Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zur rechtlichen Stellung
2.1 Die Muntgewalt
2.2 Verlobung, Eheschließung und Scheidung
2.3 Verschiedene Eheformen
2.3.1 Die Raubehe
2.3.2 Die Friedelehe
3. Rechtliche und soziale Stellung der Frau in der frühmittelalterlichen Gesellschaft
3.1 Erbrecht, Besitzrecht und Besitzverfügung der Ehefrau
3.2 Beteiligung von Frauen an der politischen Herrschaft
3.3 Die Rolle der Kirche – die christliche Eheauffassung
4. Schlußbemerkung
Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Der zeitliche Rahmen dieser Hausarbeit umfaßt ausschließlich das frühe Mittelalter, also in etwa die Periode vom beginnenden 6. bis zum 11. Jahrhundert. Eine genaue Eingrenzung in Bezug auf den Begriff des frühen Mittelalters kann nur schwer vorgenommen werden. Das Problem dabei ist die Einteilung oder Gliederung „des unendlichen Flusses der Geschichte“. Gemeint ist damit die Bestimmung von Daten, „die den Charakter von Zäsuren haben: Wendepunkte, an denen alte Entwicklungen zu Ende gehen und von denen neue ihren Ausgang nehmen.“[1] So begann das frühe Mittelalter für die Humanisten mit dem Ende der Antike, also 476 (Untergang des weströmischen Reiches). „Mit gleichem Recht ließen sich jedoch auch andere Zahlen nennen, zum Beispiel 375: das Jahr des Hunneneinfalls, der die gesamte germanische Völkerwanderung im Gefolge hatte, oder auch 325: der Herrscherbeginn Konstantins, der als erster christlicher Kaiser eine neue christliche Ära eingeleitet hat.“[2]
Bei der Untersuchung der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau im frühen Mittelalter müssen die von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik geprägten Rahmenbedingungen hinterfragt, sowie die Denkstrukturen und das ‚Frauenbild‘ jener Zeit berücksichtigt werden. Dies geschieht, um ein besseres Verständnis über die rechtliche und soziale Stellung der Frau im frühen Mittelalter zu erzielen, die isoliert betrachtet für Menschen der heutigen Zeit mit einem auf Gleichberechtigung ausgerichteten Denken nur schwer nachvollziehbar ist. Unter Berücksichtigung der Fragen wie Frauen ihr Leben gestalten sollten und welche Möglichkeiten sich ihnen geboten haben wie sie ihr Leben gestalten konnten, soll ihre rechtliche und soziale Stellung im frühen Mittelalter herausgearbeitet werden.[3]
Da die Frauen in der hierarchisch gegliederten Gesellschaft des frühen Mittelalters auf ihre Weise als eigener Stand betrachtet wurden, wurden ihnen spezielle Fehler und Sünden zugeschrieben. Sie sollten sich von öffentlichen Ämtern fernhalten, damit sie nicht Richterinnen werden oder Herrschaftsbefugnisse ausüben konnten. Als eine gute Frau galt die, die ihren Mann liebte und versorgte und die Kinder erzog. Da die Frauen des frühen Mittelalters in einer Männergesellschaft lebten, waren sie den Männern gegenüber häufig minderberechtigt, und ihre gesellschaftliche Stellung wurde stark von ihrem Familienstand beeinflußt. Dabei stellt sich die Frage, ob die Frauen erkannt haben, daß ihre Rechte im Vergleich zur herrschenden Gruppe der Männer beschränkt waren. Oder akzeptierten sie ihre Lage als Teil der bestehenden Ordnung der Welt? Falls sie sich ihrer Benachteiligung bewußt waren, haben sie versucht sich zu wehren oder war das Resultat ein Sich-Abfinden? Diese Hausarbeit versucht, Antworten auf solche Fragen zu geben, was aber aufgrund des begrenzten Forschungsstandes und der unzureichenden Quellenlage nicht immer möglich gewesen ist. Der Aufbau der Arbeit ist zum Teil mitbestimmt worden von der mir zugänglichen Literatur. Hauptsächlich verwendet worden sind Texte von Peter Ketsch über die rechtliche Stellung („Frauen im Mittelalter“) und die politisch-gesellschaftliche Situation (in: „Frauen in der Geschichte II“) der Frau im frühen Mittelalter sowie das Buch „Frauen im frühen Mittelalter“ von Hans-Werner Goetz. Weiterhin sind Teile aus den Büchern von Edith Ennen, „Frauen im Frühmittelalter“, und Hans-Werner Goetz, „Weibliche Lebensgestaltung im frühen Mittelalter“/“Leben im Mittelalter“ hinzugezogen worden. Das Buch von M.-L. Portmann, „Die Darstellung der Frau in der Geschichtsschreibung des frühen Mittelalters“, konnte ebenso wie die Dissertation von Ursula Gauwerky, „Frauenleben in der Karolingerzeit“, nicht berücksichtigt werden, da beide durch Fernleihe nicht rechtzeitig eingetroffen sind.
Im folgenden werde ich kurz die Gliederung meiner Arbeit darstellen: Der Hauptteil beginnt mit einer Beschreibung der allgemeinen rechtlichen Stellung der Frau im frühen Mittelalter. Dabei habe ich mich ausschließlich Bereichen gewidmet, die mit der Ehe und dem Eherecht in Verbindung stehen, da sie
meines Erachtens einen zentralen Aussagewert über die Lage der Frau in der von Männern beherrschten Gesellschaft besitzen. Der folgende Abschnitt be-
faßt sich konkret mit der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau in der frümittelalterlichen Gesellschaft. Dabei wird sowohl das Erbrecht, Besitzrecht und Besitzverfügung dargestellt, als auch die Möglichkeit der Beteiligung von Frauen an der politischen Herrschaft verdeutlicht. Ein weiterer Teil beschäftigt sich mit der Rolle der Kirche und der christlichen Eheauffassung, um herauszustellen, inwiefern die Kirche zum frühmittelalterlichen ‚Frauenbild‘ beigetragen hat. Der Versuch einer abschließenden Erörterung der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau im frühen Mittelalter beendet meine Arbeit.
2. Zur rechtlichen Stellung
2.1 Die Muntgewalt
Wie auf Fragen über Bereiche des frühmittelalterlichen Lebens gibt es auch zur rechtlichen Stellung der Frau keine umfassende, allgemeingültige Antwort:
„Das Recht des Frühmittelalters war Stammesrecht, das basierend auf alttradiertem Gewohnheitsrecht im Zeitraum von 475 bis 802/3 schriftlich fixiert wurde. Je nach Entstehungszeitpunkt und damit verbundenen römischen bzw. christlichen Einfluß weisen die Rechte der verschiedenen Stämme nicht unerhebliche Differenzen auf.“[4]
Die Stammesrechte beschränkten die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Frau, indem diese eine Unterordnung unter die Geschlechts- bzw. Ehevormundschaft vorgeschrieben haben. „In der patriachalisch organisierten Gesellschaft der Germanen bildete die Gewalt des Hausvaters, die Munt, den Mittelpunkt allen Familienrechts.“[5] „Kein freies Weib“, so bestimmte das Langobardengesetz König Rhotaris, „darf selbstmündig nach ihrem freien Gutbefinden leben. Vielmehr muß sie stets unter Männermunt (oder in der des Königs) bleiben.“[6] Bei unverheirateten Frauen war der Vater der Inhaber der Muntgewalt, bei verheirateten Frauen der Ehemann und falls diese verstarben, wurde die Muntge-
walt auf den nächsten männlichen Verwandten der männlichen Linie übertragen. So ging beispielsweise die Witwe beim Tod ihres Mannes in die Munt des ältesten Sohnes über und wurde von diesem versorgt. Im langobardischen Recht hatte sie das Recht, ihren Muntwalt frei zu wählen. Sie konnte zwischen den Möglichkeiten entscheiden, in der Sippe ihres verstorbenen Mannes zu bleiben oder zu ihrer eigenen Familie zurückzukehren.
Als entscheidend abgrenzendes Merkmal galt im frühen Mittelalter das Bild der Frau als (körperlich) schwaches Geschlecht. Diese verbreitete Vorstellung begründete die in den Volksrechten bezeugte Schutzbedürftigkeit der Frauen, die der Schutzherrschaft (Munt) des Mannes erst ihren legitimierten, sozialen Sinn verlieh.[7] Ob es sich bei der Munt dabei um ein Gewalt- oder Schutzverhältnis gehandelt hat, ist nicht eindeutig zu klären. Der Mann hatte die Pflicht, der Frau ein angemessenes Leben zu gewährleisten und sie vor Angriffen und unsittlichen Berührungen zu beschützen. Schutz und Herrschaft bedingten sich im Mittelalter gegenseitig: Die als selbstverständlich angesehende Hausherrschaft des Mannes bedingte gleichzeitig den (Rechts) Schutz der Frau als eine daraus erwachsene Pflicht. Obwohl in den germanischen Volksrechten die patriachalische Familienordnung klar zu erkennen war, gab es auch Rechte in ihnen, die Frauen vor der Zudringlichkeit von Männern schützten. So mußte jemand, der den Finger einer freien Frau berührt hatte beispielsweise 15 Schillinge und wer den Arm berührt hatte sogar 30 Schillinge Geldstrafe zahlen.[8] Dieses Beispiel zeigt, daß die Frauen besonders geehrt und auch geschätzt wurden.
Die Muntgewalt des Mannes erstreckte sich aber auch auf Bereiche, die gegenüber der Frau eindeutig eine Bevormundung durch ihn darstellten. So
hatte er das Recht, über Verwaltung und Nutzen des Vermögens der Frau zu verfügen, sie zu verheiraten und über ihre Aufgaben und Pflichten zu bestimmen. In zahlreichen Fällen verfügte er über die Strafgewalt, was sich unter anderem an der Bestrafung des Ehebruchs im westgotischen Volksrecht von 629 feststellen läßt: „Tötet der Mann den Ehebrecher mit der Ehebrecherin, so soll er nicht für den Totschlag haften.“[9] Das Recht stand eindeutig auf der Seite des Mannes, die Frau wurde als „selbstverständlicher und unreflektierter ‚Besitz‘“[10] angesehen. Die Grundlagen der Munt bauten auf der bestehenden Gesellschaftsordnung auf, in der die geschlechtsspezifische Rollenaufteilung darin bestand, daß der Mann als Vertreter der öffentlichen Gewalt fungierte. Eine Folge dessen war der weitgehende Ausschluß der Frauen von öffentlichen Funktionen, es sei denn an der Seite oder in Stellvertretung des Mannes.
[...]
[1] Josef Fleckenstein: Ortsbestimmung des Mittelalters – Das Problem der Periodisierung, in: Mittelalterforschung, Forschung und Information, Bd. 29, Berlin 1981, S. 15.
[2] Ebd., S. 16.
[3] Vgl. Hans-Werner Goetz: Frauenbild und weibliche Lebensgestaltung im fränkischen Reich, in: Ders. (Hrsg.): Weibliche Lebensgestaltung im frühen Mittelalter, Köln 1991, S.7.
[4] Peter Ketsch: Aspekte der rechtlichen und politisch – gesellschaftlichen Situation von Frauen im frühen Mittelalter (500-1150), in: Annette Kuhn/Jörn Reisen (Hrsg): Frauen in der Geschichte II, Düsseldorf 1982, S. 14.
[5] Ebd.
[6] Peter Ketsch: Frauen im Mittelalter, Bd. 2 – Frauenbild und Frauenrechte in Kirche und Gesellschaft Quellen und Materialien, Düsseldorf 1984, S. 150, zit. n.: Franz Beyerle: Gesetze der Langobarden, Weimar 1947, S.81.
[7] Vgl. Ketsch: Frauen im Mittelalter, S. 147.
[8] Hans-Werner Goetz: Leben im Mittelalter vom 7. Bis zum 13. Jahrhundert, 5., unveränd. Aufl., München 1994 (Beck’sche Historische Bibliothek), S. 50, zit. n.: Pactus legis Salicae.
[9] Ketsch: Frauen im Mittelalter, S. 155, zit. n.: E. Wohlhaupter (Hrsg.): Gesetze der Westgoten (Germanenrechte. Texte und Übersetzungen, Bd.11), Weimar 1936, S.77.
[10] Hans-Werner Goetz: Frauen im frühen Mittelalter-Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich, Köln 1995, S. 201.