zweisprachigkeit von zentraler Bedeutung ist, finden wir in Deutschland die besondere Situation vor, dass sich durch das identitätskonstituierende Moment[5] der Sprache eine deutliche Affinität zwischen Judentum und Deutschtum ergibt. In der Entwicklung zu einer deutschen Nation, die durch die vereinigende Kraft der deutschen Sprache gerechtfertigt und forciert wurde, sah sich das Judentum vor einen unüberwindlichen Konflikt gestellt: Wollte es die gesellschaftliche Anerkennung, so war nun die lang ersehnte Gelegenheit gekommen, eine gesellschaftliche Gleichstellung durch die deutsche Sprache zu erwirken. Ließ es sich auf eine sprachliche Reform der jüdischen Religion und Kultur ein, so ging damit ein unwiederbringbarer Verlust der jüdischen Identität einher. Die Reformatoren David Friedländer und Leopold Zunz, denen der zweite Teil der Untersuchung gewidmet ist, sahen sich mit der höchst diffizilen Aufgabe betraut, das Erbe Mendelssohns weiter zu führen und eine Symbiose aus jüdischer und deutscher Identität zu schaffen.
II. Philosophischer Hintergrund der Aufklärung
„Euch Locke und Wolf! Dir unsterblicher Leibniz! stifte ich ein ewiges Denkmahl in meinem Herzen. Ohne eure Hülfe wäre ich auf ewig verlohren. Euch selbst habe ich nie gekannt, alleine eure unvergänglichen Schriften, die von der grossen Welt ungelesen bleiben, und die ich in einsamen Stunden um Hülfe angefleht, haben mich auf den sicheren Weg zur wahren Weltweisheit, zur Erkenntniß meiner selbst und meines Ursprunges geleitet. Sie haben die heiligen Wahrheiten in meine Seele gegraben, auf die sich meine Glückseligkeit gründet; sie haben mich erbaut.“[6]
Um zu einem hinlänglichen Verständnis über Moses Mendelssohns Stellung und Bedeutung innerhalb der deutschen und jüdischen Gemeinschaft zu gelangen, ist es unausweichlich, auch seinen geistigen Hintergrund zu beleuchten. Nun generiert aber keine geistige Größe seine jeweilige Philosophie ausschließlich aus sich selbst heraus, sondern baut stets auf Vorgegebenes auf und entwickelt dies weiter. Auf Mendelssohn bezogen bedeutet dies, dass seine Philosophie, sein Weltbild und seine Einstellung zu Mensch und Gesellschaft im wesentlichen geprägt war von der Epoche der Aufklärung. Auf ihr basierend sollte er ein neues Verständnis für den Menschen, die Religion und nicht zuletzt für die Stellung der Juden innerhalb einer Gesellschaft verschiedener Glaubensgemeinschaften entwickeln. Da die Philosophie des 18ten Jahrhunderts eine mit der heutigen Zeit nicht zu vergleichende Stellung einnahm und ihre Ideen noch gesellschaftliche Auswirkungen vorweisen konnten, soll der folgende Diskurs zur Entstehung und Entwicklung der Philosophie der Aufklärung jene Koordinaten aufzeigen, die zu einer Neubewertung des menschlichen Verstandes und damit einhergehend zu einer Umwertung religiöser Texte führten.
II.1. Aufklärung in England
II.1.1. Vorläufer des englischen Empirismus
Der in England seit dem 16. Jahrhundert vorherrschende Puritanismus, der durch seine nüchterne Strenge und durch das Ethos praktischer Arbeit entscheidenden Einfluss auf den englischen Volkscharakter hatte, begründete eine generelle Ablehnung von Spekulationen und ein Beharren auf die Erfahrung als die Grundlage allen Wissens und aller Philosophie. Der mittelalterlichen Scholastik ablehnend gegenüber stehend postulierte erstmalig ROGER BACON die Erfahrung als Quelle menschlichen Wissens und Erkennens. Dessen Namensvetter FRANCIS BACON griff dieses Postulat auf und entwickelte es weiter, um durch den Empirismus zu einer Erneuerung des menschlichen Wissens und Erkennens zu gelangen. Folgend tat sich THOMAS HOBBES als politischer Denker hervor, der die Philosophie nüchtern als Erkenntnis der Wirkung aus den Ursachen, sowie als Erkenntnis der Ursachen aus den beobachteten Wirkungen definierte. Daraus resultierte für ihn die rein pragmatische Ausrichtung der Philosophie, Wirkungen vorherzusehen und für das menschliche Leben nutzbar zu machen.
Schließlich hält auch der Naturwissenschaftler ISAAC NEWTON Einzug in die Reihe der für den Empirismus entscheidend prägenden Denker. Neben dem großen Verdienst, die Ideen und Gedanken Kopernikus‘, Keplers und Galileis zu einer gewaltigen Einheit zu bündeln, bestand die besondere Wirkung auf die Philosophie darin, eine neue wissenschaftliche Methode zu entwickeln. NEWTON gelang es, die induktiv-empirische und die deduktiv-mathematische Richtung miteinander zu vereinigen, was zur Konsquenz hatte, das fortan jede abstrakte Hypothese einer empirischen Prüfung zu unterziehen war, bis sie entweder belegt oder widerlegt war. In Bezug auf Religion musste dies natürlich epochale Folgen haben: Nicht länger Gott, sondern der Mensch und sein Verstand waren fortan das einzig gültige Indiz für Wahrheit und Fehler.
II.1.2. John Locke
John Locke, einer der bedeutensten Vertreter des Empirismus, ist von zentraler Bedeutung für das Denken und Wirken des Moses Mendelssohn, der ihn selbst als entscheidenden Vordenker seiner eigenen Philosophie betrachtete und schätzte. Ein radikaler Umbruch der gesellschaftlichen Auffassung macht sich bereits in Lockes Vorwort „An den Leser“ bemerkbar, wenn er schreibt:
„Ich erhebe nämlich nicht den Anspruch, diesen Essay zu veröffentlichen, um Männer mit großem Denkvermögen und rascher Auffassungsgabe zu belehren; solchen Meistern der Erkenntnis gegenüber bekenne ich mich selbst als Schüler und warne sie deshalb von vornherein davor, hier mehr zu erwarten als etwas, was ich aus meinen eigenen unbeholfenen Gedanken heraus entwickelt habe und das für Leute meiner eigenen Geistesverfassung berechnet ist.“[7]
Was hier vielleicht vordergründig als Understatement aufgefasst werden könnte, beinhaltet bereits im Wesentlichen eine Neueinschätzung und Auffassung des Menschen selbst: Locke verzichtet, der Tradition Descates‘ verpflichtet, auf eine nur dem Eingeweihten verständliche Sprache. Darin angelegt ist einerseits eine unverholene Kritik gegenüber der kirchlich dogmatischen Methode, die jeglicher Kritik an ihren Lehren begegnete, indem sie ihre Gläubigen durch die lateinische Sprache ausgrenzte und diesen somit uneingeschränktes Vertrauen abverlangte; andererseits deutet es Lockes auf Toleranz beruhende Zuwendung zum Menschen an, in der er Frieden und Wohlergehen der Gesellschaft begründet sieht. Seinem Theorem folgend besitzt jeder Mensch die Grundvoraussetzung für wesenhafte Erkenntnis. Er muss deshalb unbedingt, uneingeschränkt und unabhängig von Religion und Ethnie respektiert werden. Der nun folgende tiefere Einblick in die Philosophie Lockes soll die entscheidenden Thesen beleuchten, die zu einer Umwertung der menschlichen Erkenntnis und der religösen Dogmatik führten: An den Beginn seiner philosophischen Betrachtung stellt Locke den Skeptizismus dem Vermögen des Verstandes gegenüber. Dieser Ansatz ist zu diesem Zeitpunkt nicht neu, wurde er doch bereits von Descates aufgegriffen und untersucht. Doch lässt Locke im Gegensatz zu Descartes, der von der Überzeugung beherrscht ist, dass die Welt mit mathematischer Präzision auf deduktivem Wege zu entwickeln ist, den Zweifel bestehen, ob dies mit dem Verstand überhaupt möglich ist. In der Konsequenz ihres Skeptizismus trennen sich die beiden Philosophen an dieser Stelle. Locke entgegnet Descartes, der wider aller Zweifel einen Begriff Gottes mit ganz bestimmten Eigenschaften apriori annimmt, dass dieser Gottesbegriff in der Geschichte der Menschheit und bei verschiedenen Völkern eben nicht einheitlich vorhanden ist. Damit rückt erneut das menschliche Bewusstsein in den Mittelpunkt der Lockeschen Bertachtungen, um zu prüfen, wie überhaupt Vorstellungen und Begriffe in die menschlihce Vorstellung gelangen und welchen Grad der Gewissheit die verschiedenen Vorstellungen gegenüber ihrem Urspung haben. In seinem Werk „Versuch über den menschlichen Verstand“ wirft Locke einleitend die Frage auf, wie Vorstellungen überhaupt in das Bewusstsein gelangen können. Drei Möglichkeiten stellt er in Aussicht: Unsere Ideen sind eweder von außen hineingekommen, oder sie sind aus dem Material der von außen kommenden Vorstellungen durch das Denken selbst gebildet, oder sie sind von allem Anfang an darin vorhanden, was bedeutet, dass sie angeboren sind. Nun ist der gesamte erste Teil dem Nachweis gewidmet, dass es keine angeborenen Ideen gibt (No innate ideas!). In seiner Beweisführung führt Locle Naturvölker und Kinder an, an denen sich veranschaulichen lässt, dass sie eben nicht in Besitz von angeborenen Ideen und Vorstellungen sind. Sies gilt vor allem für theoretische und abstrakte Denkansätze, deren Existenz man in der Geschichte immer wieder gerne einem göttlichen Ursprung zuschrieb. Doch dadurch, dass Locke den Verstand in das Zentrum der menschlichen Existenz stellt und ihn in seinen Anfängen als tabula rasa definiert, der sich erst im Laufe des Lebens durch äußere Eindrücke und innere Reflexion formt, gelangt der Mensch zu einem neuen Selbstverständnis: Nicht mehr der Glaube und die Offenbarung definieren und formen das Leben, sondern die Betrachtung und die Reflexion. Entscheidend in Hinsicht auf den dogmatischen Charakter der Religion ist die Darlegung, dass sich das menschliche Wissen alleine auf äußere Erfahrungen gründet, wodurch göttliche Mysterien, die nur durch den Glauben erfasst werden können, abgewertet werden.
Neben seiner Erkenntnistheorie beruht auch Lockes Staatstheorie auf dem vernünftigen Menschen. Da der Verstand für den Menschen von zentraler Bedeutung ist und jedem Menschen ganz unabhängig von religiösem und kulturellen Hintergund zu eigen ist, gelangt Locke zu einer universalistischen Philosphie, der vor allem die Intoleranz entscheidend entgegen wirkt. In ihr erkennt der Philosoph die größte Beeinträchtigung von Frieden und Wohlergehen innerhalb einer Gesellschaft.[8] Der in seiner Religions- und Staatsphilosphie angelegte Gedanke der bürgerlichen Gleichheit unabhängig von der Konfession trug bei Lockes Schülern und Nachfolgern wesentlich zu einem neuen Postulat an die Religion bei: Die wahre Religion müsse notwendig vernünftig und verständlich sein. Das für Mendelssohn solche vernunftorientierten Beweise für die Gleichberechtigung der Juden eine Wonne gewesen sein müssen, ist allzu verständlich.
II.1.3 Englische Religionsphilosophie und Ethik
Verlieren wir nicht den revolutionären Charakter der Aufklärung aus den Augen: Die Neueinschätzung des menschlichen Verstandes führt zu einem völlig neuen Selbstverständnis gegenüber der voher herrschenden Dogmatik der Religion. Der stattfindende Umbruch musste zwangsläufig Auswirkungen auf die Religion sowohl des Christentums als auch auf die des Judentums haben, war er doch der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“[9] Da der Mensch in dieser Zeit noch nicht die Reife hatte, sich der Religionen ganz zu entsagen und im Atheismus eine gesellscahftspolitishe Gefahr sah, versuchte er nun, nicht nur die Religion in Übereinstimmung mit der Vernunft zu bringen (wie es dies bereits die Scholastiker angestrebt hatten), sondern darüber hinaus die Religion selbst aus der Vernunft zu begründen. Dieses Streben wird unter den Begriff des Deismus zusammengefasst, der Gott als letzten Urgrund der Welt zwar anerkennt, jedoch ein Eingreifen Gottes in den Lauf der einmal bestehenden Welt negiert. Wunder und Offenbarung sind damit völlig ausgeschlossen und die Vernunft wird zur einzigen Quelle religiöser Wahrheiten postuliert. Ferner geht man erstmalig daran, die übermittelte Religion vom Verstandespunkt aus zu kritisieren. Damit wird die überlieferte Religion einer genauen Prüfung in Bezug auf Entstehung und Entwicklung unterworfen. Der religiöse Text ist nichts heiliges und unantastbares mehr, der unberührbar ist, weil er von Gott offenbart ist. Vielmehr wir vor allem durch DAVID HUME in seinen Abhandlungen „Naturgeschichte der Religion“ und „Gespräche über die natürliche Religion“[10] die Fragwürdigkeit der religiösen Texte hervorgehoben. HUME sieht in der Religion einzig eine Anleitung zum sittlichen Handeln. Der Mensch aber, wenn er in seiner Vernunft genügend entwickelt und gereift ist, bedarf nicht mehr solcher Anleitung, da sich eine Ethik aus dem Denken selbst ergibt. Die große Mehrheit der Menschen bedarf zwar weiterhin eines Antriebes zum sittlichen Handeln durch die Religion. Doch diese sind weder für die reinen Gedanken einer Religion, noch für die auf der Vernunft basierenden Gründe empfänglich. Weiterführend formuliert HUME, dass eintweder eine reine Vernunftreligion besteht, die dann jeder zusätzlichen Religion entbehren kann, da die praktisch-ethische Seite mit der vernunftbegründeten Sittlichkeit zusammenfällt; oder aber Fanatismus und Aberglaube setzen sich in einer Religion durch, da jedwedes Infragestellen einen Angriff auf den persönlichen Glauben, der sich selber nicht weiter als eben durch sich selbst rechtfertigen kann, darstellt.
Noch einmal soll kurz die bereits angerissene Kosequenz einer Umwertung innerhalb der Religionen aufgegriffen werden: Aus der veränderten Einschätzung der Religion ergibt sich die Forderung nach religiöser Toleranz. Ihren Ursprung finden wir in „Briefe über die Toleranz“ von JOHN LOCKE aus dem Jahre 1689, die im Allgemeinen als der Auftakt der aufklärerischen Bewegung angesehen werden. Im weiteren Verlauf tritt der als GRAF VON SHAFTESBURY bekannte ANTON ASHLEY COOPER in den Vordergrund, der zeitlich noch vor HUME das Sittliche im Menschen ausschließlich aus diesem selbst heraus zu begründen sucht. Dieser lehnt es ab, die Ethik aus äußeren Gesetzen, aus dem Zusammenleben, aus der Mode oder der öffentlichen Meinung herzuleiten. Und selbst die bloße Vernunft reicht ihm als Ursprung der Sittlichkeit nicht aus. Ein auf die Antike referierendes Vertrauen in den Menschen lässt SHAFTESBURY zu der Überzeugung gelangen, dass die Wurzel des guten Handelns in der unzerstörbaren Menschnnatur bereits angelegt ist. Dieser philanthropische Ansatz impliziert eine Gewissheit über das Sittliche, die entscheidender ist als jede religiöse Doktrin. Damit wird die Religion erneut in ihrer Bedeutung geschwächt, da die Offenbarung einmal mehr als obsolet entlarvt ist.
Auch HUME lehnt ebenso wie SHAFTESBURY die Vernunft als die Quelle des sittlichen Handelns ab, da sie nur den theoretischen Teil des Menschen ausmacht. Das Handeln hingegen entspringt seiner Auffassung nach den Leidenschaften. Entgegen der Überzeugung seines Vorgängers soll nicht die vermeintlich natürliche Anlage für sittliches Handeln ausreichend sein, auch wenn er dem Menschen einen besonderen moralischen Sinn weiterhin zugesteht. Vielmehr wird die moralische Instanz auf den Zuschauer externalisiert. Ebenso, wie man, wäre man isoliert, nicht wissen könne, ob man schön ist, erlangt man ohne ein Gegenüber keine Gewissheit darüber, ob man gut handelt. So ist sittliches Handeln immer auf den Mitmenshen bezogen, und wir erlangen unsere Urteile über richtiges Handeln durch die besondere Fähigkeit des Mitfühlens (die sog. Sympathie), die es uns gestattet, uns in den urteilenden Nebenmenschen zu versetzen.
[...]
[1] Der Franzose Marquis d‘Argens gilt als der erste bedeutende Autor, der das ersehnte Ideal des aufgeklärten Juden in seinen „Lettres juives“ (jüdische Briefe) entwirft. In Deutschland bekannter ist Lessings Werk „Die Juden“ von 1754, in dem er seinem Wunsch nach einem aufgeklärten und ehrbaren Juden Ausdruck verleiht.
[2] Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen. I, Nr. 70 (1754) S. 621
[3] Lessing. Sämtliche Schriften. Bd. XVII, S. 40
[4] Ausgespart bleiben orthodoxe Juden, die ihr Leben auf die jüdische Gemeinschaft in Ghettos beschränken und jede sprachliche Annäherung an das Land, in dem sie leben, als Verlust jüdischer Identität betrachten.
[5] Vgl.: Humboldt, (Karl) Wilhelm, Freiherr von: „Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues...“
[6] Moses Mendelssohn. Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Berlin, Breslau 1929-1938, Neudruck und Fortsetzung: Stuttgart-Bad Cannstadt 1971 ff., BdI, S. 64 f.
[7] Locke, John: Versuch über den menschlichen Verstand. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1981, S. 8
[8] Vgl. den ähnlichen Gedanken Spinozas in seinem „Theologischen Traktat“, Kap.XIX
[9] Kant, Imanuel: Beantwortung der Frage: „Was ist Aufklärung?“ (1784) In: Werke. Hrsg. v. Wilhelm Weischeld. Bd. XI. Frankfurt am Main 1968
[10] Hume, David: Naturgeschichte der Religion; Gespräche über die natürliche Religion XXXXXXXXX