Bürokratie nach Max Weber. Eine erweiterte Analyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

27 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Max Webers Bürokratiemodell in der Organisationstheorie
2.1 Allgemeine Merkmale von Organisationen nach Vahs
2.1.1 Organisationen verfolgen Ziele
2.1.2 Organisationen sind soziale Systeme
2.1.3 Organisationen haben eine formale Struktur
2.2 Der historische Hintergrund von Max Webers Bürokratieansatz
2.3 Der Prozess der Rationalisierung
2.4 Rationalisierung der Institutionen: Idealtypische Herrschaftsformen
2.5 Merkmale bürokratischer Herrschaft
2.5.1 Arbeitsteilung
2.5.2 Amtshierarchie
2.5.3 Amtsführung/Aufgabenerfüllung
2.5.4 Aktenmäßigkeit
2.6 Erster Ausblick

3. Qualitätsentwicklung im Schulsystem
3.1 Vorgehen: Schriftliches Interview mit einem Lehrer
3.2 Zielvereinbarungen zwischen Schulen und Schulverwaltung
3.3 Bildungspläne 2004 und 2016

4. Auswertung des Interviews
4.1 Allgemeine Eindrücke
4.2 Die Probleme der Lehrer mit den Reformen
4.3 Analyse der Problemkomplexe
4.3.1 Abwehrreflexe
4.3.2 Ressourcen
4.3.3 Verluste bei der Übertragung

5. Zusammenfassung und Ausblick

6. Abbildungsverzeichnis

7. Literaturverzeichnis

Anhang 1: Das Interview A zu den Zielvereinbarungen

Anhang 2: Das Interview B zu den Bildungsplänen

1. Einleitung

In dieser Arbeit wird das organisationstheoretische Modell von Max Weber vorgestellt. Dazu wird die Vorgeschichte ebenso beleuchtet wie die drei Idealtypen von Herrschaft und die Merkmale von Bürokratie. Das Ziel dabei ist es dieses Modell als Grundlage für die Analyse eines Praxisbeispiels zu nehmen. Als Beispiel wird in dieser Arbeit das Vorgehen der Schulverwaltung bei Durchführung von Reformen im Bildungsbereich genommen. Dazu wird ein Lehrer, der an einem Gymnasium unterrichtet, zu zwei Bereichen von Schulreformen interviewt, was einen Einblick in die Welt der Lehrerinnen und Lehrer geben soll. Auf dieser Basis kann dann untersucht werden, wie sehr das System von Schule und Schulverwaltung Max Webers Kriterien der Bürokratie entspricht, und wo es aus welchen Gründen Abweichungen davon gibt.

2. Max Webers Bürokratiemodell in der Organisationstheorie

2.1 Allgemeine Merkmale von Organisationen nach Vahs

Der Begriff der Organisation wird in der organisationstheoretischen Literatur sehr unterschiedlich definiert. Dietmar Vahs fasst die wichtigsten Gemeinsamkeiten der Definitionen von Kosiol, Grochla, Kieser und Kubicek unter folgenden drei Merkmalen zusammen, die für die spätere Analyse des Fallbeispiels hilfreich sind:1

2.1.1 Organisationen verfolgen Ziele

Organisationen werden nicht nur zu Erreichung von Zielen eingesetzt, sondern sie besitzen bzw. entwickeln dabei auch selbst eigene Ziele. Man muss hierbei unterscheiden zwischen den Individualzielen der Mitglieder, die von der Einkommenssicherung bis zur Selbstverwirklichung reichen, und Zielen der Organisation. Von solchen Organisationszielen kann laut Vahs aber nur dann die Rede sein, wenn sich die Mitglieder „… in einem formal festgeschriebenen, legitimierten Prozess auf bestimmte Ziele geeinigt haben“.2

2.1.2 Organisationen sind soziale Systeme

Organisationen sind nicht aus mechanischen Einheiten, sondern aus Menschen zusammengesetzt, die jeweils unterschiedliche Werte, Ziele und Gewohnheiten haben können. Hinzufügen kann man hier auch Aspekte wie unterschiedliche Bedürfnisse und gesundheitliche und familiäre Voraussetzungen. All dies ist zu bedenken, wenn ein Erfolg in der Erreichung der Organisationsziele angestrebt wird. Ohne Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und Ziele kann es trotz sorgfältiger Planung und Absprache zu unerwarteten Problemen kommen.

2.1.3 Organisationen haben eine formale Struktur

Das bedeutet, dass eine Organisation ohne innere Struktur, Ordnung und klare Regeln eigentlich keine Organisation mehr wäre. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass es nur so zu einer wirksamen und nachhaltigen Arbeitsteilung kommen kann, wobei in der Regel die einzelnen Mitglieder keinen Überblick über die genauen Abläufe bei den anderen Mitgliedern haben. Neben koordinierenden Untereinheiten der Organisation spielen dabei Regeln und Verfahrensweisen eine entscheidende Rolle.

Auch die Organisationstheorien sind sehr vielfältig, was an ihren unterschiedlichen Entstehungskontexten, Fragestellungen, Annahmen und Methoden liegt. Als Gemeinsamkeit dieser Theorien schreibt Scherer: „Sie [die Organisationtheorie] dient dem Zweck, das Entstehen, das Bestehen und die Funktionsweise von Organisationen zu erklären bzw. zu verstehen. Sie dient damit (implizit oder explizit) der Verbesserung der Organisationspraxis (kursiv im Original - die Verf.).“3 Nach diesen allgemeinen Darstellungen wird nun die Organisationstheorie von Max Weber in der Darstellung von Alfred Kieser vorgestellt.

2.2 Der historische Hintergrund von Max Webers Bürokratieansatz

Kieser sieht den Beginn der bürokratischen Verwaltung im absolutistischen Zentralstaat Frankreich, deren Ziel vorrangig darin bestand, die Eintreibung der Steuer zu regeln. Zuständig waren hierfür Beamte. Im 19 Jahrhundert breitete sich dieses Modell immer mehr aus. Damit war ein Wandel der bisherigen Herrschaftsformen verbunden, die die Aufmerksamkeit der Historiker auf sich zog. Der Wirtschaftshistoriker Schmoller formulierte am Ende der 19. Jahrhunderts ein Modell, laut dem Gesellschaften nicht nur aus Volk und einem Führer, sondern auch aus einem Stab des Führers bestehen, d. h. den Personen bzw. den Ämtern der staatlichen Verwaltung, die im Dienst der Herrschaft des Führers standen.

Der Stab durchläuft laut Schmoller historisch vier Entwicklungsstufen: Anfangs waren Verwaltungsämter eine gesellschaftliche Rolle unter vielen. Danach wurden diese Ämter erblich weitergegeben. Im dritten Stadium werden diese Ämter nur für eine bestimmte Zeit übertragen. Im letzten Stadium „wird das Beamtentum zum Lebensberuf und weist eine Karrierestruktur auf“4. Damit ist auch angedeutet, dass die Verwaltung immer professioneller, effektiver und spezialisierter wird. Damit einher geht aber auch das Risiko, dass die Verwaltung sich immer weniger von den Herrschenden kontrollieren lässt. Max Weber (gest. 1920 n. Chr.) hat sich ebenfalls mit diesen Fragen und Problemen befasst und diese in einen größeren Zusammenhang gestellt, nämlich den der Rationalisierung.

2.3 Der Prozess der Rationalisierung

Weber geht von einer Entwicklung in Form von Rationalisierung aus und betrachtet dabei drei Ebenen, wobei es um Berechenbarkeit, Beherrschbarkeit und Zweckmäßigkeit geht. Der grundlegende Bereich ist dabei das der Weltbilder und Glaubenssysteme. Hier sieht Weber eine Entwicklung vom magischen Weltbild zu einer rationaleren Form des Monotheismus. Anfangs stellten sich die Menschen vor, dass alle Dinge von Göttern und Geistern beseelt sind. Das bedeutet, dass jederzeit alles passieren kann, da der Wille dieser Götter und Geister aus Sicht der Menschen willkürlich und nicht berechenbar ist. Unangenehme Ereignisse und Krankheiten werden nicht mit unpersönlichen Ursachen im Sinne von einfachen Gesetzmäßigkeiten in der Natur erklärt, sondern beispielsweise damit, dass jemand von einem Dämon besessen ist, oder dass jemand Unheil widerfahren ist, weil er einen Gott beleidigt hat. Dieses Denken erschwert auch eine Beherrschung der Natur, da beispielsweise das Fällen eines Baumes einen Baumgott verärgern könnte.5 Dahinter steckt die Vorstellung eines Monismus: „Natürliches und Übernatürliches sind nicht voneinander zu trennen.“6

In den abrahamitischen Religionen werden dualistische Weltbilder vertreten, die die Welt als Schöpfung eines allmächtigen Gottes betrachten, die aber nicht identisch mit ihm ist. Darum kann man sich der Welt nun instrumentell annähern. Damit ist eine wichtige Hemmung vor dem technischen Umgang mit der Natur beseitigt. Weber vertritt die Auffassung, dass dies alleine aber noch nicht reicht, um die europäische Entwicklung in Richtung technischer und wirtschaftlicher Höchstleistungen zu erklären. Denn in einer entzauberten Welt wäre es auch möglich sich der „mystischen Kontemplation“7 hinzugeben, wie im Hinduismus. Dass das Abendland nicht in diese Richtung gegangen ist, lag laut Weber „an der j ü dischen Religion, die extrem magiefeindlich war (kursiv im Original - die Verf.)“8 Nicht Weltflucht, sondern Umsetzung des Willens Gottes in der Welt war die Aufgabe der jüdischen Propheten. Im Rahmen der christlichen Konfessionen war es laut Weber der Calvinismus, dessen Glaubensvorstellungen die Entstehung des Kapitalismus beförderten: „Im Calvinismus wurde rastlose (kursiv im Original - die Verf. ) Berufsarbeit zur asketischen, gottgefälligen Übung: ‘aktive innerweltliche Askese‘ “9. Als Hintergrund sagt Weber, dass dies an der calvinistischen Prädestinationslehre lag: Demnach hat Gott manche Menschen zur ewigen Verdammnis verurteilt und andere für das ewige Seelenheil vorgesehen. Es wurde somit zur Aufgabe des Gläubigen „zu erkennen, ob er zu den Auserwählten gehöre.“10 Insgesamt soll diese Haltung zu einer leidenschaftlichen Zuwendung zum irdischem Erfolg geführt haben, wobei gleichzeitig ein Leben in Luxus und Ausschweifung aufgrund der Askese abgelehnt wurde. All dies beförderte laut Weber eine Zunahme des Kapitals verbunden mit einer zunehmenden Rationalisierung der Arbeit und Unternehmensstruktur. Zusammenhängend mit diesem allgemeinen Prozess der Rationalisierung kommt es schließlich auch zu einer Rationalisierung von Herrschaft bzw. von Institutionen.

2.4 Rationalisierung der Institutionen: Idealtypische Herrschaftsformen

Um die Stufen der Rationalität besser zu beschreiben, führt Max Weber der Begriff der Idealtypen ein. Diese dienen einer Kategorisierung von Phänomenen, aber sind nicht einfach Sammelbegriffe für ähnliche Phänomene, sondern umschreiben idealisierte Typen eines Phänomens, die bewusst zugespitzt sind und gar nicht beanspruchen in der Wirklichkeit so vorzukommen. Die Annahme ist, dass die Phänomene Mischtypen davon sind, aber dass in diesen oft eine Dominanz eines bestimmten Idealtyps beobachtet werden kann.

Hinsichtlich der Herrschaft unterscheidet Weber drei Typen von Idealtypen mit einem zunehmenden Grad von Rationalität und unterschiedlichen Begründungsinstanzen. Weber sieht drei Formen von legitimer Herrschaft nämlich charismatische Herrschaft, traditionale Herrschaft und legale Herrschaft.

Charismatische Herrschaft gründet in der Persönlichkeit oder außerordentlichen Auszeichnung eines Herrschers, dem die Menschen aufgrund des Vertrauens in ihn Folge leisten. Beispiele hierfür wären ein Prophet, ein Kriegsheld, aber auch ein erfolgreicher Demagoge. Für den Stab ist nicht Qualifikation, sondern Führertreue wesentlich. Die Entscheidungen werden nicht anhand einer Satzung, sondern für jeden Einzelfall neu getroffen, zum Beispiel anhand von Intuition oder Eingebung.11

Traditionale Herrschaft geht von Ordnungen aus, die seit jeher bestehen und die von sich auch anerkannt sind, wie zum Beispiel bei Ordnungen mit Heiligkeit. Laut Hans-Peter Müller ist es historische Kontinuität, durch die sich diese Herrschaftsform auszeichnet.12 Der Führer ist der Herr, dem aufgrund seiner Legitimation aus der Tradition heraus gehorcht wird. Wir sehen hier also einen ersten Schritt von der Persönlichkeit des Befehlers hin zur Legitimation durch gegebene Strukturen, in diesem Fall also eine überlieferte Struktur. Der Befehler selbst verfügt aber immer noch über eine große Freiheit in seinen Entscheidungen und muss abgesehen von seinen traditionalen Bindungen niemandem Rechenschaft ablegen.

Sowohl charismatische, als auch traditionale Herrschaft sind laut Kieser „vorrationale Formen der Herrschaft“13. Erst die legale Herrschaft begründet Herrschaft rein rational, d. h. als Mittel zu einem Zweck. In Anlehnung an Gabriel nennt Kieser als Merkmale von Rationalität: Sachlichkeit, Unpersönlichkeit und Berechenbarkeit.14 Damit verbunden ist, dass die Grundlage der Herrschaft nicht mehr das Charisma einer Person, oder Tradition ist, sondern eine Satzung, die für das Erreichen bestimmter Zwecke verfasst worden ist. Dabei sind es sachliche Gründe, die zur Aufstellung und auch zur Abänderung der Satzung führen können. Rechtsmäßigkeit wird hier zu einem wichtigen Kriterium für die Legitimität von Entscheidungen. Im Idealfall bleibt hier kein Raum für Willkür. Der Befehlende ist nur noch ein Vorgesetzter, der selbst verpflichtet ist sich an die Satzung zu halten. Der Verwaltungsstab besteht aus Beamten, die zur Ausübung dieser Tätigkeit ausgebildet sind. Diese Form der Herrschaft ist unpersönlich. Die reinste Form der legalen Herrschaft ist laut Müller die bürokratische Herrschaft.15

2.5 Merkmale bürokratischer Herrschaft

Der bürokratische Verwaltungsstab, also die Beamten im modernen Sinne, erhalten Ihr Einkommen gemäß eines Vertrages. Sie werden aufgrund von Qualifikation ausgewählt und eingestellt. Dabei kann der Leiter des Stabes auch auf anderen Wegen wie Wahlen oder Erbmonarchie eingesetzt worden sein. Beamte führen ihre Arbeit als hauptberufliches Amt durch, haben eine fest geregelte Laufbahn vor sich und ein fest geregeltes Gehalt. Jegliche Form von Zahlungen, die zu Korruption führen können, ist ausgeschlossen. Folgende vier Merkmale vom Bürokratie werden von Weber hervorgehoben:16

2.5.1 Arbeitsteilung

Um die Zwecke der Bürokratie zu erreichen, bedarf es einer fest geregelten Aufgabenverteilung, was auch Weisungsbefugnisse und Hierarchien beinhaltet. Die Kompetenzen der Stabsmitglieder werden dabei unabhängig von Personen festgelegt. Stattdessen sind es die einzustellenden Personen selbst, von denen man eine Qualifikation bzw. eine entsprechende Ausbildung für die bereits vorliegenden Stellen verlangt. Die Folge ist, dass die Mitglieder austauschbar bleiben.

2.5.2 Amtshierarchie

Die bürokratische Verwaltungsstruktur beinhaltet eine Hierarchie von Vorgesetzten und Untergeordneten, womit eine reibungslose Koordination garantiert werden soll. In der Amtshierarchie höherstehende Mitglieder der Verwaltung überwachen die Arbeiten der Untergeordneten, aber greifen im Regelfall nicht unmittelbar in diese ein. Die Überwachung erfolgt nach vorgegebenen Regeln und Verfahren, um auch hier Willkür zu vermeiden. Die höheren Instanzen haben jedoch auch die Aufgabe Konflikte auf den unteren Stufen zu lösen, wenn für diese dort keine Lösung gefunden werden könnte. Gemäß dem Merkmal „Aufgabenteilung“ wird von den höheren Instanzen auch eine entsprechend höhere Qualifikation erwartet.

2.5.3 Amtsführung/Aufgabenerfüllung

Es gibt ein System von festen technischen Regeln und Normen, an die sich alle Mitglieder der Verwaltung halten müssen. Die Kommunikationsstruktur innerhalb der ganzen Verwaltung wird über den Dienstweg geregelt. Der Dienstweg klärt, „wer mit wem kommunizieren darf oder muß.“17 Auch Verfahren bei der Pflichterfüllung und der Rahmen der Kompetenzen ist vorgegeben.

2.5.4 Aktenmäßigkeit

Nicht nur die Regeln sollen schriftlich fixiert sein, sondern auch die Vorgänge selbst. Das bedeutet, dass Ergebnisse und Beschlüsse dokumentiert werden müssen. Dokumente sind das wichtigste Kriterium um eine Aufgabenerfüllung festzustellen. Auch eine Kommunikation gilt erst dann als vollzogen, wenn sie schriftlich dokumentiert ist. Die Aufbewahrung der Akten stellt sicher, dass die Aufgaben weiterhin personenunabhängig fortgeführt werden können, wenn es einen Wechsel bei den Verwaltungsmitarbeitern gibt.

2.6 Erster Ausblick

Auch wenn die hier betrachteten Strukturen, die eine Umsetzung von Rationalisierung sind, die staatliche Verwaltung betreffen, kann man sie auch im Bereich der Wirtschaft und vielen anderen Bereichen vorfinden. Oben wurde dies am Beispiel der „innerweltlichen Askese“ bei den Calvinisten gezeigt, was für Weber ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der Wirtschaft ist. Das von Weber untersuchte Kriterium war das der Rationalisierung. Die Bürokratie mit ihren oben genannten Merkmalen erfüllt die anfangs erwähnten Kriterien der Rationalität wie Sachlichkeit, Unpersönlichkeit und Berechenbarkeit.

Die „Entzauberung“ der Welt bedeutet in der Herrschaft die Entzauberung der Autorität und der Konventionen. Dies macht die Bürokratie lernfähig und effizient. Die Qualität ihrer Satzung muss sich dadurch zeigen, ob sie der Erreichung bestimmter Zwecke dienlich oder hinderlich ist.

Ein wichtiger Faktor, der zur Effizienz beiträgt, ist laut Kieser „daß den Beamten jeglicher Eigensinn ausgetrieben (kursiv im Original - die Verf.) wird.“18 Dieser Punkt wird in der Fallanalyse unten eine Rolle spielen. Darum folgt hier noch ein passendes Zitat dazu von Weber, laut dem der Beamte so handelt, „als ob er den Inhalt des Befehls um dessen Selbst willen zur Maxime seines Verhaltens gemacht habe und zwar lediglich (kursiv im Original - die Verf.) um des formalen Gehorsamsverhältnisses halber, ohne Rücksicht auf die eigene Ansicht über den Wert oder Unwert des Befehls als solche.“19 Das ist sozusagen der idealtypische Beamte in der idealtypischen Bürokratie.

Eine Schwierigkeit, die diese Rationalisierung erzeugt, liegt darin, dass Bürokratien aufgrund der starren Struktur und der eigenen Logik zu einem „stahlharten Gehäuse“20 werden können, das Freiheiten einengt, sodass die Mittel der Bürokratie so bedeutend wie Zwecke werden können. Die Unpersönlichkeit, die eigentlich ein Kriterium für Rationalität ist, kann dazu führen, dass sowohl Mitglieder der Verwaltung, als auch Außenstehende von der Struktur eher gehindert statt gefördert werden. Die Willkür des Herrschers ist zwar verschwunden, aber die Starrheit der Regeln kann manchmal auch als Willkür empfunden werden, die einfach aussehende Vorgänge erschwert. Weber schlug als Lösung vor, dass an die Spitze von bürokratischen Strukturen charismatische Führer gestellt werden sollen, die verhindern sollen, dass Bürokratien ein weltfremdes Eigenleben entwickeln.21 Das ist eine interessante Wendung: Die Risiken der Rationalisierung sollen reduziert werden, indem Elemente eingebaut werden, die ursprünglich noch ein Hindernis für Rationalisierung waren.

3. Qualitätsentwicklung im Schulsystem

Max Webers bis hierher vorgestellte Organisationstheorie soll nun auf einen realen Praxisfall bezogen werden, der die aktuelle staatliche Verwaltung betrifft, und zwar geht es um zwei Bereiche der Schulentwicklung in Baden-Württemberg. Zunächst zur allgemeinen Situation: Laut Grundgesetz gilt: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“22 (Grundgesetzt Art. 7 Abs. 1). Konkreter heißt es in der Landesverfassung: „Die Schulaufsicht wird durch fachmännisch vorgebildete, hauptamtlich tätige Beamte ausgeübt.“23 (Landesverfassung Art. 17 Abs. 1) Auf der Website des Kultusministeriums, das diese Tätigkeiten koordiniert, heißt es:

„Das Kultusministerium ist oberste Schulaufsichtsbehörde. Bei Gymnasien und beruflichen Schulen obliegt die Fach- und Dienstaufsicht den Regierungspräsidien als obere Schulaufsichtsbehörden. Regierungspräsidien gibt es in Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Tübingen.“24

Hier haben wir also das von Weber genannte Merkmal der Amtshierarchie in einer besonderen Form: Die Regierungspräsidien übernehmen für die Kultusverwaltung die Dienstaufsicht über die Schulen. Nach den internationalen Schulvergleichsstudien TIMMS, IGLU und vor allem PISA setzte ein umfassendes Erneuerungsbedürfnis im Bildungswesen ein, das zu vielen neuen Konzeptionen führte, die natürlich auch mit Fragen der Steuerung einhergingen. Zum Thema Schul- und Qualitätsentwicklung liest man auf der Website des Kultusministeriums:

„Auf der Grundlage einer empirisch gesicherten Erkenntnis über Stärken und Schwächen können im Sinne eines Steuerungswissens positive Entwicklungen stabilisiert und wo nötig Fehlentwicklungen korrigiert werden.“25

Dies entspricht einem Rationalisierungsziel: Damit Bildung nachhaltiger ist, sollen die Stärken und Schwächen des aktuellen Systems empirisch und somit möglichst objektiv festgestellt werden, um eventuelle Korrekturen vornehmen zu können, die sachlich begründet sind. Die Empirie macht also die Schwächen des Systems benennbar bzw. berechenbar. Der Schritt zur Korrektur ist dann nicht mehr weit.

Im Folgenden sollen als Beispiele für solche Korrekturen die Neurungen in den Bildungsplänen aus den Schuljahren 2004/05 und 2016/17 betrachtet werden, sowie die Methode der Zielvereinbarungen zwischen Schulen und Schulverwaltung zur Verbesserung und Entwicklung von Schulen.

3.1 Vorgehen: Schriftliches Interview mit einem Lehrer

Nun sollen mit offenen Fragen die Eindrücke eines Lehrers an einem staatlichen Gymnasium in Stuttgart abgefragt werden. Dazu erhält er schriftliche Fragen, auf die er schriftlich antworten soll. Dieses Vorgehen liefert keine repräsentativen Ergebnisse für alle Schulen und ermöglicht auch keine objektive Bestandsaufnahme der echten Situation an seiner Schule. Aber sie ermöglicht einen Einblick in das, wie der befragte Lehrer selbst die Schulentwicklungsschritte wahrgenommen hat und welchen Umgang seiner Kolleginnen und Kollegen er dabei beobachtet hat. Damit soll anschließend ein Vergleich mit Webers Bürokratiemodell gezogen werden.

Der befragte Lehrer, der im Folgenden als LK (für Lehrkraft) bezeichnet wird, stammt aus dem Bekanntenkreis der Verfasserin und unterrichtet die Fächer Physik und Mathematik an einem allgemein bildenden Gymnasium in Stuttgart mit einem „bürgerlichen Einzugsgebiet“. Es handelt sich also um keine Brennpunktschule und die Abiturschnitte sind überwiegend gut. Er ist selbst seit 2008 Lehrer und sagt, dass er den Beruf sehr schätzt und auch im Kollegium und zur Schulleitung gute Kontakte hat. Aus diesen Gründen eignet sich LK um einen authentischen Einblick in den Umgang von Lehrerinnen und Lehrern an einem erfolgreichen Gymnasium mit den Reformbestrebungen des Kultusministeriums zu gewinnen. Denn er hat einen festen Platz im Kollegium und ein gutes Verhältnis zu seinem Beruf, sodass von ihm ein konstruktives Verhältnis zur Schule und den Fragen des Interviews erwartet werden kann.

[...]


1 vgl. Vahs 2001, S. 9-11

2 ebd., S. 10

3 vgl. Scherer 2002, S. 1-3

4 Kieser 2002, S. 41

5 vgl. ebd., S. 42

6 ebd., S. 43

7 ebd.

8 ebd.

9 ebd., S. 44

10 ebd.

11 vgl. Müller 2007, S.134

12 vgl. ebd., S. 132.

13 Kieser (2002), S. 47

14 vgl. ebd.

15 vgl. Müller 2007, S. 133 f.

16 Vgl. Kieser, S. 48 f.

17 Kieser, S. 48

18 Kieser 2002, S. 50

19 zitiert nach: ebd., S. 50 f.

20 ebd., S. 51

21 Vgl. ebd.

22 Grundgesetz online unter www.bundestag,de

23 Landesverfassung BW online unter www.lpb-bw.de

24 Web-Präsenz des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg unter www.km-bw.de

25 ebd.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Bürokratie nach Max Weber. Eine erweiterte Analyse
Hochschule
Universität Stuttgart
Note
1,3
Jahr
2017
Seiten
27
Katalognummer
V369115
ISBN (eBook)
9783668484467
ISBN (Buch)
9783668484474
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bürokratie, Max Weber, Organisation, Institution, Gymnasium, Didaktik, Allgemeine Pädagogik
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Bürokratie nach Max Weber. Eine erweiterte Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369115

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