Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einführung
2. Definition „das Böse"
3. Das Böse in Die$Ermittlung
3.1. Darstellung im Gericht
3.2. Darstellung durch Erzählungen der Zeugen
4. Schluss
Bibliographie
1. Einführung
„MEPHISTOPHELES. Ich bin der Geist, der stets verneint !
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär's, dass nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element."[1]
Alles, was Sünde und Zerstörung ist, ist das Böse. Sogar der Teufel selbst bedient sich dessen Namen in Goethes Faust I. Nebst Sünde und Zerstörung ist das Böse auch Hass, Gewalt und Vernichtung. Das Böse lässt sich demzufolge hauptsächlich zum Gegenteil alles Guten zusammenfassen. Und dieses Gegenteil des Guten manifestiert sich in vielen anderen berühmten literarischen Werken und wird dabei zum Gegenstand. Es kann in einem literarischen Werk ein Thema sein oder durch eine einzige oder mehrere Figuren verkörpert werden. Durch Taten, Worte und Charaktere wird das Böse lebendig gemacht und nimmt am Handlungsstrang teil. Unter anderem ist das Böse auch in Peter Weiss' Die Ermittlung zu finden, einem dokumentarischen Theater über die Frankfurter Prozesse. Das Böse ist in diesem Oratorium allgegenwärtig. Vor allem lässt es sich in den Täterfiguren, zu deren Anklagen mehrere Zeugen herbeigerufen werden, beobachten. Die grausamen Taten der SS-Besatzung machen die Figuren selbst zur Verkörperung des Bösen und spiegeln die Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges. Ziel dieser Arbeit ist, die Erscheinung des Bösen aufzuzeigen und zu analysieren. Nur durch Worte wirkt die Grausamkeit der Nazizeit nach, welche Peter Weiss künstlerisch darstellt. Es findet kein Handlungsstrang statt, ausser der Gerichtsverhandlung. Aber dadurch, dass nur Worte verwendet werden, stehen Angeklagte und Zeugen auf einer Stufe und das Werk wird statisch. Das Grauen des Zweiten Weltkrieges wird erneut greifbar gemacht, indem es literarisch verarbeitet wird und durch diese künstlerische Adaption erhält das Böse ein, oder sogar mehrere Gesichter. „[N]ach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch"[2], meint Theodor Adorno nachvollziehbarerweise. Denn diese Grausamkeit erneut aufleben zu lassen und darzustellen, ist selbst eine Sünde. Aber genau das ist Die Ermittlung auch, eine Darstellung von Barbarei und somit, eine Darstellung des Bösen.
2. Definition „Das Böse"
Das Böse fasst sich in allem Negativen zusammen. Es zeigt sich in körperlichem Übel, wie Krankheiten oder Tod sowie seelischem Übel, wie Gottesferne, Schuld oder Verbrechen. Jeder Mensch hat eine eigene Vorstellung, was böse ist; Eine Definition des Bösen aufzustellen ist daher schwierig. Und doch hat der Mensch Böses vor Augen, kann er es als solches bezeichnen. Verschiedene berühmte Philosophen haben jedoch Definitionen des Bösen verfasst und dieses auf verschiedenen Ebenen zu erklären versucht. In dieser Arbeit sollen zwei davon genannt werden. Immanuel Kant's Lehren werden von Christian Schäfer folgendermassen zusammengefasst:
„Der Mensch ist moralisch gesehen das und nur das, was er willentlich aus sich macht, und das, was er aus sich macht - im Sinne von gut oder böse -, entspricht gänzlich seiner grundsätzlichen Denkungsart, dem also, was er moralisch ist."[3]
Dieser Definition zufolge entscheidet der Mensch selbst über seinen Hang zum Bösen beziehungsweise zum Guten. Das Böse ist demzufolge willentlich vom Menschen selbst ausgelöst. Des Weiteren sei Kant's radikal Böses ein „natürlicher Hang des Menschen zum Bösen"[4]. Dieser wird anhand dreier Stufen erklärt. Die „Gebrechlichkeit der menschlichen Natur"[5] ist dieser Definition zufolge die erste Stufe, die zweite Stufe wird definiert als „Hang zur Vermischung unmoralischer Triebfedern mit den moralischen"[6] und die letzte Stufe sei der „Hang zur Annehmung böser Maximen, d.i. die Bösartigkeit der menschlichen Natur". Dass das Böse radikal ist, bedeutet folglich, dass es in jedem Menschen von Anfang an verankert ist, weil dieser gebrechlich ist und sich von unmoralischen Trieben verleiten lässt. Die Schlussfolgerung davon ist, dass der Mensch von Grund auf den Hang zum Bösen hat. Jedoch entscheidet der Mensch selbst, ob er diesem Hang schlussendlich nachgibt oder eben nicht. Die Möglichkeit, gut oder eben böse sein zu wollen und zu können, ist nach Kant's Definition entscheidend. Selbst wenn dem Menschen der Hang zum Bösen angeboren sei, so hat er doch die freie Wahl und die Macht des Wollens und Könnens, sich der angeborenen Bosheit willentlich zu widersetzen. Dies, indem der Mensch sich entgegen boshafter Handlungen und Gedanken entscheidet. Diese Freiheit steht jedem Menschen gleichermassen zu, weshalb das Böse weder begründet noch legitimiert werden kann. Hannah Arendt stellt eine weitere Theorie auf, entgegen dem radikalen Bösen. Sie bezeichnet das Böse als banal:
„Ich bin in der Tat heute der Meinung, dass das Böse immer nur extrem ist, aber niemals radikal, es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie. [...] Es widersetzt sich dem Denken, wie ich gesagt habe, denn das Denken versucht in die Tiefe, zu den Wurzeln zu gehen, und in dem Augenblick, in dem es sich mit dem Bösen befasst, wird es vereitelt, denn da ist nichts zu finden. Das ist seine Banalität."[7]
Arendt erklärt in diesem Abschnitt, dass die Banalität des Bösen in der Abwesenheit der geistigen Fähigkeiten eines Menschen liegt und nicht in dessen Moral oder Verstand. Das heisst, dass das Urteil eines Menschen über Gut und Böse im Wissen über Recht und Verstand begründet ist, aber nicht auf moralischen Überzeugungen[8]. Die Banalität des Bösen, laut Arendt, formt sich folglich aus der Unzulänglichkeit menschlichen Wissens. Sie erklärt, dass der Mensch nicht von Natur aus böse ist, sondern Böses dem Menschen zustösst, indem er es nicht als solches erkennt. Wer über Böses nachdenkt, erkennt es als solches, wer es aber nur geschehen lässt, ohne nachzudenken, der ist eben banal. Die philosophischen Aspekte von Recht und Unrecht werden durch diese Definitionen verdeutlicht. Ausgehend von diesen Lehren, kann das Böse jeden Menschen treffen, denn es ist in ihm verankert und wird gefördert durch menschliches Unwissen.
Weitverbreitetstes Gegenteil des Guten ist der Teufel, ein religiöses Geschöpf, das alles Negative in sich vereint. Gleichzeitig ist der Teufel auch Gegenteil von Gott, der alles Gute umfasst. Im Aberglauben, erschuf der Teufel die Krankheiten und die bösen Tiere und verkörperte die Schlange im Sündenfall[9]. Folglich ist der Teufel Ursprung der Bosheit und Verkörperung des Bösen durch Tiere. Der angeborene Hang des Menschen zum Bösen lässt sich demzufolge auch aus theologischer Sicht erklären. Das Böse ist im Menschen, wenn moralische Werte und Vorstellungen gegen unmoralische ankämpfen und verlieren. Aufgrund dieser verschiedenen Definitionen aus philosophischer und theologischer Sicht, kann das Böse erklärt werden.
3. Das Böse in Die Ermittlung
Die Ermittlung gibt furchtbare Handlungen und Taten aus der Vergangenheit wieder. Alle diese Gräueltaten lassen sich anhand verschiedener Definitionen des Bösen mit diesem verbinden. Denn Gewalt, Zerstörung, Hass und Sünde machen das Böse aus. Geteilt in zwei verschiedene Ansichten, manifestiert sich das Böse in diesem Werk anhand der Grausamkeiten der SS-Besatzung, die nun angeklagt wird. Aber nicht nur, dass durch die Aussagen der Zeugen schlimme Taten wieder an die Oberfläche geraten, die die verschiedenen Nationalsozialisten während der Kriegszeit verbrochen haben, sondern es wird auch im Gerichtssaal aufgezeigt, dass nach wie vor Ungerechtigkeiten herrschen. Diese beiden Sichtweisen begründen, dass das Böse zum Gegenstand des Prozesses wird. Der nüchterne Ton, in dem dieses Werk verfasst ist, spiegelt zudem die Maschinerie des Lagers und wirkt zugleich als Distanzierungsmittel. Bewusst wird auf Poetizität verzichtet, um das unvorstellbare Lager sachlich darzustellen. Der Rezipient kann sich somit nicht in seinen Emotionen verlieren, denn immer wieder werden die Zeugenaussagen abrupt beendet. Folglich wird eine objektive, nüchterne und karge Perspektive der Zeugen geschildert, die eine kritische Reflektion über die Tragödie des Nationalsozialismus ermöglichen. Zusätzlich zu dieser Kargheit wird das Urteil am Schluss bewusst weggelassen. Das Böse erhält kein Urteil, nur Anklage. Dies unterstreicht jedoch, dass das Stück dies nicht braucht, denn es ist selbst Richterspruch. Es endet mit einer verstörenden Aussage von Robert Mulka:
„Wir alle das möchte ich nochmals betonen haben nichts als unsere Schuldigkeit getan [...]
Heute
[...]
sollten wir uns mit anderen Dingen befassen als mit Vorwürfen die längst verjährt angesehen werden müssten"[10]
Statt einem Urteil wird dem Rezipienten erneut das Böse vor Augen geführt, indem der Angeklagte seine Unschuld beteuert und auffordert, das Kapitel des Nationalsozialismus zu vergessen. Diese Aussage wird nur zu seinem Selbstschutz gemacht und nicht aufgrund wahrer Begebenheiten.
[...]
[1] Goethe, Johann Wolfgang von; Mittelberg, Ekkehard (Hrsg.); Pickerodt-Uthleb, Erdmute J.; Pickerodt, Gerhart 2(2009): Faust I - Klassische Schullektüre. Berlin: Cornelsen Verlag. S. 57f.
[2] Adorno, Theodor W. (1951): Kulturkritik und Gesellschaft, in: ders. 10(2003): Kulturkritik und Gesellschaft I - Prismen, Ohne Leitbild. Frankfurt am Main, Suhrkamp. 11-30. S. 30.
[3] Schäfer, Christian (Hrsg.) (2014): Was ist das Böse? - Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH &Co. KG. S. 197.
[4] Ebd. S. 204.
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Young-Bruehl, Elisabeth (Hrsg.); Holl, Hans Günther 4(2004): Hannah Arendt - Leben, Werk und Zeit. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 50.
[8] Arendt, Hannah; Kohn, Jerome (Hrsg.), Augstein, Franziska, Ludz, Ursula (2006): Über das Böse - Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. München: Piper Verlag. S. 27.
[9] Hoffman-Krayer, E. (Hrsg.); Bächtold-Stäubli, Hanns (1937): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 8. Berlin: Walter De Gruyter & Co. S. 741.
[10] Weiss, Peter 16(2014): Die Ermittlung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. S. 198f.