Nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes setzte in Russland Ende der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts ein wirtschaftlicher und politischer Transformationsprozess mit dem Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft ein, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Ziel des Transformationsprozesses ist es, funktionierende marktwirtschaftliche Strukturen nach westlichem Vorbild aufzubauen. Es ist unbestritten, dass ein leistungsfähiges Bankensystem ein Kernelement einer jeden gut funktionierenden Marktwirtschaft bildet. Empirische Studien belegen auch, dass ein gesundes Bankensystem ein Motor für eine erfolgreiche wirtschaftliche Umgestaltung in Transformationsländern ist. Der Umbau des Bankensystems von einem staatlichen Monobankensystem zu einem privatwirtschaftlichen zweistufigen Bankensystem ist daher ein maßgeblicher Teil der Reformen der Wirtschaftstransformation in Russland. Wie schwierig es ist, ein leistungsfähiges Bankensystem in einem Transformationsland aufzubauen, zeigt sich u. a. darin, dass selbst in Ländern mit einer entwickelten Marktwirtschaft Bankenkrisen unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und trotz funktionierender Bankenaufsicht auftreten und großen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Ursachen sind dann unter anderem Zinsrisiken wie bei den US-amerikanischen Savings und Loans Associations. In einem Transformationsland wie der Russischen Föderation besteht deshalb besonders die Gefahr, dass das Wachstum und die Entwicklung des Bankensektors mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes nicht Schritt halten können und dass das Bankensystem nicht zum Motor, sondern zur Bremse der Wirtschaftstransformation wird. Diese Diplomarbeit befasst sich mit der Frage, welche Rolle der Bankensektor im wirtschaftlichen Transformationsprozess Russlands zwischen 1990 und heute spielte und ob er dieser Rolle gerecht werden konnte. Eines der ersten und wichtigsten Werke zu diesem Thema ist die 1996 von Karin Weber verfasste Dissertation unter dem Titel: „Die Entwicklung des russischen Bankensystems im Transformationsprozess: eine ökonomische Analyse unter Berücksichtigung institutionenökonomischer Ansätze“. Viele Ansätze aus dieser Dissertation flossen auch in die vorliegende Diplomarbeit mit ein. [...]
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
A. Allgemeine Hauptfunktionen von Banken
A.1. Begriffliche Abgrenzungen
A.1.1. Der Bankbegriff
A.1.2. Banken als Finanzintermediäre
A.1.2.1. Finanzintermediäre im weiteren und im engeren Sinne
A.1.2.2. Typologisierung von Finanzintermediären anhand des Tauschprozesses
A.2. Volkswirtschaftliche Bedeutung der Banken
A.2.1. Funktionen von Banken in einer Volkswirtschaft
A.2.1.1. Fristen- und Liquiditätstransformation
A.2.1.2. Losgrößentransformation
A.2.1.3. Risikotransformation
A.2.1.4. Gesamtwirtschaftlicher Zahlungsverkehr und Banken
A.2.2. Endogene Erklärung der Notwendigkeit von Banken
A.2.2.1. Transaktionskostensenkung
A.2.2.2. Vertragskostensenkung durch Finanzintermediation
A.2.2.3. Liquiditätssicherung für die Kapitalgeber durch die Banken
B. Das Bankensystem Russlands
B.1. Unternehmensfinanzierung als zentrale Rolle der Banken in Russland
B.2. Der Übergang vom sowjetischen zum post-sowjetischen Bankensystem
B.3. Die Entwicklung des Bankensektors in der Jelzin-Ära
B.3.1. Dominanz von Bargeldzahlungen
B.3.2. Dollarisierung der Wirtschaft
B.3.3. Korruption und Kriminalität im russischen Bankensektor
B.3.3.1. Kriminalität im russischen Bankensektor
B.3.3.1.1. Anlegerbetrug
B.3.3.1.2. Falschmünzerei
B.3.3.1.3. Kapitalflucht
B.3.3.1.4. Geldwäsche, Schutzgelderpressung und Auftragsmorde
B.3.3.2. Korruption im russischen Bankensektor
B.3.3.2.1. Der Begriff Korruption
B.3.3.2.2. Rent-seeking Aktivitäten der Banken
B.3.3.2.2.a. Das System der autorisierten Banken
B.3.3.2.2.b. Privatisierung von Staatsunternehmen
B.3.3.2.3. Medienkontrolle durch Banken
B.3.3.3. Folgen von Korruption und Kriminalität im Bankensektor
B.3.5. Kreditvergabe durch Banken
B.4. Die Banken- und Finanzkrise von 1998
B.4.1. Ursachen der Krise
B.4.2. Verlauf und Folgen der Krise
B.4.3. Ausweg aus der Krise
B.5. Die Entwicklung des Bankensystems von 1998 bis heute
B.6. Heutiger Aufbau des russischen Bankensystems
B.6.1. Gesetzliche Grundlagen
B.6.2. Die Zentralbank
B.6.2.1. Die Bankenaufsicht als Funktion der Zentralbank
B.6.3. Die Geschäftsbanken
B.6.3.1. Finanz-industrielle Gruppen
B.6.3.2. Die größten russischen Geschäftsbanken
B.6.3.2.1. Gazprombank
B.6.3.2.2. Bank Moskvy
B.6.3.2.3. Al'fa Bank
B.6.3.3. Ausländische Banken in Russland
B.7. Die Reform des Bankensystems
B.7.1. Die Privatisierung der staatlichen Banken
B.7.1.1. Sberbank
B.7.1.2. Vne š torgbank
B.7.2. Das Einlagensicherungssystem
Fazit und Zukunftsausblick
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zur Umschrift des russischen Alphabets
Für die lateinische Umschreibung der kyrillischen Buchstaben wurde in dieser Arbeit die internationale wissenschaftliche Transliteration nach DIN 1460 und ISO R9 verwendet. Als einzige Ausnahme wurde der Name Jelzin (nach Transliteration El'cin) mit Hilfe der Duden-Transkripion umgeschrieben, da diese Schreibweise dem deutschen Leser geläufig ist und in Verbindung mit "Jelzin-Ära" zu einem festen Begriff geworden ist. Die Transliteration wirkt in diesem Fall sehr befremdlich.
Einleitung
Nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes setzte in Russland Ende der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts ein wirtschaftlicher und politischer Transformationsprozess mit dem Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft ein, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Ziel des Transformationsprozesses ist es, funktionierende marktwirtschaftliche Strukturen nach westlichem Vorbild aufzubauen.
Es ist unbestritten, dass ein leistungsfähiges Bankensystem ein Kernelement einer jeden gut funktionierenden Marktwirtschaft bildet. Empirische Studien belegen auch, dass ein gesundes Bankensystem ein Motor für eine erfolgreiche wirtschaftliche Umgestaltung in Transformationsländern ist. Der Umbau des Bankensystems von einem staatlichen Monobankensystem zu einem privatwirtschaftlichen zweistufigen Bankensystem ist daher ein maßgeblicher Teil der Reformen der Wirtschaftstransformation in Russland.
Wie schwierig es ist, ein leistungsfähiges Bankensystem in einem Transformationsland aufzubauen, zeigt sich u.a. darin, dass selbst in Ländern mit einer entwickelten Marktwirtschaft Bankenkrisen unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und trotz funktionierender Bankenaufsicht auftreten und großen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Ursachen sind dann unter anderem Zinsrisiken wie bei den US-amerikanischen Savings und Loans Associations. In einem Transformationsland wie der Russischen Föderation besteht deshalb besonders die Gefahr, dass das Wachstum und die Entwicklung des Bankensektors mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes nicht Schritt halten können und dass das Bankensystem nicht zum Motor, sondern zur Bremse der Wirtschaftstransformation wird.
Diese Diplomarbeit befasst sich mit der Frage, welche Rolle der Bankensektor im wirtschaftlichen Transformationsprozess Russlands zwischen 1990 und heute spielte und ob er dieser Rolle gerecht werden konnte. Eines der ersten und wichtigsten Werke zu diesem Thema ist die 1996 von Karin Weber verfasste Dissertation unter dem Titel: „Die Entwicklung des russischen Bankensystems im Transformationsprozess: eine ökonomische Analyse unter Berücksichtigung institutionenökonomischer Ansätze“. Viele Ansätze aus dieser Dissertation flossen auch in die vorliegende Diplomarbeit mit ein.
Zur Beantwortung der Frage nach der Rolle des Bankensystems werden zunächst in einem ersten allgemeinen Teil die Funktionen von Banken innerhalb einer Volkswirtschaft analysiert. Dabei soll das heute übliche Verständnis der Bankenfunktionen dargelegt werden, denn der Schwerpunkt der Funktionen von Banken hat sich im Laufe der Zeit verändert. Als Grundlage für diesen ersten Teil diente das Standardwerk "Geld-, Bank- und Börsenwesen", herausgegeben von Jürgen von Hagen und Johann Heinrich von Stein. Dieses Werk stellt eine der umfangreichsten Aufsatzsammlungen zu diesem Thema dar.
Im sich anschließenden zweiten Teil werden die Umgestaltung des Bankensektors im post-sowjetischen Transformationsprozess und die dabei aufgetretenen Probleme dargestellt. Dazu soll zuerst der Übergang vom sowjetischen zum post-sowjetischen Bankensystem und dann dessen Entwicklung in der Jelzin-Ära bis zur Bankenkrise 1998 untersucht werden. In diesem Kontext wird auf eine Vielzahl von Problemen eingegangen, die auf die Entwicklung des Bankensystems maßgeblichen Einfluss hatten, wie die Privatisierung der Unternehmen durch Voucher und Aktien-Kredit-Swaps, die Dollarisierung der Wirtschaft, Korruption und Kriminalität im Bankensektor u.a. Anschließend werden die Ursachen und Folgen der Banken- und Finanzkrise von 1998 aufgezeigt.
Danach werden die Entwicklung und der Stand des Bankensystems von 1998 bis 2003 dargestellt. Es folgt eine umfassende Beschreibung des russischen Bankensystems nach dem heutigen Stand. Diese Beschreibung umfasst die gesetzlichen Grundlagen, die Zentralbank und die Geschäftsbanken. Zum Schluss wird die anstehende Bankenreform (Einlagensicherung, Privatisierung der Staatsbanken) erläutert und ein Zukunftsausblick über die weitere Entwicklung des Bankwesens gegeben. Neben der Dissertation von Weber liegen dem zweiten Teil vor allem Publikationen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, des Bundesinstituts für Ostwissenschaftliche Studien, der Stiftung Wissenschaft und Politik, des Internationalen Währungsfonds, des Institute for Economies in Transition der Bank of Finland, der Zentralbank der Russischen Föderation, der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen sowie der Zeitschrift Osteuropa zu Grunde. Darunter befinden sich Publikationen von Roland Götz, Ognian Hishow, Klaus Schröder, Mechthild Schrooten, Heiko Pleines und Ulrich Thiessen, die alle ihren Forschungsschwerpunkt auf die wirtschaftliche Entwicklung der osteuropäischen Transformationsländer gelegt haben. Für die aktuellen Daten wurden die Zeitschriften The Moscow Times, Ekspert, Russia Today und RIA Novosti herangezogen.
A. Allgemeine Hauptfunktionen von Banken
A.1. Begriffliche Abgrenzungen
A.1.1. Der Bankbegriff
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die synonyme Verwendung der Begriffe Bank, Bankbetrieb, Kreditinstitut und Geldinstitut üblich. Nach §39 KWG (Gesetz über das Kreditwesen) ist „Bank“ ein geschützter Begriff für Kreditinstitute, die eine Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften besitzen. Kreditinstitute sind gemäß §1 (1) KWG Unternehmen, die Bankgeschäfte betreiben, wenn der Umfang dieser Geschäfte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Die einzelnen Bankgeschäfte sind gemäß §1(1) KWG:
- Annahme fremder Gelder als Einlagen, ohne Rücksicht darauf, ob Zinsen vergütet werden (Einlagengeschäft)
- Gewährung von Gelddarlehen und Akzeptkrediten (Kreditgeschäft)
- Ankauf von Wechseln und Schecks (Diskontgeschäft)
- Anschaffung und Veräußerung von Wertpapieren für andere (Effektengeschäft)
- Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere (Depotgeschäft)
- Geschäfte gemäß §1 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (Investmentgeschäft)
- Eingehen der Verpflichtung, Darlehensforderungen vor Fälligkeit zu erwerben
- Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen für andere (Garantiegeschäft)
- Durchführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und des Abrechnungsverkehrs (Girogeschäft)
„Kreditinstitute sind demnach: Kreditbanken, Sparkassen, Landesbanken, Genossenschaftsbanken und genossenschaftliche Zentralkassen, Realkreditinstitute, Teilzahlungskreditinstitute, Kreditinstitute mit Sonderaufgaben und Kapitalanlagegesellschaften“ (Gabler532).
Eine Reihe von Institutionen, wie z.B. die Deutsche Bundesbank, gelten gemäß §2(1) KWG nicht als Kreditinstitute i.S. des Gesetzes, obwohl sie eindeutig Bankgeschäfte i.S. des §1(1) KWG tätigen. Diese Legaldefinition ist zudem auf den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland beschränkt.
Der ökonomische Bankbegriff eignet sich auch bei grenzüberschreitender Betrachtung. Er ist weiter gefasst und schließt neben den Geschäftsbanken auch die Zentralbanken mit ein. Der im EU-Raum verwendete Begriff „monetäre Finanzinstitute“ (MFI) ist weiter gefasst als der Begriff „Kreditinstitute“ und umfasst neben den Kreditinstituten nach §1(1) KWG auch noch einen Teil der in §1(3) als Finanzinstitute definierten Einrichtungen.
A.1.2. Banken als Finanzintermediäre
Die Unternehmung Bank ist die bekannteste Form eines Finanzintermediärs. Dabei wird der Begriff Finanzintermediär als „Wirtschaftssubjekte, die an Tauschvorgängen beteiligt sind, die Finanzierungstitel betreffen“ (Fischer/Rudolph373) definiert. Neben den Banken sind noch viele weitere Institutionen als Finanzintermediäre einzustufen. Dazu zählen u.a. Investmentfonds, Rating-Agenturen und Lebensversicherungsgesellschaften. Die verschiedenen Formen von Finanzintermediären stehen zueinander und zu den Banken in Konkurrenz. Es ist deshalb notwendig, die Besonderheiten der Banken im Kontext der Finanzintermediation zu analysieren.
In der Literatur finden sich vor allem zwei verschiedene Ansätze zur Typologisierung von Finanzintermediären. Der erste Ansatz unterscheidet Finanzintermediäre im engeren und im weiteren Sinne. Als klassenbildendes Unterscheidungsmerkmal dient dabei die Frage, ob der Finanzintermediär eine eigenständige Stellung als Vertragspartner im Tauschprozess einnimmt oder ob er die direkte Finanzierung nur unterstützt bzw. ermöglicht. Der zweite Ansatz teilt die Finanzintermediäre nach den Phasen des Tauschprozesses ein, an denen sie sich beteiligen. Beide dieser Typologisierungen sollen hier kurz vorgestellt werden.
A.1.2.1. Finanzintermediäre im weiteren und im engeren Sinne
In allgemeiner Form definieren Langer/Weber den Finanzintermediär als einen Mittler zwischen Kapitalangebot und -nachfrage. Finanzintermediäre im weiteren Sinne sind „Individuen oder Institutionen, die den Handel zwischen Kapitalgebern und -nehmern ermöglichen oder erleichtern“ (Langer/Weber202). Als Beispiele können Finanzmakler, die Angebot und Nachfrage zusammenführen, Rating-Agenturen, die Aussagen über die Qualität der Kapitalnachfrage machen oder auch Finanzanalysten, die ebenfalls Kapitalnehmern bei der Anlageentscheidung helfen, genannt werden. Finanzintermediäre i.w.S. unterstützen die verschiedenen Funktionen des Marktes. So erleichtern z.B. Broker, die Angebot und Nachfrage nach Wertpapieren entgegennehmen und an den Finanzmärkten zur Ausführung bringen, die Koordinationsfunktion des Marktes. Rating-Agenturen unterstützen die Allokationsfunktion des Marktes, indem sie inhaltlich korrekte und umfangreiche Informationen über die gehandelten Güter bereitstellen. Diese Informationen sind notwendig, um denjenigen, die Kapital benötigen, das von Kapitalgebern zur Verfügung gestellte Kapital zuzuführen.
Ein Finanzintermediär i.e.S. wird als ein Individuum oder eine Institution definiert, die Kapital von Anlegern entgegennimmt und an Kapitalnehmer weitergibt. Neben den Banken, die Kapital von Sparern aufnehmen und es in Form von Krediten weitergeben, zählen dazu auch Venture Capital Fonds, die Kapital sammeln, um es jungen, innovativen Unternehmen als Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. Ein Finanzintermediär i.e.S. verarbeitet außerdem das ihm zur Verfügung stehende Kapital und produziert neue Finanzkontrakte. Nach dieser Definition zählt also eine Institution, die sich ausschließlich dem Zahlungsverkehr widmet, nicht zu den Finanzintermediären i.e.S.
A.1.2.2. Typologisierung von Finanzintermediären anhand des Tauschprozesses
Fischer/Rudolph unterscheiden vier verschiedene Grundtypen von Intermediären, die sich in verschiedene Phasen der Tauschprozesse an Finanzmärkten einschalten. Die Tauschphasen untergliedern sich in die Anbahnungsphase, die Kontrahierungsphase und die Realisationsphase. Die Anbahnungsphase ist durch die Beschaffung von Informationen gekennzeichnet, die zur Durchführung eines Tauschgeschäfts nötig sind. Finanzintermediäre als Informationsproduzenten beteiligen sich an dieser ersten Phase. In der Kontrahierungsphase werden die konkreten Vertragsbedingungen für den Tausch, insbesondere der Preis, ausgehandelt. In der dritten Phase, der Realisationsphase, müssen die Tauschobjekte ihrem Wesen nach verändert werden (Transformation) und schließlich bedarf es des tatsächlichen Austausches (Austauschvorgang). Je nach den Phasen, an denen sie beteiligt sind, ergeben sich vier Arten von Finanzintermediären:
Finanzgutachter sind in der Anbahnungsphase tätig und sorgen dafür, dass eine ungleiche Informationsverteilung zwischen den Tauschpartnern verringert wird und unterstützen so den Austausch. Zu den typischen Gutachtern zählen Rating-Agenturen, Wirtschaftsprüfer, Finanzanalysten und Informationsbörsen.
Finanzauktionatoren unterstützen die Bestimmung des Tauschverhältnisses für Finanzierungstitel und schalten sich demnach in den Prozess der Preisermittlung ein. Zu den Auktionatoren rechnet man u.a. Broker und Kursmakler, aber auch Emissionsbanken im Going-Public-Geschäft.
Finanzhändler/Market-Maker übernehmen Finanzierungstitel des originären Tauschpartners und übermitteln sie an den jeweils anderen Tauschpartner. Sie schalten sich damit in die Realisationsphase des Austauschprozesses ein. Zu ihnen zählen die Wertpapierhändler der Kreditinstitute, Betreuer sowie spezielle Anbieter von Kredit- und Anlagefazilitäten, wie beispielsweise Immobilienfonds.
Finanzproduzenten bieten eine umfassende Form der Finanzintermediation. Sie unterziehen die von einem Tauschpartner erhaltenen Finanzierungstitel einer Transformation, bevor sie diese weiterreichen. Zu ihnen gehören insbesondere die Geschäfts- und Spezialbanken, aber auch Kapitalanlagegesellschaften, Kapitalbeteiligungsgesellschaften u.a. Auch die Wertpapierbörsen werden in dieser Einteilung zu den Finanzproduzenten gezählt, was jedoch nicht unumstritten ist. Die Finanzproduzenten und damit auch die Banken, stellen den am weitesten entwickelten Grundtyp eines Finanzintermediärs dar, weil sie sich in alle Phasen des Tauschprozesses einschalten und somit eine umfassende Palette von Intermediationsleistungen erbringen.
A.2. Volkswirtschaftliche Bedeutung der Banken
In einer modernen arbeitsteiligen Volkswirtschaft vollzieht sich der Leistungsaustausch zwischen den Wirtschaftssubjekten unter Zwischenschaltung von Geld. Um eine reibungslose Versorgung mit Zahlungsmitteln sowie die Aufrechterhaltung des gesamtwirtschaftlichen Geldkreislaufes sicherzustellen, bedarf es eines Intermediärs. Finanzsysteme sind durch die an ihnen beteiligten Akteure, insbesondere Kapitalanbieter und –nachfrager sowie durch verschiedene Finanzintermediäre gekennzeichnet. Finanzintermediäre üben bei der Zusammenführung von Angebot und Nachfrage vielfältige Funktionen aus. Die Banken als herausragende Gruppe der Finanzintermediäre nehmen dabei besonders zentrale Funktionen wahr und sind daher ein wichtiger Teil der Infrastruktur eines Finanzsystems. Als Finanzsystem bezeichnet man das Geflecht von Institutionen, Märkten und Verträgen, das dafür sorgt, dass ein Kapitalgeber seine Mittel nutzbringend anlegen kann und ein Kapitalnehmer Ausgaben finanzieren kann, für die seine eigenen Mittel nicht ausreichen. Dies ermöglicht die Mobilisierung umfangreicher Mittel, wie sie etwa für die Finanzierung großer Industrieanlagen benötigt werden. Die Entwicklung moderner Volkswirtschaften ist daher eng mit der Entwicklung des jeweiligen Finanzsystems verknüpft. Man könnte also sagen, das Funktionieren des Finanzsystems und damit auch des Bankwesens ist lebensnotwendig für die Volkswirtschaft. Um diese Aussage zu überprüfen, werden zuerst die Funktionen erläutert, die das Bankwesen in einer Volkswirtschaft wahrnimmt und anschließend geprüft, ob diese Funktionen nur von Banken allein oder auch von Märkten übernommen werden können.
A.2.1. Funktionen von Banken in einer Volkswirtschaft
Die makroökonomische Funktion der Finanzmärkte besteht darin, die in einer Volkswirtschaft verfügbaren, anlagebereiten Mittel zu mobilisieren und sie unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken jenen Investitionen zuzuführen, welche die höchsten Erträge erwirtschaften. Im Rahmen des dazu notwendigen Tauschprozesses ergibt sich das Problem, die unterschiedlichen Wünsche von Kapitalgebern und –nehmern in Einklang zu bringen. Kapitalgeber sind oft auf Grund ihrer Liquiditätsvorliebe, Risikoscheu, Informationsdefizite oder des geringen Umfangs ihrer Mittel nicht bereit, ihre Mittelanlage unmittelbar bei einem Realinvestor vorzunehmen. Banken als Finanzproduzenten üben hierbei eine wichtige Transformationsfunktion aus und mobilisieren die Anlagebereitschaft der Kapitalgeber. Die Transformation vollzieht sich im Bereich der Fristen, Losgrößen, Risiken und der Liquidität.
A.2.1.1. Fristen- und Liquiditätstransformation
Eine der vier wichtigsten Transformationsfunktionen von Finanzintermediären ist die Fristentransformation. Grundsätzlich dient das Finanzsystem dem intertemporalen Tausch. Dabei stellt der Kapitalgeber dem Kapitalnehmer eine Geld- oder Sachleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung und erhält dafür ein Versprechen auf eine Gegenleistung in der Zukunft. Der Wert der versprochenen Gegenleistung ist i.d.R. höher als der Wert der Leistung des Kapitalgebers, wodurch sich eine Verzinsung für die Anlage ergibt. Kapitalgeber und –nehmer besitzen dabei oft unterschiedliche Vorstellungen über die Laufzeit der Kapitalanlage bzw. –aufnahme. Kapitalnehmer benötigen oft langfristige Kredite, weil sich beispielsweise Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen erst in späteren Jahren in marktfähige Produkte umsetzen lassen. Kapitalgeber ziehen eine jederzeitige Verfügbarkeit des angelegten Kapitals auf Grund nicht vorhersehbarer Liquiditätsbedürfnisse vor.
Banken als Finanzintermediäre betreiben nun Fristentransformation, indem sie die unterschiedlichen Zeiträume für Kapitalanlage und –aufnahme in laufzeitmäßige Übereinstimmung bringen. Das kann durch geschickte Auswahl von Kapitalgebern und –nehmern erreicht werden oder auch dadurch, dass kurzfristige Einlagen erneuert oder von anderen Kapitalgebern zur Verfügung gestellt werden. Im Allgemeinen vergeben Banken sehr viel mehr langfristige Kredite als sie langfristige Einlagen gewinnen können. Der mit der Fristentransformation verbundene Ertragsvorteil ist bei normalem ansteigendem Verlauf der Zinsstrukturkurve positiv, da sich Banken ihre Mittel kurzfristig zu niedrigeren Zinsen beschaffen als sie sie langfristig ausleihen. Allerdings sind mit der Fristentransformation besonders hohe Geldanschluss- und Ertragsrisiken verbunden, wenn der kurzfristige Zinssatz über dem längerfristigen liegt (Zinsänderungsrisiko). Während Fristentransformation eine langfristige Mittelvergabe bei kurzfristiger Kapitalüberlassung bezeichnet, bedeutet Liquiditätstransformation die Finanzierung illiquider Investitionen mit hochliquiden Finanzaktiva.
A.2.1.2. Losgrößentransformation
Losgrößentransformation besagt, dass die Vorstellungen von Kapitalgebern und –nehmern bezüglich der Höhe des zu investierenden bzw. aufzunehmenden Kapitals in Übereinstimmung gebracht werden. Den Banken steht dabei die Summe aller Einzahlungen zur Verfügung und es können somit Investitionsprojekte in Größenordnungen finanziert werden, für die die Einlagen von einem oder einiger weniger Kapitalgeber nicht ausreichen würden. Ohne Finanzintermediäre würden weniger rentable Investitionen getätigt, wo eigene Mittel zur Verfügung stehen und an anderer Stelle könnten rentablere Investitionen nicht getätigt werden, weil keine eigenen Mittel zur Verfügung stehen. Finanzintermediäre sorgen nun dafür, dass solche Verzerrungen eingeschränkt werden und stellen sicher, dass auch das Wachstum neuer Unternehmen und neuer Branchen finanziert wird. Dazu bedarf es oft der dritten Transformationsfunktion, der Risikotransformation.
A.2.1.3. Risikotransformation
Typischerweise sind mit jeder Kapitalüberlassung Risiken verbunden, weil Investitionsrückflüsse vom wirtschaftlichen Erfolg des Kapitalnehmers abhängen und dieser mehr oder weniger unsicher ist. Zwar ist der Anspruch des Kapitalgebers auf Zinsen und Tilgung bei einer Kreditfinanzierung unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Kapitalnehmers, doch lässt sich nicht ausschließen, dass der Kapitalnehmer seiner Verpflichtung nicht nachkommen kann. Die von den Banken im Einzelengagement übernommenen Kreditausfallrisiken schlagen im Regelfall nicht unmittelbar auf die Einleger durch. Die Kunden der Bank werden im Passivgeschäft mit Liquidität versorgt und gegen das Risiko des plötzlichen Mittelbedarfs abgesichert. Im Aktivgeschäft nutzt die Bank den Diversifizierungseffekt im Querschnitt über die verschiedenen Unternehmen, denen sie Kredite gibt. Soweit es sich im Aktiv- und Passivgeschäft um individuelle Risiken handelt, d.h. um solche Risiken, die im Aggregat bei einer großen Zahl von Einlegern und Kreditnehmern so gut wie nicht ins Gewicht fallen, kann die Bank den Betroffenen diese Risiken abnehmen, ohne sie sonst jemandem zu übertragen.
Risikotransformation muss aber nicht notwendigerweise mit Diversifikation und Risikoverringerung gleichgesetzt werden. Die Leistung des Finanzintermediärs in ihrer allgemeinen Form besteht darin, ein spezielles, vom Kapitalgeber gewünschtes Risikoprofil durch einen Finanzkontrakt zur Verfügung zu stellen.
A.2.1.4. Gesamtwirtschaftlicher Zahlungsverkehr und Banken
Dem Kreditgewerbe und damit den Banken fällt als Kassenhalter der Gesamtwirtschaft eine besondere Rolle zu. Die Versorgung der Wirtschaft mit dem erforderlichen Bargeld erfolgt fast ausschließlich über die Kreditinstitute. Das in der Wirtschaft nicht benötigte Bargeld fließt über die Kreditinstitute an die Zentralbank zurück. Die Teilnahme am modernen Wirtschaftsleben erfordert ein dauerndes Leisten und Empfangen von Zahlungen. Zahlungen werden vorgenommen, um eine Lieferung oder Leistung zu bezahlen, um Kredite aus- bzw. zurückzuzahlen, um öffentliche Abgaben (Steuern) zu entrichten, aber auch um Unterstützungen (z.B. Renten, Arbeitslosengeld) oder Spenden zu leisten. Ein funktionsfähiges Zahlungssystem ist also Bedingung dafür, dass das Geld seine Tauschmittelfunktion in einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft erfüllen kann.
A.2.2. Endogene Erklärung der Notwendigkeit von Banken
Um die Notwendigkeit von Banken für eine Volkswirtschaft zu erklären, muss man die Frage beantworten, warum Banken bestimmte Leistungen effizienter erbringen können als andere Institutionen. Endogen bedeutet dabei, dass die Existenz von Banken nicht ad hoc angenommen wird, sondern durch die Überlegungen zur Notwendigkeit von Banken erst hergeleitet wird. Dabei ist die Frage zu beantworten, wodurch Banken im Rahmen ihrer Intermediationstätigkeit Wohlfahrtsgewinne verursachen, die andere Institutionen (insbesondere Märkte) nicht in gleicher Weise erbringen können. Es ist dabei wichtig, in der Analyse von einem unvollkommenen Marktmodell auszugehen. Bei einem vollkommenen Kapitalmarkt ließe sich die Existenz von Finanzintermediären gar nicht erklären. Alle in einem solchen Modellrahmen denkbaren Transformationsleistungen der Bank könnten auch in direkten Finanzbeziehungen zwischen Kapitalgebern- und nehmern nachgebildet werden. Die Banken bieten außerdem auch Vorteile, die nicht durch die klassische Intermediation abgedeckt werden.
A.2.2.1. Transaktionskostensenkung
Durch die Intermediation von Banken wird das Geflecht von Vertragsbeziehungen in einer Volkswirtschaft dramatisch vereinfacht. Bei einem Modell einer Volkswirtschaft mit einer Million privaten Haushalten und eintausend Unternehmen würden zwischen allen diesen Marktteilnehmern bis zu einer Milliarde bilateraler Verträge abgeschlossen werden müssen, um für Haushalte wie für Unternehmen eine ideale Diversifizierung ihrer Risiken zu erreichen. Wird eine Bank dazwischen geschaltet, so reduziert sich die Menge der erforderlichen Verträge auf eine Million Einlagenverträge der Bank mit den privaten Haushalten und eintausend Kreditverträge mit den Unternehmen. Dementsprechend verringern sich die Transaktionskosten des Tauschs (Hellwig16). Diese Argumentation ist jedoch keineswegs bankspezifisch. In analoger Weise nutzt zum Beispiel ein Supermarkt Skalenerträge und vermeidet damit ineffiziente Kleinsttransaktionen zwischen Produzenten und Verbrauchern. Durch die Fortentwicklung und Verbreitung der Computertechnologie verlieren die klassischen Kosten von Finanztransaktionen immer mehr an Bedeutung. Der Transaktionskostenbegriff lässt sich aber noch erweitern und schließt auch Kosten der Vertragsanbahnung (Zusammenführung der Vertragspartner), Informationsbeschaffung und Vertragsüberwachung mit ein.
A.2.2.2. Vertragskostensenkung durch Finanzintermediation
Im folgenden Abschnitt werden Argumente dafür angeführt, dass sich die Vertragskosten zwischen Kapitalnehmer und -geber durch Finanzintermediation senken lassen. Finanzintermediation verursacht damit allgemeine Wohlfahrtsgewinne für die beteiligten Akteure. Die Aussage, Finanzintermediation senke die Vertragskosten, scheint auf den ersten Blick gar nicht plausibel, denn bei einer direkten Beziehung zwischen Kapitalgeber und –nehmer fallen nur einmal Vertragskosten an. Dagegen gibt es bei einer Intermediationslösung zwei Transaktionsebenen, die Kosten verursachen können: die Ebene Finanzintermediär − Unternehmer und die Ebene Finanzintermediär − Investor. Auf beiden Ebenen sind durch Finanzintermediation erhebliche Kosteneinsparungen möglich.
Das Modell von Diamond zeigt, wie Skalenerträge bei der Informationsbeschaffung ex-post durch Monitoring des Projektergebnisses erzielt werden können (Langer/Weber211-214). Diamond stellt zuerst fest, dass die Erträge der Unternehmerprojekte ex-post für die Investoren nicht beobachtbar sind. Nur der Unternehmer selbst kann kostenlos den eingetretenen Projektertrag beobachten. Dadurch kann der Investor die zu leistenden Rückzahlungen, u.a. den Risikoaufschlag, nicht in Abhängigkeit vom Projektertrag definieren und wird durch diese Informationsasymmetrie ein an sich lukratives Projekt nicht zu finanzieren bereit sein. Eine Lösungsmöglichkeit besteht nun darin, das Projekt kostenverursachend zu überwachen (Monitoring). Damit wird der tatsächlich eingetretene Projektertrag für den überwachenden Investor beobachtbar. Im Modell werden für eine solche Überwachung fixe Kosten in Höhe von k angenommen, die unabhängig von der Größe des Finanzierungsvolumens sind. Diese Monitoring-Lösung ist dann besonders teuer, wenn das verfügbare Kapital der einzelnen Investoren im Vergleich zum benötigten Finanzierungsvolumen des Unternehmers relativ gering ist, also viele Investoren ein einziges Projekt finanzieren. Diamond argumentiert nun mit Skalenerträgen bei der Überwachungstechnologie. Von jeweils m Investoren wird die Aufgabe der Überwachung eines Unternehmerprojektes an den Finanzintermediär geleitet. Durch die Delegation der Überwachung werden die pro Projekt anfallenden Monitoringkosten von m × k auf k gesenkt (Langer/Weber211‑214).
Breuer greift eine weitere Informationsasymmetrie auf und geht von einem Risikoanreizproblem der Unternehmer aus (Langer/Weber217). Der Unternehmer kann während des Projektverlaufs auf ein für ihn attraktiveres, riskanteres Projekt wechseln. Die für sie unerwünschte Projektmodifikation können die Investoren nur durch eine kostenverursachende Projektüberwachung vermeiden. Auch hier lassen sich durch die Delegation der Überwachung an einen Intermediär Skalenerträge realisieren. Die Gefahr, der Intermediär könnte aus Kostengründen die Überwachung nur vortäuschen oder mit dem Unternehmen kooperieren und falsche Informationen weitergeben besteht nicht, denn die Bank wird von diesen Methoden auf Grund langfristiger Reputationsüberlegungen nicht Gebrauch machen. Damit ist eine Überwachung des Finanzintermediärs durch den Investor nicht notwendig.
Von Thadden zeigt auf, dass sich außerdem durch die Langfristigkeit der Vertragsbeziehungen zwischen Bank und Unternehmer Wohlfahrtsgewinne erzielen lassen. Der von der Bank überwachte Unternehmer kann eine langfristig orientierte Unternehmensstrategie verfolgen. Er muss nicht durch schnelle Erfolge oder kurzfristige Projektentscheidungen seine Qualität unter Beweis stellen (Langer/Weber217‑218).
Fischer zeigt, dass eine exklusive Bankbeziehung wohlfahrtserhöhend ist. Die Bank ist zur Unternehmensfinanzierung trotz der hohen anfänglichen Informationskosten bereit, weil sie ihr Informationsmonopol in den späteren Perioden zur Erzielung hoher Gewinne ausnutzen kann. Bei einer Vielzahl von Einzelgläubigern wäre die über den Unternehmer erworbene Information in den Folgeperioden dagegen praktisch wertlos (Langer/Weber218).
Wenn ein Unternehmensprojekt besonders riskant ist, würden einzelne Investoren dieses Projekt erst gar nicht finanzieren oder hohe Strafkosten für die Nichteinhaltung der Verträge ansetzen. Bei der Durchführung von Bestrafungen ergeben sich Wohlfahrtsverluste, weil sie dem einen Kontraktpartner schaden, ohne dem anderen einen direkten Vorteil zu bringen (der nicht bediente Investor wird auch dadurch nicht reicher, dass der säumige Schuldner eine Haftstrafe erleidet). Es liegt daher im Interesse der Allgemeinheit, die Strafkosten so gering wie möglich zu halten. Durch Diversifizierung ihres Kreditportfolios können Banken das Ausfallrisiko senken. Ein gut diversifizierter Finanzintermediär kann daher den Investoren Schuldverträge anbieten, bei denen die Risikoaufschläge und die erwarteten Strafkosten, die so genannten Delegationskosten, sehr gering ausfallen (Langer/Weber212‑219). Die mögliche Überlegenheit einer Bankfinanzierung gegenüber einer Marktlösung ergibt sich demnach aus der Bündelung von Informationsbeschaffungs- und Überwachungsaktivitäten bei gleichzeitiger Diversifikation im Kreditportfolio der Bank.
A.2.2.3. Liquiditätssicherung für die Kapitalgeber durch die Banken
Banken bieten durch die Bereitstellung von Sichtdepositen eine Versicherung gegen unvorhergesehenen Liquiditätsbedarf an. Ohne die Existenz eines Finanzsystems wären die Konsumenten gezwungen, einen Teil ihrer Mittel nicht zu investieren bzw. langfristige Investitionsprojekte vorzeitig zu liquidieren. Die damit einhergehenden Wohlfahrtsverluste können verringert oder vermieden werden, wenn den Anlegern durch Handelsmöglichkeiten an Kapitalmärkten oder über Banken eine sichere Liquiditätsbeschaffung angeboten wird. Es ergeben sich Effizienzvorteile einer Bank gegenüber einer Marktlösung, denn es gelingt Investoren nur auf vollständigen Kapitalmärkten, durch Handelsaktivitäten am Markt eine intertemporale Verteilung der Zahlungsströme zu erreichen, die ihrer individuellen Konsumpräferenz völlig entspricht. Die Vorteilhaftigkeit der Banklösung nimmt allerdings mit fortschreitender Kapitalmarkentwicklung in einem gewissen Maße ab (Fischer/Rudolph403). Das gilt jedoch nicht für Russland, denn dort ist die Kapitalmarktentwicklung noch nicht fortgeschritten und die klassischen Intermediationsvorteile von Banken gelten dort noch uneingeschränkt.
B. Das Bankensystem Russlands
B.1. Unternehmensfinanzierung als zentrale Rolle der Banken in Russland
Eine der zentralen Rollen des Bankensystems in Russland besteht darin, unter Rückgriff auf frei verfügbare Mittel die nötige Finanzierung für Rentabilität versprechende Geschäftsprojekte zur Verfügung zu stellen. Würden sie dies nicht tun, müssten viele Investitionsprojekte aufgegeben werden oder könnten nur über sehr lange Zeiträume durchgeführt werden. Beim Übergang zur Marktwirtschaft und bei der Privatisierung der staatlichen Unternehmen bestand und besteht ein großer Bedarf an Neuinvestitionen. Um an die Bedürfnisse der Unternehmen angepasste Kredite vergeben zu können, müssen auch die russischen Banken Risiko-, Fristen- und Losgrößentransformation betreiben und die Ersparnisse der Bevölkerung mobilisieren.
Es ist zunächst einmal unerheblich, ob Investitionsprojekte aus Mitteln finanziert werden, die auf dem Kapitalmarkt beschafft werden (Börsenfinanzierung) oder über reine Bankkredite. Doch die Börse kann auch nur dann funktionieren, wenn die Geldbasis zunächst über das Bankensystem und seine Quasigeldproduktion multipliziert worden ist. Der Geldmultiplikator ist als Verhältnis zwischen der erweiterten Geldmenge M2 und der Geldbasis in den entwickelten Marktwirtschaften relativ hoch. In Russland verharrte die erweiterte Geldmenge M2 allerdings bis heute auf einem niedrigen Stand von etwa dem Zweifachen der Geldbasis. Ende 2002 machte die erweiterte Geldmenge M2 18,2% des Inlandsprodukts aus, womit die Volkswirtschaft als untermonetarisiert gilt (Hishow2003, S.8). Russland gehört nicht zu den Volkswirtschaften mit einem entwickelten Kapitalmarkt. In Russland ist weniger als 1% der Unternehmen börsennotiert und die Aktien von nur etwa 10 Gesellschaften werden gehandelt. Die Mehrzahl der Firmen bedient sich der Bankfinanzierung (Hishow 2003,S.7). So waren die Umlaufmittel im Handel Anfang 1994 zu ungefähr 80% Bankkredite. Bei einzelnen Industriebetrieben, vor allem in den Regionen, betrug der Anteil der Bankkredite am Umlaufvermögen 70‑90% (Ljubskij18).
Damit ist das Finanzsystem Russlands ähnlich dem in Deutschland oder Italien „bankdominiert“, bei dem, im Gegensatz zu einem „marktorientierten“ Finanzsystem wie z.B. in den USA, ein deutlich kleinerer Teil der Unternehmen an der Börse notiert ist. Diese Tatsache unterstreicht noch einmal die herausragende Rolle der Banken bei der Unternehmensfinanzierung in Russland. Sehr lange sahen viele Entscheidungsträger, die Einfluss auf die russischen Banken hatten, deren Rolle jedoch anders. Für sie waren die Banken Financiers des Staates, ein Instrument, um die ehemaligen staatlichen Großunternehmen finanziell am Leben zu erhalten und auch ein Mittel, schnell reich zu werden.
Trotz der nicht zu bestreitenden Rolle der Banken bei der Finanzierung einer wachsenden Wirtschaft, blieb der empirische Beweis für eine direkte Beziehung zwischen der Höhe der Kreditvergabe und dem Wirtschaftswachstum eines Transformationslandes bisher aus. Im Gegenteil, viele Studien kommen zu der Schlussfolgerung, dass die Höhe der Kreditierung keinen Rückschluss auf die wirtschaftliche Entwicklung von Transformationsländern zulässt. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass ab einer Inflationsrate von 15‑20% eine Ausweitung der Kreditvergabe dem Wirtschaftswachstum nicht mehr förderlich ist und damit die Monetarisierung der Wirtschaft durch Kreditvergabe nicht zum Wirtschaftswachstum beiträgt. Ein Grund dafür kann darin gesehen werden, dass für eine erfolgreiche Kreditierung der Wirtschaft zuerst andere Voraussetzungen erfüllt werden müssen. Dazu zählt neben einem entwickelten Unternehmergeist auch ein stabiles Rechtssystem. An beidem mangelte es Russland noch in den ersten Jahren der Transformation. In einem schlechten Umfeld können Investitionen kontraproduktiv ausfallen und die Kreditierung von Unternehmen kann eher Schaden anrichten als wachstumsfördernd wirken. Aufgabe der Banken in der Transformation ist es daher auch, sich nach marktwirtschaftlichen Regeln zu verhalten, den gesetzlichen Rahmen einzuhalten und Vorschläge zu dessen Verbesserung vorzulegen, anstatt zu versuchen, ihn zu unterwandern.
Inwieweit das den Banken gelungen ist und wie sie ihre Rolle im wirtschaftlichen Transformationsprozess wahrgenommen haben, wird im zweiten Teil der Arbeit untersucht.
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