[...] Als es Ende des 19. Jahrhunderts um die Durchsetzung der uns noch geläufigen und offenkundig innerdeutsch höchst geschätzten „alten“ Orthographie ging, wurden interessanterweise sehr ähnliche Debatten geführt, die sich gar über zwanzig Jahre hinzogen, ehe die damalige Reform 1901 schließlich verbindlich wurde. Aber, und dies ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht interessant, unter welchen Gesichtspunkten wurde die Orthographie überhaupt festgelegt, und in welchem Verhältnis steht die Schrift zum „eigentlichen“ Gegenstand der Sprachwissenschaft – der gesprochenen Sprache? Dient Erstere lediglich zur Darstellung der Letzteren? Welchen Prinzipien müsste eine Orthographie Folge leisten, um dem Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache Genüge zu tun? Und nicht zuletzt – ist es überhaupt möglich, diesem Verhältnis orthographisch vollständig Rechnung zu tragen? Ebendies will der folgende Text erhellen, indem er zunächst einen kurzen Überblick über den Diskurs zur Regelung der deutschen Orthographie im 19. Jahrhundert gibt und in diesem Zusammenhang auch den Blick auf die Phonetik richtet, die sich zu jener Zeit gerade erst als wissenschaftliches Teilgebiet der Germanistik herausbildet und deren Relevanz für die Orthographiefrage im Diskurs der Zeit eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Schließlich soll anhand der Erörterungen zweier bedeutender Sprachwissenschaftler des 19. bzw. 20. Jahrhunderts – HERMANN PAUL in den Prinzipien der Sprachgeschichte und FERDINAND DE SAUSSURE im Cours de linguistique générale (dt.: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft) – das Verhältnis zwischen geschriebener und gesprochener Sprache einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Im Vergleich beider Texte sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Betrachtungsweisen PAULS und SAUSSURES herausgearbeitet und die teilweise höchst aktuellen Bezüge verdeutlicht werden. Gleichzeitig sollen, vor dem Hintergrund der Analyse dieser linguistischen Sichtweisen, einige exemplarische Argumente für oder gegen eine Reformierung der deutschen Orthographie auf ihre Haltbarkeit geprüft werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Wissenschaftshistorische Hintergründe
- Zur Regelung der deutschen Orthographie Ende des 19. Jahrhunderts
- Die Phonetik – kurzer geschichtlicher Abriss
- HERMANN PAUL
- PAUL und die „Prinzipien der Sprachgeschichte“
- PAUL über das Verhältnis zwischen Sprache und Schrift
- FERDINAND DE SAUSSURE
- SAUSSURE und die Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft
- SAUSSURE über das Verhältnis zwischen Sprache und Schrift
- Ergebnisse
- PAUL und SAUSSURE im Vergleich
- Fazit: Aktuelle Bezüge
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Sprache und Schrift im Kontext der deutschen Orthographiereform und analysiert zwei wichtige sprachwissenschaftliche Positionen: Hermann Pauls „Prinzipien der Sprachgeschichte“ und Ferdinand de Saussures „Cours de linguistique générale“. Er untersucht die historischen Hintergründe der Orthographiedebatte im 19. Jahrhundert, beleuchtet die Rolle der Phonetik in diesem Zusammenhang und analysiert die Argumente von Paul und Saussure im Hinblick auf die Beziehung zwischen Sprache und Schrift.
- Die historischen Hintergründe der Orthographiereform in Deutschland im 19. Jahrhundert
- Die Rolle der Phonetik in der Orthographiereform
- Die Ansichten von Hermann Paul über das Verhältnis von Sprache und Schrift
- Die Ansichten von Ferdinand de Saussure über das Verhältnis von Sprache und Schrift
- Ein Vergleich der Ansichten von Paul und Saussure
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung beleuchtet die anhaltende Debatte um die aktuelle Rechtschreibreform und stellt Parallelen zu ähnlichen Debatten Ende des 19. Jahrhunderts her. Die Einleitung stellt die zentralen Fragen des Textes in den Vordergrund: Wie wird die Orthographie festgelegt? Welches Verhältnis besteht zwischen Schrift und Sprache? Welche Prinzipien sollte eine Orthographie befolgen? Und ist es überhaupt möglich, diesem Verhältnis orthographisch gerecht zu werden?
Wissenschaftshistorische Hintergründe
Dieser Abschnitt geht auf die Faktoren ein, die im 19. Jahrhundert zur Bedeutung der schriftlichen Kommunikation in Deutschland führten, wie etwa die zunehmende Zentralisierung, der wissenschaftliche Fortschritt und die Einführung der Schulpflicht. Er beleuchtet die Herausforderungen, die durch die fehlende standardisierte Orthographie entstanden und die schließlich zum Ruf nach einer Vereinheitlichung führten. Er stellt die verschiedenen Ansätze zur Orthographieregelung vor: den phonetischen Ansatz, den traditionellen Ansatz und den historischen Ansatz, die unterschiedliche Standpunkte zur Gestaltung der Orthographie vertreten.
HERMANN PAUL
Dieser Abschnitt konzentriert sich auf Hermann Pauls „Prinzipien der Sprachgeschichte“ und beleuchtet dessen Ansichten zum Verhältnis von Sprache und Schrift. Er analysiert, wie Paul die Sprachgeschichte und die Entwicklung der Schrift betrachtet und wie er das Verhältnis zwischen gesprochener und geschriebener Sprache definiert.
FERDINAND DE SAUSSURE
Dieser Abschnitt widmet sich Ferdinand de Saussures „Cours de linguistique générale“ und untersucht dessen Perspektive auf das Verhältnis von Sprache und Schrift. Er analysiert, wie Saussure Sprache als System betrachtet und welche Bedeutung er der Schrift in diesem System zuspricht.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter des Textes sind: Orthographie, Rechtschreibreform, Sprache, Schrift, Phonetik, Hermann Paul, Ferdinand de Saussure, Sprachgeschichte, Sprachwissenschaft.
- Arbeit zitieren
- Silke Schorra (Autor:in), 2005, Sprache und Schrift in Hermann Pauls "Prinzipien" und de Saussures "Cours", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36374