Antiautoritäre Erziehung. Das Leben und Schaffen Alexander S. Neills und seine Schule Summerhill


Hausarbeit, 2005

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Alexander Sutherland Neill
2.1. Biographisches
2.1.1. Kindheit und Jugend
2.1.2. Erste Lehrjahre, Studium und Beruf
2.1.3. Militärdienst
2.1.4. Neill und seine familiäre Situation
2.1.5. Neill im Alter

3. Neills Mentoren und erste Kontakte mit der neuen Erziehungsbewegung
3.1. Homer Lane und Neills Anstellung an der King Alfred School
3.2. Wilhelm Reich

4. Antiautoritäre Erziehung
4.1. Begriff der antiautoritären Erziehung
4.2. Die Schule Summerhill
4.2.1. Entstehung und Geschichte
4.2.2. Schulinspektionen

5. Neills Pädagogisches Konzept in Theorie und Praxis
5.1. Neills Menschenbild
5.2. Neills Gesellschaftsbild
5.3. Erziehungsprinzipien nach Neill
5.4. Ziel der Erziehung
5.5. Neills Erziehungskonzeption
5.6. Die offene Einstellung zur Sexualität

6. Die Befreiung des Kindes
6.1. Das unfreie Kind
6.2. Das freie Kind
6.3. Die freie Familie nach Neill

7. Autorität bei Neill ?

8. Kritik an Neills Erziehungskonzept
8.1. Pro und Contra
8.2. Summerhill eine Schule für eine Minderheit?
8.3. Das Überleben der Schule
8.4. Illusion der natürlichen Erziehung?
8.5. Ist antiautoritäre Erziehung die beste Erziehungsmethode?

9. Summerhill heute

10. Schlussbemerkung

11. Literaturverzeichnis

“Wir können die Kinder nach unserem Sinne nicht formen, so wie Gott sie uns gab, so muss man sie haben und lieben, sie erziehen aufs beste und jeglichen lassen gewähren”

Johann-Wolfgang von Goethe

1.Einleitung

In meiner Seminararbeit habe ich mich mit dem Konzept der antiautoritären Erziehung aus der Sichtweise von Alexander Sutherland Neill auseinandergesetzt. Ein Thema, aktueller denn je, werden wir doch tagtäglich in den Medien mit den miserablen Ergebnissen der Pisa-Studie konfrontiert. Ist unser Schulsystem, so wie es heute existiert eigentlich noch “Up - to - Date“?

Anfang des 20. Jahrhunderts muss sich Alexander Sutherland Neill wohl auch eine ähnliche Frage gestellt haben. Aufgewachsen in einer rigiden schottischen Familie, der Schulbesuch geprägt von Disziplin und Zwang, wollte er mit seinem Hintergrundwissen etwas Neues, Gutes für Kinder tun. “Die Methoden an gewöhnlichen Schulen Kinder zu unterrichten waren falsch. Sie waren falsch, weil sie von den Vorstellungen Erwachsener ausgingen, was ein Kind sein und wie es lernen soll, Methoden die auf die Zeit zurück gingen, als die Psychologie noch eine unbekannte Wissenschaft war“. (Neill 1969,S.22) Er gründete 1921 die Internatsschule Summerhill, deren Prinzipien zur “gewaltfreien Erziehung” die antiautoritäre Bewegung der 60er und 70er Jahre maßgeblich beeinflussten. Die Schüler werden an der Schule repressionsfrei erzogen, um ihnen den Weg zu einem glücklichen und freien Dasein zu zeigen. Um das Ziel der freien Erziehung zu erreichen, wird in Summerhill auf jegliche Lenkung, Disziplinarmaßnahmen, suggestive Beeinflussung verzichtet. Summerhill, eine Schule ohne Leistungszwang , ein Beispiel für antiautoritäre Erziehung .

2. Alexander Sutherland Neill

“Neill ist ein genialer Erzieher, weil er in Theorie und Praxis von dem Grundsatz ausgeht: Die Schule ist für die Kinder da und nicht umgekehrt”. (Neill 1971b,S.7)

2.1. Biographisches

2.1.1.Kindheit und Jugend

Neills Biographie lässt sich nicht von seiner lebenslangen, eigenen Entwicklung abspalten, immer wieder muss man feststellen, dass seine späteren Erziehungsideale die genaue Umkehr seiner Kindheits - und Jugenderlebnisse widerspiegeln. Einen sehr kompakten Überblick über das Leben und Schaffen Neills gibt Axel D. Kühn in seiner Biographie “Alexander S. Neill“. Dieses Buch dient als Grundlage für die Abhandlung zu den persönlichen Daten Neills.

Geboren wurde A.S. Neill am 17. Oktober 1883 als viertes Kind von George Neill und Mary Sutherland in Forfar. Sein Vater leitete die Dorfschule in Kingsmuir. Mary Sutherland arbeitete an einer Schule in Leith, hier lernte sie auch ihren späteren Mann kennen. Nach der Heirat mit George Neill gab sie ihre Lehrerstelle auf, verheirateten Frauen war es in Schottland zu dieser Zeit untersagt zu unterrichten. (vgl. Kühn 1995,S.7) Mit viereinhalb Jahren wurde er in die von seinem Vater geleitete Schule eingeschult . Das daraus resultierende Verhältnis der beiden war mehr als problematisch und negativ. Meist strafte George Neill seinen Sohn härter als andere Kinder, um den Anderen zu zeigen, dass er nicht bevorzugt behandelt wird. “Er machte sich nichts aus mir {...} er war oft grausam {...} und ich entwickelte eine ausgesprochene Angst vor ihm, eine Angst die ich auch als Mann nie ganz überwand“. (Kühn 1995,S.10) Für seine Kinder hatte er immer ehrgeizige Pläne, die “sicher eine Projektion der Pläne waren, die er für sich selbst geschmiedet hatte.“ (Neill 1972,S.50) “Der Junge, den er bewunderte, war der Junge, der die anderen im Unterricht überrundete; und da ich mich nicht für den Unterricht interessierte und nicht lernen konnte, konnte ich nicht hoffen, jemals meines Vaters Interesse oder Zuneigung zu gewinnen.” (Neill 1972,S.22) So fühlte sich Alexander schon als Kind als “der minderwertige Artikel, der Versager in einer Tradition akademischen Erfolgs und akzeptierte automatisch eine untergeordnete Stellung.“ (Neill 1972,S.25) Neills Mutter kam aus ähnlichen Verhältnissen und hatte bezüglich der gesellschaftlichen Stellung der Familie viel vor. Sie wollte immer etwas besseres sein und erzog ihre Kinder, obwohl die Neills niemals reich waren, zu Snobs. Das innigste Verhältnis hatte Alexander zu seiner jüngeren Schwester Clunie. Hingegen existierte er für seine beiden älteren Brüder kaum. Nicht nur der starke Einfluss des Kalvinismus auf das schottische Bildungswesen, auch das Aufwachsen in einer streng gläubigen Umgebung prägten Neill. Die religiöse Erziehung der Kinder übernahm seine Großmutter Clunes Sinclair, die bis zu ihrem Tod 1897 mit im Hause der Familie wohnte. (vgl. Kühn 1995,S.12)

Sie war es auch die den Kindern immer wieder vermittelte, dass der Mensch in Sünde empfangen worden und zu ewiger Pein verdammt war. Seine frühe Angst vor Höllenqualen führte er selbst auf ihre religiöse Erziehung zurück. “Die frühe Angst vor der Hölle muss von ihr gekommen sein.” (Neill 1972,S.15) Nur durch den Glauben an und dem Bekenntnis zu Gott könne man die Absolution erlangen. “Wir kannten die Meilensteine auf dem “Weg ins Verderben” , ohne dass man sie uns erst nennen musste: Sex, Stehlen, Lügen, Fluchen und die Entheiligung des Tages des Herrn.

( Letzteres umfasste so gut wie alles, was Spaß machte ).” (Neill 1972,S.60)

2.1.2. Erste Lehrjahre, Studium und Beruf

Im Alter von 14 Jahren, als seine Schulzeit endete, musste er, auf Anweisung seines Vaters, eine Arbeit als Schreibkraft in der Gaszähler Fabrik in Leith annehmen. Die Arbeitsumstände und der schlechte Verdienst hatten zur Folge, dass er Heimweh bekam und seine Eltern bat, ihn nach sieben Monaten zurück zu holen. Es folgte eine Ausbildung in einem Textilgeschäft. Auch diese musste er bald wieder aufgeben, da er durch die vielen Botengänge gesundheitliche Probleme bekam. Als Folge und aus Enttäuschung über ihren Sohn, sollte Alexander nun eine Lehrerausbildung beginnen. Auf diese Weise wurde er Lehrerpraktikant an der Schule seines Vaters. Die Ausbildungszeit betrug vier Jahre. Der erneute Einfluss seines Vaters, machte ihn in dessen Sinne zu einem guten Lehrer. Die weiterführende Ausbildung am Teacher Training College konnte er wegen der schlechten Ergebnisse in seiner Abschlussprüfung nicht antreten. Neill musste als “Ex Praktikant” zwei weitere Prüfungen bestehen um als Hilfslehrer anerkannt zu werden. Trotz alledem hielt er an seinem Ziel fest, Lehrer zu werden. Als “ex pupil teacher “ arbeitete er von 1903 - 1908 an verschiedenen Schulen in Schottland. Hier “lernte er nun, was für ein Regiment an einer schottischen Dorfschule möglich war.“ (Kühn 1995,S.18) Von der Schule in Kingskettle, in der er sich wie ein Zuchtmeister fühlte, kam er an eine Schule in Newport, an der eine unbeschwerte Disziplin herrschte. Dort lernte er zum ersten Mal, die Arbeit als Lehrer, ohne Angst zu tun. Nach seinem bestandenem Abschlussexamen konnte er selbstständig als Hilfslehrer arbeiten und versuchte mit unkonventionellen Methoden neue Wege zu bestreiten. Er war außerdem entschlossen ein Universitätsstudium zu absolvieren. Er bestand die Aufnahmeprüfung an der Universität von Edinburgh und begann 1908, mit 25 Jahren, ein Agrarwissenschaftsstudium auf Anraten seines Vaters. Jedoch gab er dieses Studium nach einem Jahr auf und beschloss in Anglistik einen akademischen Grad zu erwerben. Als Neill seine Ausbildung zum Master of Arts 1912 zu seiner eigenen Überraschung mit dem guten Abschluss “Second Class Honours“ abgeschlossen hatte, war für ihn klar, dass er den Lehrerberuf nicht ausüben wollte. Als Student wandte sich Neill sozialistischen Ideen zu und brachte schließlich die Studentenzeitschrift “The Student“ heraus, die auch schon sein Bruder veröffentlicht hatte, was ihm nicht nur Respekt bei den Studenten verschaffte, sondern auch eine gewisse journalistische Übung bot. In den hier veröffentlichten Artikeln wurden die Form der universitären Lehre und die allgemein gängigen Erziehungsmethoden abgelehnt. “Neills Interesse für soziale Fragen war geweckt und seine ursprüngliche konservative politische Orientierung wich einem ausgeprägten Sozialismus.” (Kühn 1995,S.28) Diverse Anstellungen als Redakteur in Edinburgh ( T.C. & E.C. Jacks ) und später in London ( “Piccadilly Magazin” ) formten Neill. Nach Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde das “Piccadilly Magazin“ eingestellt. Wegen gesundheitlicher Probleme ausgemustert (“Mein krankes Bein war geschwollen, {...} , und ich nehme an, es war das, was man heute einen psychisch bedingten Zustand nennen würde - ich schützte mich damit vor dem Eintritt in die Armee”) (Neill 1972,S.121) kehrte er nach Kingsmuir zurück, wo er sich auf verschiedene Stellen als Lehrer bewarb. Er bekam eine Stellung als Schulleiter in der Dorfschule in Gretna Green wo er im Oktober 1914 begann. Hier hatte er zum ersten Mal die Möglichkeit, mit seinen Ideen von der Freiheit des Kindes zu experimentieren. Die Unterrichtsmethoden seines Vorgängers komplett ignorierend, fanden seine Ansichten und Methoden fruchtbaren Boden bei den Kindern, allerdings wurden sie bei einzelnen Eltern, teils sehr massiv in Frage gestellt. “Diese sich allmählich entwickelnden Ansichten und Unterrichtsmethoden mussten in der konservativen ländlichen Umgebung wie eine Revolution erscheinen, als sie der Dorfbevölkerung bekannt wurden.” (Kühn 1995,S.31) In seinem 1915 erschienenen Buch “A Dominies Log“ beschreibt er seine Unterrichtsmethoden und den Zugang zu den Kindern. Es war Neills Beginn sowohl als Schriftsteller, als auch als Kämpfer für die Freiheit. Bereits zu dieser Zeit erfuhr er durch einen Zeitungsartikel von der Jaques Dalcroze Schule in Hellerau bei Dresden, eine wichtige Information, die später sein ganzes Leben beeinflussen und verändern würde.

2.1.3. Militärdienst

Trotz zweimaliger Bescheinigung seiner Untauglichkeit trat Neill am 02. März 1916 in den Freiwilligen Militärdienst ein. Er erreichte den Rang eines Offiziers, wartete aber vergebens auf einen Einsatz an der Front. Erst viele Jahre nach dem Krieg erfuhr er durch seinen Freund Walter Martin, warum er nie auf den Einberufungslisten stand. “Neill ich habe ihnen das Leben gerettet; Wieso?; Ich hatte Beziehungen zum Kriegsministerium und habe arrangiert, dass sie nicht an die Front geschickt wurden.” (Neill 1972,S.138) Seine Karriere als Soldat endete unrühmlich, nach einer schweren Grippeerkrankung, die einen Nervenzusammenbruch zur Folge hatte und er Patient von Dr. William H. Rivers wurde. Auf dessen Anraten gab er sein Offizierspatent zurück und wurde ehrenhaft aus der Armee entlassen. Im Anschluss folgte ein langer Erholungsaufenthalt in Schottland.

2.1.4. Neill und seine familiäre Situation

1927 heiratete A.S. Neill seine erste Frau Lilian Neustätter, mit der er zusammen die Schule in Hellerau gründete. Es war keine Liebesheirat, ganz im Gegenteil, Neill selbst erklärte einst, dass er Lilian nur wegen der Schule geehelicht hat. Andere Gründe waren für Neill ihre fehlende britische Staatsbürgerschaft und seine eigene gesellschaftliche Situation. “Ich musste mich ehrbar und solide geben.” (Neill 1972,S.271) Sie war das Organisationstalent der Schule und Mutter für alle, Schüler und Lehrer. Lilian starb 1944 an einem Herzinfarkt. Seine zweite Frau Ena Wood lernte er bereits 1939 kennen, als sie ihren Sohn in der Schule anmeldete. Zunächst arbeitete sie 1940 als Küchenhilfe in Summerhill, wurde dann Hausmutter und später Neills Sekretärin. Sie heirateten 1945. Die gemeinsame Tochter Zoe wurde am 02.11.1946 geboren. Zoe blieb das einzige Kind von Ena und Alexander. Die Neills wohnten als Familie im Haupthaus des Anwesens, später zogen sie in ein Haus, das etwas abseits vom Schulgebäude lag. Nach Neills Tod übernahm seine Frau Ena die Leitung der Schule. Sie leitete die Schule 12 Jahre lang bis zur ihrem Rücktritt 1985. Nach ihr übernahmen Zoe und ihr Mann die Leitung.

2.1.5. Neill im Alter

Mit zunehmendem Alter verlor Neill immer mehr das Interesse am Schulalltag. Er widmete sich dem Schreiben von Artikeln für Zeitschriften und arbeitete weiter an seiner Autobiographie. Sein schlechter Gesundheitszustand machte es unabdinglich, dass Ena mehr und mehr die Leitung der Schule übernahm. Die Geldsorgen der Schule wurden von den Eltern der Schüler aufgefangen, sie gründeten Elterninitiativen und spendeten für die Schule. Im Mai 1966 erhielt Neill die Ehrendoktorwürde der Universität New Castle. Die Bernstein Studie ( 1968 ) über ehemalige Schüler wirkte sich im Großen und Ganzen positiv auf Summerhill aus. Einen weiteren Ehrendoktortitel erhielt Neill 1968 von der Universität Exeter. Am 23. September 1973 starb der große A.S. Neill im Krankenhaus von Aldeburgh. (vgl. Kühn1995,S.127)

3. Neills Mentoren und erste Kontakte mit der neuen Erziehungsbewegung

3.1 Homer Lane und die Anstellung in der King Alfred School

Die Begegnung mit dem amerikanischen Psychologen und Erzieher Homer Lane beeinflusste das Leben und Schaffens Neills wohl am stärksten, wie er selbst in seiner Biographie schreibt. (vgl. Neill 1972,S.168) Er lernte von ihm eine ihm bis dahin vollkommene neue Art des Umgangs mit Kindern. (vgl. Neill 1972,S.169) 1913 kam Lane aus Amerika und half beim Aufbau der Besserungsanstalt “Little Commonwealth” für verwahrloste, jugendliche Straftäter. Er vertrat die Auffassung, dass straffällig gewordenen Jugendlichen statt einer Haftstrafe im Gefängnis abzusitzen, ihre Angelegenheiten und die der Gemeinschaft in Freiheit und eigener Verantwortung zu regeln lernen sollten. Neill wurde durch eine Leserin seines ersten Buches auf Lane aufmerksam gemacht. Noch während seiner Militärzeit besuchte er dessen Einrichtung und wohnte einer Selbstverwaltungsdebatte bei. Lane versprach Neill nach Beendigung des Militärdienstes eine Stelle im “Kleinen Commonwealth“. (vgl. Neill 1972,S.139) Lane glaubte an die angeborene Güte der Kinder. Seine therapeutischen Maßnahmen waren psychoanalytisch motivierte “ paradoxe Sanktionen “, die auch Neill später verwendete. Durch Lane kam Neill zur Psychologie und den Theorien von Sigmund Freud. Durch Lanes Heranführung an die Psychoanalyse setzte Neill sich erstmals mit Freuds Theorien auseinander. Er war wie Freud Verfechter der Tiefenpsychologie. Es bestand für ihn ein enger Bezug zwischen neurotischen Fehlentwicklungen und frühen Kindheitserlebnissen, oder auch, dass der Sexualtrieb eine zentrale Bedeutung für das seelische Gleichgewicht des Menschen hat. Nach seiner Militärzeit bewarb sich Neill bei Homer Lane, wegen der Schließung der Einrichtung konnte er sich den Traum der Mitarbeit nicht verwirklichen. So bewarb er sich bei John Russell und erhielt eine Anstellung an der King Alfred School. (im Weiteren K.A.S. genannt) (vgl. Kühn 1995,S.39ff) Die K.A.S. in London Hampstead war eine der koedukativen Reformschulen, eine der fortschrittlichsten Schulen ihrer Art, die zum damaligen Zeitpunkt in England existierte. Er stellte sehr schnell fest, dass die Schule weit davon entfernt war, eine “ freie “ zu sein, sondern von moralischen Normen dominiert war.

“Irgend etwas war abgestorben in den Schülern, wirkte tot. Es fehlte ihnen die rechte Lebensfreude. “ (Neill 1972,S.140) Neill schlug Russell vor die Selbstverwaltung, wie sie Lane praktizierte, einzuführen, durfte es auch nach dessen Erlaubnis in seinem Bereich versuchen. Allerdings endete der Versuch damit, dass die Schüler in seiner Stunde die Möglichkeit sahen “Dampf abzulassen” und Russell ihn schließlich vor die Entscheidung stellte “Einer von uns beiden muss gehen, Neill.” (Neill 1972,S.141) Somit war er erneut ohne Anstellung.

3.2. Wilhelm Reich

Ein anderer wichtiger Mann in Neills Leben war Wilhelm Reich, den er 1937 kennen lernte. Die Freundschaft zu Reich dauerte bis zu dessen Tod 1956 an.

Reich war Analytiker und ehemaliger Schüler von Freud , von Freuds Lehre nahm er allerdings zeitig Abstand und ging in der Psychoanalyse seine eigenen Wege. “Reich erkannte, dass nicht Therapie die Antwort war, sondern nur Prophylaxe war,{...}.” (Neill 1972,S.174) Neill wurde Reichs Schüler. Er fuhr mehrmals im Jahr nach Norwegen, wo er sich selber Reichs vegetativer Therapie unterzog. Es handelte sich bei der “Vegeto - Therapie” um eine Methode, die Beziehungen zwischen Muskelverspannungen und dem emotionalen Zustand des Patienten analysierte. “Es war eine anstrengende und oft auch schmerzhafte Therapie, aber innerhalb weniger Wochen fand ich mehr emotionale Befreiung, als ich bei Lane, Maurice Nicoll oder Stekel gefunden hatte.” (Neill 1972,S.173) Gründe für Neills Teilnahme an dieser Therapie waren seine angegriffene Gesundheit sowie starke emotionale Schwierigkeiten. Reich trug erheblich zur Weiterentwicklung der Erziehungsprinzipien von Neill bei. Seine Therapie befreite ihn von seinen letzten schottisch - kalvinistischen Anschauungen. Die Freundschaft zu Reich hatte die komplette Abwendung von Freuds Psychoanalyse zur Folge. Freud setzte sich gezielt für die Hemmung und Beherrschung der Triebe ein, Neill dagegen glaubte an die Freiheit und führte die Entstehung von Aggressionen auf die Unfreiheit der Gesellschaft zurück. Auf Summerhill hatte Reich keinen unmittelbaren Einfluss. Die Schule existierte als er Reich kennerlernte bereits seit 16 Jahren und wurde erfolgreich von ihm und seiner Frau geleitet. (vgl. Neill 1972,S.176)

4. Antiautoritäre Erziehung und die Schule Summerhill

4.1. Begriff Antiautoritäre Erziehung

“Antiautoritäre Erziehung: ist eine möglichst zwangfreie Form der Erziehung, die im Gegensatz zur traditionellen repressiven Erziehung steht. Ziel ist es, den Kindern so früh wie möglich Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit und Kreativität angedeihen zu lassen. Antiautoritäre Erziehung richtet sich nicht gegen jegliche Autorität, sondern nur gegen die unnötige Unterdrückung der Selbstentfaltung des Kindes. Allerdings wurde diese oft missverstanden, teilweise auch von den erziehenden Eltern selbst.” (www.wikipedia.de)

4.2. Die Schule Summerhill

4.2.1. Entstehung und Geschichte

Nach dem Verlassen der K.A.S. brachte er gemeinsam mit Beatrice Ensor im Frühjahr 1920, die Zeitschrift “Education of the New Era” heraus. Hier war es ihm möglich, heftig Kritik am bestehenden Schulsystem zu üben. Durch seinen immer größer werdenden Bekanntheitsgrad nahm er an vielen Vorträgen teil. Themen wie Mechanismen des Denkens, Psychoanalyse, das Unterbewusstsein des Kindes, die Psychologie des Prügelpädagogen, Selbstverwaltung und Massenpsychologie wurden u.a. hier behandelt. In ganz Europa entstanden zu dieser Zeit Reformschulen, die ihren Ursprung in der Kritik an den veralteten Erziehungsidealen des bestehenden Bildungswesens hatten. Es waren meist private Internatsschulen oder Schulen in sozialen Brennpunkten der Städte.

Merkmale der neuen Schulen waren u.a.:

- Einführung von Koedukation
- Loslösung von festen Stunden - und Fachplänen
- Auflösung von Jahrgangs - und Klassenstufen
- Benutzung von teilweise selbsterstellten Nachschlagewerken u.v.a. (www.aphorismen-archiv.de)

1921 führte ein Vortrag Neill nach Salzburg, anschließend reiste er weiter nach Hellerau. Hier besuchte er die Familie Neustätter, die Eltern eines seiner früheren Schüler an der K.A.S. Offizieller Grund für diese Reise war allerdings, dass er einen Artikel über die frühere “Jaques-Dalcroze-Schule” schreiben sollte. Wichtiger für ihn war die Tatsache, das Lilian Neustätter hier eine Möglichkeit sah, Neills Traum von einer eigenen Schule zu verwirklichen. Er bekam das Angebot von Christine Baer-Frissell, einer Schülerin von Dalcrozes, “neben ihrer Schule und der in einem der beiden Seitenflügel untergebrachten ‘Neuen Deutschen Schule’ eine internationale Schule nach seinen Vorstellungen zu gründen.” (Kühn 1995,S.199,zit. n. E. Muir, An Autobiography 1968) Er selbst bezeichnete dies als den Beginn von Summerhill, obwohl die Schule erst 1924 so benannt wurde. Bereits hier kristallisierten sich Elemente heraus, die Neills Erziehungsstil bis zu seinem Lebensende bestimmen sollten. Nun konnte Neill erstmals eigene Vorstellungen in einer Schule umsetzen. Kennzeichnend dafür waren: Selbstverwaltung, Aufhebung des Klassensystems, freie Entscheidung der Schüler ob sie am Unterricht teilnehmen wollen, “private lessons” und die berühmten, von Homer Lane übernommenen “paradoxen Sanktionen”. Hier liegt auch der Beginn der verstärkten Beschäftigung mit der Psychoanalyse. Schon bald kam es zu Problemen wegen unterschiedlicher Meinungen mit dem Personal der Neuen Deutschen Schule. “Die Ernsthaftigkeit und Humorlosigkeit der deutsche Pädagogen, die Charlie Chaplin Filme aus Mangel an erzieherischem Wert ablehnten, machten ihm zu schaffen.” (Kühn 1995,S. 56) 1923 brach in Sachsen ein Bürgerkrieg aus, der Neill veranlasste, wegen immer niedriger werdenden Schülerzahlen und zunehmender antisemitischer Übergriffe, den Schulbetrieb einzustellen. In Sonntagberg in Österreich fand er indessen Unterstützung durch das Akademische Wohlfahrtswerk Österreichs. Sie stellten ihm Räumlichkeiten in einem ehemaligen Kloster zur Verfügung. Da es an der Schule keinen Religionsunterricht gab und auch die Dorfbewohner immer wieder Anstoß am Verhalten der Kinder nahmen, untersagte das österreichische Erziehungsministerium den laufenden Schulbetrieb 1924. Neills Weg führte nun zurück nach England, in Lyme Regis wurden er und Lilian Neustätter, die sich mittlerweile von ihrem Mann Otto getrennt hatte, fündig. Ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert auf dem “Summer-Hill” wurde angemietet. So bekam die Schule ihren bis heute bestehenden Namen. Bis nach Ende des Krieges musste Neill zweimal nach einem neuen Gebäude für die Schule Ausschau halten, 1927 zogen sie in das letztendlich als Summerhill berühmt gewordene Gebäude in Leiston, welches 1940 von der Armee requiriert wurde und sich die Schule bis zum August 1945 in Ffestiniog in Nord Wales aufhalten musste. Danach kehrte er zurück nach Leiston, an den Ort an dem die Schule auch heute noch existiert.

4.2.2. Schulinspektionen

Englische Schulen, ob öffentlich oder privat, unterstehen der Kontrolle des Erziehungsministeriums. 1949 wurde Summerhill das erste Mal von Schulinspektoren kontrolliert. Über die Gewährung der staatlichen Anerkennung durften nach Beantragung nur die Inspektoren entscheiden. Neill, mit dessen Auffassung ein solcher Antrag nicht vereinbar gewesen wäre, wusste allerdings um die Autorität der Inspektoren und so musste er gezwungenermaßen mit ihnen kooperieren und kompromissbereit sein. Er hielt sich an Bestimmungen und Vorschriften, was z.B. das Gebäude betraf. Die Schulbehörde sah die Schule mit Neugier, Interesse, deutlichem Wohlwollen und großer Sympathie. Sie schien die Schule mit Neills Augen zu sehen und lobte das Selbstbewusstsein, das Verantwortungsgefühl und die gute Disziplin der Kinder. (vgl. Kamp 1995, S.429ff) Die positive Einstellung der Schulbehörde sollte sich allerdings sehr bald ändern. Die Schulinspektionen 1959 und 1968 führten fast zur Schließung, doch blieb es nur bei einer Drohung. Es folgte eine lange Ruhephase für die Schule. Erst ab 1989 wurde die Schule mehrmals ausführlich inspiziert. Die Ergebnisse waren sehr negativ. Es wurde die spärliche Einrichtung und die fehlende Anpassung an das staatliche Schulsystem beklagt. Die bis heute letzte Inspektion im März 1999 hatte zur Folge, dass es 2000 zu einem außergerichtlichen Vergleich zwischen der Schule Summerhill und dem Bildungsministerium kam. Folgender Mangel sollte beseitigt werden, sonst würde die Schule geschlossen: verpflichtender Unterricht in Klassen. Die Reaktion von Zoe Readhead: “Da hätten wir Summerhill auch gleich zumachen können” war nur selbstverständlich, würde doch mit dieser Änderung einer der Grundsätze der Schule und der freien Erziehung von A.S. Neill komplett eliminiert. Durch diesen historischen Vergleich hat sich die Schule möglicherweise ihr langfristiges Überleben gesichert. (vgl. Berliner Zeitung 2000,S.12)

5. Neills Pädagogisches Konzept in Theorie und Praxis

“Mit der Gründung der Schule wollte Neill ein völlig anderes Schul- und Erziehungskonzept verwirklichen. Die Schüller sollten in völliger Freiheit, ohne disziplinarischen Zwang, ohne Lenkung durch Erwachsene, ohne Beeinflussung durch ethische und religiöse Unterweisung aufwachsen.”

(Neill 1969,S.234) Die Schule entwickelte sich im Laufe ihres Bestehens immer mit den wechselnden Schülern und deren Eltern, Lehren und anderen Angestellten. Das die Schule noch heute existiert, hat sie wohl den Grundgedanken Neills an die Freiheit und Selbstbestimmung der Kinder zu verdanken. “Die Grundüberzeugung Neills, der Glaube an ‘das gute Kind’ und das Beharren auf wenigen Grundstrukturen, {...} , sichern den Fortbestand und das Funktionieren der Schule{ ...}.” (Kühn 1995,S.131)

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Antiautoritäre Erziehung. Das Leben und Schaffen Alexander S. Neills und seine Schule Summerhill
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V36354
ISBN (eBook)
9783638360104
ISBN (Buch)
9783638806107
Dateigröße
559 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Antiautoritäre, Erziehung, Leben, Schaffen, Alexander, Neills, Schule, Summerhill
Arbeit zitieren
Jana Walther-Wißmann (Autor:in), 2005, Antiautoritäre Erziehung. Das Leben und Schaffen Alexander S. Neills und seine Schule Summerhill, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36354

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