Nationale Identität als einzigartige Identitätsform


Seminararbeit, 2017

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Das Konzept der nationalen Identität
Abgrenzung zu anderen Identitätsformen
Die Dimension des individuellen Bekenntnisses zur Nation
Nationale Identität mit sozialem Bezug
Nationale Identität und ethnische Pluralisierung

Literaturverzeichnis

1. Das Konzept der nationalen Identität

Abgrenzung zu anderen Identitätsformen

Eine genaue Abgrenzung der ‚nationalen Identität‘ zu anderen Identitätsformen kann erst nach Begriffsbestimmung des Wortes ‚Identität‘ vorgenommen werden. Die Benutzung des Begriffes ‚Identität‘ löst allein in Abhängigkeit des Zusammenhangs unterschiedliche Assoziationen und Abwehrreaktionen bei den Adressaten aus. Dem Verständnis von Identität als „vollkommene Gleichheit“ (Identität: aus dem Lateinischen ‚idem‘=<derselbe>) reihen sich, gerade in Forschungsgebieten wie der Psychologie, Anthropologie, Soziologie und dergleichen, spezifische Vorstellungen von ‚Identität‘ an.

Die Leitgedanken für die Benutzung des Identitätsbegriffs wurden u.a. von George H. Mead in der Soziologie der Chicagoer Schule gelegt. Zum anderen beziehen sie sich auf Freuds Psychoanalyse und liegen somit weit zurück. Dies hat bisher zu einer Vielzahl von Definitionsversuchen geführt. Ricken definiert Identität folgendermaßen: „Unter Identität […] versteht man die Antwort auf die Frage, als wer sich jemand selbst versteht und von anderen erkannt und anerkannt wird.“[1] An dieser Stelle bezieht sich Ricken hauptsächlich auf die in der Person vorherrschenden Prozesse. Desweiteren formuliert er: „Die Beantwortung der Frage, als wer sich jemand selbst versteht, lässt sich weder von der sozialen Reaktion zu anderen noch der zeitlichen Relation zu sich selbst (Biographie) trennen und unterliegt stetem Wandel.“[2] Ricken deutet mit seiner Aussage an, dass die eigene Identität immer zusätzlich von den Identitäten der sozialen Umgebung anhängig ist. Ähnlich formulierten bereits Tenorth und Tippelt (2007) wie folgt: Identität „stellt das Bewusstsein dar, das ein Individuum von sich selbst hat und ist sowohl auf das Erleben seiner Einmaligkeit als auch auf seine individuelle soziale Verortung bezogen.“[3] Wie an dieser Aussage zu erkennen ist, schreiben auch Tenorth und Tippelt dem sozialen Gefüge eine große Bedeutung zu.

Trotz vielzähliger Definitionen besteht in der Mehrheit Einigkeit darüber, dass bei der Identitätsbildung Inklusion (Teilhabe) und Exklusion (Ausgrenzung) auf verschiedensten Ebenen als grundlegende Dynamik anzusehen sind. Die wissenschaftliche Forschung hat im Laufe der Entwicklung verschiedene Formen von Identität entworfen, welche sich zunächst auf die Abstufung zwischen individueller und kollektiver Identität beziehen. Grundlegend geht die kollektive Identität anfänglich immer vom jeweiligen Individuum, also von der individuellen Identität aus.

Innerhalb der individuellen Identität unterscheiden sozialpsychologische Forscher zwischen personaler und sozialer Identität. Erstere dieser zwei Dimensionen bezieht sich auf die Aspekte einer Person, welche sich mit der Person an sich beschäftigen und das Selbstkonzept beeinflussen. Die personale oder auch persönliche Identität bezieht sich auf Eigenschaften, welche eine persönliche Kennzeichnung ausmachen und für Jedermann ersichtlich sind. Sie lassen sich u.a. anhand der Daten aus den Ausweispapieren illustrieren und markieren ein Individuum auf eine spezielle und unverkennbare Art und Weise. Auf der zweiten Dimension, welche durch die „Integration biographischer Erfahrungen und Konfiguration sozialer Vernetzungen“[4] entsteht, entwickelt sich die soziale Identität aus dem Gruppen-Zugehörigkeitsgefühl und dem ihr beigemessenen, emotionalen Wert heraus. Sie wirkt sich in zweierlei Hinsicht auf die Identitätsbildung des Individuums aus. Jeder Mensch ist während seines Lebens Mitglied in verschiedenen Kollektiven (Vereine, Clubs etc.) und übernimmt auf diese Weise unterschiedliche soziale Rollen oder vermeidet diese.

In den meisten Fällen ist die Wahl der Zugehörigkeit nicht beliebig, da die Möglichkeit einer Beteiligung von äußeren Umständen begrenzt werden. Desweiteren ist die Intensität der Zugehörigkeit von Individuum zu Individuum und von Kollektiv zu Kollektiv unterschiedlich. Die religiöse Bindung zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft ist mitunter intensiver als die Bindung zu einem Sportverein. Diese Gruppenidentitäten, bestehend aus z.B. Familie, Vereine, Stadt, Land, Religion und Parteien können aufeinander aufbauen oder nebeneinander her existieren. Sie können sich sogar gegenseitig ausschließen. Beispielsweise ist ein Individuum in den seltensten Fällen Anhänger von zwei Parteien gleichzeitig.

Kurz und knapp: Die Identität eines jeden Individuums gilt als Vergewisserung des Selbst in seinem sozialen Zusammenhang. Dabei hält jedes Individuum verschiedene vermischte Identitäten inne, welche sich aus unterschiedlich starken Bezügen zu verschiedenen Gruppen zusammensetzen. Das Selbstkonzept einer Person wird aus dieser sozialen Identität zusammen mit der personalen Identität gebildet.

Dem Ganzen entgegen steht die kollektive Identität, zu welcher auch die nationale oder auch kulturelle Identität als Unterkategorie zählt. Sie bildet sich aus den vom Individuum der Gruppe zugeschriebenen Gruppeneigenschaften eines Kollektivs und beschreibt die kollektive Selbstanschauung einer Gruppe. Mit Hilfe der Kollektividentität werden die Erfahrungen der Gruppe organisiert. Gleichzeitig prägt die Kollektividentität die Vorstellungen und das Weltbild der einzelnen Mitglieder und somit auch deren individuelle Identität.

An dem Punkt, wo kollektive Identität für ein Individuum als wichtig für sein eigenes Denken und Handeln anerkannt wird, ist das Individuum bereit, sich für die Gruppenidentität zu engagieren und sein gesamtes Handeln und Denken danach auszurichten. Uhle bezieht sich folgendermaßen auf kulturelle Identität: „Unter kultureller Identität wird die Gesamtheit der kulturell geprägten Werte samt den daraus resultierenden Weltsichten und Denkweisen sowie der ebenfalls kulturell geprägten Verhaltens- und Lebensweisen verstanden, die das Eigenbild einer Kulturgemeinschaft – namentlich einer Nation – prägen. Die so verstandene kulturelle Identität wird sowohl durch Elemente der Zugehörigkeit zu einem (übergeordneten) Kulturkreis, als auch durch Elemente der Zugehörigkeit zu der individuellen Kultur der betreffenden Gemeinschaft bestimmt.“[5]

Die Ausbildung einer Kollektividentität ist abhängig von drei sozialen Voraussetzungen[6]:

- der institutionellen Ordnung:

Ein durch Identifikation mit einem Staat, Territorium oder dergleichen entstandener Rahmen.

- der Gemeinschaft:

Eine historische Gemeinschaft (z.B. Nationalität) ist essentiell für die Ausbildung einer kollektiven Identität, zu welcher die nationale Identität zu zählen ist.

- der Kommunikation:

Kommunikative Prozesse sorgen für die Vermittlung und Übereinstimmung von den von Mitgliedern der Gruppe empfundenen, objektiven Gemeinsamkeiten. Stetige Kommunikation ist der Hauptgrund für eine sich stetig neu bildende Identität.

Die drei o.g. sozialen Voraussetzungen sind der Leitgedanke einer sich stetig ändernden Identität. In Abhängigkeit von intrinsischen und extrinsischen Motivationen handelt ein Individuum fortlaufend seine personale Identität neu aus. Diese Prozesse sind vor allem in Situationen großer Umbrüche (wie z.B. Umsiedlungen) zu beobachten. Dabei spielen nationale Prozesse eine ganz bedeutende Rolle. Im Hinblick darauf ist die Integrationsfrage eine zentrale Frage für die Zukunftsfähigkeit einer Nation. Hierfür ist eine starke und positive nationale Identität nötig, denn Integration bedeutet, dass es Ziel der Mitglieder einer Nation sein sollte, potentiellen Immigranten eine positive nationale Identität vorzuleben. In diesem Zusammenhang soll Immigranten die Möglichkeit eröffnet werden, sich selbst als Mitglieder der auserwählten Nation anzusehen, mit allem seinen positiven und negativen Merkmalen.

Die Dimension des individuellen Bekenntnisses zur Nation

Das genaue Konzept der nationalen Identität ist auch nach jahrelanger Forschung nicht eindeutig geklärt. Bisher findet sich in der wissenschaftlichen Literatur keine überzeugende Theorie zur nationalen Identität.[7] Im Gegenteil: Viele verschiedene Forschungsansätze stehen sich mitunter konträr gegenüber, sodass die verschiedenen Definitionen und demzufolge auch das gesamte Konzept der nationalen Identität von Forschern in diverser wissenschaftlicher Literatur nicht selten angezweifelt werden.[8]

Einigkeit besteht dennoch darüber, dass sich die nationale Identität einer stetigen historischen Entwicklung unterzieht. Die Identität eines Landes entwickelt sich nach Erkenntnissen der Forscher über Jahrhunderte hinweg und manifestiert sich an verschiedenen Details. Deren Gesamtheit kann als Lebensstil einzelner Individuen in kollektiven Zusammenschlüssen zusammengefasst werden. Wesentlich sind im Hinblick darauf der Umgang der Menschen miteinander, d.h. in der Art, wie Feste gefeiert werden, welches Essen typisch für die Nation ist, welche Orte von nationaler Bedeutung sind und welche (nationalen und kulturellen) Bekleidungsgewohnheiten vorherrschen. Aber vor allem der individuelle und nach außen bekundete Glaube an die Gemeinsamkeiten einer Nation sind bedeutsam. Die Forscher sind sich folglich darüber einig, dass nationale Identität ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, sei es in Bezug auf die Gemeinsamkeit von religiösen Überzeugungen oder bezüglich der ethischen Abstammung oder geschichtlichen Erfahrung von Individuen, ermöglicht.

Von besonderer Bedeutung in Bezug auf die Verbundenheit einer Nation ist die gemeinsame Sprache der selbigen. Sie zählt zu den entscheidenden völkerbildenden Faktoren, welche einen enormen Einfluss auf die Ausbildung von nationaler Identität nehmen.[9] Die Sprache ist neuesten Untersuchungen zufolge bedeutsamer als der eigentliche Geburtsort.[10] Die Forscher der besagten Studie des PewResearchCenter kamen zu dem Ergebnis, dass die Sprache gerade unter den Europäern als erforderlich angesehen wird, um nationale Identität zu erlangen. Des Weiteren ergab die Forschung, dass ältere Menschen eher als jüngere Menschen dem Geburtsort eine höhere Bedeutsamkeit bzgl. der nationalen Identität beimessen. Dies trifft vor allem für Mitglieder der japanischen Kultur zu. Das gleiche Verteilungsverhältnis zeigt sich in der Studie bei der Bemessung der Wichtigkeit von geteilten kulturellen Elementen. 55% der über 50- jährigen empfinden dies als sehr wichtigen Bestandteil, während nur 28% der 18 bis 34 – jährigen der gleichen Meinung sind. Die in der o.g. Studie ermittelten generationsbezogenen Unterschiede unterstützen die von Forschern vertretene Auffassung, dass die nationale Identität im Laufe von Jahrhunderten aus miteinander erlebter, erlittener Geschichte erwächst und zweifelfrei von den jeweiligen Mitgliedern der Nation abhängig ist.

Im vorangegangenen Abschnitt wurde eine subjektive Komponente bzgl. der Identifikation mit der Nation angedeutet. Diese subjektive Komponente nimmt einen wichtigen Stellenwert in der Beantwortung der Frage: Was ist nationale Identität? ein. Die Beantwortung der Frage hängt zunächst davon ab, wie der Begriff Nation im Genauen definiert wird. Seit mehr als 600 Jahren wird der Begriff Nation (aus dem Lateinischen ‚ natio‘ =<Volk, Sippschaft, Gattung, Klasse…>) in der deutschen Sprache benutzt. ‚Nation‘ bezeichnet größere Kollektive oder Zusammenschlüsse von Individuen, welche sich durch gemeinsame Merkmale definieren. Dazu gehören u.a. Sprache, Tradition, Sitten und Bräuche oder Abstammung. Empirische Erkenntnisse aus der Neuzeit lassen dennoch darauf schließen, dass keine Nation in der Lage ist, die o.g. Definition zu 100 % zu erfüllen[11], da das Verständnis von Nation in Abhängigkeit zur jeweiligen Kultur und den Mitgliedern der Nation steht. Andersen[12] beschreibt Nation als „vorgestellte Gemeinschaft“ einzelner Individuen, welche mittels gemeinsamer Merkmale eine verbindende Nation erstellen. Allgemeinsprachlich wird das Wort ‚Nation‘ auch oft als Synonym für ‚Volk‘ verwendet. Nation kann demnach als Konstrukt verstanden werden, welches erst durch die Benutzung an sich wirksam wird.

Im Anschluss an die vorangegangenen Ausführungen wird der Frage nachgegangen, was unter dem Begriff ‚Identität‘ verstanden wird, wie die Begrifflichkeit der ‚nationalen Identität‘ entstand und sich über die Zeit hinweg entwickelt hat.

Reese-Schäfer (1999) erklärt, dass die eigene Wahrnehmung als Angehöriger einer ‚Nation‘ die Entwicklung eines Gefühls der Zugehörigkeit ermöglicht und gleichzeitig einen konstitutiven Bestandteil der eigenen Selbstbeschreibung darstellt.[13] Die Identifikation eines Individuums findet in diesem Zusammenhang nicht ausschließlich auf der individuellen „Ich“-Ebene statt, sondern wird zusätzlich über die „Wir“- Ebene geprägt. Zusätzlich impliziert ein gemeinschaftsbezogenes Handeln indirekt eine häufigere Interaktion bzw. Kommunikation der Mitglieder der betroffenen Gruppe. Diese interethnischen Beziehungen setzen, laut Estel (2013), wiederum ein „Wir“-Bewusstsein voraus.[14] Diese Tatsache lässt darauf schließen, dass sich das Selbst unter Beeinflussung der subjektiven Vorstellung über das soziale „Wir“ definiert.[15] Es ist demnach das individuelle Verständnis des Menschen in Bezug auf seine soziale Umgebung, welches ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und somit die Entwicklung sozialer Gefüge ermöglicht. Erst dieses Gefühl von sozialer Verbindung mit anderen Individuen ist ausschlaggebend für die Entwicklung einer sozialen Identität. Daraus ableitend beschreibt die soziale Identität jenen Teil der Identität des Menschen, welcher sich aus der Zugehörigkeit zu sozialen, kulturellen Gruppen ergibt[16].

In sozialen Gefügen ordnen sich die Menschen eigenständig zu Gruppen zu oder werden indirekt durch Andere diesen Gruppen zugeordnet. Solche Bezugsgruppen bestehen aus Familien, Freunden, vereinsähnlichen Gruppierungen oder anderen spezifischen Personenmerkmalen, wie das Geschlecht, die nationale Herkunft oder die Berufsgruppe. In Bezug auf die Letztere sprechen Forscher vielmehr von einer sozialen Kategorie, als von einer Gruppe, da es innerhalb dieser Kategorie eher an Verbundenheit mangelt.[17] Trotz alledem ist gerade in einer solchen sozialen Kategorie die Gruppendynamik besonders stark ausgeprägt, da sich ihre Anhänger stark an gemeinsamen Zielen orientieren. Der zugrundeliegende Prozess lässt sich folgendermaßen erklären: Innerhalb der Kategorien findet eine Umwandlung der als ‚normal‘ antizipierten Merkmale in normative Erwartungen und Anforderungen statt. Dies wiederum verschafft den Anhängern der Kategorie eine gewisse Erwartungs- und Verhaltenssicherheit. Die damit verbundene mögliche Strukturierung von Wahrnehmungen birgt allerdings die Gefahr der Reduzierung auf nur ein Merkmal, wie z. B. der Unterscheidung zwischen Inländer und Ausländer, in sich. Gerade in Bezug auf ethnische Merkmale eine Gruppierung ist diese Gefahr besonders groß und in heutiger Zeit ein sehr aktuelles Thema, welches im letzten Abschnitt näher beleuchtet wird.

Menschen derselben Kategorie werden aufgrund des zur Einschätzung herangezogenen Merkmals zumeist als ‘gleich‘ oder ‚ähnlich‘ wahrgenommen, obwohl die Realität oft weitaus mehr Differenzen vorzuweisen hat. Vor allem vor dem Hintergrund der Abgrenzung zu Menschen anderer Kategorien, die als ‚fremd‘ oder ‚andersartig‘ eingeschätzt werden, kann oft eine Überschätzung der Differenzen zu Menschen anderer Kategorien und eine Unterschätzung der Differenzen zwischen Menschen derselben Kategorie beobachtet werden. Dies bedeutet, dass bestehende interindividuelle Unterschiede zwischen Mitgliedern einer Gruppe oft für weniger wichtig eingeschätzt oder sogar als zweitrangig angesehen werden. Dem gegenüber stehen Unterschiede zu Mitgliedern anderer Gruppen, welche oft sogar weniger spürbar sind, als äußerst wichtig und unüberwindbar angesehen werden. Diese Einschätzung ist der subjektiv wahrgenommenen Gemeinsamkeit zwischen den Mitgliedern der Gruppe geschuldet.

Mithilfe von bestimmten Bewertungsmustern ordnen sich Menschen zu einer gleichen oder zu einer anderen Kategorie zu bzw. werden zu solchen Kategorien zugeordnet. Diese Zuordnung hat unmittelbaren Einfluss auf das Verhalten[18] der Mitglieder der Gruppe, wobei die Prozesse der Fremd- und Selbstkategorisierung von der jeweiligen Situation und dem Kontext abhängig sind[19] und in Abhängigkeit der passenden Kategorie zum Einsatz kommen. In derartigen Situationen tritt die soziale Identität in den Mittelpunkt. Sie hat wiederum Einfluss auf die kategoriale Zuordnung und ist abhängig von subjektiven Zugehörigkeitsgefühlen.[20] Im Zuge von Selbst- und Fremdzuschreibungsprozessen wird die ethnonationale Zugehörigkeit zunehmend als Selbstverständlichkeit angesehen. Diese Attribute werden von Generation zu Generation weitergegeben und sind ausschlaggebend für die Prägung eines Individuums, ihrer mentalen Konstitution und ihrer charakteristischen Gepflogenheiten.

Nationale Identität mit sozialem Bezug

Als nationale Identität wird das Ausmaß des persönlichen Bekenntnisses einer Person mit einer Nation bezeichnet. Die nationale Identifikation der Menschen mit ihrer Nation ist das Resultat von sozialer Selbst- und Fremdkategorisierung. Die Identität geht auf diese Weise als soziale Identität in das Selbstbild ein[21] und kann mit starken Emotionen verbunden sein. Die subjektive Bedeutung der Nation steht somit im Fokus des Individuums.

Jene soziale Identität, die der Person unfreiwillig durch die Gesellschaft zugeschrieben wurde – wie es bei der Nationalität der Fall ist – wird, im Vergleich zu anderen sozialen Identitäten, vom Individuum keine große Bedeutung zugemessen. Zudem kann das Ausmaß des Zugehörigkeitsgefühls in solchen zugeschriebenen Gruppen stark variieren[22], weshalb innerhalb der Gruppe Mitglieder mit unterschiedlich ausgeprägtem Zugehörigkeitsgefühl vertreten sind. Unter Umständen kann dieses Zugehörigkeitsgefühl sogar negativ behaftet sein.

Tajfel[23] beschreibt 1986 in seiner sozialen Identitätstheorie, dass die individuellen Haltungen zur ‚Nation‘ in drei Dimensionen unterschieden werden können: kognitiv, emotional und bewertend und fasst diese als das subjektive „Bekenntnis zur Nation“ zusammen. Bekennt sich ein Mitglied einer Gruppe zu sich selbst als Mitglied dieser besagten Gruppe und ist diese Bekenntnis zugleich mit einer positiven Emotion behaftet, so spricht man von starker, nationaler Bekenntnis. In diesem Zusammenhang fungiert die Nationalität als handlungsleitender Orientierungsrahmen für ein Individuum. Genauso funktioniert dies auch bei einer negativen Behaftung des Verständnisses von ‚Nation‘. Besonders in Zeiten der Krise, in außeralltäglichen Situationen rücken die Zugehörigkeits-gefühle - seien sie positiv oder negativ behaftet - in den Fokus der Wahrnehmung.

Aus der subjektiven „Bekenntnis zur Nation“ entwickelt sich schließlich die soziale Identität eines Einzelnen zur kollektiven Identität einer Nation. Relevant für diese veränderte Sicht auf die Dinge sind die Merkmale, welche Angehörige einer Nation als Verbindungsmittel bzw. Gemeinsamkeiten aller Individuen der Nation explizit wahrnehmen und sie somit erst zur Nation werden lassen. Auf diese Weise wird deutlich, dass es sich bei der nationalen Identität um eine spezielle Form der sozialen Identität handelt. Dennoch bleibt zu beachten werden, dass bei der nationalen Identität von einem ideologisierten Sprachgebrauch die Rede ist. Eine Nation allein kann keine eigene „Identität“ aufbauen. Dennoch können Mitglieder einer Nation ‚XY‘ eine Identität für diese besagte Nation entwickeln, ohne dass direkt von einer typischen „Identität der Nation XY“ gesprochen werden kann.

An dieser Stelle stellt sich die Frage, welche relative Bedeutsamkeit die Nationalität im Vergleich zu anderen Identitätsfacetten hat. Es gibt nicht die eine „Nationale Identität“. Es besteht vielmehr eine Vielfalt kultureller Identitäten weltweit und wie bereits voran erläutert, ist die nationale Identität abhängig vom jeweiligen Individuum und seinen äußeren und inneren Einflüssen im Laufe seiner Identitätsentwicklung.

Wie anfänglich erwähnt, bestimmt die Identität die Zugehörigkeit zu Kollektiven. Sie erlaubt die Einigkeit über bestimmte Werte und ermöglicht auf diese Weise eine soziale Integration in Gruppen/ Kategorien[24]. Die Identität ist wiederum abhängig vom Grad der Unterstützung der offenkundigen Werte der Gruppe/ Kategorie. Daraus ableitend wird die nationale Identität und deren Inhalt durch die Klassifikation von sich Selbst und anderen Individuen als Mitglieder eines Kollektivs bestimmt.

Nationale Identität und ethnische Pluralisierung

Wie bereits zuvor erwähnt, wird die nationale Identität mit Integration und Exklusion in Verbindung gesetzt. Somit muss an dieser Stelle auch die zunehmende Globalisierung und daraus abgeleitete ethnische Pluralisierung zum Thema gemacht werden. Globalisierung ist eine Beschreibung für den Prozess der internationalen Verflechtung zwischen Individuen, Gesellschaften und Staaten in Bereichen der Wirtschaft, Kultur, Politik und dergleichen. Seine Prägung erfuhr der Begriff in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst in den Sozialwissenschaften im US-amerikanischen Bereich. Erst knapp 30 Jahre später begann die häufigere Nutzung des Begriffs im Deutschen Raum.[25] Die kulturelle Globalisierung schritt zunehmend voran. Die zunehmende Virtualisierung der Gesellschaft lässt räumliche Distanzen zwischen verschiedenen Kulturen quasi verschwinden. Nationale Grenzen und regionale Gebundenheit spielen dabei eine immer geringere Rolle. Es stellt sich demnach die Frage, inwieweit diese Entwicklung auf die Ausbildung der nationalen Identität Einfluss nimmt bzw. in welchem Ausmaß die bestehende nationale Identität Veränderungen unterliegt.

[...]


[1] Ricken, 2010: 130

[2] Ricken 2010: 131

[3] Tenorth/Tippelt 2007: 331

[4] Assmann, 1993: ?

[5] Uhle, 2006; zit. nach Scholz, 2008: 35

[6] Beinke, 2008

[7] Blanck, 2002: 193

[8] Klein, 2014

[9] Depenhauer, 2006: 63

[10] Pew Research Center (2017). “What It Takes to Truly Be ‘One of Us’”.

[11] Hobsbawm, 2005: 16.

[12] Anderson, 2005

[13] Reese-Schäfer, 1999: 16

[14] Estel, 2013: 31

[15] Elias, 1996: 196ff.

[16] Hettlage, 2000: 17ff.

[17] Heckmann, 1997: 47

[18] Theiss-Morse, 2009: 35ff.

[19] Bohn und Hahn, 1999: 36ff.

[20] Theiss-Morse, 2009: 39ff.

[21] Tajfel & Turner, 1986

[22] Theiss-Morse, 2009: 8ff.

[23] Tajfel & Turner, 1986

[24] Meulemann, 2013: 16

[25] Liebert, 2002

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Nationale Identität als einzigartige Identitätsform
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Fakultät für Erziehenswissenschaften)
Veranstaltung
Schlüsselkonzepte internationaler Bildungsforschung
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
13
Katalognummer
V366108
ISBN (eBook)
9783668455887
ISBN (Buch)
9783668455894
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, nationale Identität, Nation, ethnische Pluralisierung, Identitätsformen
Arbeit zitieren
Doreen Singer (Autor:in), 2017, Nationale Identität als einzigartige Identitätsform, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/366108

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