Massenemotionen im revolutionären Kontext. Eine Auseinandersetzung mit "Berlin Feuerland: Roman eines Aufstands" von Titus Müller


Masterarbeit, 2017

114 Seiten, Note: 17


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG UND THEORETISCHE BEGRIFFSERKLÄRUNGEN
1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Zielformulierung
1.3. Hypothese
1.4. Untersuchungsmethode
1.5. Forschungsstand
2. Definition von Konzepten
2.1. Masse
2.2. Zur Unklarheit des Massenbegriffs in Berlin Feuerland. Roman eines Aufstands
2.3. Emotion
2.4. Masse – Emotion – Revolution

II. LITERARISCHE ANALYSE
1. Paratextuelle Analyse
1.1. Autor und Werk
1.2. Aktualität und Historizität
1.3. Historischer Roman: zwischen Fakten und Fiktion
1.4. Struktureller Aufbau und Stil des Werkes
2. Inhaltliche Analyse: Entstehung und Manifestationen der Emotionen
2.1. Die Periode der kalten Emotionen
2.1.1. Soziopolitischer Hintergrund zur Entstehung der Emotionen
2.1.2. Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit
2.1.3. Angst
2.1.4. Misstrauen der Masse
2.2. Unzufriedenheit und Frustrationen
2.3. Emotionale Ansteckung von außen
2.4. Der Zusammenschluss zur Masse: Gründung der „Kollektiveinheit“
2.4.1. Bedürfnis nach der Massenbildung
2.4.2. Mittel zur Massenbildung
2.5. Zorn und Wut der Volksmassen
2.5.1. Der Dampf im Kessel
2.5.2. Machtgefühl, Drohungen und Kommunikation der Herrschenden
2.5.3. Emotionskommunikation der Massen (Anführer)
2.5.4. Zornbedingte Reaktionen der Masse
3. Raum und Massenemotionen
3.1. Der Tiergarten
3.2. Der Pariser Platz
3.3. Das Schloss
3.4. Die Straßen
4. Emotionen der Regierenden
4.1. „Emotionale Defizite“ der Regierenden
4.2. Frustrationen der Regierenden
4.3. Angst vor der Masse
4.4. Emotionen des Königs
5. Emotion und Ausbruch der Revolution
5.1. Schmerz und Rachegefühl der Aufständischen
5.2. Jubel: Übergangsemotion?
5.3. Militär und Emotion
5.4. Kollektive Panik
5.5. Gewalt der Masse
5.6. Trauer des Volkes und Sehnsucht nach Trost
6. Zusammenfassung und Intertextuelle Poetik der Emotionen
6.1. Zusammenfassung
6.2. Intertextuelle Poetik der Emotionen
7. Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

I. EINLEITUNG UND THEORETISCHE BEGRIFFSERKLÄRUNGEN

1. Einleitung

1.1. Problemstellung

„Our world is patterned by affect“.[1] James M. Jasper kam zu dieser Schlussfolgerung, dass unsere Welt von Affekten bzw. Emotionen geleitet ist. Zu der Frage, ob Emotionen in der heutigen Welt herrschen, kann manch einer kommen, wenn er die immer häufiger werdenden verschiedenen Massenphänomene berücksichtigt, die seit den letzten Jahren den Weltalltag kennzeichnen. Als Beispiel gelten die verschiedenartigen Massendemonstrationen und Proteste, soziale Bewegungen, Nationalbewegungen, innerstaatliche Revolutionen usw., die überall auf der Welt geschehen. Im Dezember 2010 begannen landesweite Massenunruhen in Tunesien gegen die Regierung von Zine el-Abidine Ben Ali, nachdem der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi sich angezündet hatte infolge von Polizeiwillkür und Demütigungen. Auch in Ägypten begann ein Volksaufstand am 25. Januar 2011, dem „Tag des Zorns“. Danach folgten andere Revolutionen in der arabischen Welt (u.a. in Libyen, Algerien, Syrien, Bahrain und Jemen), sodass man von dem „Arabischen Frühling“ sprach. An diese Revolutionen schließt sich die Maidan-Revolution in der Ukraine an. Im Dezember 2013 begehrte das ukrainische Volk gegen das korrupte Janukowitsch-Regime auf. Auch in anderen Ländern oder Teilen der Welt bilden sich unterschiedliche soziale Bewegungen. Eine Frage ist, wie und „warum es zu [solchen] explosionsartigen, offenen Rebellionen kommt, die die unterdrückten Emotionen [der Untergebenen] zum Vorschein bringen“?[2] In den meisten Revolutionen ist es Ärger über soziopolitische Ungerechtigkeiten gewesen. Es war das Resultat der Tatsache, dass die Völker dieser Länder – in ihren jeweiligen Kontexten, Umständen und Bedingungen – ein tief greifendes Gefühl der Ungerechtigkeit und Unterdrückung gehegt haben, das von ihren Regierenden über lange Zeiten hinweg ausgelöst wurde. Der Ausdruck der lange unterdrückten Gefühle (u.a. Frustrationen, Unzufriedenheit, Verachtung, Zorn, Wut) führte also zu diesen heftigen Aufständen.

In dieser Perspektive haben viele Forschungen der Sozialwissenschaften nachgewiesen, dass Gefühle bzw. Emotionen Teil einer Revolution sind, die man nicht vernachlässigen sollte.[3] Auch andere Disziplinen wie die Psychologie, die Philosophie und die Soziologie beschäftigen sich mit dem Thema der (Massen-)Emotionen.[4] Dies, samt den gegenwärtigen massenhaften Ereignissen, ermöglicht eine „Wiederkehr des Massenthemas“[5] mit Bezug auf Emotionen in vielen Forschungsgebieten. Bei diesen Disziplinen stellt man fest, wie die Emotionen, die sich bei den Revolutionen oder Massenbewegungen manifestieren, oft sehr negativ wahrgenommen und bewertet werden. Aber, dass die Literaturwissenschaft etwas zu den Massenemotionen zu sagen hat, kommt relativ selten vor, obwohl die Literatur ein breites Feld für Recherchen über Emotionen darbietet: „literature provides a vast and largely unexplored body of data for emotion research“.[6]

All die genannten Begebenheiten stehen im Hintergrund der vorliegenden Untersuchung. Die vorliegende Arbeit bezweckt also die Konkretisierung und die Erschließung dieses unterschätzten Diskurses der Literatur über die Herausforderung der Massenemotionen. Die deutsche Literatur, hierbei Titus Müllers Revolutionsroman Berlin Feuerland: Roman eines Aufstands, bietet sich als Untersuchungsfeld zur Grundlage der vorliegenden Arbeit an. Der neue historische Roman von Titus Müller beschäftigt sich damit, wie die Massen sich unter gewissen soziopolitischen Umständen verhalten, wie ihre Emotionen entstehen und sich ausdrücken. Sein Roman schildert nicht nur den emotionalen Moment der Ereignisse der 1848er Jahre, wo negative Verhaltensweisen der Massen in Erscheinung treten, sondern er konzentriert sich auch auf den Prozess von ihrer Entstehung bis zu ihrer Eskalierung. Berlin Feuerland. Roman eines Aufstands stellt die 1848er anti-preußischen Märzrevolution[7] und die soziopolitischen Umstände ihrer Auslösung dar. Dabei tritt der langwierige Entstehungsprozess der Emotionen der Volksmassen bis zu deren Höhepunkt hervor. Nicht nur das von Emotionen bedingte revolutionäre Verhalten der Massen wird dargestellt, sondern auch die emotionalen Reaktionen der politischen Eliten. Diese Gegenüberstellung der Emotionen der Masse und der Mächtigen ist auch für die vorliegende Arbeit untersuchenswert. Das Thema ist durchaus aktuell in einer Zeit, in der das Phänomen der Massenemotionen häufiger, gewaltiger, herausfordernder, dringlicher und an das Gewissen der Menschen appellierender geworden ist, und in der die Emotionen von vielen Fachbereichen behandelt werden. Es ist daher wichtig herauszuarbeiten, wie relevant der literarische Diskurs dazu ist.

Dies setzt voraus, bei der Analyse des ausgewählten literarischen Werkes einigen Fragen nachzugehen, nämlich: wie werden die verschiedenen Manifestationsformen der Massenemotionen in Müllers Roman thematisiert bzw. präsentiert? In welchen Umständen sind sie entstanden und warum erscheinen die emotionalen Massenaktionen so negativ? In welchen Zusammenhang stehen Emotionen der Massen- und der Mächtigen? Eine Antwort auf diese Fragen zu finden, ist von großer Relevanz für unsere heutigen Gesellschaften. Bei der Wahrnehmung der Massenemotionen erscheint oft ein allgemeines Negativbild, da diese sich auf den Moment des Spontanen und Unorganisierten beschränkt. Wo die Emotionen herrühren, wird meist weniger beachtet. Der Versuch einer Antwort auf die gestellten Fragen wird helfen, die Wahrnehmung der Massenemotionen auszudifferenzieren. Der Masse wird alle Vernunft abgesprochen und eine zerstörerische Emotionalität zugeschrieben. Was die Eliten angeht, wird keine Emotionalität anerkannt. Durch die vorliegende Arbeit wird diese Auffassung relativiert.

1.2. Zielformulierung

Meine Arbeit beschäftigt sich aus literaturwissenschaftlicher Perspektive damit, WARUM, WANN und WIE die Massen sich so emotional verhalten und wie dies wahrgenommen werden sollte. Mein Vorhaben zielt darauf, durch die Analyse des ihm zugrundeliegenden literarischen Werkes, einen differenzierten Blick auf die Massenemotionen zu konkretisieren. Durch diese auf Emotionen bezogene Analyse der Massenereignisse wird auf den Beitrag der (deutschen) Literatur zum öffentlichen Bewusstsein über Massenemotionen eingegangen. Denn die Literatur interessiert sich als Medium für konkrete gesellschaftliche Probleme. In der heutigen Welt ist ihre Rolle, Reflexionen über bestimmte gesellschaftliche Probleme zu führen nicht zu unterschätzen.

In Anbetracht der gegenwärtigen Aufstände ist meine Arbeit auch ein Plädoyer für eine bessere Behandlung und Wahrnehmung und ein besseres Verständnis der Dynamik von Emotionen der Volksmassen. Außerdem verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel, die Interaktion zwischen Emotionen der Volksmassen und denjenigen der politischen Eliten herauszuarbeiten, und wenn möglich, in Einklang zu bringen.

1.3. Hypothese

Bisher ist in vielen Forschungsarbeiten die Überzeugung verbreitet, dass Emotionsausbrüche irrational sowie unvorhersehbar sind. In der vorliegenden Arbeit stelle ich aber die Thesen auf, dass:

- die Emotionen der Volksmassen nicht ausschließlich in ihrer spontanen Erscheinung wahrzunehmen bzw. zu bewerten sind. Die spontane Erscheinung ist nur das sichtbare Produkt eines vorausgehenden Prozesses. Dieser Prozess bis zur Eskalation der Emotionen ist für das Verständnis der Massenemotionen zentral.

Wegen Emotionalität haben die Massen, historisch, philosophisch und psychologisch gesehen, einen schlechten Ruf. Ich gehe davon aus, dass, selbst wenn die Massen „als spontan, als überschwänglich, schnell vergehend und wankelmütig, und daher als unzuverlässig [gelten]“[8], die spontan-negative Erscheinung nur eine Seite ihrer Emotionsmanifestationen ist. Die Massenemotionen im revolutionären Kontext haben eine soziopolitische Vorgeschichte. Sofern die soziopolitischen Verhältnisse für die Massen ungünstig sind und unerträglich werden, können die Emotionen negativ hervortreten und negative Handlungen motivieren. Wenn man die Emotionalisierung[9] berücksichtigt, dann dürfte die Annahme unproblematisch sein, dass die Emotionalität der Masse nicht zwangsläufig synonym mit ihrer Irrationalität ist. Denn, wenn die Massen emotional sind, werden sie deswegen automatisch irrational?

- Bei dem Entstehungs- bzw. Manifestationsprozess stehen Massen- und Elitenemotionen ständig in kausalem Zusammenhang.

Die Emotionen der Massen werden von gewissen Haltungen der Herrscher geschürt. Wenn die politischen Herrschenden ihre soziopolitischen Aufgaben gegenüber der Volksmasse jahrelang nicht erfüllen, entstehen Unzufriedenheit und Ängste bei den Bürgern. Wenn die jahrelang unterdrückten Emotionen unerträglich werden, kommen die Massen dazu, sich explosionsartig emotional zur Wehr zu setzen. Sobald diese „negativen“ Emotionen der Volksmassen zu Tage treten, entstehen automatisch gegenseitige Emotionen bei den regierenden Politikern. Umgekehrt wirken die Emotionen der Eliten wieder auf diejenigen der Volksmassen.

Untersuchungsmethode

Zum Erreichen der Arbeitsziele wird die Theorie der „Kodierte[n] Gefühle“[10] angewandt. Kodierte Gefühle ist ein von Simone Winko entwickelter Ansatz, der die Rekonstruktion der sprachlichen Gestaltung von Emotionen in literarischen Texten anstrebt:

„In einer Analyse der in einem Text gestalteten Emotionen werden die identifizierbaren Kodes sowie die jeweils eingesetzten sprachlichen Mittel und Textstrategien rekonstruiert. Für eine solche Analyse sollte man zwischen Typen der sprachlichen Gestaltung unterscheiden: der Thematisierung und der Präsentation. Thematisiert werden Emotionen meistens explizit, präsentiert werden sie implizit. Zwar sind diese Merkmale nicht hinreichend, um den Einzelfall immer trennscharf dem einen oder dem anderen Typ zuordnen zu können. Dennoch ist eine Differenzierung zwischen beiden sinnvoll, weil es sich um unterschiedliche textuelle Strategien handelt, mit denen auf Emotionen Bezug genommen wird“ (Winko 2003: 111).

Winko stellt also für die Emotionsanalyse zwei Herangehensweisen vor: die Thematisierung und die Präsentation der Emotionen. Um diese Thematisierung von Emotionen in literarischen Texten herauszuarbeiten, soll man danach fragen, so Winko, „welche Propositionen ein Text enthält, die sich auf Emotionen beziehen“ (ebd.). Bei der Analyse werde ich also aufzeigen, wie die Emotionen in der Erzählung explizit formuliert bzw. umschrieben sind. Ich werde dabei zwei wichtige Aspekte hervorheben. Einerseits werde ich Aussagen über die emotionalen Gehalte, über deren Ausdruck sowie über die Rahmen oder Situationen darlegen, an die sie gebunden sind. Das, was über Emotionen gesagt wird, wird immer auch auf eine bestimmte Weise dargestellt. Andererseits werde ich das „wie“ der Thematisierung der Emotionen erschließen, indem ich mich bei der Untersuchung mit ihrer Begrifflichkeit, Bildlichkeit und Häufigkeit im Text beschäftige.

Bei der Analyse wird auch die zweite Herangehensweise, nämlich die Präsentation der Emotionen in dem Roman berücksichtigt. Mit Präsentation meint Winko „die sprachliche Gestaltung von Emotionen[...], deren Vorkommnisse nicht selbst Propositionen bilden (wohl aber Propositionen sein können) und die im Text durch implizite sprachliche und strukturelle Mittel umgesetzt wird.“[11] Meine Interpretation versucht dementsprechend, die stilistische Gestaltung der emotionalen Inhalte, die „expressive und emotive Sprachfunktion“ im Textsystem zu ergründen. Ich berücksichtige dabei, welcher sprachlichen und formalen Mittel sich die Figuren und die Erzählinstanz bedienen, um ihre Emotionen zu artikulieren. Einzelne Emotionen werden von ihrer komplizierten Entstehung bis zum Höhepunkt ihrer Manifestation mit Hilfe sprachlicher und formaler Indizien identifiziert und ausführlich dargelegt. Dabei werden bestimmte Emotionen und deren Erscheinung vor, während und nach der kontextuellen Revolution eingehend unter die Lupe genommen.

Winkos Methode kombiniert auf diese Weise die Inhalts- und die Formseite des Textes. Die Thematisierung verweist auf den Inhalt und die Präsentation bezieht sich auf die Form des zu analysierenden Textes. Durch die Anwendung beider Verfahrenstechniken werden am Ende der Analyse die im Text dargestellten Emotionen dekodiert. Die Konkretisierung der Emotionen der Massen wird sich ergeben, indem ich die Art und Weise untersuche, wie die Massen ihre Emotionen durch Verhalten und durch sprachliche Elemente ausdrücken. Aufgrund der Interdisziplinarität des Themas wird über den Text hinaus auf andere theoretische Bezugnahmen rekurriert, um die jeweiligen Emotionsmanifestationen und deren Funktionen zu untermauern. Da das Thema der kollektiven Emotionen interdisziplinär ist, haben sich andere damit beschäftigt.

1.5. Forschungsstand

Die vorliegende Arbeit ist nicht die erste, die sich mit dem Thema der Emotionen beschäftigt. In ihrem Artikel „Emotions and Social Movements“[12] (2006) haben Jeff Goodwin und James M. Jasper sich damit beschäftigt, welche Rolle Emotionen in „collective behavior“, bei Protesten und Sozialbewegungen und in der Politik spielen. Das Ziel war, theoretische Perspektiven für die Emotionssoziologie herauszufinden. Es ging jedoch nicht darum, die Emotionen in einem langwierigen Prozess zu untersuchen. Es war auch keine literarische Perspektive auf das Thema. Eine ähnliche Perspektive nimmt auch James M. Jaspers in seinem Artikel „The Emotions of Protest: Affective Emotions in and around social movements“[13] ein, in dem er die Emotionen in den Mittelpunkt des Verständnisses der Proteste stellt. Er unterscheidet zwischen Emotionen, die Proteste verursachen und denen, die die Protestierenden zusammenhalten. Dabei zeigt er, dass einige Protest-Ereignisse bzw. Mechanismen und Konzepte, die früher kognitivistisch studiert wurden, auch von Emotionen abhängig sind. Es geht um „moral shocks, frame alignement, attribution of blame, injustice frames, collective identity, cognitive liberation, movement membership and culture, and decline and abeyance“. Jasper geht leider nicht auf den prozesshaften Charakter der Emotionen ein, was aber unentbehrlich für das Verständnis von Protesten und Aufständen ist. Auch Jean-Pierre Reed hat in seinem 2004 erschienenen Artikel „Emotions in context: Revolutionary accelerators, hope, moral outrage, and other emotions in the making of Nicaragua’s revolution”[14] gezeigt, welche Rolle und Bedeutung die Emotionen bei Revolutionen bzw. in der 1970er Revolution in Nicaragua gespielt haben. Dabei hat er durch Interviews mit Zeitzeugen aufgezeigt, wie Veranstaltungen und dabei entstehende Emotionen revolutionäre Aktionen generieren können und wie bestimmte Emotionen (Angst und Zorn) potentielle Teilnehmer zum Bewusstwerden und zur Beteiligung an revolutionären Aktionen bewegen können. Der Schwerpunkt liegt dabei also nur auf den Emotionen, die eine Revolution beschleunigen können.

2015 haben Antje Wolf und Ulrike Jackson einen Artikel mit dem Titel „Von der Gruppe zur Masse - Wirkung und Nutzen kollektiver Emotionen im Eventkontext“ geschrieben. Sie haben gezeigt, wie kollektive Emotionen wirken und wie sie sich im Eventkontext nutzen lassen. Es geht hier auch um die Wirkung der Emotionalisierung von Marken und Produkten bei Marketing-Events auf die Kaufentscheidungen der Eventteilnehmer. Dabei legen beide Autorinnen den Akzent auf den Prozess der emotionalen Ansteckung, der von individuellen Emotionen zum gemeinsamen kollektiven Emotionserlebnis führt. Der Artikel von Wolf und Jackson knüpft sich an Torsten Schlesingers bereits 2009 verfassten Artikel „Kollektive Emotionen im Kontext sportbezogener Marketing-Events“ an. Schlesinger hatte sich in seinem Artikel auch mit kollektiven Emotionen bei Marketing-Events, aber mit sportlichen Inhalten, beschäftigt. In systemtheoretischer Perspektive hat er dabei diskutiert, wie kollektive Emotionen zu wirtschaftlichen Zwecken eingesetzt werden. Ein Jahr vorher (2008) befasste sich Lars Riedl mit kollektiven Emotionen im Spitzensport. In dem Artikel „'Und dann jubelte das ganze Stadion!' Zur Entstehung und Steuerung kollektiver Emotionen im Spitzensport“ hatte Riedl anhand eines emotionssoziologischen Modells analysiert, wie der Spitzensport bei den Zuschauern ein gemeinsames Erleben und Ausleben von Emotionen hervorruft bzw. steuern kann.

Der Bezugspunkt zwischen diesen Artikeln und meiner Arbeit besteht nur in dem Konzept der kollektiven Emotionen, das bei mir „Massenemotionen“ heißt. Meine Arbeit unterscheidet sich von diesen Artikeln in zwei Hauptpunkten. Zuerst geht es bei beiden Artikeln vor allem um eine wirtschaftswissenschaftliche bzw. emotionssoziologische Behandlung des Themas. Zweitens handelt es sich in meiner Arbeit weder um kollektive Emotionen bei Marketing-Veranstaltung noch hauptsächlich um den Mechanismus der emotionalen Ansteckung der Teilnehmer-Masse. Es geht auch nicht um sportliche Ereignisse. Meine Arbeit lässt sich als eine grundsätzlich literarische Untersuchung verstehen und steht unmittelbar im Zusammenhang mit einem revolutionären Kontext. Außerdem versucht meine Arbeit, die kollektiven Emotionen in einer langen Zeitspanne nachzuzeichnen.

Der revolutionäre Kontext war auch Teil von Andreas Pettenkofers „Euphorie des Protests: Starke Emotionen in sozialen Bewegungen“. Der 2006 veröffentlichte Artikel (in Schützeichel 2006) hob – in einer sozialwissenschaftlichen Perspektive – die Rolle der Emotionen in sozialen Bewegungen mit dem Fall des Autonomen Anti-AKW Protestes der 1970er Jahre hervor. Pettenkofer hat sich dabei mit dem spontanen Moment der Emotionsmanifestationen beschäftigt und legte viel Wert auf den „autonomen Charakter“ der Bewegung.[15] Die vorliegende Arbeit erfasst hingegen die Emotionen der Massen in ihrem langwierigen Entstehungsprozess und geht über ihre spontane Erscheinung hinaus. Pettenkoffers Artikel hat aber mit meiner Arbeit gemeinsam, dass ein historisches Ereignis untersucht wird. Der Roman, der der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, handelt von den historischen revolutionären Ereignissen der 1848er Jahre. Dieser historische Stoff wurde schon in einigen Revolutionsromanen aufgegriffen.[16] Im Jahre 2000 hat sich Kerstin Wilhelms in ihrem Buch Literatur und Revolution: Schauplätze und Geschlechterdramaturgie in Romanen der 1848er Revolution ausführlich mit einigen dieser Werke befasst. Grundlegend war in der Analyse von mehr als ein Dutzend Romanen und zwei Novellen die „Literarizität der Revolution“ das Ziel. Untersucht werden dabei die „diskursive Verfasstheit und bildliche Verarbeitung der Revolution“ sowie die Repräsentation der Revolutionserfahrungen. Es handelt sich dabei nicht primär um Emotionen. Meine Analyse von Berlin Feuerland konzentriert sich eher auf die Emotionen der Volksmassen, wie sie im Literarischen vermittelt werden.

Aus den genannten Arbeiten kann man ableiten, dass das Thema in literarischer Perspektive kaum behandelt wird. Über Berlin Feuerland. Roman eines Aufstand s selbst sind kaum Arbeiten zu verzeichnen. Der Roman ist noch relativ neu, er wurde im Juli 2015 veröffentlicht. Diese im gleichen Jahr verfasste vorliegende Arbeit wäre ohne Zweifel, wenn nicht die erste, dann eine der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem untersuchten Roman. Im Hinblick auf den dargestellten Forschungsstand ergibt sich, dass die vorliegende Arbeit sich mit einem noch unerforschten bzw. weniger erforschten Feld auseinandersetzt, sodass aus dem Gegenstand neue Erkenntnisse zu erwarten sind.

2. Definition von Konzepten

2.1. Masse

Das Wort Masse (Plural Massen) heißt auf Englisch mass oder crowd; auf Französisch masse, oder foule. Im naturphilosophischen und physikalischen Sinne stammt das Wort nicht nur vom lateinischen massa (Teig, Klumpen) und dem griechischen µάξα (Gerstenbrot), sondern auch vom hebräischen mazza (ungesäuertes Brot). Im 17. Jh. wurde der Begriff allgemein als physikalischer Fachausdruck benutzt, im Sinne der neuplatonischen Gedanken von Inaktivität der Materie im Gegensatz zur Aktivität und Spontaneität des Geistes. So war der Begriff durch Physiker wie u.a. Galilei, Kepler, Newton geprägt.[17] Erst nach der Französischen Revolution ist der Massenbegriff ein wissenschaftliches Thema geworden, das unterschiedlich wahrgenommen wird.

In politisch-sozialer Bedeutung erscheint Masse als « masse du peuple » (Volksmasse) im Zuge der Französischen Revolution. Mit derselben Bedeutung wurde der Begriff im Jahre 1793 durch Gentz im Deutschen eingeführt.[18] Ferner hat die Entstehung der industriellen Klassengesellschaft die Bedeutung des Begriffs beeinflusst. Masse wird in Bezug auf den Antagonismus von Bürgertum und Proletariat verwendet, nämlich als „Herrschaftsbegriff der Herrschenden gegen die Mehrzahl, die von der Herrschaft ausgeschlossen wird. Die Massen bilden die Unfreien, die Sklaven, die besitzlose Unterschicht der proletarii[19] (Graczyk 1993: 10). Geiger spricht in diesem Sinne von „Massen der Ausgeschlossenen“ (Geiger 1967 [1926]: 40). Aus dieser Desintegration der proletarischen Masse entstand Marx‘ „revolutionäre Masse“, die um politische und soziale Rechte bzw. einen generellen Gesellschaftsumbau durch die Umwälzung des bestehenden privatkapitalistischen Systems kämpfte (vgl. Marx, MEW 1, 1981: 385ff.). Lenin entwickelt die marxistische – auch quantitativ charakterisierte - Auffassung mit einer kommunistischen Prägung weiter, sodass Masse als revolutionärer Kampf des Proletariats gegen die Diktatur der Bourgeoisie charakterisiert wurde.[20] Warum wird also die herrschende Klasse von der Masse ausgeschlossen? Wahrscheinlich wegen des Negativbildes, das der Masse begriffsgeschichtlich zugeschrieben wird.[21]

Mit der Psychologisierung der Masse bei Le Bon, Ortega Y Gasset und schließlich Canetti tritt dieses Negativbild auf eine bemerkenswerte Weise hervor. Für Le Bon ist die Masse ein dämonisches Wesen, „so etwas wie die Sphinx der antiken Sage“ (Le Bon 1911 [1895]:71). Unter dem psychologischen Gesichtspunkt schreibt er der Masse – „eine Versammlung von Menschen“ (ebd.: 10) – Eigentümlichkeiten wie u.a. Triebhaftigkeit, Unfähigkeit zum logischen Denken, Mangel an Urteil und kritischem Geist, Überschwang der Gefühle, Verbrechen und Zerstörung zu (Le Bon, ebd.: 19ff.). Was Le Bon dabei übersehen hat, ist das, was die Masse dazu verleitet, solche emotionalen Eigenschaften zu zeigen. Hätte er die Gründe dafür untersucht, so würde sein Massenbild vermutlich anders aussehen.

Bei Canetti zeigt sich ein ähnliches Massenbild. Die Zerstörungssucht sei das, „was erst an der Masse ins Auge fällt“ (Canetti 1998, zuerst Hamburg 1960: 18). In seiner ausführlichen Auseinandersetzung mit der Massenproblematik teilt Canetti die Massen nach verschiedenen Formen ein: die offene Masse und die geschlossene Masse; die rhythmische Masse und die stockende Masse. Je nach Einteilung nach dem „tragenden Affekt“ erkennt Canetti einerseits die Hetz- und die Fluchtmassen, und andererseits die Verbots-, die Umkehrungs- und die Festmasse. Gemeinsam für all diese verschiedenen Massenformen sind die vier Haupteigenschaften, die Canetti ihnen zuschreibt: Wachstum, Gleichheit, Dichte und Richtung (ebd.: 31ff.). So sieht die Masse je nach Situation unterschiedlich aus. Insofern stellt sich die Frage, ob die Masse in einer ähnlichen Situation in diesen verschiedenen Formen nicht wandelbar ist.

Als eines der „soziale[n] Grundgebilde“[22] wird oft Masse von Menge unterschieden.[23] Dabei ist es schwierig zu wissen, wie viele Leute, im Gegensatz zur Masse, eine Menge bilden. Über all diese Schilderungen hinaus steht der Massenbegriff „in Verbindung mit anderen Phänomenen zur Bezeichnung von Erscheinungen in der heutigen Gesellschaft, die seit der Industrialisierung ein sprunghaftes Bevölkerungswachstum erlebte und welche die massenweise Versorgung der Individuen in verschiedenen Daseinsbereichen gewährleisten musste: Massenproduktion, Massenverkehr, Massenbildung, Massenmedien usw.“[24]

Zusammenfassend kann der Begriff der Masse folgendermaßen zu verstanden werden: einerseits als unbestimmte Ansammlung von Menschen, andererseits als die Gesamtheit oder die Summe der einzelnen Menschen, die durch dieselben Realitäten zweckmäßig verbunden sind.

2.2. Zur Unklarheit des Massenbegriffs in Berlin Feuerland. Roman eines Aufstands

Bei den Definitionen ist auf die Schwierigkeit hingewiesen worden, wie die Masse im Vergleich zu der Menge zu quantifizieren wäre. Diese Schwierigkeit bleibt ungelöst in dem zu analysierenden Roman. In den Aussagen des Autors ist es schwer, zwischen Menge und Masse quantitativ zu unterscheiden. Der Autor verwendet für dieselben Anlässe Begriffe wie „Menschenmenge“, „große Menschenmenge“, „Volk“, „Meer von Menschen“ und „Masse“. Als Beispiel gilt die Versammlung der Bürger im Tiergarten. In der Beschreibung folgen diese unterschiedlichen Begriffe für dieselbe Versammlung. „In Rudeln scharte sich das Volk zusammen. Die Menschenmenge quoll über die Wegränder und trampelte den Rasen platt.“ (S. 74) Auf der folgenden Seite heißt es ein „Meer von Menschen“. Gleich danach äußert sich eine Figur in diesen Worten: „Tu nicht so, als hättest du diese Massen[25] persönlich zusammengebracht“ (S. 75). Und später erfährt der Leser, dass es zehntausend Menschen waren, die sich versammelt hatten (S. 76). Weiter in der Erzählung tauchte aber ein quantitatives Massenbild des Autors auf. Es befindet sich im folgenden Satz: „Hätten auf dem Platz vor dem Zeughaus nicht zweihundert, sondern zweitausend[26] Aufständische gestanden…“ (S. 233). Hier stellt der Autor die Masse als Ansammlung von „tausenden Menschen“ vor. Die Unklarheit steht aber immer, da z. B. die zehntausend Menschen im Tiergarten vorher als „Menschenmenge“ angesehen sind.

Schäfers versucht - mag es ihm gelingen - diese Unklarheit zu beseitigen. Ihm nach hat die Menge, soweit eine „Vielzahl von Menschen“, mehr mit Zufall zu tun, wohingegen die Masse „eine größere Anzahl von Menschen“ ist, die mit einem – selbst wenn - plötzlichen Ziel verbunden sind.[27] Quantitativ gesehen bleibt der Unterschied unklar. Gleichwohl hat eine Menge das Potential, durch Wachstum eine Masse zu werden. Mit der qualitativen Wahrnehmung ist jedoch eine Unterscheidung möglich. Es geht um das Ziel. Sofern eine Menschenmenge sich wegen eines gemeinsamen Zieles zusammenfindet, gilt sie als Masse im qualitativen Sinne.

Angesichts des in dem zu analysierenden Roman vorhandenen Kontextes wird es einerseits um die qualitativ wahrgenommene Masse gehen. Insofern wird besonders auf die Volksmassen bezogen. Die Volksmassen, hier verbunden mit denselben soziopolitischen Umständen, verfolgen ein gemeinsames Ziel und finden sich deswegen zu einer Masse zusammen. In diesem Sinne gelten die Volksmassen als „wesentlich getrennte menschliche Vielheiten von Personen […], die aber auf 'gesellschaftlicher' Ebene sehr wohl verknüpft“[28] sind. Andererseits geht es um die quantitative Wahrnehmung der Masse: die Masse als eine aktuelle, sinnlich wahrnehmbare Ansammlung von Menschen, im Sinne von „Vorstellung einer räumlich oder dynamisch verbundenen, ungegliederten Vielheit gleichartiger Einheiten“[29]. Beide Massenvorstellungen erscheinen bei der revolutionär bewegten Masse, wie Canettis sogenannter Umkehrmasse.

2.3. Emotion

Jeder Mensch hat bzw. zeigt Emotion. Frustration, Ärger, Trauer, Angst, Mitleid, Zorn, Hass, Liebe usw. gehören zu dem alltäglichen Leben jedes Menschen. Aber die Frage „What is an Emotion?“, stellte schon 1884 William James.[30] Was ist eigentlich eine Emotion, bzw. was sind Emotionen? Über hundert Jahre später ist erstaunlicherweise eine befriedigende Antwort auf diese Frage keineswegs zu erwarten. Es gibt weder eine einheitliche Theorie noch eine interdisziplinär akzeptierte Definition von Emotion. Aber etymologisch kommt „Emotion“ aus dem Lateinischen emovere, emotum und bedeutet „herausbewegen“, „emporwühlen“, „erschüttern“. Das BI-Universallexikon definiert den Begriff als psychischer Prozess, der die Beziehung eines Menschen zu seiner natürlichen und sozialen Umwelt auf der Grundlage der Befriedigung oder Nichtbefriedigung von Bedürfnissen ausdrückt. Diese Beziehung kann entsprechend der Bedürfnisbefriedigung positiv (Lust) oder negativ (Unlust), stärker (Affekt) oder schwächer (Stimmung) ausgeprägt sein und das Handeln je nach Eigenart (z. B. Liebe, Zorn, Trauer) mitbestimmen.[31]

Diese Definition lässt verstehen, dass man Emotion zeigt, wenn man seine natürlichen oder sozialen Bedürfnisse befriedigt oder nicht befriedigt. Dabei kann die Emotion angenehm oder unangenehm, stärker und schwächer erscheinen. Anders gesagt, die Befriedigung oder die Nicht-Befriedigung der Bedürfnisse und Interesse ist der Maßstab für die Empfindungen. Da bleibt unbestimmt, was Bedürfnisse in diesem Sinne bedeuten. Würde man also sagen, dass Emotionen unbedingt auf Bedürfnisse bezogen sind? Was für Bedürfnisse würden z. B. die Emotion Angst erzeugen? Die Individuum-Umwelt-Beziehung, die mit der obigen Definition gemeint ist, wird auch in der Europäischen Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften bestätigt. Sie bestimmt lexikalisch Emotionen nicht nur als „Sinnesempfindung“, sondern auch als „Erlebnisqualitäten des Menschen in der Individuum-Welt-Beziehung“[32].

Eine Vielzahl von verwandten Begriffen wie Emotion, Affekt, Gefühl, Stimmung, Erregung, Trieb, Gemütsbewegung usw. bezeichnen die emotionalen Phänomene, die aber keine einheitlichen Sachverhalte sind. Sie beweisen also die Komplexität des Konzepts. Die Frage, was ein Gefühl oder eine Emotion ist, ist in der wissenschaftlichen Debatte noch aktuell, kontrovers und unbeantwortet. Es gibt verschiedene fachorientierte Definitionsversuche.

Einige Wissenschaftler sind der Ansicht, Emotionen bildeten das primäre Motivationssystem des Menschen, die wichtig für das Verhalten, das Empfinden und das Sein sind (Izard & Tomkins 1966). In der Allgemeinen Psychologie wurde die handlungssteuernde und bewertende Funktion von Emotionen untersucht. In dieser Perspektive definiert Lazarus Emotionen als „organisierte kognitiv-motivational-relationale Konfigurationen, deren Status sich mit Änderungen der Person-Umwelt-Beziehung, wie sie wahrgenommen und bewertet wird, ändert“ (Lazarus, 1991a, S. 38). Aus kognitivistischer Perspektive sind Emotionen also mentale Phänomene, die sich durch ihre intentionale Grundstruktur und ihren evaluativen Charakter beschreiben lassen. Emotionen sind dementsprechend intentional auf Dinge in der inneren oder äußeren Umwelt des Subjekts bezogen. Diese kognitive Auffassung der Emotion relativiert LeDoux später mit einer neurophysiologischen Darstellung der Emotionen. LeDoux zufolge seien Emotionen eine biologische Funktion des Nervensystems und sind der Kognition überordnet. Sie seien physiologische Mechanismen, die im Gehirn entstehen (LeDoux 1998; vgl. auch Damasio 2000, und Roth 2003).

Wenn LeDoux und die anderen die Emotionen nur körperlich verorten, dann hätten sie auch beweisen müssen, ob der Mensch ausschließlich ein physisches bzw. physiologisches Wesen wäre. Haben die Emotionen also keine äußerliche Motivation? Gleichdenkend verstehen Davidson, Scherer u. Goldsmith (2003) und Ekman (1984) Emotion als eine kurze Episode von koordinierten Veränderungen im Nervensystem. Emotionen nehmen da die Dimension einer nur kurzen Reaktion oder Handlung, die eine halbe bis vier Sekunden dauert (Ekman 1984: 332f.). Will man diese Ansicht hinterfragen, dann muss man erkennen, dass der situationelle Kontext, in dem das Individuum die Emotion erfährt, außer Frage eine über Sekunden dauernde Persistenz hat (Vgl. dazu Vester 1991: 42).

Weiner (2006) erfasst Emotion als eine Folge von motiviertem Verhalten, sodass Emotionen zu „readiness to act“, also zur Handlungsbereitschaft führen (vgl. Frijda 1986). Wie wird also diese Handlungsbereitschaft geschaffen? Averill stellt deshalb Emotion als ein sozial-konstruktivistisches Paradigma dar. Emotionen sind für ihn vornehmlich soziale Konstrukte, deren Eigenart von sozialen Regeln und Kontexten bestimmt wird (Averill 1980). In dieser Perspektive haben u.a. Hochschild (1979) und Flam/King (2005) Emotionen als „social, cultural and political constructs“ in Bezug auf soziale Bewegungen verstanden. Kemper (2006), Pionier der Emotionssoziologie - und später Neckel (1991) sowie Honneth (1992) - machen ihrerseits Emotionen zum Produkt sozialer Verhältnisse und zur wichtigen Quelle sozialer und politischer Konflikte.

Alle diese Bestimmungsversuche richten sich nach unterschiedlichen Terminologien und sind daher ausschließlich nicht für ausreichend oder erschöpfend zu halten, sondern sie betonen verschiedene Aspekte des Begriffs. Es ist auch nicht anzustreben, hier alle Emotionstheorien zusammenzutragen. Der Emotionsbegriff ist schließlich das geworden, was jede Theoriebildung darunter versteht. Wenn man Carlson und Hatfield gerecht werden will, dann kann die Vielfalt der Emotionsdefinitionen bildhaft zusammengefasst werden:

„Im Allgemeinen neigen Psychologen dazu, Emotionen in einer Weise zu definieren, die diejenigen Aspekte von Emotionen betont, die sie interessieren. In dieser Hinsicht sind sie wie die Blinden, die gebeten wurden, ihre Hände auf einen Elefanten zu legen und zu berichten, was »ein Elefant« ist. Je nach dem, welchen Teil sie zufällig berührten, bestanden sie darauf, dass ein Elefant »wirklich« die Form einer griechischen Säule, einer Wand oder einer Schlange hat. So konzentrieren sich kognitive Psychologen auf Gedanken und Bewertungen, wenn sie Emotionen definieren, während sich Physiologen auf physiologische Reaktionen konzentrieren, Verhaltensforscher auf emotionales Verhalten usw.“[33]

Letzten Endes können Emotionen biologischen oder neurophysiologischen Ursprungs sein. Sie können zudem auch als kognitive Prozesse verstanden werden. Ebenso können sie auch als soziale Konstrukte von gesellschaftlichen Normen bedingt verstanden werden oder aus einer sozialen Situation erfolgen. Die Emotionen lassen sich also u.a. unter neurologischer, psychologischer, soziologischer Perspektive bestimmen. Diese Disziplinen betonen zwar unterschiedliche Mechanismen und Komponente der Emotionen. Trotz der Komplexität des Begriffs bildet aber „eine gewisse Einheitlichkeit[34] den Ausgangspunkt, nämlich die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs Gefühl, der einen erlebten Zustand bezeichnet“[35]. Dadurch wird zumindest gewährleistet, wie auch Winko annimmt, „dass von 'demselben' Phänomen gesprochen wird, wenn auch eben unter sehr unterschiedlichen Perspektiven“ (Winko 2003: 108).

Wichtig ist zu wissen, dass Emotionen unsere Handlungen koordinieren; sie „beeinflussen gewöhnlich alle Aspekte des Individuums, den ganzen Menschen“[36]. Die Frage, was Emotionen seien, bildet jedoch nicht das Hauptziel der vorliegenden Arbeit. Zentral ist, dass eine präzise Begriffsbestimmung nicht unbedingt eine Voraussetzung für eine wissenschaftliche Arbeit ist, die sich mit dem Begriff beschäftigt. In diesem Sinne verweise ich auf Meyer et.al (1993: 22ff)[37], die eine „Arbeitsdefinition“ genügend finden. Ebenso plädieren auch Otto et.al (2000a) für eine umfassende Sichtweise des Begriffs Emotion. Von größerer Relevanz sind der Prozess ihrer Entstehung, deren Ausdruck und Wirkungen unter gewissen Umständen – hier in soziopolitischen Umständen - im Spannungsfeld Masse-Macht. Die Massenemotionen entstehen nicht automatisch. Ob man Frustration, Angst, Freude, Zorn, Wut, Ekel, Mitleid, Solidarität, Verachtung, Neid, Hass, Scham usw. fühlt, ist situationell bedingt, selbst wenn einige „unwillkürlich“[38] entstehen können.

2.4. Masse - Emotion - Revolution

Spricht man von Emotionen, dann referiert man zuerst auf Individuen. Die unterschiedlichen zusammengetragenen Theorien der Emotion sind daher mehrheitlich auf einzelnen Menschen bezogen. Eine Frage, die man sich stellen kann, wäre, ob und wie die Massen wirklich fühlen. Der Bezug auf Massenemotionen ist bei manchen Theoretikern vorhanden.

Trotz negativer Bewertung, erkennen Le Bon und Freud doch mit der sogenannten Extremsituation der Hypnose das Vorhandensein von Massenemotionen an. Le Bon spricht sogar von „emotionalisierte[r] Masse“[39]. Bei Canetti heißt es: „Die Massen […] sind von den verschiedenartigsten Affekten erfüllt“. […] Ob die Masse offen oder geschlossen ist, langsam oder rasch, unsichtbar oder sichtbar, sagt über das, was sie empfindet [H. v. mir], über ihren Gehalt, nur wenig aus.“[40] Wie schon dargelegt, wird die Masse durch Emotionalität von ihrem Gegenteil – den Eliten – bestimmt. Denn „in den Augen der staatlichen und politischen Elite sind die revolutionären Aktionen [der Masse] verbrecherisch, blind und unvernünftig“[41]. Sie wird irrationell wahrgenommen. Und ihre Urteilsbildungen und ihre Aktion werden emotional bestimmt. Mit der Frage, ob die Masse fühlt oder nicht, setzt sich Neckel in Anlehnung an Durkheim auseinander:

„Nun können Kollektive im strikten Sinne nicht fühlen – und doch stellen Gefühle kein allein individuelles Geschehen dar. Insofern Menschen einen Erfahrungsvorrat sozialer Wirklichkeit teilen, bilden sich unter ihnen auch gemeinsame Gefühlsdispositionen heraus. Auch stellen Kollektive wahre Brutstäten von Emotionen dar. Sie bündeln etwa bereits schon vorhandene Einzelgefühle oder lassen […] in der verdichteten Interaktion einer Gruppe gleichgerichtete Gefühle erst zutage treten.“[42]

Daraus folgt, dass die Masse als Kollektiv Emotionen zeigen kann, falls die Individuen eine gemeinsame soziale Wirklichkeit teilen. Wie massenhaft die Emotionen entstehen und sein können, hängt also davon ab, wie intensiv und solidarisch die Individuen sich in der gemeinsam erlebten Situation fühlen. Insofern können die empfundenen Emotionen Handlungen und Re-Aktionen durch situationalen Umstände bedingt sein. Eben bei Durkheim selbst findet man Reflexionen zu Kollektivempfindungen in der Gesellschaft, die für den sogenannten »Collective Behavior«-Ansatz grundlegend waren. Er unterscheidet in Der Selbstmord zwischen verschiedenen Kollektivempfindungen, Gemütsverfassungen und Kollektivgefühlen in der Gesellschaft und spricht beispielsweise von kollektiver Freude, Traurigkeit, Melancholie und Niedergeschlagenheit (Durkheim 1999b: 432-433).

Die Massen können also Gefühle haben und sie gegebenenfalls durch Handeln in die Tat umsetzen. Die Gesellschaften haben „emotionale Klimata“ oder „kollektive Gefühlslagen“[43], die sich in verschiedenen gesellschaftlichen Situationen allgemein wahrnehmbar sind und Handlungen auslösen. So geschieht es bei Revolutionen. Hier lohnt es sich, auf Canettis Erklärung der Umkehrungsmassen zu referieren.

„Revolutionen sind die eigentlichen Zeiten der Umkehrung. Die so lange wehrlos waren, haben plötzlich Zähne. Ihre Zahl muss wettmachen, was ihnen an bösartiger Erfahrung abgeht. Die Umkehrung setzt eine geschichtete Gesellschaft voraus. Die Abgrenzung bestimmter Klassen gegeneinander, von denen eine mehr Rechte als die andere hat, muss eine Weile bestanden, sie muss sich im täglichen Leben der Menschen lange fühlbar gemacht, bevor ein Bedürfnis nach einer Umkehrung entstehen kann. Die höhere Gruppe hatte das Recht, der tieferen Befehle zu erteilen, sei es, dass sie durch Eroberung ins Land kam und sich über die Einwohner setzte, sei es, dass die Schichtung durch Vorgänge im Inneren zustande kam. Jeder Befehl hinterlässt in dem, der gezwungen ist, ihn auszuführen, einen peinlichen Stachel [H.i.O.]zurück“[44]

Canetti verbindet auf diese Weise die Revolution mit einer ungünstigen Situation, die im täglichen Leben der Menschen lange fühlbar gewesen ist. Der Umkehrungswille hängt davon ab, wie die wehrlosen Menschen die Stacheln zu viel gefühlt oder empfunden haben. Canetti bestätigt weiterhin, dass die Aufständischen immer aus ihren Stacheln – also aus den von ungünstigen sozialen Umständen erzeugten Emotionen – heraus handeln. Eben wenn die Bürger von den sozialen Klassen losgelöst sind und weniger von den Reichtümern der Gesellschaft genießen und misshandelt werden, dann entstehen u.a. Frustration, Hass und Wut vor allem gegen die verantwortlichen Politiker. So kann es plötzlich zu explosionsartigen und offenen Aufständen kommen, die die unterdrückten Emotionen offensichtlich zum Ausdruck bringen. Man entdeckt auch bei Günther den Konnexus von Masse, Emotion und Revolution. Günther zufolge ist die Masse im psychologischen Sinne „eine vorwiegend revolutionäre, kriegerische und daher außeralltägliche Erscheinung im Sinne einer besonderen emotionalen […] Verbundenheit“.[45] Ferner weisen Flam und King (2005) auf den Zusammenhang zwischen sozialen Bewegungen und Emotion hin. „All movements are emotional and strategic, combining and balancing good intentions and good results“[46], sagte Ron Eyerman, und zeigt zudem, dass “demonstrations however involve a great deal of emotion”[47]. Derselben Auffassung ist Andreas Pettenkofer. In einem Artikel „Die Euphorie des Protests: starke Emotionen in sozialen Bewegungen“ (in Schützeichel 2006: 256ff.), zeigt er, wie verschiedene soziale Proteste in den 1970er Jahren emotional bedingt waren.

Am Anfang habe ich gezeigt, dass die Masse erst mit der Französischen Revolution an Bedeutung gewonnen hat. „Zum Begriff der Masse tritt damit untrennbar das Attribut des Aufständischen hinzu“.[48] Geiger erkennt dazu eine „funktionale Verbindung zwischen Masse und Revolution“ und bestätigt, „dass es keine echte Revolution gebe, an der nicht die Masse funktionell beteiligt wäre“.[49] Dazu schreiben Le Bon, Freud und Canetti und andere Autoren der Masse Gefühle zu. „Die Begriffe und Beschreibungsmuster, die das Phänomen der Masse erfassen, […] bilden sich im Zusammenhang jener sozialen und politischen Spannungen heraus, mit denen die Masse historisch in Erscheinung tritt“[50].

Es ist letzten Endes selbstverständlich, dass die Massenemotionen zumindest in unmittelbarem Zusammenhang mit revolutionären Bewegungen stehen. In dieser Perspektive liegt der vorliegenden Arbeit die Manifestation der Emotionen vor, während und nach einer Revolution zugrunde, da sich an das Wort „Revolution“ selbst „verschiedene Emotionskomplexe, so die Furcht und Hoffnung, die Sympathie und Abneigung“ (Michael Günther 2005: 422) knüpfen.

II. LITERARISCHE ANALYSE

1. Paratextuelle Analyse

1.1. Autor und Werk

Der junge deutsche Schriftsteller Titus Müller wurde am 15. Oktober 1977 in Leipzig geboren. Von Kindheit an las er schon viele Bücher und war eine „Leseratte“. Er hat Neuere Deutsche Literatur, mittelalterliche Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Berlin studiert. Dadurch kam sein literarisches Talent zum Vorschein. Schon im März 1998 gründete er die Literaturzeitschrift Federwelt, eine Zeitschrift für Selfpublisher und VerlagsautorInnen. Er war deren Herausgeber und Redakteur bis 2001. Im Jahre 2002 rief er mit Ruben Philipp Wickenhäuser den bundesweiten Autorenkreis Historischer Roman „Quo Vadis“[51] ins Leben und war auch in den Anfangsjahren dessen Sprecher. Im selben Jahr erschien Müllers Meisterroman Der Kalligraph des Bischofs. Wie dieser erste Roman sind die meisten seiner weiteren Werke historische Romane: u. a. Die Priestertochter (2003), Die Brillenmacherin und Die Todgeweihte (2005), Das Mysterium (2007), Die Jesuitin von Lissabon (2010), Nachtauge und Der Schneekristallforscher (2013).

Die literarische Produktion des jungen „Sammler, Staunende[n] und Entdecker“[52] wird auch mit großem Interesse rezipiert. Das bezeugen die vielen Rezensionen bzw. Presse- und Leserstimmen. Die „Berliner Morgenpost“ hält ihn für einen „Tycoon des Wortes“. Die „Welt“ ihrerseits stellt ihn als einen hellwachen und gut gelaunten jungen Intellektuellen vor.[53] Der Karl Blessing Verlag kennzeichnet seinen Roman Tanz unter Sternen (2011) als „eine[n] der spektakulärsten Stoffe des 20. Jahrhunderts – mitreißend erzählt“. Müller wurde auch schon oft prämiert. Für Die Siedler von Vulgata (2006) erhielt er den C. S. Lewis-Preis. Im gleichen Jahr belegte er den zweiten Platz beim Würth-Literaturpreis der Universität Tübingen. Sein Roman Das Mysterium wurde 2008 mit dem Sir-Walter-Scott-Preis (Bronzener Lorbeer) als einer der drei besten historischen Romane der Jahre 2007-2008 ausgezeichnet. Das deutschsprachige Internetportal Histo-Couch.de für historische Romane ernannte 2014 Titus Müller zum "Histo-König 2013" für seinen Roman Nachtauge (2013). Im selben Jahr nahm ihn die Schriftstellervereinigung P.E.N. (PEN-Club) auf. Müllers neuster historischer Roman ist 2015 erschienen. Berlin Feuerland. Roman eines Aufstands schildert die Märzrevolution der 1848er Jahre mit einer Liebesgeschichte im Hintergrund.

1. 2. Aktualität und Historizität

Der 480-seitige Roman spielt in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Er erzählt zwei ineinandergreifende Geschichten: eine Liebesgeschichte zwischen einem adligen Mädchen und einem armen Jungen sowie die historisch bezeugten emotionsvollen Einzelereignisse der Märzrevolution. Das preußische Volk, das lange unter der autoritären Herrschaft und Unterwerfung des wilhelminischen absolutistischen Kaisertums gelitten hat, steht auf und lässt seine Emotionen heraus, denen es jahrelang wehrlos ausgesetzt war. Die durch Armut und Not radikalisierten Unterschichten bringen ihre Wünsche zum Ausdruck: die Sehnsucht nach politischer Freiheit, wirtschaftlichem Aufschwung, Wohlstand und dem Recht auf Frieden. Die gleichgültige und gewaltsame Reaktion der kaiserlichen Macht gegenüber den Wünschen der Bürger erregt den Volkszorn und die Lage wird zur blutigen Revolution, die einen Wendepunkt im Deutschen Reich verursachte. Frustration, Empörungsgefühl, Hass, Angst und Wut interagieren dabei. Diese Interaktion der Emotionen, die die vorliegende Arbeit zu konkretisieren versucht, hängt mit dem im Roman beschriebenen sozialpolitischen historischen Kontext zusammen. Nur mit solchem Kontext, der zur Konfrontation zwischen Volksmassen und politischer Macht – zwischen entgegengesetzten „Ihr“ und „Wir“ - führt, kann diese Interaktion offensichtlich zutage treten.

[...]


[1] James M. Jasper: “The Emotions of Protest: Affective and Reactive Emotions in and around Social Movements.” In: Sociological Forum, Vol 13, 1998, S. 405.

[2] Helena Flam: Soziologie der Emotionen, eine Einführung, UVK-Verlag, Konstanz 2002, S. 296.

[3] Siehe Punkt 2.4.: „Masse – Emotion – Revolution“

[4] Simone Winko: Codierte Gefühle: zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2003, S. 11.

[5] Helmut König, „Wiederkehr des Massenthemas?“, In: Ansgar Klein et al.: Masse – Macht – Emotionen, zu einer politischen Soziologie der Emotionen, Westdeutscher Verlag, Opladen/Wiesbaden 1999, S. 27-39.

[6] Patrick Colm Hogan: What Literature Teaches Us about Emotion, Cambridge University Press, Cambridge, New York etc. 2011, S. 2.

[7] Die Märzrevolution ist eine Reihe von Aufständen und Proteste ab den 1830er Jahren in Preußen, die ihren Höhepunkt in der Revolution vom 18/19. März 1848 in Berlin hatten.

[8] Gunter Gebauer: „Kollektive Emotionen und Glaube: Das erhöhte Ich im Fußball“, in: ders./ Markus Edler(hrsg.): Sprachen der Emotion: Kultur, Kunst, Gesellschaft, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2014, S. 231.

[9] „Der Begriff „Emotionalisierung“ wird bei Schwarz-Friesel folgendermaßen definiert: „Das Wort Emotionalisierung (bzw. emotionalisieren) bezieht sich nicht auf den ich-bezogenen Erlebensprozess (wie bei fühlen), sondern auf den durch äußere Reize ausgelösten, reaktiven Vorgang der Emotionsauslösung“. (Monika Schwarz-friesel: Sprache und Emotionen, A. Francke Verlag (UTB), Tübingen; Basel 2007, S. 141). Es ist also klar, dass die Emotionalisierung den Vorgang der Emotionsauslösung impliziert bzw. bedeutet.

[10] Simone Winko: Kodierte Gefühle: zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2003.

[11] Simone Winko, op cit. S. 116

[12] Jeff Goodwin & James M. Jasper: “Emotions and social movements”, in: Handbook of the Sociology of Emotions, Springer US, 2006, S. 611-635.

[13] “The Emotions of Protest: Affective and Reactive Emotions in and around Social Movements.” In: Sociological Forum, Vol 13, 1998, S. 397-424.

[14] Jean-Pierre Reed: „Emotions in context: Revolutionary accelerators, hope, moral outrage, and other emotions in the making of Nicaragua’s revolution”, in: Theory and Society, vol. 33, no. 6, 2004, S. 653-703.

[15] 2010 hat sich Andreas Pettenkoffer in seinem Buch Radikaler Protest. Zur soziologischen Theorie politischer Bewegung (Campus Verlag, Frankfurt am Main) mit dem Prozess zur Entstehung politischer Proteste beschäftigt, dabei werden Emotionen jedoch kaum berücksichtigt.

[16] Vgl. u.a.: Louise Aston: Revolution und Conterrevolution (1849); Claire von Glümer: Fata Morgana. Ein Roman aus dem Jahre 1848 (1851); Louise Otto: Drei verhängnisvolle Jahre (1867); H.E.R. Belani: So war es. Politisch-sozialer Roman aus der Zeit vor und während der Märzereignisse in Berlin (1849), zitiert nach Kerstin Wilhelms: Literatur und Revolution. Schauplätze und Geschlechterdramaturgie der 1848er Revolution, Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 2000.

[17] Joachim Ritter/ Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 5: L-Mn, Schwabe & Co. AG., Basel/Stuttgart, 1980. S. 825-832.

[18] Gentz übersetzte in seiner damals sehr einflussreichen Übersetzung von E. Burkes Betrachtungen über die Französische Revolution (1790) das englische »crowd« mit dem französischen Terminus, „der vereinigte Haufen“ oder „eine große Masse“. (Vgl. Ritter & Gründer 1980: 828).

[19] Hervorhebung im Original.

[20] W. I. Lenin: Werke 31, Dietz Verlag, Berlin 1966, S. 182.

[21] Seit der Antike besteht zumeist ein negatives Bild der Masse. Hier kann man an den Spruch „Wer dem Volk vertraut, hat auf Sand gebaut“ denken. Dieses Negativbild hängt auch von der Tatsache ab, dass sie am unteren Ende der Gesellschaft steht im Gegensatz zu der Elite. Dazu gibt es verschiedene teilweise unbestimmte Namen, die sie bezeichnen, nämlich „Vielheit“, „breiter Haufen“, „gemeines Volk“, „Pöbel“. All diese Begriffe konvergieren darin, dass die Masse kein Urteilsvermögen besitzt. Sighele (1893) und Tarde (1901) bringen darüber hinaus die Masse vor allem in Verbindung mit Kriminalität und Verbrechen. In gleicher Perspektive behauptete der Massenpsychologe Serge Moscovici in seinem Werk „Das Zeitalter der Massen“: „Die Massen sind verrückt. Hartnäckig wie Unkraut hangelt sich diese Scheinwahrheit von Generation zu Generation“ (1986: 99). Die Masse wird auch als Negativbild zum Leitwert der Persönlichkeit gebraucht: sie ist „ein reiner Gegenbegriff zum Ideal und Bildungsbegriff des Individuums, das seinerseits positiv durch geistige und ethische Sensibilität, Kultur und Urteilsfähigkeit ausgezeichnet wird. Gegenüber den Leitwerten der tätig-strebenden entwickelten Persönlichkeit gilt die Masse als dumpf, träge, unkultiviert und dumm.“ (Graczyk 1993: 10). Dieses Bild kommt auch bei Ortega Y Gasset vor, der die Masse als „Gesamtheit der nicht besonders Qualifizierten“ bezeichnet, während er gleichzeitig die Eliten als „Individuengruppen von spezieller Qualifikation“ (Ortega Y Gasset 2002 [1930]: 8) darstellt. Einen Überblick über die Abwertung der Masse in der Zeit zwischen 1880-1939 schildert John Cary in seinem Hass auf die Massen: Intellektuelle 1880 -1939 (Steidl Verlag, Göttingen 1996).

[22] Biancan Lehmann: „Soziale Grundgebilde“, In: Bernhard Schäfers/Johannes Kopp (Hrsg.): Grundbegriffe der Soziologie, 9., grundlegend überarbeitet und aktualisierte Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 95f.

[23] Für Schäfers ist die Menge „eine Vielzahl von Menschen, die rein zufällig an einem Ort zusammen sind und zumeist nur sehr flüchtige ‚Ausweichkontakte‘ oder gar keine personenbezogenen Kontakte haben.“ Hingegen ist die Masse eine größere Anzahl von Menschen an einem bestimmten Ort (z.B. Straße, Platz, Stadion, Versammlungssaal), die sich bei bestimmten Anlässen aus zumeist unvorhersehbaren Gründen zu einem plötzlichen Ziel zusammenschließen. Dabei sind die Aktionen der beteiligten Personen in ihrem Verlauf nicht kalkulierbar. Eine „Vielzahl von Menschen“ und „eine größere Anzahl von Menschen“ sind soweit unbestimmt.

[24] Bernhard Schäfers, „Masse“, In: Bernhard Schäfers/Johannes Kopp (Hrsg.): Grundbegriffe der Soziologie, 9., grundlegend überarbeitet und aktualisierte Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 178.

[25] Hervorhebung von mir A. A.

[26] Hervorhebung von mir A. A.

[27] Bernhard Schäfers, „Masse“, In: op. cit.., S. 177f.

[28] Michael Günther: Masse und Charisma. Soziale Ursachen des politischen und religiösen Fanatismus, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2005, S. 98.

[29] Theodor Geiger: Die Masse und ihre Aktion. Ein Beitrag zur Soziologie der Revolutionen, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1967, S. 1

[30] James William: „What is an Emotion?“, in: Mind, Vol. 9, No. 34 (April 1884), S. 188-205.

[31] BI-Universallexikon, 2. DOM / INTAS, Bibliographisches Institut, Leipzig 1986, S. 72.

[32] Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, herausgegeben von Hans Jörg Sandkühler, Band 1-4, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1990, S. 663.

[33] J. G. Carlson & Eliane Hatfield: Psychology of Emotion, Holt, Rinehart & Winston, New York 1992, S. 5. Hier die Übersetzung von Bartsch und Hübner 2004: 14. Elektronisches Dokument, http://sundoc.bibliothek.uni-halle.de/diss-online/04/07H050/prom.pdf 22.01.2016.

[34] Viele Wissenschaftler haben den Unterschied zwischen Emotion und Gefühl betont. Der Begriff „Gefühl“ selbst eröffnet ein breites semantisches Feld je nach dem Kontext in der deutschen Sprache. Zimmer zufolge sind Emotionen eine andere Klasse von psychischen Vorgängen, „die mit eigentlichen Gefühlen wenig zu tun haben“ (Zimmer 1988: 17). Aber es wird trotzdem erkannt, dass Emotion irgendetwas mit Gefühl zu tun hat (Vgl. Felix Pfeiffer 2002).

[35] Otto Ewert: „Ergebnisse und Probleme der Emotionsforschung“ In: Enzyklopädie der Psychologie. Theorien und Formen der Motivation, herausgegeben. Von Prof. Dr. h. c. Hans Thomas. Verlag für Psychologie. Dr. C. J. Hogrefe, Göttingen, Toronto, Zürich 1983, S. 399.

[36] Carroll E. Izard: Die Emotionen des Menschen. Eine Einführung in die Grundlagen der Emotionspsychologie, aus dem Englischen übersetzt von Barbara Murakami, 3. Auflage, Psychologie Verlags Union, Weinheim 1994, S. 26.

[37] Zitiert nach Felix Pfeiffer: Verbalisierung der Emotionen bei gewaltbereiten Jugendlichen: Eine Analyse von Interviews in Strafvollzug, Diplomica, Hamburg 2002.

[38] Volker Heins: „Die Erziehung der Gefühle in Deutschland – Weber und Adorno“ In: José Brunner (Hrsg.): Politische Leidenschaften. Zur Verknüpfung von Macht, Emotion und Vernunft in Deutschland. Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 38, Wallstein Verlag, Göttingen 2010, S. 115ff.)

[39] Vgl. Frank Nullmeier, „Politik und Emotion“ In: Rainer Schützeichel (Hrsg.): Emotionen und Sozialtheorie, Disziplinäre Ansätze, Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006, S. 86.

[40] Elias Canetti, op.cit: S. 53

[41] Helmut König: Zivilisation und Leidenschaft. Die Masse im bürgerlichen Zeitalter, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 97

[42] Siegfried Neckel, „Kultursoziologie der Gefühle. Einheit und Differenz – Rückschau und Perspektiven“ In: Rainer Schützeichel (Hrsg.): Emotionen und Sozialtheorie, Disziplinäre Ansätze, Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006, S. 124.

[43] Heinz-Günther Vester, „Die soziale Organisation emotionaler Klimata“ In: Emotionen und Sozialtheorie, Disziplinäre Ansätze, Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006, S. 247.

[44] Elias Canetti: Masse und Macht, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1998, S. 65

[45] Michael Günther: Masse und Charisma. Soziale Ursachen des politischen und religiösen Fanatismus, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2005, S. 85.

[46] Ron Eyerman: „How social movements move, emotions and social movements „In: Helena Flam/ Debra King: Emotions and Social Movements, Routledge, London and New York 2005, S. 43.

[47] Ron Eyerman, ebd. S. 48.

[48] Helmut König: Zivilisation und Leidenschaft. Die Masse im bürgerlichen Zeitalter, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 97.

[49] Theodor Geiger: Die Masse und ihre Aktion. Ein Beitrag zur Soziologie der Revolutionen, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1967, S. 53.

[50] Annette Graczyk: Masse als Erzählproblem, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1993, S. 5.

[51] Der Autorenkreis Historischer Roman Quo Vadis war ein Zusammenschluss von professionellen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die sich verschiedensten Ansätzen im Bereich Historischer Roman widmeten. Zu seinen Mitgliedern zählten u.a. Rebecca Gablé, Derek Meister, Ulrike Schweikert, Horst Bosetzky, Wolf Serno. Viele der Mitglieder haben den Sir-Walter-Scott-Preis gewonnen. Zwölf Autorinnen und Autoren veröffentlichten im Jahre 2004 den Gemeinschaftsroman Die sieben Häupter. 2014 löste sich der Autorenkreis auf. https://de.wikipedia.org/wiki/Autorenkreis_Historischer_Roman_Quo_Vadis 05.11.15

[52] Titus Müller über sich selbst, »Ich bin Sammler, Staunender und Entdecker von Beruf. Was ich sammle, halte ich den Menschen hin.«, aufhttp://www.histojournal.de/journal/autorenportraits/titus-mueller/, 20.10.15.

[53] Für die drei Rezensionen, vgl. http://www.titusmueller.de/deutsch/presse.html05.11.15.

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Massenemotionen im revolutionären Kontext. Eine Auseinandersetzung mit "Berlin Feuerland: Roman eines Aufstands" von Titus Müller
Hochschule
Université de Lomé (anc. Université du Bénin)  (FLLA)
Note
17
Autor
Jahr
2017
Seiten
114
Katalognummer
V368485
ISBN (eBook)
9783668481251
ISBN (Buch)
9783668481268
Dateigröße
1036 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Massen, Emotionen, Volk, Märzrevolution, Volksmassen, Sozialbewegungen, Massenemotionen, Revolution, Zorn
Arbeit zitieren
Amevi Akpaglo (Autor:in), 2017, Massenemotionen im revolutionären Kontext. Eine Auseinandersetzung mit "Berlin Feuerland: Roman eines Aufstands" von Titus Müller, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/368485

Kommentare

  • Amevi Akpaglo am 12.7.2017

    Ich wünsche allen Lesern viel Spass bei Lesen meiner Arbeit. Ich freue mich auf Eindrücke, Anmerkungen und Kritiken

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Titel: Massenemotionen im revolutionären Kontext. Eine Auseinandersetzung mit "Berlin Feuerland: Roman eines Aufstands" von Titus Müller



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