Karl Jaspers und die metaphysische Schuld


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Karl Jaspers, seine Philosophie und seine Ansichten zur Metaphysik

3. Metaphysische und andere Arten von Schuld

4. Kritik am Konzept der metaphysischen Schuld

5. Fazit

6. Verwendete Literatur

1. Einleitung

Im Jahre 1946 verfasste der Philosoph Karl Jaspers unter dem direkten Einfluss der Zeit des Nationalsozialismus, des verlorenen zweiten Weltkrieges und der folgenden Vorwürfe der Alliierten, wie auch der gesamten Welt Die Schuldfrage.[1] In diesem Werk setzt er sich mit den Taten der Nationalsozialisten und der Rolle der deutschen Bevölkerung, nicht nur als aktiv Handelnde, sondern auch mit seiner Verantwortung als Mitwisser, Mitläufer und nur allzu oft schlicht Nicht-Verhinderer der Untaten auseinander. Im Zuge dessen führt Jaspers vier verschiedene Arten von Schuld ein, unter anderem den Begriff der metaphysischen Schuld. Im Kontext dieses Begriffs argumentiert Jaspers einerseits zum Teil mit explizit religiösen Begriffen, etwa, wenn er als richtende Instanz dieser Schuld Gott angibt, andererseits benutzt er philosophische Begriffe, wie den der Metaphysik. Problematisch werden seine Ausführungen, wenn bei näherer Betrachtung deutlich wird, dass Jaspers religiöse, philosophische und ethische Begriffe zum Teil ohne nähere Erläuterung in verschiedenen Kontexten verwendet und dabei nicht voneinander abgrenzt oder näher definiert. An zahlreichen Stellen erscheint seine Argumentation eher schwach und diffus, dennoch erhebt er den Anspruch mit seinen Ausführungen zur Schuldfrage auch die deutsche Gesellschaft zu einer Reflexion und zu einer Veränderung zu bewegen. Daher soll in dieser Arbeit Jaspers Begriff der metaphysischen Schuld näher untersucht und seine Argumentation auf Schlüssigkeit überprüft werden.

Hierzu sollen zunächst die Grundzüge von Karl Jaspers‘ Philosophie und seinem Verständnis von Metaphysik skizziert werden, um eine Basis für das Verständnis seiner Philosophie rund um Schuld und dem Umgang mit dieser zu schaffen. Im Anschluss sollen dann die unterschiedlichen Schuldkonzepte, die Jaspers in der Schuldfrage entwickelt näher erläutert werden. Besonderes Augenmerk soll hierbei auf die moralische und die metaphysische Schuld gelegt werden. Diese beiden Konzepte sollen danach in einem weiteren Kapitel einer Kritik unterzogen werden und unterschiedliche konzeptionelle Schwächen herausgearbeitet und aufgezeigt werden. Die Ergebnisse sollen zuletzt in einem Fazit kurz zusammengefasst werden.

Grundlage dieser Arbeit ist als Quelle Jaspers‘ Die Schuldfrage. Mehrere Übersichtswerke etwa von Kurt Salamun oder Werner Schüssler haben die Grundlagen seiner Philosophie und zum Teil auch gewisser biografischer Faktoren seines Denkens geliefert. Zur Metaphysik Karl Jaspers‘ hat sich vor allem das Werk von Elisabeth Hybašek Das Menschenbild bei Karl Jaspers erweisen. Ergänzungen zur metaphysischen Schuld fanden sich in einem Artikel von Larry May.

2. Karl Jaspers, seine Philosophie und seine Ansichten zur Metaphysik

Jaspers‘ Philosophie zeichnet sich durch eine antidogmatische, antiabsolutistische und pluralistische Denkhaltung aus. In deren Rahmen wird immer wieder der Versuch unternommen, dem Menschen zwar Möglichkeiten einer sinnvollen und allgemein guten Lebensführung aufzuzeigen, ohne dabei zu reglementieren oder zu bevormunden. In seiner Philosophie vertritt Jaspers die Auffassung, dass es in der Philosophie gar keine allgemeinen oder objektiven Begriffe geben kann, denn sonst hätte sie den Status einer Wissenschaft, was Jaspers, obwohl Philosoph, bezweifelt. Ihm zufolge ist es unmöglich auf dem Gebiet der Philosophie eine feste Definition oder ein objektives Kriterium anzugeben.[2]

Für Jaspers ist daher Philosophie trotz ihrer sehr engen Bindung aneinander, etwas von Wissenschaft eindeutig Verschiedenes. Er sieht Philosophie als das Denken, dass zum Aufschwung in andere Sphären des Erfassens und Begreifens und letztlich zur Transzendenz vorbereitet.[3] Transzendenz ist dabei für Jaspers der Bezugspunkt von Allem, ist Träger, Ziel und Ursprung der Dinge.[4] Gegenstände sind vom eigentlichen Sein, und damit der Transzendenz verschieden. Philosophie beschäftigt sich daher, nach Jaspers‘ Logik mit ungegenständlichen Dingen und muss daher in den Bereich der Transzendenz gehen, um überhaupt echte Philosophie und nicht nur bloße gegenständliche Erkenntnis, also Wissenschaft zu sein. Untrennbar bleiben Philosophie und Wissenschaft allerdings dennoch verbunden, denn für Jaspers ist kein Denken ohne konkreten Gegenstand möglich.[5] Dies erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, bezieht sich aber wohl auf Jaspers Einschätzung, dass es zwei Ebenen der Erfassung und des Nachdenkens gibt und man nur von einem Gegenstand ausgehend die Ebene der Transzendenz erreichen kann, da ansonsten nicht klarwerden würde, über was die Gedanken denn transzendieren würde. Das Transzendieren im Jasperschen Sinne bezieht sich auf alles Seiende und transzendiert daher über allem Seienden. Es hat dabei aber kein Wohin und Ziel und keinen absoluten Gegenstand, wie Herbert Marcuse schon 1933 feststellte.[6] Wichtige Grenzsituationen zwischen bloßer Existenz und Transzendenz sind vor allem der Tod, das unvermeidliche Leid im Leben, der unaufhebbare Kampf und die, wie später noch zu erläutern sein wird, untilgbare Schuld. Der Mensch kann in diesen Grenzsituationen eine Transzendenz erreichen, muss sich dazu allerdings zwingend in diesen Grenzsituationen wissen.[7]

Jaspers leugnet die Existenz Gottes nicht, sondern geht von der schlichten Feststellung aus, dass „Gott ist“. Ein für Jaspers akzeptabler Gott ist dabei allerdings immer ein verborgener und ungegenständlicher, also ein rein transzendenter. In der Verbindung von Transzendenz mit Glauben ergibt sich dann das Bild eines philosophischen Glaubens, der, wie Jaspers meint, vor allem aus der Grundannahme besteht, dass Philosophie Glaube aus eigenem Ursprung sei.[8] Dieser philosophische Glauben ist etwas von den klassischen Religionen Verschiedenes. Er kennt keine Gebote, keinen Kult oder entsprechende Kulthandlungen und auch keine feste Glaubensgemeinschaft, sondern verbindet Menschen als Einzelne.[9]

Der Zugang zur Metaphysik Jaspers‘ ist zu großen Teilen in der Idee des Scheiterns verwurzelt.[10] Der Zusammenhang zwischen Existenz und Transzendenz ist nicht dauernd daher können wir Transzendenz letztlich nie auf einem festen und vorhersagbaren Weg erreichen und scheitern zwangsläufig.[11] Erst ein Scheitern an Fragestellungen kann eine Veranlassung sein, gänzlich anders über diese zu reflektieren. Im Scheitern gipfelt Jaspers Metaphysik. Scheitern ist demzufolge dauerhaft und nur derjenige, der sich in seinem Scheitern begreift, erfährt Ewigkeit und Verwirklichung und kann so potentiell die Ebene der Metaphysik erreichen.[12] Offenbar ist also auch das Scheitern eine Grenzsituation, in der der Mensch zur Transzendenz gelangen kann.

Das Spannungsverhältnis zwischen Religion und Philosophie bleibt dabei immer absolut.[13] Jaspers bezeichnet es auch als „Liebenden Kampf“, in dem sich Zwei verbinden und kommunizieren, dabei aber immer zwei bleiben. In diesem Kampf geht es allerdings nicht um Macht und Überlegenheit, denn letztlich kann und wird keine Seite endgültig gewinnen, vielmehr geht es um eine restlose Offenheit.[14] Der Philosophische Glaube oder ein freier Glaube allgemein hat dabei für Jaspers immer zwei „Feinde“. Zum einen die Ablehnung des Konzeptes der Transzendenz allgemein und die eine objektivierte, etwa fest auf einen Gott oder eine Gruppe von Göttern ausgerichtete Transzendenz die einem speziellen Offenbarungsglauben folgt. Als beinahe logische Konsequenz aus dem Transzendenzgedanken lehnt Jaspers daher auch die Grundannahme des Christentums ab, Gott sei in Jesus zum Menschen geworden.[15] Sollte dies tatsächlich so gewesen sein, wäre die Transzendenz letztlich überwindbar und etwas könnte doch sowohl gegenständlich als auch transzendent sein, was Jaspers ja klar trennt.

Die Idee des philosophischen Glaubens und sein persönliches Verhältnis zu institutionellen Religionen beeinflussen auch Jaspers‘ Konzept von Ethik und Moral. Während eine, wie auch immer geartete, religiöse Ethik die Gesetze ihres Handelns von einem Gott bekommt, bleibt eine existenzphilosophische Ethik im Sinne Jaspers‘ ohne eine heteronome Gesetzlichkeit und ohne objektiven Geltungsanspruch. Sie ist einzig und allein auf die Unbedingtheit des Einzelnen angewiesen, der sich für seine Taten vor seinem Gott zu rechtfertigen hat. Jaspers unterscheidet dabei in ethische Sätze und Rechtssätze. Hiernach sind Rechtssätze objektive und allgemein aussagbare Sollenssätze, die, wie etwa die zehn Gebote, allgemeine, von allen Menschen angenommene und anerkannte Regeln darstellen. Ethische Sätze hingegen sind deutlich individueller. Sie stellen vor allem Sollensanforderungen dar, die sich jeder Einzelne aus seiner eigenen Unbedingtheit selbst auferlegt. Sie gelten daher auch nur für den einzelnen absolut und haben daher keinerlei Anspruch auf eine allgemeine Gültigkeit und Geltung. Sie können allerdings trotzdem mit Rechtssätzen korrespondieren.[16]

Jaspers‘ Philosophie bleibt daher völlig ungegenständlich und aufs Transzendente fixiert. Kernelemente neben der Transzendenz sind die daraus folgende vollkommene Abtrennung der Philosophie von den klassischen Wissenschaften, auf die Philosophie allerdings einen gewissen Einfluss im Transzendieren über gewisse wissenschaftliche oder ethische Fragestellungen und einem sich daraus eventuell ergebenden Erkenntnisgewinn. Da das Transzendieren jedoch ein überaus individueller Vorgang für Jaspers ist, ist es ebenfalls überaus schwer, aus dieser allgemeine und daher auch wissenschaftlich schlüssige Resultate zu entwickeln. Da im Endeffekt die gleichen Mechanismen und Grundlagen auch für Jaspers‘ Ethik gelten, wird klar, dass speziell im Hinblick auf die Frage der Schuld in Verbindung mit dieser Auffassung von Metaphysik eine eventuelle Verantwortung oder Auseinandersetzung mit den eigenen Taten und der eigenen Schuld nur individuell geschehen kann. Neben dem Komplex der Transzendenz ist ein weiteres Element der Jasperschen Philosophie, trotz dessen grundsätzlicher Ablehnung von Religion, ein Gott. Dieser ist jedoch eher eine Instanz der Transzendenz und kann im Grunde nicht erreicht werden, soll offenbar aber dennoch diese eher problematische Kategorie quasi greifbar machen. Jaspers schwankt in seinen Ausführungen immer ein wenig zwischen einer Philosophie, die allumfassend unter allen Prinzipien und in allen Dingen in der Welt liegt und einer Philosophie, die quasi lediglich eine Ergänzung zu den strengen Naturwissenschaften ist und allenfalls durch einen alternativen Denkansatz gegebenenfalls neue Erkenntnisse liefern kann. Philosophie ist für Jaspers dabei auch ein Mittel der politischen Bildung und gewann für ihn vor allem unter dem Eindruck der Verbrechen der NS-Zeit an Bedeutung. Die Schuldfrage, speziell die der metaphysischen Schuld soll im nächsten Kapitel näher erläutert werden.

3. Metaphysische und andere Arten von Schuld

Die Frage und Diskussion der Schuld thematisierte Jaspers ausführlicher in seinem Werk die Schuldfrage, das 1946 erschien.[17] Wohl erst unter dem Eindruck der Verbrechen der Nationalsozialisten wurde Jaspers endgültig auch politisch aktiv, nahm dabei aber dennoch keine eindeutige oder pauschale Richtung ein und konzentrierte sich auch nicht komplett auf politische Fragen.[18]

Für Jaspers war entscheidend, dass der 8. Mai 1945 beileibe keine „Stunde Null“ und ein kompletter Neuanfang war, sondern Deutschland zwar vor der Aufgabe eines kompletten Neuaufbaus stand, dennoch aber auch für die Verbrechen der Nationalsozialisten Verantwortung übernehmen musste.[19] Die Schuldfrage wurde bei ihrem Erscheinen, wohl auch den Umständen der Zeit und der großen Aufgabe des Wiederaufbaus geschuldet, kaum rezipiert. Allenfalls wurde kritisiert, dass Jaspers in seinem Werk kaum etwas Neues vorschlug und auch keine konkreten Ansätze für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Verantwortung der Deutschen für die Nazi-Verbrechen lieferte.[20] Neben der allgemein gemischten Reaktion auf die Schuldfrage traf vor allem das Konzept der metaphysischen Schuld auf eine ausgesprochen geringe Resonanz.[21] Allerdings stellt Jaspers in seinen Ausführungen eindeutig klar, dass seine Gedanken zur Schuld zwar klar in der Erfahrung der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Reflexion der deutschen Untaten liegen, die Frage der Schuld aber unabhängig von der Nationalität ist und sich schon allein aufgrund der Menschenwürde stellt.[22] Jaspers geht damit von den spezifisch deutschen Erfahrungen aus, Ziel ist jedoch eine allgemeingültige Philosophie in Bezug auf Schuld und historischem Unrecht.

[...]


[1] Jaspers, Karl: Die Schuldfrage, Heidelberg 1946. Im Folgenden zitiert als: Jaspers, Die Schuldfrage.

[2] Hybašek, Elisabeth: Das Menschenbild bei Karl Jaspers, Graz 1985. Im Folgenden zitiert als: Hybašek, Menschenbild. S. III-1.

[3] Wilczek, Gerhard: Metaphysik und Gesellschaft. Bedeutende Philosophen unserer Zeit, Eichstätt 2008, im Folgenden zitiert als: Wilczek, Metaphysik und Gesellschaft, S. 104.

[4] Salamun, Kurt: Karl Jaspers, Würzburg ²2006, im Folgenden zitiert als: Salamun, Jaspers, S. 107.

[5] Hybašek, Menschenbild, S. 25-29.

[6] Marcuse, Herbert: Philosophie des Scheiterns (1933), in: Saner, Hans (Hg.): Karl Jaspers in der Diskussion, München 1973, S. 125-132. S. 129.

[7] Löwith, Karl: Die geistige Situation der Zeit, in: Saner, Hans (Hg.): Karl Jaspers in der Diskussion, München 1973, S. 142-152. S. 143-144.

[8] Schüßler, Jaspers, S. 50.

[9] Wilczek, Metaphysik und Gesellschaft, S. 105.

[10] Hybašek, Menschenbild, S. 157.

[11] Wilczek, Metaphysik und Gesellschaft, S. 110

[12] Hybašek, Menschenbild, S. 85.

[13] Schüßler, Werner: Jaspers zur Einführung, Hamburg 1995, im Folgenden zitiert als: Schüßler, Jaspers, S. 41.

[14] Schüßler, Jaspers, S. 121.

[15] Wilczek, Metaphysik und Gesellschaft, S. 113.

[16] Hybašek, Menschenbild, S. 230-233.

[17] Jaspers, Die Schuldfrage.

[18] Koselleck, Reinhart: Jaspers, die Geschichte und das Überpolitische, in: Hersch, Jeanne (Hgg.): Karl Jaspers. Philosoph, Arzt, politischer Denker, München 1986, S. 291-302. S. 291-293.

[19] Clark, Mark W.: A Prophet without Honour. Karl Jaspers in Germany 1945-48, in: Journal of Contemporary History 37/2 (2002), S. 197-222, im Folgenden zitiert als: Clark, A Prophet without Honour, S. 201-202.

[20] Salamun, Jaspers, S. 78-85.

[21] Clark, A Prophet without Honour, S. 211-213.

[22] Jaspers, Die Schuldfrage, S. 29.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Karl Jaspers und die metaphysische Schuld
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Seminar: Schuld für historisches Unrecht
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
18
Katalognummer
V365439
ISBN (eBook)
9783668447035
ISBN (Buch)
9783668447042
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Karl Jaspers, Metaphysische Schuld, Moralische Schuld, Ethik, Holocaust
Arbeit zitieren
Christian Risse (Autor:in), 2017, Karl Jaspers und die metaphysische Schuld, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/365439

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