Staat und Religion. Das Proporzsystem im Libanon


Bachelorarbeit, 2014

37 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Religionen im Libanon
2.1 Entstehung und Charakteristika
2.1.1 Maroniten
2.1.2 Griechisch-orthodoxen
2.1.3 Drusen
2.1.4 Sunniten
2.1.5 Schiiten
2.2 Topographie und Siedlungsräume
2.3 Sozioökonomische und kulturelle Bedeutung
2.3.1 Sozialhierarchie und Klientelismus
2.3.2 Konfessionsgemeinschaften als Kultgemeinschaften

3. Geschichte des Libanon
3.1 Gabal Lubnan - Das Libanongebirge
3.2 Die Osmanische Provinz Libanon (1516-1918)
3.3 Das französische Mandatsgebiet Libanon bis zur Unabhängigkeit (1920-1943)
3.4 Der unabhängige Staat Libanon bis zum Bürgerkrieg (1943- 1975)
3.5 Der libanesische Bürgerkrieg (1975-1990)

4. Das konfessionelle Proporzsystem
4.1 Begriffsdefinition
4.2 Geschichtliche Entwicklung des konfessionellen Proporzes
4.2.1 Konfessionelle Teilung im Osmanischen Reich
4.2.1.1 Millet-System
4.2.1.2 Das System der Qä’immaqämiyyah (1842-1860)
4.2.1.3 Das System der Mutasarrifiyyah (1861-1915)
4.2.2 Verabschiedung der libanesischen Verfassung 1926
4.2.3 Die Volkszählung 1932
4.2.4 Der Nationalpakt 1943
4.2.5 Das Taif-Abkommen 1989
4.2.6 Das Wahlrecht seit dem Taif-Abkommen
4.2.7 Die libanesiche Krise und die Vereinbarung von Doha 2008

5. Schluss

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Negative Schlagzeilen über den Libanon sind sind keine Seltenheit. Ermordungen von Politikern, lokale Gefechte und kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Nachbarn, stellen auch keine Außnahmen dar. Als Konfliktursache wird hier meist die Religion bzw. die sich feindselig gegenüberstehenden Religionsgemeinschaften betrachtet. Es wäre zu simplifizierend, den gesamten Konflikt als Religionskrieg zu bezeichnen. Der „libanesische Konflikt” ist nämlich viel komplexer. Diese Arbeit analysiert zwar nicht die einzelnen Kriegursachen, doch es beschäftigt sich zumindest mit einem Phänomen, welches als eine Ursache für die vergangenen und gegenwärtigen Konflikte und Probleme betrachtet wird: Das Proporzsystem im Libanon. Es ist das einzigartige spezifisch- libanesiche System, das nicht nur eine politisch-konfessionelle Machtteilung vornimmt, sondern auch die höchsten Staatsämter (Staatspräsident, Ministerpräsident und Parlamentspräsident) zwischen den größten Konfessionsgemeinschaften aufteilt. In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, dieses Proporzsystem vorzustellen. Dabei wurden drei „Hauptkapitel” herausgearbeitet : Die Religionen im Libanon, Geschichte des Libanon und Das konfessionelle Proporzsystem des Libanon. Die ersten beiden Kapitel dienen einerseits dazu, die geschichtlichen und gesellschaflichen Entwicklungen in den Gesamtkontext einzuordnen und andererseits dienen sie als „Wegbereiter für die Verständigung” des letzten Kapitels. Dennoch stellt jedes Kapitel eine selbstständige Einheit dar. Beginnend mit den Religionen, soll hier besonderes Augenmerk auf die die Geschichte, das Wirken und die Charakteristika der Religionsgemeinschaften gelegt werden. Weiterhin sind die Topographie des Libanon und die Siedlungsräume ein Bestandteil dieses Kapitels. Hierbei werden besonders die negativen Folgen und Einflüsse auf die libanesische Gesellschaft dieser beiden Punkte herausgearbeitet. Eine Arbeit ohne die Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Struktur einer Gesellschaft wäre fatal und kontraproduktiv. Deshalb wird unter Punkt 2.3 genau diese Bereiche erörtert. Das zweite Kapitel ist der Geschichte des Libanon gewidmet. Denn ohne das Wissen des geschichtlichen Kontextes, kann man nicht verstehen, wieso und unter welchen Umständen das Proporzsystem entstand: Angefangen vom historischen Libano- Gebirge, über die Osmanische Herrsschaft sowie der französischen Mandatsmacht und schließlich bis zur Unabhängigkeit und der ihr nachfolgenden Zeit. Es wird absichtlich „nur” das chronologische Geschehen wiedergegeben . Denn erst im letzten Kapitel sollen die verschiedenen Abkommen erläutert und das Proporzsystem vorgestellt werden. Nach einer kurzen Begriffsdefinition wird auf die geschichtliche Entwicklung der konfessionellen Machtteilung näher eingegangen. Dabei wird mehr oder weniger die Gliederung des zweiten Kapitels verwendet,und parallel dazu, die wichtigsten Ereignisse (Verfassung, Nationalpakt, Taif-Abkommen etc.) bezüglich des Proporzsystems zu skizzieren.

2. Religionen im Libanon

Oft wird in libanesischen Diskursen die eminente Rolle der Religion für die Identitätsbildung und -festigung der Libanesen als entscheidender Faktor gesehen. Es ist nicht zu bestreiten, dass Religion im Libanon mehr als individuelles Glaubensbekenntnis ist bzw. sein kann oder muss. Das konfessionell organisierte System des Libanon lässt wenig Raum für „Konfessionslose”. Wie groß die Rolle der Konfession außerhalb des persönlich-individuellen Lebensbereichs und Alltags spielt, lässt die folgende Feststellung Angerns deutlich machen: „Die Konfession ist Teil der persönlichen Identität als libanesischer Staatsbürger, als Angehöriger seiner Familie und seines Dorfes, und sie ist zu einem guten Teil eine öffentliche Angelegenheit, nicht selten ein Politikum” (ANGERN 2010: 17). Die Religionsgemeinschaften sind nicht nur in sozialer, ökonomischer und politischer Hinsicht wichtige Bestandteile eines jeden. Beeinflusst wird jeder Einzelne auch durch das Selbstverständnis, die Fremdbilder und Geschichtskonstrukte der eigenen Gemeinschaft. Dabei prägen konfessionstypische Selbstverständnisse das kollektive Gedächtnis von der eigenen Gemeinschaft (Selbstbild), und von fremder Gemeinschaft (Fremdbild).

2.1 Entstehung und Charakteristika

Der Libanon beherbergt eine Vielzahl von konfessionellen Gemeinschaften. Muslim, Christen und Drusen stellen die größten Religionsgruppen dar. Die Muslime teilen sich in den sunnitischen und schiitischen Islam. Als eine eigenständige Gruppe werden hier die Drusen vorgestellt, die einerseits durch ihre religiöse Besonderheit und andererseits als eine historisch-politische Gruppe eine eigene Rolle in der libanesischen Gesellschaft spielen. Bis ins 19. Jahrhundert seien die zusammen mit den Maroniten die Hauptakteure der libanesischen Geschichte gewesen (Peter Heine 1996, zit. nach ANGERN 2010: 68). In politischer Praxis gehören Drusen offiziell zur islamischen Religion. Das Christentum im Libanon zählt zwölf anerkannte verschiedene christliche Denominationen. Die protestantische Gemeinschaft werde in dieser Konfessionszählung als Gesamtheit nur einmal bewertet. Weitere christliche Denominationen im Libanon sind die Griechisch-Orthodoxe Kirche, die Armenische Apostolische Kirche, die Syrisch-Orthodoxe Kirche, die Heilige und Apostolische Kirche des Ostens, die Koptische Kirche, die Maronitische Kirche, die Griechisch-Katholische Kirche, die Armenisch-Katholische Kirche, die Syrisch-Katholische Kirche, die Chaldäische Kirche und die Römisch-Katholische Kirche.

Die Vielzahl der christlichen Denominationen im Libanon, wie überhaupt im Orient, steht in unmittelbaren Zusammenhang mit den christologisch-dogmatischen Auseinandersetzungen innerhalb der frühen orientalischen Christenheit und mit der besonderen Entwicklung des Oströmischen Reichs in Auseinandersetzung mit den islamischen Eroberungen. (ANGERN 2010:70)

Im Libanon gibt es offiziell achtzehn anerkannte Konfessionen, von denen hauptsächlich sechs als entscheidungstragende Protagonisten im libanesischen Staat angesehen werden können. Die größten und bedeudendsten christlichen Konfessionen stellen die der maronitischen, griechisch­orthodoxen und der griechisch-katholischen Kirche dar. Weiterhin sind die Schiiten, Sunniten und Drusen wichtige Gruppen (BIEBER 1999: 166). Die sechs Konfessionsgemeinschaften, besonders jedoch die Maroniten, Schiiten und Sunniten, sind die Hauptakteure des libanesischen Systems. Im Folgenden werden deshalb lediglich zwei christliche Konfessionsgemeinschaften, nämlich die maronitische und griechisch-orthodoxe, vorgestellt: „Beide Kirchen sind sowohl hinsichtlich ihrer zahlenmäßigen Größe als auch ihrer Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart des libanesischen gesellschaftlichen Geschehens gegenüber den vielen kleineren christlichen Konfessionen herausragend” (ANGERN 2010: 75). Anschließend soll die drusische, sunnitische und schiitische Konfessionsgemeinschaft präsentiert werden. Die Eingrenzung auf diese fünf besagten Gruppen liegt allein in der Tatsache begründet, dass diese den größten Einfluss auf die politische Geschehnisse im Land ausüben. Die Bedeutung der übrigen Konfessionsgemeinschaften, insbesondere für das Proporzsystem, soll hier nicht degradiert werden. Nur sprenge es den Rahmen dieser Arbeit, alle Konfessionsgruppen darzustellen. Angaben zur Größe der Religionsgemeinschaften sind lediglich Schätzungen, da seit 1932 keine Volkszählung mehr durchgeführt wurde. Fest steht, dass sich durch unterschiedlich Geburten- und Sterberaten und durch unterschiedliche Auswanderungsquoten der Bevölkerungsanteil der verschiedenen Religionsgemeinschaften verschoben hat (ANGERN 2010: 69). Die Intention bei den folgenden kurzen Zusammenfassungen der einzelnen Konfessionsgemeinschaften ist die, dass insbesondere die historischen Charakteristika der Gemeinschaften herausgearbeitet werden, ohne auf ihre gegenwärtige politische Bedeutsamkeit einzugehen. Das konfessionell-politische System des Libanon und die Rolle der Konfessionsgemeinschaften in ihr, werden im letzten Kapitel (Das Proporzsystem) erörtert.

2.1.1 Maroniten

Weltweit beträgt die Anzahl der Maroniten ungefähr drei Millionen, etwa eine Million davon im Libanon. Dies entspricht circa einem Viertel der libanesischen Bevölkerung (ANGERN 2010: 81). Der Gründungsvater der maronitischen Kirche ist der syrische Mönch und Eremit Mar Märün. Zu seinen Ehren wurde im 5./6. Jahrhundert ein Kloster in Apameia am Orontos gegründet. Mit der Anerkennung der Beschlüsse des Konzils vor Chalkedon zählte die Gemeinschaft zu der antiochenisch-reichskirchlichen Orthodoxie. Die klösterliche Gemeinschaft konstituierte ihre eigene maronitische Kirche und wählten ihren eigenen Patriarchen, nachdem der antiochenische Patriarchenstuhl für vierzig Jahre (702 bis 742) unbesetzt blieb. Der Schritt zur Eigenständigkeit der maronitischen Kirche wird auch unter dem Aspekt der Abgeschiedenheit vom Reich aufgrund der islamischen Eroberungen betrachtet. Während der Zeit des Christlichen Königreichs Jerusalem versuchte sich die maronitische Kirche an die römisch-katholische Kirche anzunähern. 1182 nahm sie als erste orientalische Kirche Kontakt mit Rom auf (ANGERN 2010: 80). Die maronitische Kirche wurde später im Jahre 1215 vom Papst Innozenz III. anerkannt. Seit 1736 wurde ihr kirchliches Leben von der Synode organisiert. Trotzdem genoss die maronitische Kirche eine gewisse Autonomie gegenüber der katholischen Weltkirche. Der maronitische Patriarch hat seinen Sitz in der libanesischen Stadt Bkerke. Trotz des Umstandes, dass die Maroniten seit dem 7. Jahrhundert unter islamischer Herrschaft lebten, konnten sie Verbindungen zum christlichen Westen aufbauen und aufrechterhalten. Dies trug erheblich zu ihrer kulturellen, politischen und wirtschaflichen Entwicklung bei. Nach dem Abkommen zwischen dem osmanischen Sultan Suleiman und dem französischen König Franz I. im Jahre 1535, stand die maronitische Gemeinschaft unter französischen Schutz.[1] Der kulturelle Austausch von Gesandschaften zwischen dem maronitischen Patriarchen und dem Heiligen Stuhl in Rom nahm seinen Anfang in den 1570er Jahren. Die maronitische Kirche wurde durch die Ausbildung von Priestern unterstützt und bereits 1584 wurde das Maronitische Kolleg von Rom gegründet, damit die steigende Zahl des maronitischen Priesternachwuchses ausgebildet wurde. Ein Beispiel für den europäischen Einfluss auf die christlichen Kirchen, kann mit dem folgenden illustriert werden: Das Kloster Quzhayah im Libanongebirge hatte 1610 die erste Druckerpresse des Mittleren Ostens als Gabe der Schule von Rom erhalten (ANGERN 2010: 124-125). Doch bis Mitte des 19. Jahrhunderts lebten die Maroniten unter der feudalen Herrschaft der drusischen Fürsten in dem zum Osmanischen Reich zugehörigen libanesischen Emirat. Eine friedlich drusisch-maronitische Koexistenz endete mit dem Vormarsch der europäischen Mächte, sprich mit dem Vorstoß Napoleons nach Ägypten und Syrien im Jahre 1799. Das konfessionelle Selbstbewusstsein der Maroniten stärkte sich im drusischen Emirat, wo sie zahlenmäßig die Überlegenere darstellte. „Die Schwächung der drusischen Feudalen während der ägyptischen Besatzung von1832 bis 1840 führte im Jahre 1841 zum ersten Bürgerkrieg zwischen den Drusen, die von Großbritannien unterstützt wurden, und den pro-französischen Maroniten. Sowohl die Maroniten als auch die Drusen wurden so zu Spielbällen im britisch­französischen Kampf um das Osmanische Reich” (PLAMBECK 2008: 23). Auch inbesondere mit der Entstehung von Nationalbewegungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts, die vom europäischen Kulturraum getragen wurde, entwickelte sich das nationale Bewusstsein bei den Maroniten des

Autonomiegebietes im Osmanischen Reich (BIEBER 1999: 48). Abdel Mottaleb El Husseini schreibt: „Die maronitischen politischen Eliten und Geistlichen waren zudem seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Träger der libanesischen Idee und die Architekten des libanesischen Staates”.[2] Die maronitische Gemeinschaft hat ein besonders geprägtes Selbstverständnis als eigenständige Konfession und als eigenständige Volksgruppe. Die Frage nach der ethnischen Herkunft der Maroniten wird innerhalb der maronitischen Gemeinde kontrovers diskutiert: „Die Maroniten von heute leiden unter einem ernsten Identitätsproblem. Sie waren bis heute nicht in der Lage, sich zu entscheiden, ob sie Nachfahren des spätantiken Volks der Marada sind oder Araber oder von syro- aramäischen Herkunft” (Matti Moosa 1986, zit. nach ANGERN 2010: 79). Viele Maroniten berufen sich auch auf die phönizische Vorgeschichte des Landes und lehnen die Zugehörigkeit zur arabischen Nation ab.[3] Während der französischen Mandatszeit(1918-1943) bauten die Maroniten ihre Vormachtstellung aus und erhielten das am weitesten mit Macht ausgestattete Amt des Staatspräsidenten. Zudem nahmen sie bis 1989 55 Prozent der Parlamentssitze ein. des Diese „traditionelle” Vormachtstellung der Maroniten im konfessionell organisierten System des Libanon und als Bannerträger der Nation brach in Folge des Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 zusammen. Zum einen erhielt der sunnitische Ministerpräsident mehr Machtmonopol; die Zugehörigkeit des Libanon zur arabischen Welt wurde in die Verfassung aufgenommen und zum anderen wurde der Libanon mit der Zustimmung der USA unter syrische Obhut gestellt (vgl. Das Taif-Abkommen). Daraufhin gingen einige der politischen Führer wie der Generel Michel Aoun (Míšäl 'Awun) oder der Chef der Phalangistenpartei Amin Gemayel (’Amin Gumayyil) zunächst ins Exil. Weiterhin kam der Milizenführer Samir Geagea (Samïr Ga'ga') ins Gefängnis. Nach der „Zedernrevolution” bzw. dem Abzug syrischer Truppen aus dem Libanon 2005, kehrte die antisyrische maronitische Opposition wieder zurück. Dennoch blieb sie intern gespalten. Im gegenwärtigen Machtkampf zwischen sunnitischem und schiitischem Lager, sind die Maroniten auf beiden Seiten vertreten: General Aoun ist auf der Seite der Hisbollah geführten Opposition, wohingegen der ehemalige Präsident Gemayel und der Milizenführer Geagea dem Lager um Hariri geschlossen sind.

2.1.2 Griechisch-Orthodoxe

Die griechisch-orthodoxe Kirche besitzt weltweit etwa zwei Millionen Anhänger und ungefähr 250. 000 bis 300. 000 im Libanon. Die Griechisch-Orthodoxen stellen die fünftgrößte Bevölkerungsgruppe dar, was circa sieben Prozent der libanesischen Bevölkerung ausmacht (AGNER 2010: 79). Die griechisch-orthodoxe Gemeinschaft ist diejenige Gemeinschaft, die am längsten entlang der Küste des Libanon lebt. Sie sind die Nachkommen der hellenistisch­aramäischen Bevölkrung, die im 3. Jahrhundert christianisiert wurden (DIN 2009: 52). Ihr Name führt auf die ursprünglich griechische Amts- und Kirchensprache des Byzantinischen Reichs zurück. Die Gruppe der Griechisch-Orthodoxen gehört dem Patriarchat von Antiocheia an und bezeichnet sich selbst auf Arabisch als „Römisch-Orthodoxe” (Arab.: rüm-urtüdüks), wobei hier das Oströmische Reich/Byzanz gemeint ist. Der heutige Patriarchalsitz des griechisch-orthodoxen Patriarchen ist Damaskus (ANGERN 2010: 77). Die griechisch-orthodoxe Gemeinde hatte im Gegensatz zu den Maroniten keinen besonders engen Kontakt zum Westen. Sie war zwar mit dem Byzantinischen Reich verbunden, doch sie pflegte zugleich gute Beziehungen zu den muslimischen Herrschern. Zudem bekleideten sie hohe Posten in muslimischen Verwaltungen (BIEBER 1999: 168). Ein weiterer Unterschied zu den Maroniten ist die pro-arabische Grundhaltung der Griechisch-Orthodoxen: „Keine christliche Kirche des Orients bekannte und bekennt sich so entschieden und engagiert zum Arabersein wie die Rum-Orthodoxen Kirche des Patriarchats von Antiochia” (Martin Tamcke 2008, zit. nach ANGERN 2010: 77). Es sei die schwierige Lage der Griechisch-Orthodoxen Kirche zwischen muslimischer Mehrheit in der Region, mit der sie Koexistenz suche, und den Katholiken (meist Maroniten), die mit einer arabischen Identität nicht einverstanden zu sein scheinen (ANGERN 2010: 78).

2.1.3 Drusen

Der drusische Anteil an der libanesischen Gesamtbevölkerung beträgt etwa sechs bis zehn Prozent. Trotz ihres geringen Anteils an der Gesamtbevölkerung geniessen die Drusen einen relativ großen Einfluss in der libanesischen Geschichte und Politik. Dies liegt zum Teil auch daran, dass die drusische Gemeinschaft in bestimmten in Siedlungsgebieten konzentriert ist und dadurch zur lokaler Stärke wird. Auch die Aufrechterhaltung des strikten Endogamieverbotes wird dadurch erleichtert (ANGERN 2010: 107-108). Der Begründer bzw. die Begründer der drusischen Lehre sind „der junge türkischstämmige da'! Anüštekîn, genannt ad-Darzï (pers.: der Schneider) und der persischstämmige da'! Hamzah ibn 'Ali, genannt al-Labbad (arab.: der Filzmacher)” (ANGERN 2010: 115). Das Drusentum entstand Anfang des 11. Jahrhunderts mit der Abspaltung von der ismailitischen Religionsgemeinschaft. Eine Gruppe von ismailitischen Werbern verkündete die Göttlichkeit des sechsten Fatimidenkalifen al-Hakim (herrschte von 996 bis 1021). Der persischstämmige Begründer des theologischen Drusentums Hamzah ibn 'Ali forderte von den Amtsträgern und Offizieren im Jahre 1017, die Göttlichkeit des Kalifen anzuerkennen. Im selben Jahr hätte er sich selbst zum Imam ernannt. Durch die Unruhen in der Bevölkerung, die sich gegen die neu entstandene religiöse Bewegung wendete, musste sich Hamzah zurückziehen und blieb mit dem engsten Kreis seiner Anhänger durch Briefwechsel in Kontakt. Dabei entwickelte er seine drusische Theologie. 1021 verschwanden zeitgleich al-Häkim und Hamzah. Von den Anhängern wurde das Verschwinden als „Entrückung in die Verborgenheit” verkündet. Vor seiner Entrückung habe Hamzah eine kleine Gruppe von vier Helfern beauftragt, seine Botschaft weiterzuverbreiten. Einer dieser Treuhänder, Bahä’ ad-DTn, spielte eine große bei der Verbreitung der drusischen Lehre. Der Kalif az-Zähir, Nachfolger al-Häkims, ließ nach seinem Amtsantritt die Anhänger der neuen Bewegung verfolgen, was zur Ausmerzung des Drusentums in Ägypten führte. Lediglich im Hawrän- Gebirge in Südsyrien und auf dem Gebiet des heutigen Libanon im Shoufgebirge und WädT at-Taym hatten sich drusische Gemeinden etablieren können (ANGERN 2010: 115-118).

In den überlebenden drusischen Refugien im Libanon und in Syrien und unter dem äußeren Verfolgungsdruck entwickelte das Drusentum schließlich auch seine esoterischen Gruppenmerkmal: Abschottung der heilswichtigen Lehre [sirriyyah] durch die Teilung der Gesellschaft in eingeweihte religiöse Experten [‘uqqäl: Wissende] und nicht eingeweihte unwissende Laien [guhhäl: Unwissende] und Verschwiegenheitsgebot gegenüber Außenstehenden; die Einführung von Stufen und Rängen innerhalb der Klasse der religiösen Experten; Geschlossenheit der Gemeinschaft durch Unmöglichkeit von Konversion und Gebot strikter Endogamie; Gruppenbewusstsein und Solidarität; Praxis der taqiyyah, d.h. Erlaubnis des Verschweigens der eigenen Konfession bzw. Vortäuschung der Zugehörigkeit zu einer anderen bei Gefahr oder drohendem Nachteil. (ANGERN 2010:118)

2.1.4 Sunniten

Nach Schätzungen beträgt der Anteil der Muslime im Libanon 60 Prozent. Dabei liegt der schiitische Anteil bei etwa 32 Prozent, der sunnitische Anteil bei 21 Prozent und der drusische Anteil bei circa 7 Prozent (ANGERN 2010: 83). Die Sunniten zählen zwar in nahöstlichen Bevölkerungen zur Mehrheitsgesellschaft, doch im Libanon stellen sie keine absolute Mehrheit dar. Sie bilden die größte islamische Glaubensrichtung und werden durch ihr Festhalten am Koran und an den Überlieferungen des Propheten zur islamischen Orthodoxie gezählt. Die Spaltung zwischen Muslimen in Sunniten und Schiiten begann bereits mit dem Tod des Propheten, als es um die Frage nach seiner Nachfolge ging. Nach sunnitischer Ansicht sollte der Stellvertreter, Kalif, des Propheten aus dem Stamm des Propheten und ein fähiger Heerführer sein. Nach schiitischer Ansicht war die Nachfolge göttlich bestimmt und zwar einer Person aus der Familie des Propheten. Die hanafitische Rechtsschule, zu der die Mehrheit der libanesischen Sunniten gehört, wurde im 7. Jahrhundert von dem Gelehrten Abü Hariïfa gegründet und lässt der Vernunft bei Auslegungen der heiligen Texte mehr Raum. Die sunnitische Bevölkerung ist meist an den Küstenstädten angesiedelt(Sidon, Beirut, Tripoli). Sie dominierten diese Regionen mit Ausnahme von Mont Liban, im Osmanischen Reich. Da sie unter sunnitischer Herrschaft lebten, waren einerseits durch zulängliche geographische Lage an den Küstenstädten lange Zeit unter der Kontrolle der muslimischen Kalifen und andererseits durch die regionale Bedeutung des sunnitischen Islam, nicht so isoliert und verschlossen wie andere Konfessionsgemeinschaften (BIEBER 1999: 169). Sunniten zählten zunächst bis in die 1980er Jahre hinein als die sich mit dem libanesischen Staat am wenigsten identifizierte Gruppe. Der aufkommende arabische Nationalismus war die Ideologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit der sich die Sunniten identifizierten. Sie forderten, wie auch andere Konfessionsgemeinschaften, die Unabhängigkeit der arabischen Völker von der osmanischen Herrschaft. Der Unterschied machte sich in der Forderung deutlich, wie „diese Unabhängigkeit” auszusehen hatte. Sunniten lehnten eine europäische Teilung der arabischen Regionen durch die Mandatsmächte Großbritannien und Frankreich ab. Zudem stieß die französische Proklamation eines libanesischen Staates von 1920 auf eine sunnitische Ablehnung, da sie zum Teil als koloniale Teilungspolitik gesehen wurde und den Interessen der Maroniten diente. Die Sunniten forderten indes den Verbleib bei Syrien. Die syrisch-nationale Bewegung bröckelte Anfang der 1940er Jahre und die sunnitische Elite akzeptierte schließlich die staatliche Einheit des Libanon. Dennoch blieben sie im realpolitischen Geschehen an zweiter Stelle. Im Nationalpakt von 1943 wurde ihnen das „befugnisarme” Amt des Ministerpräsidenten zugesprochen. Sie standen politisch und wirtschaflich hinter den Maroniten. Zudem waren die Sunniten durch ihre wirtschaflich- ökonomische Schwäche „anfällig” für den arabischen Nationalismus. So waren sie begeistert von der anti-westlichen Politik des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdal Nassar (Gamal 'Abd an- Nasir). In diesem Sinne verbündeten sich die Sunniten mit der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und unterstützten sie im Kampf gegen Israel. Diese Allianz war auch einer der Ursachen für den libanesischen Bürgerkrieg, da christliche Gruppen die Stabilität und Souveränität des Staates in Gefahr sahen und deshalb die PLO, zum Teil mit der Unterstützung Israels, bekämpften. Die Niederlage und Vertreibung der PLO während des Bürgerkrieges 1982 war zudem eine Schwächung der panarabischen Ideologie. Durch den Aufstieg der schiitischen Hisbollah, die mit Hilfe des Iran und Syriaen den Kampf gegen Israel fortführte, wurde den Sunniten die „nationale Karte” entzogen. Mit dem Ende des Bürgerkrieges und dem Taif- Abkommen 1989 erhielten die Sunniten mehr politisches Gewicht. Doch der wirtschaftliche Aufschwung der Sunniten kam erst mit dem Aufstieg des milliardenschweren Unternehmers und Politikers Rafiq Hariri (Rafîq Harm). Der sunnitische Mittelstand wurde stabilisiert, die Bildung gefördert und das alte politische Establishment der Sunniten „modernisiert”. Ein groß geleitetes Projekt zur Wiederaufbau Beiruts wurde durchgeführt und sollte die politische Bedeutung der Sunniten sichtbar machen. Hariri scheiterte letztlich dennoch an der ihm misstrauenden Opposition (die antisyrische-christliche Opposition und die Hisbollah) und an dem zu großen Einfluss Syriens dessen Truppen noch bis 2005 auf libanesischem Boden stationiert waren, auf die Politik im Libanon. Mit der Ermordung Rafiq Hariris am 14. Februar 2005 verhärteten sich die Fronten zwischen den Sunniten und Syrien. Schließlich wurde der Druck („Zedernrevolution”) auf Syrien so groß, dass sich die syrische Armee aus dem Libanon zurückzog.[4]

Die Sunniten nehmen gegenwärtig die alte Position der Maroniten ein und verlangen die endgültige Anerkennung des Libanon durch Syrien. Unter ihnen ist das nationalarabische Bewusstsein, das weltlichen Charakter besaß, von einem konfessionellen Bewusstsein verdrängt worden. Entscheidend für diese Entwicklung ist der Machtkampf der sunnitischen Führung mit der Hisbollah. Dieser Konflikt, der sich in der Frage der Bewaffnung der Hisbollah kristallisiert, reflektiert in erheblichem Maße die regionale Konfrontation zwischen den USA, Saudi-Arabien und Israel mit der Achse Damaskus-Teheran.[5]

2.1.5 Schiiten

Zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam gehören weltweit etwa zehn bis fünfzehn Prozent aller Muslime an. Im Libanon gehören sie vermutlich auch zur größten Bevölkerungsgruppe. Sie machen circa 32 Prozent der Gesamtbevölkerung aus und damit liegt ihr Anteil bei der muslimischen Bevölkerung bei 60 Prozent (ANGERN 2010: 101). Genau wie die Sunniten, halten Schiiten an den Grundpfeilern des Islam fest. Der Unterschied besteht, wie bereits erwähnt, in der Bestimmung des Nachfolgers des Propheten.[6] der Schiitischer Ansicht nach sollte der Nachfolger Nachkomme des Propheten sein. Da alle Söhne des Propheten bereits vor seinem Tod verstorben waren, forderten die Schiiten, dass 'All, Neffe und Schwiegersohn des Propheten, das Kalifat anführen sollte. Dieser wurde zwar im Jahre 656 vierter Kalif, doch bereis nach wenigen Jahren (661) ermordet. Auch seine beiden Söhne Hasan und Hussein (Hasan uns Husain), konnten sich nicht als Kalifen durchsetzen. In der berüchtigten Schlacht von Kerbela(Karbalä’) im heutigen Irak fiel Hussein im Jahre 680 gegen ein sunnitisches Heer. Als dann keine weltliche Herrschaft mehr errichtet werden konnte, entwickelten die Schiiten „ein Konzept geistlicher Herrschaft durch einen Imam als spirituellen Gemeindeleiter, der ab 941 n. Chr. aus der ^großen Verborgenheit’ heraus die Gemeinde leitet und allein die verborgene(n) Bedeutung(en)’ des Korans kennt. Die Hoffnung auf sichtbare Herrschaft verlagerte die schiitische Gemeinschaft auf die Endzeit, in der der Imam als Mahdi(der Rechtgeleitete’) sichtbar aus der Verborgenheit wiederkommen und ein Friedensreich aufrichten werde.”[7] Die Zwölferschia, die auch die Mehrheit innerhalb der schiitischen Strömungen darstellt, zählt zwölf Imame. Der erste Imam ist der Neffe und Schwiegersohn des Propheten, 'Al! ibn Abi Talib; der zwölfte Imam ist der verborgene al-Mahdi, der eines Tages als der Rechtgeleitete zurückkehren soll. Während der Abwesenheit des Verborgenen Imams sollten die schiitischen Rechtsgelehrten ihn auf Erden vertreten (ANGERN 2010: 101-104). Ursprünge der Zwölferschia im Südlibanon zum Ende des zehnten Jahrhunderts wurden nachgewiesen. Die Region blieb im 10./11. Jahrhundert für kurze Zeit unter der Herrschaft der ismailitischen Fatimiden. Seither unterlagen sie hauptsächlich bis zum Ende des Osmanischen Reiches unter sunnitischer Hegemonie. Wie bereits unter den Mamluken verfolgt und vertrieben, war die schiitische Bevölkerung unter den Osmanen, als „Häretiker” betrachtet, Unterdrückungen ausgesetzt. Auch die Etablierung der schiitischen Safawiden im Iran 1501 führte dazu, dass die Schiiten im Libanon, welche Kontakte zu ihren Glaubensbrüdern im Iran pflegten, als potentielle Gefahr in Augen der Hohen Pforte galten. Die schiitische Glaubensgemeinschaft bekam nicht den teilautonomen religiösen Millet-Status (vgl. Text zu Millet-System), den Christen und Juden besaßen. Erst durch die französische Mandatsmacht erhielten die Schiiten 1926 den Status einer anerkannten Konfession. 1969 errichten die Schiiten einen eigenen Obersten Schiitischen Rat, der sie dem libanesischen Staat gegenüber als Religionsgemeinschaft repräsentieren sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt unterstanden die Schiiten der sunnitischen Jurisdiktion im Familienstandsrecht (ANGERN 2010: 107). Obwohl die Schiiten einen großen Anteil der libanesischen Bevölkerung ausmachten, besaßen sie kein politisches Gewicht. Der traditionelle Quietismus der Geistlichen und auch die wirtschaftliche wie soziale Unterentwicklung der schiitischen Regionen kann zum Teil als Ursache dafür gesehen werden. So bekamen die Schiiten das machtlose Amt des Parlamentspräsidenten. Die schiitische politische Klasse wurde von feudalen Familien besetzt und die hatten keine Interesse an der Entwicklung ihrer Bevölkerung. Ein weiterer Unterschied zu anderen Konfessionen war der, dass die schiitische Geistlichkeit keine soziale Sicherung für ihre Gemeinschaft gewährleisten konnte. Andere Konfessionsgemeinschaften hatten ihre eigenen Bildungseinrichtungen oder Gesundheitszentren. Dies änderte sich mit der Zunahme des konfessionellen Selbstbewusstseins der Schiiten seit den 1970er Jahren. Das Stärken des kollektiven Bewusstseins ging mit wirtschaftlicher Entwicklung einher. Der Anstieg der schiitischen Bevölkerung, die Urbanisierung und die modernen Erziehungsmöglichkeiten führten zur sozioökonomischen Entwicklung der schiitischen Bevölkerung. Weiterhin bedeutend waren auch die vielen schiitischen Händler, die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg nach Westafrika und in die Golfstaaten emigrierten. Die Überweisungen aus dem Ausland trugen nicht zuletzt auch zur Bildung eines schiitischen Mittelstandes bzw. einer schiitischen Elite bei (BIEBER 1999: 171). Ein einflussreicher Führer der „schiitischen Emanzipationsbewegung” war der Geistliche Musa ad-Sadr (Müsä as-Sadr). Er war auch der Initiator für die Gründung des Obersten Rats der Schiiten. Zur selben Zeit etablierte sich die PLO im Südlibanon, was dazu führte, dass die Schiiten zwischen dem palästinensisch-israelischen Kampf die Leidtragenden waren. Sadr hatte sich während des Bürgerkrieges 1975 gegenüber dem Konflikt zwischen den christlichen Milizen und der PLO neutral verhalten. Doch auch er gründete wie alle anderen Konfessionsgemeinschaften eine Miliz. Die Amal-Miliz war den PLO gegenüber feindlich gesonnen. Als Sadr bei einer Reise nach Libyen 1978 verschwand, verloren die Schiiten ihren starken Führer. Die iranische Revolution 1979 verlieh der schiitischen Gemeinschaft eine erneute Dynamik und ein größeres Selbstbewusstsein. Für die weitere Entwicklung der schiitisch- politischen Bewegung spielte der israelische Libanonkrieg von 1982 eine große Rolle. „ Beide Ereignisse leisteten der Hisbollah Geburtshilfe” Die israelische Besatzung des Südlibanon (1982 bis 2000) hatte die Folge, dass sich immer mehr Schiiten der Hisbollah anschlossen. Diesmal kämpften die Schiiten statt der PLO gegen die israelische Besatzung. Die Hisbollah wurde zur einflussreichsten politischen Kraft innerhalb der schiitischen Bevölkerung:

Die Hisbollah konnte mit syrisch-iranischer Hilfe die weltlichen schiitischen Kräfte und die konkurrierende Amal-Organisation verdrängen. Es gelang ihr, im Jahre 2000 den israelischen Rückzug aus dem Süden zu erzwingen und sich in den Augen vieler Libanesen als Befreiungskraft zu profilieren. Mit dem Aufstieg der Hisbollah wurden die Schiiten zur stärksten politischen Kraft im Libanon, was die Ängste der anderen Religionsgemeinschaften schürte. Das Festhalten der Gottespartei an ihren Waffen besonders nach dem syrischen Abzug und ihre Allianz mit Syrien und Iran führte zum Konflikt mit den Sunniten und ihren drusischen und christlichen Verbündeten.[8]

Zudem führen die sunnitisch-schiitischen Machtkonflikte und Polarisierungen den Libanon gegenwärtig an den Rand eines Bürgerkrieges.

2.2 Topographie und Siedlungsräume

Libanon bedeutet zum einen Koexistenz verschiedener Religionsgemeinschaft auf engstem Raum und zum anderen eine Landestopographie geprägt von Hoch- und Tiefland, Gebirgszug und Küste. Der Libanon liegt in Vorderasien und umfasst eine Fläche von etwa 10.400 Quadratkilometern. Es grenzt im Norden und Osten an Syrien, im Süden an Israel und im Westen an das Mittelmeer. Es gibt drei Eigenschaften der Topographie des Libanon: schmaler Küstenstreifen entlang des Mittelmeers, zwei parallel laufende Gebirgszüge (das Libanon- und Antilibanongebirge) und das dazwischen liegende Tiefland, welches am Orontes-Tal im Norden, vom Fluss Orontes durchzogen ist und in der südlichen Bekaa-Ebene (al-Biqa') vom Fluss Litani (al-Lîtanï) geformt. Wichtige kulturelle Küstenstädte sind Tripoli im Norden, darunter Gubail (Byblos), in der Mitte Beirut, Sidon und schließlich tief im Süden die Stadt Tyros (ANGERN 2010: 43-44). Im Hinterland dieser Küstenstädte „liegen entlang der Züge des Libanongebirges die wichtigen traditionellen Gebirgsregionen Akkar ['Akkar] im Norden des Landes, südlich davon das Libanongebirge [Gabal Lubnan] mit dem Regionalzentrum Bsharre [Bišarrí], dann östlich Beiruts die Hochebene von Kisrawan mit der Hauptstadt Zahleh [Zahlah], südöstlich Beiruts das Shouf-Gebirge [Šúf] mit dem Zentrum Dayr al-Qamar und ganz im Süden das Gebirge des Gabal ‘Ämil” (ANGERN 2010: 44). Die Täler zwischen dem Libanongebirge und Antilibanongebirge beherbergen die Regionen von Wadi at-Taym im Südosten, davon nördlich gelegen die Bekaa-Ebene und letztlich die Region Baalbek [Ba'albakk] im Nordosten. Außerdem werden die Küstenstreifen und die Westhänge des Libanongebirges von zehn Flüssen geprägt.[9] Die Topographie des Libanon des Libanon ist genau so fragmentiert und vielfältig wie seine Bevölkerung selbst. Die Diskrepanz zwischen Land und Stadt ist hier gravierend, da Gebirgsregionen einerseits nicht nur schwer zugänglich sind und somit abgeschottet bleiben, sondern andererseits zum Teil in sich geschlossene konfessionelle Gemeinschaften beheimaten, was wiederum das Ziel der nationalen Integration in den libanesischen Staat bzw. das Schaffen eines nationalen libanesischen Bewusstseins erschweren. Im Libanon gibt es gemischte und auch teilweise lediglich homogene Siedlungsgräume. Es gäbe aber gewisse „Bestimmungen” bei den gemischten Siedlungsgebieten. Dannach sei ein Bestandteil einer gemischten Region oder eines Dorfes fast immer christlich. In manchen Regionen oder Dörfern dienten sie als „Puffer”, da beispielsweise ein ausschließlich drusich-schiitisches oder sunnitisch- schiitisches Dorf so gut wie ausgeschlossen sei. Manche Regionen seien fast nur maronitisch, so zum Bespiel der Metn und die Region Kisrawan (ANGERN 2010: 18). Das Shouf-Gebirge sei nach der Vertreibung der christlichen Bevölkerung im Mountain War 1983/84 fast nur noch drusisch.

[...]


[1] EL HUSSEINI, Abdel Mottaleb (2008): Religiöse Minderheiten im Islam. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/apuz/31149/die-religionsgemeinschaften-im-libanon?p=0, S.2 (letzter Abruf:

[2] EL HUSSEINI, Abdel Mottaleb (2008): Religiöse Minderheiten im Islam. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/apuz/31149/die-religionsgemeinschaften-im-libanon?p=0, S.2 (letzter Abruf:

[3] EL HUSSEINI, Abdel Mottaleb (2008): Religiöse Minderheiten im Islam. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/apuz/31149/die-religionsgemeinschaften-im-libanon?p=0, S.2 (letzter Abruf:

[4] EL HUSSEINI, Abdel Mottaleb (2008): Religiöse Minderheiten im Islam. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/apuz/31149/die-religionsgemeinschaften-im-libanon?p=0, S.3 (letzter Abruf:

[5] EL HUSSEINI, Abdel Mottaleb (2008): Religiöse Minderheiten im Islam. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/apuz/31149/die-religionsgemeinschaften-im-libanon?p=0, S.3 (letzter Abruf:

[6] Für einen kompakten Überblick über die historischen und theologischen Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten, siehe SCHIRRMACHER, Christine (2009): Schiiten und Sunniten - Unterschiede islamischer „Konfessionen“. http://www.islaminstitut.de/uploads/media/Schiiten_b.pdf, S.1-5. (letzter Abruf: 20.09.2014).

[7] SCHIRRMACHER, Christine (2009): Schiiten und Sunniten - Unterschiede islamischer „Konfessionen http://www.islaminstitut.de/uploads/media/Schiiten_b.pdf, S.1-5. (letzter Abruf: 20.09.2014).

[8] EL HUSSEINI, Abdel Mottaleb (2008): Religiöse Minderheiten im Islam. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/apuz/31149/die-religionsgemeinschaften-im-libanon?p=0, S.4 (letzter Abruf:

[9] Diese Flüsse sind (von Süden nach Norden): al-Lîtanî, az-Zahrani, al- ’Awwalî, ad- Damur, der Beirut Fluss, Nahr al­Kalb, ’Ibrâhîm, al- Gawz, ’Abu ’Alï, Nahr al-Barid und Nahr al-Kabîr (ANGERN 2010:44).

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Staat und Religion. Das Proporzsystem im Libanon
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Orient- und Asienwissenschaften)
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
37
Katalognummer
V369173
ISBN (eBook)
9783668482678
ISBN (Buch)
9783668482685
Dateigröße
1240 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Libanon, Proporzsystem, Konfessionen im Libanon, Politik im Libanon
Arbeit zitieren
Aslihan Turhan (Autor:in), 2014, Staat und Religion. Das Proporzsystem im Libanon, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369173

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