Sidney Cartons Charakterentwicklung in 'A Tale of Two Cities' von Charles Dickens mit Blick auf die moralische Ebene des Textes


Seminararbeit, 1999

21 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Charakterdarstellung Cartons im Text über indirekte Präsentation
a) und Begriffserklärung
b) Verhalten und äußere Erscheinung
c) Handlung
d) Sprache
e) Umgebung
f) Analogie der Figuren

3. Symbolik von Cartons Märtyrertod
a) Gesellschaftlich – politisch
b) Religiös – anthropologisch

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ich möchte in dieser Hausarbeit untersuchen, auf welche Weise die Figur Sidney Carton in A Tale of Two Cities dargestellt wird und welche Wirkungen und Bedeutungen dieses für den Roman hat.

Im ersten Teil beschäftige ich mich mit formalen Möglichkeiten der Charakterdarstellung in Bezug auf Sidney Carton, wobei ich mich auf literaturtheoretische Aspekte aus „Narrative Fiction“ von Shlomith Rimmon-Kenan[1] berufe. Der Schwerpunkt liegt dabei darauf, Sidney Cartons Charakter so differenziert wie möglich zu analysieren und dabei Cartons Schwächen und Stärken, sowie eine Erklärung seiner Verhaltensweise herauszuarbeiten.

Im zweiten Teil befasse ich mich mit der Bedeutung Sidney Cartons für die Aussage des Romans – speziell im Hinblick auf seinen Märtyrertod. Ich beziehe mich dabei auf die allgemeine gesellschaftliche Lage der Zeit und zeige, inwiefern A Tale of Two Cities eine Kritik der politischen und sozialen Gegenwart Dickens ist. Desweiteren untersuche ich den Roman auf eine supertemporale und allgemeingültige Aussage. Dabei steht die moralische Aussage, die durch Cartons freiwilliges Opfer deutlich gemacht wird, im Vordergrund.

2. Charakterdarstellung Cartons im Text über indirekte Präsentation

a) Einleitung und Begriffserklärung

Indirekte Präsentation und direkte Definition[2] sind nach Rimmon-Kenan die grundlegenden Typen der Charakterdarstellung im Text. Bei der direkten Definition wird eine konkrete Beschreibung der Charaktereigenschaften einer Figur von der höchsten Instanz des Textes gegeben – dem Erzähler. Die indirekte Präsentation hingegen nennt keine Eigenschaften, sondern zeigt sie durch verschiedene erzähl-technische Weisen auf: die äußere Erscheinung, die Handlung, die Sprache, die Umgebung oder verschiedene Analogien.

Bei der Darstellung der äußeren Erscheinung zählen sowohl körperliche Merkmale, auf die die Person keinen Einfluß hat, wie die Größe oder die Augenfarbe; aber auch die Repräsentation durch Elemente wie Kleidung und Frisur, die von der Figur selbst bestimmbar sind.

Die Handlung ist wichtig für die Charakter-Darstellung, weil sie die Züge einer Person durch gewohnheitsmäßige oder einmalige Tätigkeiten aufzeigen kann. Die gewohnheitsmäßigen Aktionen repräsentieren dabei den statischen Teil der Person, wogegen die einmaligen den dynamischen Teil zeigen. Die einmaligen Aktionen sind oft besonders hervorgehoben und spielen eine entscheidende Rolle in einem turning point des Romans.

Die Charakterdarstellung durch die Sprache beinhaltet zwei Aspekte: erstens ist der Inhalt der Äußerungen relevant im Hinblick auf Charaktereigenschaften, zweitens läßt die Form der Sprache Rückschlüsse auf den Charakter der Figur zu.

Die Umgebung trägt durch Kontiguität zur Charakterisierung bei. Dabei ist sowohl die direkte, äußere Umgebung von Bedeutung, wie der Wohnort und die Stadt - als auch die familiäre und soziale Bindung.

Auf verschiedene Weise können letztlich Analogien die Charakterdarstellung verstärken: Namen können durch visuelle, akustische, die Aussprache betreffende oder morphologische Merkmale bestimmte Assoziationen hervorrufen. Desweiteren können Figuren, die sich in ähnlichen Umständen befinden, gegenübergestellt werden. Die Ähnlichkeiten oder Kontraste der Charakterzüge verstärken sich durch diese Gegenüberstellung. Ich werde mich nur mit der Analogie zwischen Figuren beschäftigen.

b) Verhalten und äußere Erscheinung

Direkte Definitionen von Sidney Carton gibt es in A Tale of Two Cities kaum. Eine mögliche Erklärung dafür ist, daß eine direkte Definition immer einen statischen und rationalen Eindruck vermittelt.[3] Dies widerspricht aber Cartons ungefestigtem, komplexem Charakter. Deshalb wird er durch typische Verhaltensweisen beschrieben.

Carton fällt auf, weil er sich anders als die Norm benimmt. Er scheint keinen Wert auf allgemeingültige Regeln der Höflichkeit zu legen, denn er benimmt sich rücksichtslos und achtlos. Er wahrt nach außen eine distanzierte Gelassenheit, die oft unverschämt wirkt:

„Mr.Carton’s manner was so careless as to be almost insolent. He stood, half turned from the prisoner, lounging with his elbow against the bar.“[4]

Dieser Eindruck wird durch die Beschreibung der äußeren Erscheinung und typischer Gesten verstärkt. In der Gerichtsverhandlung Charles Darnays wird er als Handlanger des Anwaltes Stryver eingeführt, der während des ganzen Verhörs abwesend an die Decke schaut. Auch als die Spannung des Verfahrens ihren Höhepunkt erreicht, behält Carton seine scheinbare Unbeteiligtheit und hält sich abseits der Aufregung:

„Mr. Carton, who had so long sat looking at the ceiling of the court, changed neither his place nor his attitude, even in this excitement.“[5]

Diese Beschreibungen sind paradigmatisch für Cartons Auftreten in der Gesellschaft: Er hält sich stets im Hintergrund, grenzt sich absichtlich aus und legt keinen Wert darauf, sich am Geschehen zu beteiligen. Er ist ein Einzelgänger - weder interessiert an gesellschaftlicher Integration noch an Anpassung. Dieses Image wird unterstützt von seiner nachlässigen und ungepflegten Erscheinung, die er als Protesthaltung zur Schau stellt[6]:

„This one man sat leaning back, with his torn gown half off him, his untidy wig put on just as it had happened to light on his head after ist removal, his hands in his pockets...“[7]

Durch diese external focalization[8] bekommt Carton von Anfang an ein rätselhaftes, undurchschaubares Moment. Wegen seiner exzeptionellen Kühle hebt er sich von anderen Personen ab. Er setzt sein provokatives Verhalten bewußt ein, um sich in einem schlechten Licht zu präsentieren. Dabei sind seine Motive jedoch zunächst unklar, weil er sich durch sein Verhalten keine Vorteile verschafft - im Gegenteil: Er zahlt mit beruflichem Mißerfolg und menschlicher Einsamkeit. Cartons Außenseiterrolle wird etabliert.

c) Handlung

Cartons Charakter wird durch seine Beziehungen zu anderen Personen gekennzeichnet. Seine Beziehungen sind alle oberflächlich. In keiner Weise engagiert er sich um Freundschaften oder Bekanntschaften. Carton ist nicht in der Lage, andere Menschen an sich herankommen zu lassen, weil er Angst davor hat, sich mit seinen eigenen Einstellungen auseinandersetzen zu müssen:

„It is as if he cannot bear to contemplate the true nature of the self he has denied for so long.“[9]

Carton hält zwar Kontakt zu bestimmten Leuten, kann aber keine emotionale Bindung zu ihnen aufbauen:

„If Sydney Carton ever shone anywhere, he certainly never shone in the house of Doctor Manette. He had been there often, during a whole year, and had always been the same moody and morose lounger there. When he cared to talk, he talked well; but, the cloud of caring for nothing, which overshadowed him with such fatal darkness, was very rarely pierced by the light within him.“[10]

Hier wird Cartons totale Ziel- und Interessenlosigkeit deutlich. Er hat weder Vertrauen in sich selbst noch in die anderen. Daraus resultiert seine Unfähigkeit zum Handeln. Er wird von Lethargie erdrückt, die ihn anteilnahmslos und gleichgültig macht.

Cartons Gemütszustand ist nicht selbstverschuldet; er wird von äußeren Umständen verursacht. Durch die Bezeichnung der Lethargie als fatal wird ihr eine schicksalbestimmende Bedeutung zugesprochen, was impliziert, daß es Carton unmöglich ist, sich aus ihr eigenständig zu befreien. Vielmehr ist er gefangen in einem Gesellschaftssystem, das ihm keine Identifikation geben kann. Seine totale Resignation ist die logische Konsequenz:

[...]


[1] Rimmon-Kenan, Schlomith: Narrative Fiction – Contemporary Poetics. New York, 1983.

[2] Rimmon-Kenan, Schlomith (siehe 1) Kap.5 „Text: Characterization“, S. 59-70

[3] Rimmon-Kenan, Schlomith (siehe 1) S. 60

[4] Dickens, Charles: A Tale of Two Cities. Penguin 1994. (TTC) S. 85

[5] TTC; S. 83

[6] Lorenz, Martina: Formen selbstdarstellerischer Performanz bei Charles Dickens. Frankfurt a. M., 1998. S. 256

[7] TTC; S. 83

[8] Rimmon-Kenan, Schlomith (siehe 1) S. 74

[9] Herst, Beth F.: The Dickens Hero: Selfhood and Alienation in the Dickens World. London, 1990. S. 149

[10] TTC; S. 152

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Sidney Cartons Charakterentwicklung in 'A Tale of Two Cities' von Charles Dickens mit Blick auf die moralische Ebene des Textes
Hochschule
Universität Hamburg  (Englisches Seminar)
Veranstaltung
Seminar: Held und Antiheld in den Revolutionsromanen Charles Dickens
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1999
Seiten
21
Katalognummer
V3705
ISBN (eBook)
9783638122870
ISBN (Buch)
9783638774536
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Viktorianismus, Bürgertum, Gesellschaft, Roman, Figurendarstellung
Arbeit zitieren
Simone Linde (Autor:in), 1999, Sidney Cartons Charakterentwicklung in 'A Tale of Two Cities' von Charles Dickens mit Blick auf die moralische Ebene des Textes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3705

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