Die Anfänge institutionalisierter Bildung bürgerlicher Mädchen zur Zeit der Spätaufklärung - ein erster Schritt zur Chancengleichheit und Gleichberechtigung?


Zwischenprüfungsarbeit, 2004

28 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Erziehung anhand der dreifachen Bestimmung von Mädchen und Frauen

3. Die Notwendigkeit institutionalisierter Mädchenbildung aufgrund der Auflösung des „ganzen Hauses“
3.1 Die Erziehung bürgerlicher Mädchen im „ganzen Haus“
3.2 Die Auflösung des ganzen Hauses als Vorbereitung institutionalisierter Mädchenbildung

4. Die Anfänge institutionalisierter Bildung bürgerlicher Mädchen
4.1 Schulformen für bürgerliche Töchter und deren Verbreitung
4.2 Die Organisation bürgerlicher Mädchenschulen
4.3 Unterricht an Höheren Töchterschulen
4.4 Ziele der Höheren Töchterschulen

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Auch wenn die rechtliche Situation im Deutschland der heutigen Zeit den Zustand völliger Chancengleichheit und Gleichberechtigung zwischen Mädchen und Jungen, zwischen Frauen und Männern vorgibt, präsentiert sich die Realität bei näherer Betrachtung doch deutlich konträr zu dieser Vorgabe. Noch immer ergreifen Mädchen in Deutschland „typische Mädchenberufe“, ebenso wie Jungen „typische Jungenberufe“ wählen. Noch immer sind Frauen im Vergleich zu Männern zu deutlich geringeren Prozentzahlen beruflich tätig, noch immer liegt der Lohn von Frauen bei gleicher Arbeit deutlich unter dem der Männer und noch immer finden sich weitaus weniger Frauen in Führungspositionen.[1]Einer der Grundsteine, die für diese gesellschaftliche Realität verantwortlich sind, stellt sicherlich Schule dar, welche in ihrem Rahmen diese Realität bildet.

In dieser Arbeit soll die Frage, inwieweit die Anfänge institutionalisierter Mädchenbildung zur Zeit der Spätaufklärung zu dieser Entwicklung beigetragen haben, und ob diese Anfänge ein erster Schritt auf dem langen, bislang offensichtlich noch nicht abgeschlossenen Weg zu Gleichberechtigung und Chancengleichheit beigetragen haben, thematisiert werden. Dabei müssen die Begriffe der Chancengleichheit, welcher in unserem heutigen Verständnis einen Zustand von „Fairness, Gleichbehandlung bei der Vergabe von Qualifizierungs- sowie Aufstiegsmöglichkeiten für jeden Menschen innerhalb einer Gesellschaft, unabhängig von seiner Abstammung, seinem Geschlecht und seiner sozialen Schichtzugehörigkeit“[2]beschreibt und der Gleichberechtigung, welcher das uneingeschränkt gleiche Recht für alle meint, im Kontext der jeweils beschriebenen Zeit betrachtet werden. Sicherlich war es zur Zeit der Spätaufklärung nicht das gesellschaftliche Bestreben, einen solchen Zustand auch für das weibliche Geschlecht zu erreichen und sicherlich waren auch die Rechte von Männern und Frauen klar differenziert. Fraglich bleibt dennoch, inwieweit Schule, im Besonderen die Mädchenbildung, zur Umsetzung der Zustände von Chancengleichheit und Gleichberechtigung in der modernen Zeit beigetragen hat. Des Weiteren bleibt zu fragen, in welchem Zusammenhang die Anfänge der Mädchenbildung zu der Tatsache stehen, dass unsere heutige Gesellschaft zwar den Anspruch an Chancengleichheit und Gleichberechtigung stellt, diesen aber noch immer nicht zu erfüllen vermag.

Dazu wird zunächst das gängige Bild von Mädchen und Frauen am Beispiel der Theorien wichtiger, zeitgenössischer Theoretiker der Spätaufklärung dargestellt, um die Art der Entwicklung des Mädchenschulwesens verständlich zu machen. Da die Entwicklung zu einem institutionalisierten Mädchenschulsystems eng an gesellschaftlich-soziale Prozesse geknüpft ist, wird im Anschluss an die theoretischen Darstellungen zum Wesen von Mädchen und Frauen ein Überblick über die typische soziale Organisationsform bürgerlicher Familien im ganzen Haus und die Auflösung dieser Organisationsform als eine der Grundlagen zur Entstehung eines Mädchenschulsystems beschrieben. Schließlich soll die Darstellung der Anfänge des bürgerlichen Mädchenschulwesens am Beispiel der Höheren Töchterschulen einen Überblick über die Umsetzung von gesellschaftlichen Vorstellungen zu Bildung und Erziehung geben und so einen Beitrag zur Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit leisten.

2. Erziehung anhand der dreifachen Bestimmung von Mädchen und Frauen

Die allgemeine Auffassung, welche Art von Erziehung und Bildung Mädchen und Frauen zuteil werden sollte, konzentrierte sich zur Zeit der Spätaufklärung durchgängig an der dreifachen Bestimmung von Mädchen und Frauen. Diese ergab sich nach den Erziehungstheorien der zeitgenössischen Pädagogen und Philosophen aus der natürlichen Bestimmung der Frau, welche in den Grundzügen die Bestimmungen zur Hausfrau, Gattin und Mutter umfasste. Diese natürliche Bestimmung resultierte sicherlich aus den gegebenen Sozialisationsbedingungen der bürgerlichen Töchter, welche von Kind an bis ins hohe Alter von Fremdbestimmung gekennzeichnet war. So definierte sich das weibliche Geschlecht der damaligen Zeit zunächst als Tochter, später als Gattin und Hausfrau, also immer in ihrer vorbestimmten sozialen Rolle, niemals aber als Persönlichkeit.
Schon früh wird klar, dass sich der Zuständigkeitsbereich für Mädchen und Frauen lediglich auf den inneren familiären Bereich konzentriert, dementsprechend wird auch die Erziehung der Mädchen theoretisiert.

Immanuel Kant, als einer der einflussreichsten Theoretiker bereits zu seiner Zeit, definierte das weibliche Geschlecht nach klaren Eigenschaften. Ihm zu Folge besitzt die Frau als grundlegende, positiv zu bewertende Charakterzüge „Witz, Scherz, gefällige Schmeichelei, Handlung in Übereinstimmung mit der Pflicht, soziale Interessen, gütige Teilnehmung und wohlwollende Empfindung“[3]. Ebenso besitze die Frau aber auch durchaus negative Eigenschaften wie Schwäche, Furchtsamkeit, fehlender sezierender Verstand und fehlende Tugend, da sie meist aus Neigung handele[4]. Trotz dieser „typisch weiblichen“ und emotionsgeleiteten Eigenschaften soll aber nach Kant auch die Frau derartig erzogen werden, dass ihre typischen Geschlechtsmerkmale gefördert werden. Begründet wird dies anhand der Vorstellung, dass die Frau nur zusammen mit ihren typischen Eigenschaften und in Zusammenhang mit dem Mann eine moralische Person bilden kann,[5]also auch nur so ein wertvolles Leben im Sinne von Gesellschaft und Religion führen kann. Auf diese Weise rechtfertigt Kant die weibliche Unmündigkeit dieser Zeit.

Auch Rousseau plädierte für eine typisch weibliche Erziehung, wobei sich seine Erziehungsziele weitgehend auf die natürliche Bestimmung der Frau als Gattin, vielmehr noch als Geliebte des Mannes bezogen. Dementsprechend sollte im Vordergrund der gesamten Erziehung von Mädchen der Bezug auf den Mann stehen, da „es dazu geschaffen ist, dem Mann zu gefallen und sich zu unterwerfen“[6] (Rousseau). Für Rousseau bedeutete Frau-Sein Dasein für andere, was jedoch nicht gleichzusetzen ist mit völliger Machtlosigkeit. Die typischen Eigenschaften der Frau beinhalten nach Rousseau durchaus zahlreiche frauentypische Waffen, wie Mitleiderregung und Koketterie, mit denen die Frau erheblichen Einfluss auf die männlichen Handlungen zu ihren Gunsten nehmen kann.[7] Rousseau bewertete diese Waffen der Frau jedoch nicht negativ, sondern wollte diese in der bürgerlichen Mädchenerziehung gefördert sehen, auch wenn sie die Frau zur eigentlichen Herrscherin der Institution Ehe machten.[8]Die hohe Bildung von Mädchen jedoch lehnte Rousseau strikt ab, da gebildete Frauen eine “Geißel für ihren Mann seien und sich lächerlich machten, da sie einfach nicht für den Stand der Bildung geschaffen seien.“[9] (Rousseau)
Einen anderen Schwerpunkt im Rahmen der dreifachen Bestimmung setzte der Pädagoge Campe, welcher seinerzeit bereits großen Einfluss auf die Bildung von Mädchen nahm und für eine Reformierung des gesamten Schulsystems, hin zur zweckmäßigen Erziehung und Bildung auch von Mädchen, plädierte. Seine Theorie der Mädchenerziehung stützt sich vorwiegend auf die weibliche Bestimmung als Hausfrau. Nach Campes Auffassung ist die Frau am nützlichsten für die Gesellschaft und auch am glücklichsten, wenn sie ihrer Bestimmung Folge leistet und in ihrem kleinen häuslichen Wirkungskreis ihre mütterlichen und hausfraulichen Eigenschaften, welche sich in Liebe zur Familie und zur Ordnung des Hauses niederschlagen sollten, walten lässt.[10] Auch wenn Campes Theorien bereits stark vom gesellschaftlichen Wandel dieser Zeit und den Auswirkungen der (vor-)industriellen Produktion gekennzeichnet sind, stützen sie sich doch auch noch stark auf die Erziehung von Mädchen innerhalb des Hauses. So sollten bereits in jungen Jahren typisch weibliche Tugenden und Fertigkeiten ausgebildet werden, welche den späteren Hausfrauen für die korrekte Erledigung ihrer Aufgaben zuträglich sein sollten. Wichtig waren ihm dabei vor allem häusliche Arbeiten, ein ausgereifter Hausverstand, Menschenkenntnis und Klugheit, wirtschaftliche Kenntnisse, Bescheidenheit, Geduld und Ordnungsliebe.[11] Diese Fertigkeiten bürgerlicher Frauen sah Campe als enorm wichtig an, da die Frauen in ihrer Funktion als Hausfrau dem Gesinde vorstehen und daher eine vernunftgeleitete Intuition ausgebildet haben müssen, um den Angestellten als Meisterin in allen hauswirtschaftlichen Belangen ein gutes Vorbild sein zu können und zudem auch auf die Bedürfnisse der Angestellten eingehen zu können[12]. Auf diese Weise erzielt die Frau, im Besonderen in der Stellung als Hausfrau, im besten Falle eine möglichst ökonomisch funktionierende Institution Ehe. Um in späteren Jahren ihrer Funktion als gute Hausfrau gerecht zu werden, sah Campe daher in der Mädchenerziehung das Erlernen von elf wichtigen Tugenden vor, welche das Mädchen schon in jungen Jahren auf ihre spätere Bestimmung vorbereiten. Ein Komplex dieser Tugenden bezieht sich auf das „seelische Korsett“[13] der Frau, welches auf dem grundsätzlichen Verzicht auf alle erotischen, intellektuellen und sozialen Triebe basiert.[14] Auf diese Weise sollte sich das Mädchen, beziehungsweise die Frau, an die lebenslange Abhängigkeit gewöhnen, welche der Frau nach Campe, im Gegensatz zu Rousseau, nicht angeboren ist, sondern erst erlernt werden muss.[15] Weiterhin sind nach Campe Tugenden, die in direktem Zusammenhang mit strikter Frömmigkeit stehen, enorm wichtig, da auch diese dazu beitragen, den schwachen Charakter der Frau zu kontrollieren. Ein weiterer Tugendkomplex ist auf das Zusammenleben mit dem Ehemann ausgerichtet. Schon früh sollte Mädchen Geduld, Sanftmut, Selbstverleugnung und Unempfindlichkeit anerzogen werden, da der häusliche Frieden von dem Betragen der Hausfrau abhänge. Die schließlich wichtigsten Bereiche in ihrem Leben als Hausfrau sind die Tugenden des häuslichen Arbeitskreises wie Sparsamkeit, Ordnungsliebe und Fleiß. Diese sind nach Campe deshalb so enorm wichtig, da das Ansehen einer Frau nur in dem Maße steigen kann, mit welchem Fleiß sie ihre häuslichen Pflichten erledigt.[16] Dementsprechend scheint die häusliche Arbeit die einzige Möglichkeit für Frauen der Spätaufklärung zu sein, gesellschaftliche Achtung zu erfahren. Das Erlernen der Tugenden zur Bestimmung als Hausfrau sollte nach Campe mit Vollendung des 15. Lebensjahres abgeschlossen sein.

[...]


[1]Vgl. http://www.students.uni-marburg.de/~Cyriax/uni/fuk/Frauen_Fuehrungspositionen.pdf

[2]Deutsches Wörterbuch. Mit der geltenden und der neuen Rechtschreibung. Hg. Von der Arbeitsgruppe für Sprachbetrachtung und Lexikographie der Universität Essen. Bergisch Gladbach: Honos, 1996. S.212.

[3]Tornieporth, Gerda: Studien zur Frauenbildung. Ein Beitrag zur historischen Analyse lebensweltorientierter Bildungskonzeptionen. Weinheim und Basel: Beltz, 1977,S. 49.

[4]Tornieporth, Gerda: Studien zur Frauenbildung. Ein Beitrag zur historischen Analyse lebensweltorientierter Bildungskonzeptionen. Weinheim und Basel: Beltz, 1977,S. 49.

[5]Ebd., S. 50.

[6]J.J.Rousseau: Emile oder Von der Erziehung (1762). München 1979,S.55.In: Schmid, Pia: Weib oder Mensch, Wesen oder Wissen? Bürgerliche Theorien zur weiblichen Bildung um 1800. In: Kleinau, Elke und Opitz, Claudia: Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Band 1. Vom Mittelalter bis zur Aufklärung. Frankfurt am Main, New York: Campus, 1996

[7]Vgl. Schmid, Pia:. Weib oder Mensch, Wesen oder Wissen? Bürgerliche Theorien zur weiblichen Bildung um 1800. S. 329.

[8]Vgl. Schmid, Pia: Weib oder Mensch, Wesen oder Wissen? Bürgerliche Theorien zur weiblichen Bildung um 1800. S. 330.

[9]Schmid, Pia: Weib oder Mensch, Wesen oder Wissen? Bürgerliche Theorien zur weiblichen Bildung um 1800. S. 331..

[10]Vgl. ebd., S. 332.

[11]Vgl. ebd., S. 333.

[12]Tornieporth, Gerda: Studien zur Frauenbildung. Ein Beitrag zur historischen Analyse lebensweltorientierter Bildungskonzeptionen. S. 65.

[13]Vgl. ebd., S. 66.

[14]Vgl. ebd., S. 66.

[15]Vgl. ebd., S.66.

[16]Vgl. ebd., S.67.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die Anfänge institutionalisierter Bildung bürgerlicher Mädchen zur Zeit der Spätaufklärung - ein erster Schritt zur Chancengleichheit und Gleichberechtigung?
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
28
Katalognummer
V36716
ISBN (eBook)
9783638362580
Dateigröße
549 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anfänge, Bildung, Mädchen, Zeit, Spätaufklärung, Schritt, Chancengleichheit, Gleichberechtigung
Arbeit zitieren
Simone Alberts (Autor:in), 2004, Die Anfänge institutionalisierter Bildung bürgerlicher Mädchen zur Zeit der Spätaufklärung - ein erster Schritt zur Chancengleichheit und Gleichberechtigung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36716

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