Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Muttersprachliche versus nicht-muttersprachliche Sprachenlehrer_Innen
2.1 Muttersprachliche und nicht-muttersprachliche Identitäten
2.2 Vorteile und Nachteile muttersprachlicher und nicht-muttersprachlicher Sprachenlehrer_Innen
2.2.1 NSTs und NNSTs in der Vorbildfunktion für Fremdsprachenler- ner_Innen
2.2.2 Das Lehren von Kultur
2.2.3 Fehlendes Selbstbewusstsein, mangelnde Glaubhaftigkeit und Unsicherheit – Probleme, die ausschließlich dem NNST vorbehalten sind?
3. Fazit
4. Bibliografie
1. Einleitung
Jacinta Thomas – eine nicht-muttersprachliche Englischlehrerin indischer Herkunft mit jahrelanger Lehrerfahrung, wohnhaft in den USA:
A 95-year-old neighbor of mine, a dear sweet old lady, recently introduced me to her daughter as a college teacher and quickly added ‘Guess what she teaches?’ ‘What?’ her daughter asked. ‘English. Imagine someone coming from India to teach here’, replied my neighbor with a sweet chuckle (Harmer 2007, 118).
Wie das von Jacinta Thomas geschilderte Erlebnis bereits erahnen lässt, möchte ich diese Hausarbeit mit dem Titel Sollten Sprachen vorzugsweise von muttersprachlichen Lehrern/Lehrerinnen unterrichtet werden? dem umstrittenen Thema widmen, ob beziehungsweise inwiefern muttersprachliche Sprachenlehrer_Innen qualifizierter für den Sprachenunterricht sind als nicht-muttersprachliche Sprachenlehrer_Innen. Hierbei werde ich mich in erster Linie auf das Englische beziehen.
Ziel wird es sein, in dieser Arbeit verschiedene Literatur, die sich mit dem Thema Unterricht eines native versus eines non-native speaker teachers befasst, zu diskutieren, gegenüberzustellen und deren Widersprüche und Übereinstimmungen aufzugreifen.
Da die Mehrheit aller Englischlehrer_Innen weltweit keine Muttersprachler_Innen sind (vgl. Moussu, Lucie; Llurda, Enric 2008, 315), ist eine Auseinandersetzung mit dem verbreiteten Vorurteil, nur Muttersprachler seien eine wirklich verlässliche linguistische Quelle, unabdingbar: „Linguistic theory has traditionally considered native speakers [...] as the only reliable source of linguistic data [...]“ (Moussu; Llurda, 2008, 315). „[...] NNS teachers [...] [are] generally regarded as unequal in knowledge and performance to NS teachers of English [...]“ (Llurda 2005, 13). Jedoch ist jene unbedingt notwendige Auseinandersetzung mit der Debatte um die Qualifikation von muttersprachlichen und nicht-muttersprachlichen Lehrkräften eine widerwillig geführte Diskussion:
To this day the issue of the ‘native’ and ‘non-native’ English teacher is practically a taboo subject in ELT. Like a badly-kept secret, it is not talked about much in public, although teachers of either affiliation are keen to talk about it with their ‘co-natives.’ In these politically correct times when diversity is celebrated in colloquiums all over the world, the ‘N/non-N’ issue appears at times too embarrassing to mention. It has low priority on the ELT agenda presumably because it is a prickly subject, for which reason it is politely avoided or charmingly ‘neutralised’ by stating that both sides complement each other and can coexist in peace and harmony. We know that this is not true, but since it is deemed best to let sleeping dogs lie, avoidance tactics are used in order not to deal with the issue frontally because it might cause embarrassing confrontations […] (Suárez 2000, 2).
Auch ich vertrete die Ansicht, dass die Debatte über die Qualifikation muttersprachlicher und nicht-muttersprachlicher Lehrkräfte dringend (öffentlich) geführt werden muss. Aufgrund dessen ist das Ziel meiner Seminararbeit, zu diskutieren, ob beide Parteien (NSTs und NNSTs) auf ihre ganz eigene Art und Weise gleich gut für den Beruf als Sprachenlehrer_In qualifiziert sind, ob ein Vergleich aus bestimmten Gründen nicht möglich ist, oder ob tatsächlich ein klarer Unterschied in Bezug auf die Qualifikation beider Parteien ersichtlich wird.
2. Muttersprachliche versus nicht-muttersprachliche Sprachenlehrer_Innen
Im folgenden Kapitel möchte ich den/die Leser_In in die kontroverse und viel diskutierte Thematik hinsichtlich des Einsatzes von muttersprachlichen und nicht-muttersprachlichen Sprachenlehrer_Innen einführen. Hierzu werde ich mich zunächst mit muttersprachlichen und nicht-muttersprachlichen Identitäten beschäftigen, um daraufhin den Fokus auf die, häufig umstrittenen, Vor-und Nachteile muttersprachlicher und nicht-muttersprachlicher Sprachenlehrer zu legen.
2.1 Muttersprachliche und nicht-muttersprachliche Identitäten
George Braine war mit seinem Buch, erschienen im Jahr 1999 unter dem Titel Non-Native Educators in English Language Teaching, einer der ersten, der das Thema um NESTs versus NNESTs öffentlich zur Sprache brachte beziehungsweise mit seinem Werk zur Diskussion des Themas aufrief und die Aufmerksamkeit auf dieses lenkte. Laut Braine ist oben genanntes Thema für die Öffentlichkeit interessant geworden, seitdem Englisch über die heimischen Grenzen hinaus international unterrichtet wurde: „The place of native and non-native speakers in the role of English teachers has probably been an issue ever since English was taught internationally“ (Braine 1999, IX).
Bei dem Versuch, muttersprachliche und nicht-muttersprachliche Identitäten gegenüberzustellen und zu analysieren, ergibt sich gleich zu Beginn die berechtigte Frage, ob die Unterteilung in NS und NNS überhaupt notwendig oder berechtigt sei: „A significant body of the literature on non-native speakers has been devoted to showing the inappropriateness of using a dichotomy approach by which NSs and NNSs are viewed as two opposing and clearly separated constituencies” (Moussu; Llurda 2008, 317). Im weiteren Verlauf stellen Moussu und Llurda drei Argumente vor, die gegen die Legitimität einer solchen Dichotomie sprechen:
First, every language user is in fact a native speaker of a given language (Nayar 1994), and therefore speakers cannot be divided according to whether they have a given quality (i.e., native speakers) or they do not have it (i.e., non-native speakers), based on whether English is their first language or not. In fact, what this criticism shows is the unfairness of Anglo-centrism, through which English is taken as the only language in the world that deserves attention, and speakers are accordingly classified regarding their relationship with that language: either they belong to the exclusive group of L1 speakers, or they do not (Moussu; Llurda 2008, 317).
Das erste Argument bezieht sich demnach darauf, dass die Einteilung in NS und NNS nicht aufgrund dessen erfolgen sollte, ob Englisch die ersterlernte Sprache eines Sprechers beziehungsweise einer Sprecherin ist oder nicht. Des Weiteren wird kritisiert, dass die oben erwähnte Einteilung dem sehr starken Fokus auf die englische Sprache in der Welt zu Grunde liegt.
In ihrem zweiten Argument legen Moussu und Llurda den Schwerpunkt auf die unterschiedlichen (auch indigenisierten)Varietäten des Englischen auf der ganzen Welt:
[…] [T]he central point is that English has become an indigenized language in many of the countries that Kachru categorized as the Outer Circle (Kachru 1976, 1981), and therefore speakers of English in such countries cannot be dismissed as non-native speakers of English just because they do not speak a centre variety of the language, in the same way as Australian speakers of English are not considered non-native just because their English is neither British nor American. As Mufwene (1998: 112) points out, ‘it is misguided to split new varieties of English around the world into those said to be ‘native’, such as British and American Englishes; and those identified as ‘non-native’, such as Indian and African Englishes’ (Moussu; Llurda 2008, 317).
Moussu und Llurda legen in diesem Abschnitt dar, dass eine deutliche Ungerechtigkeit auf der Welt besteht, wenn es darum geht, wer als NS bezeichnet wird beziehungsweise werden sollte und wer nicht. Die Autoren werfen diesbezüglich eine wichtige Frage auf: Weshalb werden Sprecher_Innen, die beispielsweise australisches oder neuseeländisches Englisch (Varietäten der englischen Sprache) sprechen, ohne Zögern als NSs bezeichnet, wohingegen jedoch Sprecher_Innen des afrikanischen oder indischen Englisches wie selbstverständlich als NNSs betitelt werden?
Das letzte Argument, welches gegen die Legitimität der weiter oben erwähnten Dichotomie spricht, ist laut Moussu und Llurda folgendes:
Yet, despite all previous objections to the existence of a NS–NNS dichotomy, some authors have acknowledged the practical convenience of maintaining the distinction between NSs and NNSs, and in fact, all work based on the study of NNS teachers is implicitly accepting the separation between NSs and NNSs. Árva & Medgyes (2000:356) provide an example of this pragmatic position: ‘the term native speaker as opposed to non-native speaker is as widely used in the professional jargon of both teachers and researchers today as ever’. This undoubtedly constitutes a paradox for many researchers who, while working towards the spread of the idea that nativeness is a fairly irrelevant feature in language teaching, at the same time need to accept the division between NS and NNS in order to start constructing their supporting argumentation. Additionally, many speakers consider themselves to be either native or non-native speakers of a given language, and these self-allocations within or outside a linguistic community are frequently used as a way of positioning themselves as members or as aliens in a particular social community (Moussu; Llurda 2008, 318).
Die Autoren räumen in dem oben aufgeführten Abschnitt ein, dass die Existenz einer sogenannten „NS-NNS Dichotomie“ beispielsweise von Autoren häufig aus Gründen der Bequemlichkeit beibehalten wird und dass sämtliche Literatur, die sich mit dem Thema NNSTs auseinandersetzt, die Unterteilung in NSs und NNSs, ohne deren Rechtmäßigkeit zu hinterfragen, akzeptiert und weiter verbreitet. Des Weiteren lenken Moussu und Llurda die Aufmerksamkeit auf den folgenden Zwiespalt: Wie ist es Wissenschaftlern/Wissenschaftlerinnen, die darauf hin arbeiten möchten, der Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass „nativeness“ keine ausschlaggebende Rolle im Sprachenunterricht spielt, möglich dies zu tun, wenn sie sich hierfür jedoch gleichzeitig jener Unterteilung in NSs und NNSs bedienen müssen, um verstanden zu werden beziehungsweise um damit beginnen zu können, ihre eigene Argumentation aufzubauen?
Schlussendlich kommen Lucie Moussu und Enric Llurda zu der Erkenntnis, dass eine Einteilung in NSs und NNSs unter Umständen sinnvoll sein kann, die Theorie jedoch bis heute keinen Beweis für die Notwendigkeit einer solchen Kategorisierung erbringen kann. Es gäbe sogar einige Fälle im Hinblick auf bilinguale Sprecher_Innen, in denen es schwer falle beziehungsweise unmöglich sei, diese Personen eindeutig als NSs oder NNSs zu klassifizieren (vgl. Moussu; Llurda 2008, 318).
Alan Davies (2002) hat sich dieses Problems angenommen und sich näher mit der sogenannten „native speaker identity“ beschäftigt indem er die Frage aufwarf, ob Zweitsprachenlerner_Innen (L2 Lerner_Innen) Muttersprachler_Innen dieser Zielsprache werden können. Seine Schlussfolgerung ist, dass dies tatsächlich möglich ist: „[…] L2 learners can become native speakers of the target language, and master the intuition, grammar, spontaneity, creativity, pragmatic control, and interpreting quality of ‘born’ native speakers” (Davies 2002, 55).
Auch Ofra Inbar-Lourie (2005) unterstützt die eben thematisierte Feststellung. Sie gewann die Erkenntnis, dass 50% der NNSTs, die an ihrer Studie teilnahmen, die Erfahrung gemacht haben, von anderen NNSs für NSs gehalten worden zu sein: „In other words, Inbar-Lourie’s data show that many self-ascribed non-native speakers can actually pass for native speakers in certain situations. Similarly, some self-ascribed NSs in Moussu’s (2006) study were taken for NNSs by their students” (Inbar-Lourie 2005, 272-276).
Abschließend möchte ich noch einen sehr wichtigen Aspekt in Bezug auf muttersprachliche und nicht-muttersprachliche Identitäten aufgreifen: Die Wichtigkeit der sozialen Akzeptanz eines Sprechers/einer Sprecherin als Teil einer Gesellschaft. Laut Moussu und Llurda (2008) legt jene Akzeptanz den Grundstein für die soziale Anerkennung der muttersprachlichen beziehungsweise nicht-muttersprachlichen Identität. Die soziale Anerkennung basiert häufig auf der Beurteilung des Akzents des jeweiligen Sprechers/der jeweiligen Sprecherin:
People typically display a fairly high ability at spotting accentedness in speech […]. If the speaker’s accent is different from the listener’s, and this listener cannot recognize it as any other ‘established’ accent, the speaker will be placed within the non-native speaker category (Moussu; Llurda 2008, 316).
Nachdem in diesem Kapitel diverse Ansichten in Bezug auf muttersprachliche beziehungsweise nicht-muttersprachliche Identitäten aufgezeigt und diskutiert wurden, bleibt nicht nur, wie bereits zuvor erwähnt, offen, ob eine Unterteilung in NS und NNS überhaupt notwendig oder berechtigt ist. Thomas M. Paikeday lässt uns darüber hinaus in Frage stellen, ob die Begrifflichkeit NS überhaupt noch verwendet werden sollte oder ob der Begriff ausgedient hat und stattdessen dem „proficient user“ Platz einräumen sollte:
The first attempt to put ‘(non-)nativism’ onto the centre stage of linguistic inquiry by challenging current undisputed assumptions on the matter was Paikeday’s (1985) The native speaker is dead, in which it is argued that the native speaker ‘exists only as a figment of linguist’s imagination’ (Paikeday 1985: 12). Paikeday suggested using the term ‘proficient user’ of a language to refer to all speakers who can successfully use it (Moussu, Lucie; Llurda, Enric 2008, 315).
Sei es „proficient user“ oder „NS“ – welche Begrifflichkeit auch gewählt werden mag, sie wird die immer wiederkehrende Debatte, ob eine muttersprachliche oder nicht-muttersprachliche Lehrkraft qualifizierter beziehungsweise geeigneter ist, nicht beenden. Aufgrund dessen werde ich dieser Debatte auf den Grund gehen und möchte darüber hinaus verschiedene Perspektiven unterschiedlicher Autoren zum Thema Vorteile und Nachteile muttersprachlicher und nicht-muttersprachlicher Sprachenlehrer_Innen gegenüberstellen.
2.2 Vorteile und Nachteile muttersprachlicher und nicht-muttersprachlicher Sprachenlehrer_Innen
In den folgenden Kapiteln möchte ich mich mit den zahlreichen Vor- beziehungsweise Nachteilen in Bezug auf muttersprachliche und nicht-muttersprachliche Sprachenlehrer_Innen auseinandersetzen. Da laut Suárez (2000) circa 90 Prozent der Englischlehrer_Innen keine muttersprachlichen Lehrer_Innen sind (Fuad Selvi (2011) spricht von 80 Prozent), ist eine Betrachtung der beziehungsweise eine Auseinandersetzung mit den in der Literatur vorgestellten und diskutierten Vor- und Nachteilen des Sprachenunterrichts durch Muttersprachler_Innen oder Nicht-Muttersprachler_Innen von großer Bedeutung.
Um eine übersichtliche und verständliche Darstellung der Vor- und Nachteile zu gewährleisten, möchte ich diese unter Einbeziehung folgender drei Kategorien betrachten beziehungsweise diskutieren:
- NSTs und NNSTs in der Vorbildfunktion für Fremdsprachenlerner_Innen
- Das Lehren von Kultur
- Fehlendes Selbstbewusstsein, mangelnde Glaubhaftigkeit und Unsicherheit – Probleme, die ausschließlich dem NNST vorbehalten sind?
Zweifellos würde es in Bezug auf die Vor- und Nachteile hinsichtlich des Sprachenunterrichts durch Muttersprachler_Innen beziehungsweise Nicht-Muttersprachler_Innen noch andere mögliche Aspekte geben, die dementsprechend weiteren Kategorien zugewiesen werden müssten, jedoch würden weitere Kategorisierungen den Rahmen dieser Seminararbeit überschreiten. Die Entscheidung fällt auf die oben genannten drei Kategorien, da diese einerseits häufig in der Literatur zum Thema NSTs versus NNSTs behandelt werden und andererseits mein persönliches Interesse widerspiegeln.
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