Wie lässt sich Case Management in der Sozialen Arbeit mit älteren Menschen umsetzen?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

36 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


INHALT

Thema: Soziale Einzelhilfe mit älteren Menschen
Inwieweit lässt sich Case Management in der Sozialen Arbeit mit älteren Menschen umsetzen?

Einleitung

Vorbemerkung

1. Theoretische Grundlagen
1.1. Das Alter
1.1.1. Eine soziale Konstruktion
1.1.2. Biologisches, psychisches und soziales Alter
1.1.3. Vorstellung in Stufen
1.2. Altersbilder
1.2.1. Altersbilder in der Geschichte
1.2.2. Ein Soziales Muster
1.2.3. Vergänglichkeit und Verlust
1.2.4. Aktuelle Altersbilder
1.2.4.1. Junge Alte
1.2.4.2. Alte Alte
1.2.5. Kalendarische Gesichtspunkte
1.2.6. Defizitäres Alter
1.2.7. Abhängiges Alter
1.2.8. Altersbilder - Eine Herausforderung
1.3. Soziale Altenhilfe als Aufgabe Sozialer Arbeit - eine Zeitreise
1.3.1. Soziale Arbeit in der Geriatrie
1.3.2. Soziale Arbeit im Krankenhaus
1.4. Definitionen Soziale Einzelhilfe
1.5. Konzepte der Sozialen Einzelhilfe
1.5.1. Der psychosoziale Ansatz (Florence Hollis)
1.5.2. Der funktionale Ansatz (Ruth E. Smalley)
1.5.3. Der problemlösende Ansatz (Helen H. Perlman)
1.6. Methoden der Sozialen Einzelhilfe
1.6.1. Soziale Beratung älterer Menschen
1.6.2. Case Management
1.6.3. Definition Case Management
1.7. Das Konzept Case Management
1.7.1. Die Aufgaben des Case Managements
1.7.2. Entstehung von Case Management
1.7.3. Case Management für ältere Menschen
1.8. Einbettung in die Soziale Einzelhilfe
1.9. Ethische Aspekte, Spannungsfelder, Dilemmata
1.10. Kritische Reflexion der Theorie
1.11. Anwendungsfelder von Case Management

2. Theorie-Praxis-Teil
2.1. Falldarstellung - Was passiert im Ernstfall?
2.2. Die Phasen des Case Managements
2.2.1. Phase: Kontaktaufnahme und Erstgespräch
2.2.2. Phase: Assessment - Analyse, Profiling und Einschätzung
2.2.3. Phase: Individueller Hilfebedarf und Entwurf der Unterstützungsleistungen
2.2.4. Phase: Hilfeplanung
2.2.5. Phase: Durchführung, Controlling und Re-Assessment
2.2.6. Evaluation und Beendigung der Hilfen
2.3. Reflexion der Praxis
2.4. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: „Veränderungen der Lebensphasen innerhalb der Lebensspanne“

Abbildung 2: „Übersicht Phasen Case Management“

Abbildung 3: Zielfindung Frau M

THEMA: SOZIALE EINZELHILFE MIT ÄLTEREN MENSCHEN

INWIEWEIT LÄSST SICH CASE MANAGEMENT IN DER SOZIALEN ARBEIT MIT ÄLTEREN MENSCHEN UMSETZEN?

EINLEITUNG

Das Thema Soziale Einzelhilfe mit älteren Menschen habe ich ausgewählt, weil ich in meiner Arbeit bei der Lebenshilfe Baden-Baden - Bühl - Achern e.V. mit eher älteren Menschen zu tun habe und ich mich persönlich mit dem Thema Alter beschäftige. Die Auseinandersetzung mit den Themen Soziale Einzelfallhilfe, Alter und Case Management geht der Frage, inwieweit lässt sich Case Management in der Sozialen Arbeit mit älteren Menschen umsetzen, auf die Spur. Die Seminararbeit ist untergliedert in einen theoretischen Teil und einen Theorie-Praxis Teil. Der theoretische Teil befasst sich mit dem Alter aus verschiedenen Perspektiven, da es auf die Frage, was Alter eigentlich ist, keine definitive Antwort gibt. Ich gehe auf die Frage ein, was die aktuellen Altersbilder der jungen Alten und der alten Alten bedeuten und welche Herausforderungen sich daraus ergeben. Danach begeben Sie sich auf eine Zeitreise der Sozialen Arbeit und die Aufgaben in der Altenhilfe. Über drei Konzepte der Sozialen Einzelhilfe nähern Sie sich den Methoden der SEH (Soziale Einzelhilfe). Im Speziellen gehe ich auf die Soziale Beratung älterer Menschen ein, da sie ein Handlungskonzept in der SEH, wie im Case Management dargestellt, und von zentraler Bedeutung ist. Dem CM (Case Management) gebe ich als eigenes Konzept der Sozialen Arbeit und im Hinblick auf meine erkenntnisleitende Frage im Folgenden viel Raum. Es werden die Aufgaben, die Entstehung und das CM mit älteren Menschen beleuchtet. Im Anschluss erfolgt die Einbettung des CM in die Soziale Einzelhilfe. Im nächsten Kapitel werden ethische Aspekte in der Arbeit mit älteren und alten Menschen aufgegriffen und Spannungsfelder, die entstehen können, angesprochen. Die anschließende kritische Reflexion der Theorie führt über die verschiedenen Anwendungsfelder des CM zum zweiten Teil der Seminararbeit und befasst sich damit, wie sich die Theorie in die Praxis umsetzen lässt. In Verbindung mit einem alltagsnahen Fallbeispiel lernen Sie die sechs Phasen des CM kennen. In der darauffolgenden Reflexion der Praxis, gehe ich auf die Frage, inwieweit sich CM in der Arbeit mit älteren Menschen umsetzen lässt, ein. Im abschließenden Fazit stelle ich die Pflegestützpunkte in Berlin, als ein positives Beispiel für die Umsetzung des Case Managements in der Altenhilfe, heraus.

VORBEMERKUNG

In der vorliegenden Seminararbeit wird eine gendergerechte Sprache verwendet, d.h. dass auf eine geschlechterneutrale Form geachtet wird. In direkten Zitaten ist dies nicht immer umsetzbar, da es sich um wörtliche Zitate der Autoren handelt. Im Text werden oft verwendete Begriffe abgekürzt, z.B. Soziale Einzelhilfe wird zu SEH und Case Management zu CM. Manche Begrifflichkeiten werden kursiv dargestellt, um ihre Besonderheit auszudrücken. Ebenso sind Buchtitel kursiv gesetzt, um diese deutlicher hervorzuheben.

1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN

1.1. DAS ALTER

Die Frage, wann ein Mensch alt ist, ist so alt wie die Menschheit selbst͘ Niemand kann das genau beantworten, denn das lter ist relativ, schreibt G͘ Thiele in ihrem Buch Soziale rbeit mit alten Menschen͘ Die Relativität des lters wird auch durch die Zeit bestimmt, in der man geboren wurde͘ Vor 200 Jahren war die ltershöchstgrenze bei 40 bis 50 Jahren erreicht͘ Heutzutage gibt es immer mehr Menschen, die durchschnittlich 70 bis 80 Jahre alt werden und älter͘ Das ändert auch die Sicht auf die heute 50-Jährigen͘ Sie gehören nicht mehr zu den lten͘ Ob man als alt angesehen wird oder nicht, ist also auch eine Frage der Perspektive͘ Wissenschaftliche Disziplinen haben bis heute noch keine Einigung über einen einheitlichen Begriff des lters gefunden͘ Es sind sich jedoch alle einig, dass der Begriff lter kaum die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Prozessen des lterns auszudrücken vermag͘ Zum umfassenden Wissen eines Sozialarbeiters, der mit älteren und alten Menschen arbeitet, gehören die verschiedenen fachspezifischen Kenntnisse der einzelnen Wissenschaften über den Reichtum und die Unbestimmtheit des lters (Vgl͘ Thiele 2001, S͘18 ff͘)͘

1.1.1. EINE SOZI LE KONSTRUKTION

Das Alter ist an Erwartungen und Verpflichtungen geknüpft. Es gibt rechtliche Grundlagen, wie z.B. der Beginn der Schulpflicht, die Volljährigkeit, die Erlaubnis ein Fahrzeug zu führen oder ab wann eine Altersrente bezogen werden kann. Das Alter strukturiert unser tägliches Leben. Es eröffnet uns Möglichkeiten, begrenzt aber auch unsere Handlungsspielräume. Das Alter weist uns einen Platz in der Gesellschaft zu. K. R. Schroeter und H. Künemund, die Autoren des Artikels Alter als Soziale Konstruktion - eine soziologische Einführung, sind der Ansicht, dass das Alter nur als eine natürliche Gegebenheit erscheint, es jedoch als eine soziale Konstruktion betrachtet werden muss. Sie stellen die Maßeinheit Jahre für das menschliche Alter generell in Frage und somit auch den Kalender als Messinstrument. Die soziale Konstruktion des Alters und des Alterns kann auf mindestens vier Ebenen betrachtet werden. Auf der symbolischen Ebene, der interaktiven Ebene, der materiell-somatischen (körperlichen) Ebene und der leiblich-affektiven (gefühlsbetonten) Ebene. Das was wir unter Alter, Altern, Alt sein oder Altwerden verstehen, bleibt sozial konstruiert, da der Mensch individuell beobachtet und wahrnimmt und das Alter erst dadurch und durch die Interpretation daraus, seine Form und Bedeutung erhält. Mit Hilfe sprachlicher Symbole legen wir fest, was die Wirklichkeit des Alters für uns bedeutet. Wie alt ein Mensch ist, liegt also im Auge des Betrachters. Man kann nie das Ganze sehen, sondern nur die Summe einzelner Teile, deshalb bleiben blinde Flecken, so dass das Bedeutende weder durch Begriffe noch durch Zahlen vollständig ausgedrückt werden kann. Begriffe wie Lebenslauf, Generation, Hochaltrigkeit oder der Ruhestand drücken eine Wechselwirkung zwischen dem Mensch und seiner Umwelt aus. Die Wissenschaft versucht durch Zahlen, Definitionen und Theorien über das Alter, eine durch empirische Erfahrungen und symbolische Begrifflichkeiten geformte Realität, zu vermitteln. Der Beobachter hat Scheuklappen, die den Blickwinkel schmälern und nur eine reduzierte Wirklichkeit zeigen. Das Alter existiere nicht als Wirklichkeit, sondern nur als eine Idee und nicht als eine biologische Größe. Um die Frage beantworten zu können, ob es ein auf Fakten beruhendes Phänomen des Alterns gibt, sind verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen. Alter und Altern kann aus einer humanbiologischen Sicht betrachtet werden, wobei die Verminderung der Leistungsfähigkeit von Geweben und Organen des Organismus zu körperlichen und geistigen Einschränkungen führt und die Wahrscheinlichkeit steigt, an Alterskrankheiten zu sterben. Das Menschsein ist den biologischen Abläufen des Lebens und Sterbens unterworfen. Es hat eine begrenzte Lebensdauer, die sowohl körperliche, geistige als auch seelische Veränderungen durchläuft. Es spielen also die biologischen Abläufe, als auch ihre Wahrnehmung und Interpretation eine Rolle (Vgl. Schroeter/Künemund, in: Aner/Karl 2010, S.393-401).

1.1.2. BIOLOGISCHES, PSYCHISCHES UND SOZIALES ALTER

Noch heute bestehen in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Vorstellungen von Zeit und auch unterschiedliche Messinstrumente. Für die Bestimmung des Alters gibt es keine Messinstrumente, wie für die Bestimmung der Zeit. Ein Kalender sei nicht in der Lage abzubilden, was das Alter bedeutet, wenn man nur die Jahre zählt. Jeder kennt jemanden, der für sein Alter schon sehr alt erscheint, oder eben noch sehr jung wirkt. Die Vorstellungen über das Altern verändern sich im Laufe der Zeit. Es kann zum Beispiel in ein biologisches, ein psychisches und ein soziales Alter unterschieden werden. Biologisches Altern beschreibt das Wachstum von Zellen und deren Zerfall und bezeichnet die Entwicklung des Organismus von der Geburt bis zum Tod. Psychisches Altern bezeichnet die Veränderungen des personalen Systems, wie zum Beispiel die Reife und Weisheit oder wie alt sich ein Mensch fühlt. Soziales Alter bezieht sich auf die Zugehörigkeit zu einer, von der jeweiligen Gesellschaft abgegrenzten, Altersphase und Altersgruppe. Diese verschiedenen Faktoren in Beziehung zu einem kalendarischen Alter zu setzen, wird praktiziert, wird jedoch der Komplexität des Alters und Alterns nicht gerecht. Es kommt auch darauf an, in welchem Kontext eine Person gesehen wird, wie z.B. ein 32-jähriger Fußballspieler, der in seiner Mannschaft bereits zu den Alten gehört, jedoch in anderen sozialen Kontexten noch zu den Jungen zählt. Dies führt zu der Erkenntnis, dass der Kalender als Messinstrument für das Alter ungeeignet erscheint und dass es keine allgemeine Definition von Alter gibt. Altersbilder, die Vorstellung vom Alter und dem Altern, verändern sich in Abhängigkeit von sozialen Prozessen (ebd.).

1.1.3. VORSTELLUNG IN STUFEN

Die Einteilung der Lebensprozesse in Teilabschnitte fand man bereits bei Aristoteles, der eine Dreiteilung vornahm in Jugend, mittleres Lebensalter und Alter. Mehr Verbreitung fand die Einteilung in Vierer-Siebener- oder Zehnerstufen. Diese Gliederung bezog sich entweder z.B. auf die Vierjahreszeiten oder auf die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser, Luft. Der Zahl sieben wurde eine magische Bedeutung zugesprochen. Es wird eine planetarische Lebensalterlehre beschrieben, die die sieben Lebensabschnitte den Planeten zugeordnet hatte. Wie der Aufbau der Welt aus sieben Teilen bestand, so gab es die Vorstellung von sieben Jahreszeiten und sieben Lebensaltern: Kind, Knabe, Jüngling, Jungmann, bejahrter Mann und Greis. Eine weitere Möglichkeit das Alter zu differenzieren ist die Bildung von Idealtypen. Das Alter wird in fünf Phasen eingeteilt. Die erste Phase ist geprägt durch Abhängigkeit, Unreife und Erziehung. Ab dem vierten Alter sind die Phasen gekennzeichnet durch eingeschränkt und abhängig sein. Interessant ist die Einteilung von Robert Atchley, der 1976 in seiner Soziologie des Ruhestandes ein Modell von sieben Phasen entwickelte, wobei sich fünf seiner sieben Phasen auf die Zeit nach dem Eintritt in den Ruhestand beziehen. K. R. Schroeter und H. Künemund vertreten die Ansicht, dass diese Idealtypen so nicht in der Wirklichkeit existieren, sie dienen jedoch zur Veranschaulichung (ebd.).

1.2. ALTERSBILDER

1.2.1. ALTERSBILDER IN DER GESCHICHTE

G. Göckenjan, Autor des Artikels Altersbilder in der Geschichte geht auf Altersbilder ein, die Vorstellungen und Konzepte über das Alter und Altern sind, die Gesellschaften durch Normen und in der Auseinandersetzung darüber, im Verlauf der Geschichte gemeinsam entwickelt haben. Altersbilder finden ihren Ausdruck in einer symbolischen Sprache, die gespeist wird durch Traditionen und Konventionen, an denen sich eine Gesellschaft orientieren kann und sie sich wiederfindet. Neue Begriffe entstehen in einer Medien- und Konsumgesellschaft, die gezielte Interessen hinsichtlich einer Konsumentengruppe höheren Alters verfolgt. Im allgemeinen Sprachgebrauch haben sich Begriffe wie Senioren und aktives Alter gegenüber Alte und Ruhestand etabliert. Dagegen finden Neuerfindungen, wie Unruhestand oder best ager (im besten Alter) keinen festen Platz im alltäglichen Sprachgebrauch, weil sie keine Verbindung zu den gesellschaftlichen Strukturen haben. Das Alter zu würdigen, drückt sich auch immer in der Sprache aus. Alt und Alter galten in den 50-er Jahren in Deutschland als herabwürdigende Begriffe und sollten vermieden werden. Die Wörter können sich ändern, aber die wirklichen sozialen Strukturierungen ändern sich damit nicht. Die Altersbilder reichen bis in die Anfänge der ersten schriftlichen Zeugnisse und sind seit jeher, und bis heute, durch Stereotypen geprägt. Ein positives oder negatives Altenbild drückt sich in einer Epoche und Gesellschaft durch ihre Bewunderung der alten Menschen oder ihre Altenfeindlichkeit aus. Man findet beides und zu jeder Zeit (Vgl. Göckenjan, in: Aner/Karl 2010, S. 403-413).

1.2.2. EIN SOZIALES MUSTER

In früheren Zeiten, als die Menschen noch nicht ein so hohes Alter erreichten, wurden keine Vorkehrungen und Begleitmaßnahmen getroffen, wie in unserer heutigen Gesellschaft. In der frühen Neuzeit machten die über 60-jährigen einen Anteil an der Bevölkerung von nur 5-10% aus. Das Alter dient in allen komplexen Gesellschaften als ein soziales Muster zur Orientierung und Ordnung. In allen Gesellschaften gibt es jüngere und ältere Menschen, die in bestimmten Verhältnissen zueinanderstehen oder in Beziehungen leben, die durch Austausch oder Hierarchie geprägt sind (ebd.).

1.2.3. VERGÄNGLICHKEIT UND VERLUST

Die Altersklage formuliert Alter als Verlust und Verfallsprozess. Sie befasst sich mit der Vergänglichkeit der dahinfließenden Zeit und dem Wunsch nach Dauerhaftigkeit. Für Cicero, ein einflussreicher Philosoph des 1. Jahrhunderts vor Christus, musste man sich gegen das Alter zur Wehr setzen und seine Gebrechen durch Umsicht ausgleichen. Für Cicero gab es eine Chance, der Altersklage die Stirn zu bieten. Alterstrost bedeutete, dass man durch innere Haltung und Einstellung, den Altersmängeln entgegentreten konnte. Man solle die Schwierigkeiten im Alter auch nicht leugnen, sondern die typischen Schwächen im Alter durch eine gute Lebensführung vermeiden und ausgleichen (ebd.).

1.2.4. AKTUELLE ALTERSBILDER

1.2.4.1. JUNGE ALTE

Seit den 1980-er Jahren gibt es im deutschsprachigen Raum den Begriff des Dritten Alters oder synonym wird von den neuen Alten gesprochen. Das sind Junge Alte, die zu alt sind um noch erwerbstätig zu sein, sich jedoch einer guten Gesundheit erfreuen und einen langen Ruhestand vor sich haben. Das Altersbild wird positiv besetzt. Der Fokus richtet sich auf die Ressourcen und Kompetenzen von älteren Menschen, die sie in die Gesellschaft einbringen können. So wird es auch von politischer Seite angestrebt, dass sich alte und erfahrene Menschen, zum Beispiel ehrenamtlich in Vereinen engagieren, Betreuungstätigkeiten übernehmen oder in Seniorenbüros tätig sind. Die Basis ist die Freiwilligkeit, es soll die Teilhabe und Selbstbestimmtheit gefördert werden. Grundlage für die Konzepte Sozialer Altenarbeit sind wissenschaftliche Diskurse über das Altern. Sie dienen der Korrektur von stereotypen Altersbildern. In der heutigen Zeit wird Alter nicht mehr als bloßer Abbauprozess, sondern auch als Entwicklungsprozess gesehen (Vgl. Pichler, in: Aner/Karl 2010, S. 415-425).

1.2.4.2. ALTE ALTE

Heute erreichen mehr Frauen als Männer ein hohes Alter. Es gibt zwar viele rüstige 60- und 70-Jährige, aber es gab noch nie so viele chronisch kranke und alte Menschen. Altersbilder in diesem Alter tauchen vor allem in den Medien, rund um die Diskussion der Pflege alter Menschen, auf. H. Thiersch, Professor für Erziehungswissenschaften und Sozialpädagogik, thematisierte 2002 die mühsamen Seiten des Alters wie z.B. Schwächen, Trauer, Hilflosigkeit, die das sogenannte Vierte Alter charakterisieren. Neben den positiven Altersbildern werden diese Seiten nur am Rand zur Sprache gebracht und allzu oft werden die Augen davor verschlossen. Es wird die Frage gestellt, ob die Überbetonung der von Leiden geprägten Seiten des Alters in der Entwicklung einer neuen Altersstruktur dienlich ist. In der Gerontologie wird zwischen einem normalen und einem pathologischen Alter unterschieden, wobei das Zweite von körperlich bedingten Krankheitsprozessen geprägt ist und das Erste noch als funktionstüchtig angesehen wird. Die allgemeine Sicht auf das Alter ist in diesem Zusammenhang defizitär und negativ besetzt. In der Gerontologie gilt dieses Defizitmodell als überholt und wurde durch neue Konzepte in ein anderes Licht gerückt (ebd.).

1.2.5. KALENDARISCHE GESICHTSPUNKTE

Die Unterscheidung differenzierter Altersgruppen ist vor dem Hintergrund der Komplexität und Heterogenität (Verschiedenartigkeit) des Alterns von großer Bedeutung. Gerontologen warnen vor einer Fixierung der Lebenszeit auf ein bestimmtes kalendarisches Alter. Neben einer zweiphasigen Einstufung in das junge Alter mit 60 - 75 Jahren und das alte Alter von über 75 Jahren gibt es eine vor allem für soziale Berufe detailliertere Unterscheidung in junge Alte mit 55 - 65 Jahren, Ältere mit 66 - 75 Jahren, Betagte mit 76 - 85 Jahren und Hochbetagte mit ab 86 Jahren. Diese Ausdifferenzierung bietet die Möglichkeit eine spezifischere Sicht auf die verschiedenen Altersphasen und deren unterschiedliche Bedürfnislagen zu haben (Vgl. Thiele 2001, S. 29).

1.2.6. DEFIZITÄRES ALTER

G. P. Baltes, einer der bekanntesten Vertreter eines erfolgreichen Alterns , ist der Ansicht, dass sich positive wissenschaftliche Erkenntnisse auf das Dritte Alter beschränken und im Vierten Alter der Abbau deutlich zu Tage tritt und sich (Vgl. Pichler, in: Aner/Karl 2010, S. 422) „unbarmherzig die biologische Unfertigkeit des Menschen zeigt.“ (Baltes zit. nach Pichler, in: Aner/KarlPichler 2010, S.422) Mit Baltes defizitärem Blick auf das hohe Alter wird durch die pathologischen Erscheinungen des Alters die Würde des Menschen in Frage gestellt. Für ihn ist der Lebensweg im hohen Alter ein Leidensweg, weil die Grenzen der menschlichen Anpassungsfähigkeit erreicht seien. Jean Améry, ein vom Nationalsozialismus verfolgter österreichischer Schriftsteller1, ist der Ansicht, dass der alte Mensch seine Würde erlangen kann, wenn er sich der Wahrheit des Schmerzes stelle. In Würde zu altern hieße, das Altern mit all seinen resignativen Konsequenzen zu akzeptieren, sich jedoch nicht damit abzufinden. Eine freie Persönlichkeit könne nur durch Auflehnung gegen Rollenzwänge, Diktate und Entfremdung entstehen (Vgl. Pichler, in: Aner/Karl 2010, S. 422 ff.).

1.2.7. ABHÄNGIGES ALTER

Als abhängiges Alter wird das hohe Alter genannt. Es ist gekennzeichnet durch Hilfsbedürftigkeit und Abbau. Der Gegenpol stellt das autonome, also selbständige, individualisierte und biografisierte Alter dar. Die offene Altenarbeit hat das Ziel, das Alter zu gestalten, während die ambulante und teilstationäre Altenarbeit das Altern in ein Abhängigkeitsverhältnis rückt. Der medizinische Blick auf die sehr alten Menschen im stationären Bereich gründet sich auf die geistigen, seelischen und körperlichen Einschränkungen. Der Sozialpädagogik sei es nicht gelungen, sich in diesem Arbeitsfeld des abhängigen Alters zu etablieren. Dass sich Handlungsfähigkeit nicht mehr herstellen lässt, steht der sozialpädagogischen Sichtweise von der Aufrechterhaltung biografischer Handlungsfähigkeit und sozialer Integration entgegen. Es sei eine gewisse sozialpädagogische Ratlosigkeit gegenüber dem abhängigen Alter festzustellen. Es sei die Frage, wie die Sozialpädagogik alten Menschen, trotz unwiderruflicher Hilflosigkeit und Abhängigkeit ein eigenes, autonomes Leben ermöglichen kann (ebd.).

1.2.8. ALTERSBILDER - EINE HERAUSFORDERUNG

Die Herausforderung für die Schaffung neuer Altersbilder besteht darin, den gegensätzlichen Polen von aktiv und passiv, von autonom und abhängig, von normal und pathologisch entgegenzuwirken. Junge Alte strotzen vor Ich-Stärke und alte Alte sind nicht mehr funktionstüchtig und abhängig. B. Pichler fordert eine nicht nur einseitige Sicht auf das Alter, das entweder eigenständig oder abhängig und passiv ist. Es seien Altersbilder gefragt, die Konstellationen zulassen, die die Möglichkeit des sowohl/als auch zulassen (ebd.). Zum Beispiel der „energische Immobile, der Hilfe bedürftige Produktive, faltige Schönheiten, leidenschaftlich NichtHandelnde“͘ (Pichler, in: Aner/Karl 2010, S. 424)

Abbildung 1: „Veränderungen der Lebensphasen innerhalb der Lebensspanne“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Hurrelmann 1997, zit. nach: Thiele 2001, S.28)

Die Tabelle zeigt, dass sich in den letzten Jahrzehnten das Alter als eine eigenständige und viele Jahre dauernde Lebensphase herausgebildet hat. Die Faktoren für die Ausdehnung der Altersphase sind der frühere Berufsaustritt und ein längeres Leben. Vor allem bei Frauen, die statistisch eine höhere Lebenserwartung haben als Männer, kann dies 20 bis 30 Jahre oder mehr umfassen. Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, umfassen die letzten drei Phasen im Jahre 2030 die gegenwärtige Gruppe der älteren Menschen. Die Differenzierung zwischen dem Alter der alten Menschen wird immer größer. Das späte Erwachsenenalter kann heute schon zum Ruhestand gerechnet werden (Vgl. Thiele 2001, S.27 f.).

Der Vorstellung über das Alter und die Altersbilder folgt nun eine Zeitreise durch die soziale Altenhilfe als eine Aufgabe der Sozialen Arbeit.

1.3. SOZIALE ALTENHILFE ALS AUFGABE SOZIALER ARBEIT - EINE ZEITREISE

Die Wurzeln der Sozialen Einzelfallhilfe sind in den USA zu finden. M. Richmonds2 1917 veröffentlichtes Buch Social Diagnosis, stellt zum ersten Mal systematisch die Tätigkeiten und Vorgehensweisen in der Armenfürsorge dar. Ihr Ziel war es, die privat organisierte Hilfe und Pflege der armen Bevölkerungsschichten, zu vereinheitlichen und zu rationalisieren. In eine an die Medizin angelehnte Abfolge von Anamnese, Diagnose und Therapie versuchten Sozialarbeitende soziale Erkrankungen von Individuen zu heilen. 1926 veröffentlichte A. Salomon3 ihr Buch Soziale Diagnose. Durch sie wurde die Methode der Sozialen Einzelfallhilfe in Deutschland bekannt. Sie lehnte sich in Teilen an das Werk von M. Richmond an. Es gab jedoch inhaltliche Differenzen, die auf Unterschiede in der Entwicklung der deutschen und amerikanischen Sozialarbeit beruhen. Es gab viele Hemmnisse für eine Weiterentwicklung der Methoden in Deutschland. Vor allem zu nennen ist die nationalsozialistische Herrschaft und ihre Einflüsse auf die Strukturen und Handlungsansätze Sozialer Arbeit. Nach dem 2. Weltkrieg kam es zu einem regen Austausch zwischen den USA und Deutschland. In den 1950er und 1960er Jahren fasste H. Kraus4 den Stand der amerikanischen Methodendiskussion zusammen. Die Einführung amerikanischer Methoden, wie das Casework, verliefen in Deutschland nicht ohne Probleme. Die katholische Kirche lehnte es ab, da sich das Casework auf die Psychoanalyse Freuds stützte und diese religionskritisch war. Es wurde katholischen Fürsorgerinnen für eine lange Zeit verboten, nach dem Casework zu handeln und sich damit auseinanderzusetzen. Nach der Auffassung von M. Kamphuis, die dazu beitrug, dass sich europäische Ansätze der Einzelhilfe herausbildeten, war es notwendig, dass die Soziale Altenarbeit in Europa ihren Fokus mehr auf Pädagogik legen sollte. Im Unterschied zu den USA hätten Europäer ein anderes, selbstverständlicheres Verhältnis zur Autorität. Die amerikanischen Konzepte setzten mehr auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Um helfen zu können bedarf es Punkten, die in der Lebenswirklichkeit der Menschen anknüpfen, die Hilfe benötigen (Vgl. Galuske 2013, S.79 ff.).

Seit 1975 orientiert sich die soziale Altenhilfe in der Anwendungspraxis an offenen und präventiven Angeboten, ohne sich auf bestimmte Berufsgruppen zu spezialisieren. Die Hilfe und Unterstützung für bedürftige und alte Menschen hat sich dahingehend entwickelt, dass sie ein rechtlicher Teil der kommunalen Selbstverwaltung geworden ist. Sie stellt die notwendigen Ressourcen zur Vermeidung von Exklusion, d.h. Ausschluss aus der Gesellschaft, als auch für die Vermittlung von Inklusion, d.h. vollständig in die Gesellschaft integriert, bereit. Für Fachkräfte der Sozialen Arbeit bieten sich auf Grund des gesetzlichen Rahmens vielfältige Betätigungsfelder. Die über die materielle Sicherung hinausgehenden Bedürfnisse alter Menschen wurden in Deutschland verhältnismäßig spät zur Kenntnis genommen. Die Soziale Altenhilfe, die die Belange der älteren Generationen sozialstaatlich organisieren soll, ist gesetzlich nur ein Teil der Hilfe in besonderen Lebenslagen und nicht in einem Altenhilfegesetz geregelt. Die Soziale Altenarbeit etablierte sich trotz modern gewordener Methoden nur schwierig. Sie ist abhängig von der Finanzkraft der Kommunen, da diese Arbeit als freiwillige Leistungen angesehen wird. Durch die Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes 1990 verschlechterten sich die Rahmenbedingungen für die Soziale Arbeit im Bereich Gesundheit und Pflege. Die medizinisch-pflegerische und ökonomische Ausrichtung dieses Aufgabengebietes verfestigten die Dominanz materieller und köperbezogener Hilfeleistungen und schränkten den Spielraum Sozialer Arbeit im Handlungsfeld Pflege ein. Die verschiedenen Interessen zwischen den Verantwortlichen auf politischer Ebene, einzelner Träger und Anbieter sowie zwischen den einzelnen Berufsgruppen spielen im gesellschaftlichen Diskurs ebenso eine Rolle, wie auch die Interessen der hilfebedürftigen Menschen. Diese Interessen sind jedoch sehr unterschiedlich. Die fachliche Diskussion der Sozialen Arbeit über ihre Rolle in der Begleitung von älteren und hochaltrigen Menschen sei noch nicht im Zeitalter der sogenannten Dritten und Vierten Lebensalter angekommen. K. Aner5 ist der Ansicht, dass die Soziale Altenarbeit ihre Kompetenzen nicht in den ihr möglichen Maßen einbringen könne und realistisch betrachtet, mit den gesundheitlich- pflegerischen Berufen in Konkurrenz stünde. Es sei zu bedauern, dass die älteren und alten Menschen keine einklagbaren Rechte in Bezug auf die Lebensbewältigung hätten. K. Aner fordert von der Sozialen Altenarbeit, dass die Fachkräfte über die Lebenslagen und die Unterstützungsbedarfe zur Lebensbewältigung von Menschen in der zweiten Hälfte des Lebens umfassend informiert sind und ihre Chancen nutze, um bei der Lösung der Schnittstellenproblematik ihren Teil beizutragen. Es sollen eigene Paradigmen (Leitbilder) und Handlungsmethoden und vor allem auch die sozialanwaltliche Expertise (Gutachten) in Bezug auf die Lebensphase Alter überprüft und professionell angewendet werden (Vgl. Aner, in: Aner/Karl 2010, S.33-50).

1.3.1. SOZIALE ARBEIT IN DER GERIATRIE

S. Kraus und H. Hegeler, Autorinnen des Artikels Soziale Arbeit in der Geriatrie6 sind der Meinung, dass die psychosozialen Gesichtspunkte in der Geriatrie einen hohen Stellenwert haben. Die Soziale Arbeit zählt neben der Medizin und der Pflege zu den Kernprofessionen. Die Soziale Arbeit hat einen Bezug zur Lebenswelt des Patienten7 und arbeitet mit Fachkräften aus anderen Berufsfeldern zusammen.

[...]


1 Zeit Online, unter: http://www.zeit.de/2012/45/Portrait-Jean-Amery, 28.10.2015

2 Mary Richmond wird als Begründerin der Sozialen Einzelhilfe (social casework) bezeichnet (Vgl. Galuske 2013, S. 78 ff.).

3 Alice Salomon machte sich in den 1920er Jahren mit der Entwicklung der Sozialen Arbeit, durch Reisen in die USA, vertraut (Vgl. Galuske 2013, S. 79).

4 Hertha Kraus, 1933 Leiterin des Wohlfahrtsamtes in Köln, war ab 1948 als Dozentin im Rahmen der Ausbildung für soziale Fachkräfte (nach ihrer Rückkehr aus der Emigration nach USA) tätig (ebd.).

5 Kirsten Aner ist Diplom-Sozialarbeiterin und Professorin für Soziale Gerontologie an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin und Herausgeberin des Handbuches Soziale Arbeit und Alter.

6 Gemäß WHO-Definition von 1989 ist die Geriatrie der Zweig der Medizin, der sich mit der Gesundheit im Alter sowie den präventiven, klinischen, rehabilitativen und sozialen Aspekten von Krankheiten beim älteren Menschen beschäftigt. Geriatrische Medizin berücksichtigt somit insbesondere die medizinischen und psychologischen sowie auch die sozialen Probleme des älteren Patienten. Diagnostik und ganzheitliche Therapie werden im Wissen um körperliche und psychische Veränderungen des alternden Menschen auf diesen individuell zugeschnitten, unter: http://www.geriatrie.uniklinikum- jena.de/Klinik+f%C3%BCr+Geriatrie/Was+ist+Geriatrie_.html, 04.10.2015

7 In diesem Kontext, Soziale Arbeit in der Geriatrie und im Krankenhaus, wird von Patienten, nicht von alten Menschen, gesprochen.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Wie lässt sich Case Management in der Sozialen Arbeit mit älteren Menschen umsetzen?
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Villingen-Schwenningen, früher: Berufsakademie Villingen-Schwenningen  (Fakultät Sozialwesen)
Veranstaltung
Soziale Einzelfallhilfe
Note
1,2
Autor
Jahr
2015
Seiten
36
Katalognummer
V365367
ISBN (eBook)
9783668448094
ISBN (Buch)
9783668448100
Dateigröße
991 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
case, management, sozialen, arbeit, inwieweit, menschen
Arbeit zitieren
Katja Zimmermann-Schneider (Autor:in), 2015, Wie lässt sich Case Management in der Sozialen Arbeit mit älteren Menschen umsetzen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/365367

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