Elternschaft und Glück. Warum wir trotz hoher Kosten daran glauben, dass Kinder glücklich machen


Bachelorarbeit, 2013

47 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Subjektives Wohlbefinden
Lebenszufriedenheit versus Glück
Persönlichkeit versus Lebensumstände

Elternschaft und Glück: Empirische Evidenz
Alter
Geschlecht
Familienstand
Wohlstand
Fazit der empirischen Befunde

Elternschaft und Glück: Laientheorien
Der Glaube, dass Kinder glücklich machen
Der Glaube, dass kinderlose Menschen traurig und egoistisch sind
Genetische und kulturelle Quellen der Laientheorien

Erklärungen für Widerspruch zwischen Laientheorien und empirischer Evidenz
Theorie der kognitiven Dissonanz
System Justification Theory
Affective Forecasting/Focusing Illusion

Diskussion

Referenzen

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit führt drei wesentliche Gründe an, warum Eltern trotz hoher Kosten und gegenteiliger empirischer Evidenz am Glauben festhalten, dass Kinder glücklich machen. Erstens können Eltern möglicherweise besser mit dissonanten Gefühlen infolge der hohen Erziehungskosten umgehen, indem sie die emotionalen Vorteile der Elternschaft überhöhen. (Theorie der kognitiven Dissonanz). Zweitens tendiert die Gesellschaft dazu, Elternschaft zu idealisieren, um den übermäßigen Beitrag von Eltern für das Gemeinwohl ideologisch zu legitimieren; auch Eltern internalisieren dieses Denkmuster (System Justification Theory). Drittens treffen werdende Eltern möglicherweise affektive Vorhersagen, weil sie ihre Aufmerksamkeit auf die guten Dinge der Elternschaft fokussieren und weniger auf die schlechten. Einer solchen Focusing Illusion können Eltern auch erliegen, wenn die Kinder schließlich auf der Welt sind (Affective Forecasting, Focusing Illusion).

Schlüsselwörter: Elternschaft, Glück, Subjektives Wohlbefinden, Kinder, Kinderlosigkeit, Kognitive Dissonanz, System Justification, Affective Forecasting, Focusing Illusion

Elternschaft und Glück. Warum wir trotz hoher Kosten daran glauben, dass Kinder glücklich machen Trotz dreckiger Windeln, schlafloser Nächte, Geschrei und Tränen. Trotz Stress, Müdigkeit, Sorgen und Beziehungskrach. Trotz hoher finanzieller Kosten, psychologischer Kosten und Opportunitätskosten (Hansen, 2012): Eltern lieben ihre Kinder. Sie lieben es, über sie zu reden, sei es über den ersten Zahn oder die erste Eins in der Schule. Sie lieben es, Fotos ihrer Liebsten zu zeigen, wie sie krabbeln, ihr Abiturzeugnis bekommen oder heiraten. Eltern lieben ihre Kinder - und sind daher auch überzeugt, dass ihre Kinder trotz aller Kosten glücklich machen. In vielen menschlichen Kulturen sind die Menschen überzeugt, dass Kinder große emotionale und soziale Vorteile bringen. Auch aus wissenschaftlicher Sicht gibt es gute Gründe für diese Annahme. Kinder werden zum Beispiel als wichtige Quelle für Sinn, Zweck, Zugehörigkeit, Anerkennung, Stolz, Selbstverwirklichung oder Struktur im Leben betrachtet (e.g., Baumeister & Leary, 1995). Kinder zu haben und aufzuziehen trägt in diesem Sinne zur positiven Entwicklung der eigenen Persönlichkeit bei, integriert Eltern in soziale Netzwerke und dient als Absicherung für das Alter (Hansen, 2012; Rothrauff & Cooney, 2008).

Nichtdestotrotz: Die meisten empirischen Studien legen nahe, dass Elternschaft keineswegs untrennbar mit mehr Glück verbunden ist als Kinderlosigkeit. Ökonomen und Psychologen haben die Effekte einer Vielzahl von Variablen auf die Lebenszufriedenheit von Menschen gemessen und in den meisten Fällen herausgefunden, dass Kinder nur einen kleinen Effekt haben. Einen kleinen negativen Effekt (e.g., Stanca, 2012). Kahneman, Krueger, Schkade, Schwarz & Stone (2004) zeigten darüber hinaus, dass Kinder nicht nur die allgemeine Lebenszufriedenheit negativ beeinflussten, sondern auch die Emotionen, die Eltern tagtäglich erlebten. Sie fanden heraus, dass Eltern sich über den Tag hinweg schlechter fühlten, wenn sie mit ihren Kindern interagierten, als wenn sie aßen, Einkaufen gingen oder Fernsehen schauten. Mehr noch: Sich um die Kinder zu kümmern war für viele Eltern eine der Tätigkeiten, die sie über den Tag hinweg am wenigsten genossen - nahezu auf einer Stufe mit Haushaltsarbeit.

In dieser Arbeit werden Gründe angeführt, die möglicherweise erklären können, warum Eltern trotz hoher Kosten und gegenteiliger empirischer Evidenz glauben, dass Kinder glücklich machen. Bis dahin gliedert sich die Arbeit wie folgt: Zunächst wird das Konzept des subjektiven Wohlbefindens (subjective well-being) erläutert. Dann werden empirische Studien überblickt, die zeigen, dass Kinder generell nicht glücklicher machen. Im Kontrast dazu beschreibt der nachstehende Abschnitt volkstümliche Theorien, die die emotionalen Vorteile der Elternschaft gegenüber der Kinderlosigkeit betonen. Danach folgen die psychologischen Erklärungsversuche für diesen Widerspruch. Im letzten Abschnitt werden alternative Erklärungen sowie mögliche Auswirkungen auf politische Prozesse diskutiert.

Subjektives Wohlbefinden

Das subjektive Wohlbefinden der Menschen wurde von der Wissenschaft lange vernachlässigt. Myers und Diener (1995) zeigten, dass bis zum Zeitpunkt ihrer Studie psychologische Artikel um ein Vielfaches mehr negative Zustände wie Angst oder Stress untersuchten hatten als positive Zustände wie Freude oder Zuneigung. Wissenschaftliche Studien über das subjektive Wohlbefinden entwickelten sich als Reaktion auf diese erdrückende Literatur über negative Gefühle (Diener, Suh, Lucas & Smith, 1999). Sie zeigen, wie wichtig das Wohlbefinden für die Menschen ist. In einer globalen Studie gab zum Beispiel eine große Mehrheit von Studenten an, dass Glück für sie wichtiger ist als Geld (Diener & Oishi, 2000). Zudem gelten glücklichere Menschen als bessere Menschen, die ein wünschenswerteres Leben als unglückliche Menschen führen und darüber hinaus höhere Chancen haben, in den Himmel oder ins Paradies zu kommen (King & Napa, 1998). Doch was genau meint das psychologische Konzept des subjektiven Wohlbefindens? Diener et al. (1999) beschrieben es wie folgt: „Subjective well-being is a broad category of phenomena that includes people’s emotional responses, domain satisfactions, and global judgments of life satisfaction” (S. 277). Demgemäß gibt es einen Unterschied zwischen kognitivem und affektivem Wohlbefinden. In die erste Kategorie fällt die allgemeine Lebenszufriedenheit, in die zweite das Glück, das Menschen in Reaktion auf verschiedenste Ereignisse tagtäglich erleben. Darüber hinaus gibt es mehrere Komponenten, die das subjektive Wohlbefinden beeinflussen, unter anderem die Persönlichkeit und die Lebensumstände.

Lebenszufriedenheit versus Glück

Lebenszufriedenheit ist auf der kognitiven Ebene des subjektiven Wohlbefindens angesiedelt. Sie drückt die allgemeine Würdigung der Lebensqualität aus (Hansen, 2012; Diener, 1984). Menschen beurteilen ihre Lebensqualität, indem sie ihr Leben mit verschiedenen Standards vergleichen, die sie sich entweder selbst setzen oder die sie in der Gesellschaft vorfinden. Dazu zählen: Errungenschaften der Mitmenschen, persönliche Ziele oder Erwartungen anderer. Die Lebenszufriedenheit ist umso höher, je mehr die aktuellen Errungenschaften mit den angestrebten Zielen übereinstimmen (Diener, 1984), je höher und wertvoller die Ziele in der jeweiligen Kultur eingestuft werden (Schimmack, Diener & Oishi, 2002) und je sichtbarer das Erreichen der Ziele in der sozialen Umwelt ist (Leary, 1999). Glück hingegen ist eine Emotion, folglich auf der affektiven Ebene des subjektiven Wohlbefindens angesiedelt und meint eine spontane und fortlaufende emotionale Reaktion auf tagtägliche Erfahrungen und Erlebnisse (Hansen, Slagsvold & Moum, 2009).

Persönlichkeit versus Lebensumstände

Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte scheint nahezulegen, dass es vor allem die Persönlichkeit ist, die das subjektive Wohlbefinden beeinflusst. Erstens haben Studien gezeigt, dass Lebensumstände wie Einkommen oder Gesundheit nur schwach mit Messungen des Wohlbefindens korrelieren (Diener et al., 1999). Zweitens wurde gezeigt, dass alle Komponenten des Wohlbefindens stark mit Persönlichkeitsvariablen wie Extraversion oder Neurotizismus korrelieren (Lucas, 2008). Drittens legt die Forschung nahe, dass Glück und Lebenszufriedenheit über einen langen Zeitraum stabil sind, auch wenn sich die Lebensumstände ändern (Costa, McCrae & Zonderman, 1987). Viertens haben Zwillings- und Adoptionsstudien gezeigt, dass Glück mäßig (zwischen 40 und 50%) vererbbar, also genetisch verankert ist (Tellegen et al., 1988). Die Set-Point-Theory postuliert daher, dass jeder Mensch aufgrund seiner biologischen Prädispositionen mit einem Maß bzw. Sollwert (set point) an Glück ausgestattet ist. Lebensereignisse wie Heirat oder Jobverlust bugsieren eine Person zwar möglicherweise über oder unter diesen Sollwert. Im Laufe der Zeit aber sorge ein Adaptionsprozess dafür, dass die Person zu dem stabilen Sollwert an Glück zurückkehrt (Diener et al., 1999). Brickman, Coates und Janoff-Bulman (1978) lieferten hierfür ein berühmtes Beispiel. Sie fanden heraus, dass Lotteriegewinner nicht signifikant glücklicher waren als Personen einer Kontrollgruppe und dass Menschen mit Rückenmarksverletzungen nicht signifikant unglücklicher waren. Lucas, Dyrenforth und Diener (2008) stuften es jedoch als Mythos ein, dass sich Menschen an alle Lebensumstände anpassen und sich Glück über das Leben hinweg nicht ändern kann. Erstens wiesen sie darauf hin, dass Erblichkeitskoeffizienten nicht dahingehend interpretiert werden dürfen, dass Glück unveränderbar ist. Der Grund: Die Koeffizienten beschreiben nur das Ausmaß, zu dem die Varianz in einer bestimmten Population und in einer bestimmten Umgebung auf die Gene zurückzuführen ist. Das sagt aber wenig darüber aus, wie Umweltfaktoren auf ein spezifisches Individuum wirken können. Zweitens führten sie Studien an, in denen bestimmte Lebensereignisse sehr wohl das Wohlbefinden beeinflussen und einem vollständigen Adaptionsprozess trotzen. Menschen etwa, die arbeitslos wurden, erlebten einen anhaltenden Rückgang des Glücks, selbst wenn sie wieder eine neue Stelle fanden (Lucas, Clark, Georgellis & Diener, 2004). Drittens verwiesen sie darauf, dass Individuen sehr unterschiedlich auf Lebensereignisse reagieren. Während sich zum Beispiel die durchschnittliche Person innerhalb von zwei Jahren an die Ehe gewöhnt, mag es auch Menschen geben, die nach der Hochzeit einen anhaltenden Anstieg oder Rückgang des Glücks erleben.

Im folgenden Abschnitt geht es nun um den Einfluss, den Kinder auf das Wohlbefinden von Menschen haben.

Elternschaft und Glück: Empirische Evidenz

Sozialwissenschaftler haben seit Beginn ihrer Disziplin untersucht, wie Elternschaft und subjektives Wohlbefinden miteinander verbunden sind (Umberson, Pudrovska & Reczek, 2010). Ein klares Ergebnis konnten sie aber, wie Ökonomen und Psychologen auch, nicht liefern. Kinder zu haben ist sowohl mit Kosten als auch mit Nutzen verbunden. Wie Kosten und Nutzen ausbalanciert sind, hängt von einer Vielzahl von demografischen Faktoren ab, auf die im Verlauf dieses Abschnitts näher eingegangen wird. Dazu zählen Geschlecht, Alter, Familien- und Wohlstand der Eltern bzw. des Elternteils. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, ob die Kinder noch bei den Eltern wohnen.

Dennoch bleibt die Frage: Ist der Nettoeffekt von Kindern auf das Wohlbefinden positiv oder negativ, vor allem, wenn man Eltern und kinderlose Menschen miteinander vergleicht? Die empirischen Befunde sind gemischt, was zum Teil auch dem unterschiedlichen Design der Studien geschuldet ist. Erstens unterscheiden sich die Studien in der Größe der untersuchten Grundgesamtheit und sind daher mehr oder weniger repräsentativ. Der zweite wichtige Faktor ist, aus welchem Land oder Kontinent die untersuchte Datenprobe stammt. Studien belegen, dass Eltern in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten - in denen Eltern stark mit materiellen und immateriellen Leistungen unterstützt werden - glücklicher sind als im Rest der Welt, zum Beispiel in der Phase, in der die Kinder noch zu Hause wohnen (Aassve, Goisis & Sironi, 2012; Margolis & Myrskala, 2010). Drittens gibt es Unterschiede zwischen den Studien bezüglich der Operationalisierung der Variablen. Die meisten Studien definieren zum Beispiel Eltern als Personen, die lebende biologische und/oder adoptierte Kinder haben. Als kinderlos gelten meistens Personen, die nie solche Kinder gehabt haben. Unterschiede und Zweideutigkeiten gibt es jedoch, wie die Studien Stiefkinder, adoptierte Kinder oder Eltern operationalisieren, die ihre Kinder überlebt haben. Viele Studien trennen darüber hinaus nicht eindeutig zwischen Kindern, die noch bei den Eltern wohnen oder nicht (Hansen, 2012). Viertens betrachten Studien oft unterschiedliche Dimensionen des subjektiven Wohlbefindens - auch jenseits affektiven Glücks und kognitiver Lebenszufriedenheit. Zu diesen Dimensionen zählen diverse Faktoren, die das Wohlbefinden beeinflussen, etwa Einsamkeit, Depression, Selbstverwirklichung, Hausarbeit, Ehekonflikte, soziale Integration, physische Gesundheit oder Generativität (e.g., Nomaguchi & Milkie, 2003; Rothrauff & Cooney. 2008). Entscheidend ist, dass all diese Dimensionen für das Wohlbefinden der Eltern - abhängig vom individuellen Lebensverlauf und der subjektiven Lebenssituation - mehr oder weniger relevant sein können (Umberson et al., 2010). Fünftens gibt es unterschiedliche Studienansätze. Vor allem wird zwischen Querschnitt- und Längsschnittstudien differenziert. Erstere vergleichen das durchschnittliche Wohlbefinden von Eltern und kinderlosen Personen bei einer einmaligen empirischen Untersuchung. Letztere betrachten etwaige Änderungen des elterlichen Wohlbefindens in den Jahren vor und nach der Geburt eines Kindes und ignorieren üblicherweise Menschen ohne Kinder (Hansen, 2012). Ein dritter möglicher Studienansatz ist, dass Eltern gefragt werden, wie wohl sie sich im Vergleich zu anderen tagtäglichen Aktivitäten fühlen, wenn sie ihre Kinder betreuen (e.g., Kahneman et al., 2004).

All diese Unterschiede zeigen: Die empirischen Untersuchungen lassen sich untereinander nur sehr schwer vergleichen. Daher überrascht es nicht, dass es Studien gibt, die Eltern und kinderlosen Personen erstens ein nahezu gleiches Wohlbefinden attestieren (e.g., Koropeckyj- Cox, 1998); zweitens zeigen, dass Eltern als Gruppe glücklicher und zufriedener sind als kinderlose Personen (e.g., Nelson, Kushlev, English, Dunn & Lyubomirsky, im Druck); oder drittens herausfinden, dass kinderlose Personen glücklicher und zufriedener sind als Eltern (e.g., Stanca, 2012).

Betrachtet man die verfügbaren Studien, kann man bei aller Inkonsistenz jedoch eine Art Trend herauslesen. Es scheint, dass es mehr Evidenz für einen negativen Effekt von Kindern auf das subjektive Wohlbefinden von Eltern gibt als für einen positiven Effekt. Globale, aggregierte Befunde und Studien aus einer Reihe von Ländern legen diesen Schluss nahe. Der Effekt ist zwar oft klein, aber signifikant (e.g., Bjørnskov, Dreher & Fischer, 2008; Haller & Hadler, 2006; Margolis & Myrskala, 2010; Alesina, Di Tella & MacCulloch, 2004; Angeles, 2009). Der Effekt hängt aber, wie bereits erwähnt, vom Zusammenspiel einer Vielzahl demografischer Faktoren ab. Um die Beziehung von Elternschaft und Glück genauer zu entschlüsseln, werden dieser Faktoren nun betrachtet.

Alter

Einige Untersuchungen legen nahe, dass es vom Alter der Eltern abhängt, ob Elternschaft mit mehr Glück verbunden ist oder nicht. Stanca (2012) zum Beispiel analysierte die Daten des World Value Survey - einer Erhebung in 97 Ländern, die fast 90% der globalen Bevölkerung repräsentieren - und zeigte, dass der Effekt von Kindern auf die Lebenszufriedenheit erst negativ war und mit steigendem Alter der Eltern positiv wurde. Ein ähnliches Muster machten Margolis und Myrskala (2010) für den Effekt von Kindern auf das elterliche Glück aus. Waren die Eltern - sowohl Väter als auch Mütter - jünger als 40 Jahre, war der Effekt negativ. Zwischen einem Alter von 40 bis 49 war der Effekt nahe Null. Waren die Eltern älter als 50 Jahre, war der Effekt schließlich positiv, bei Müttern allerdings stärker als bei Vätern. Der Zusammenhang scheint klar: Wenn die Kinder älter werden und aus dem Elternhaus ausziehen, dominieren möglicherweise die positiven Aspekte der Elternschaft und Kinder werden zu wichtigen sozialen Gütern (Hansen, 2012). Studien belegen zum Beispiel, dass Eltern im Vergleich zu kinderlosen Personen im Alter seltener alleine oder in Pflegeheimen wohnen (e.g., Koropeckyj-Cox & Call, 2007). Einen besonders starken positiven Effekt haben erwachsene Kinder in fast allen Ländern auf das Wohlbefinden verwitweter Eltern (Stanca, 2012; Umberson & Gove, 1989). Kinder, die ihre alten Eltern pflegen, bieten in dieser Hinsicht ökonomische und soziale Ressourcen und können als wichtige Investition in die Zukunft betrachtet werden (Hansen, 2012).

Wenn die Kinder noch bei den Eltern wohnen, überwiegen jedoch meistens die negativen Aspekte der Elternschaft, also Zeitzwänge, Vereinbarkeitsprobleme (vor allem zwischen Beruf und Familie), Ehekonflikte, Hausarbeit oder sonstige tagtägliche Anforderungen.

Diverse Studien zeigen, dass Eltern, die mit minderjährigen bzw. jungen Kindern zusammenwohnen (und daher typischerweise selbst jünger sind), signifikant höhere Stress- und Depressionslevels (e.g., Evenson & Simon, 2005) sowie niedrigere Wohlbefindens-, Zufriedenheits- und Glückswerte (e.g., Nomaguchi & Milkie, 2003; Plagnol & Huppert, 2010) berichten als kinderlose Personen ihrer Generation. Die emotionalen Anforderungen der Elternschaft scheinen daher in dieser Phase die emotionalen Vorteile zu überwiegen (e.g., McLanahan & Adams, 1987).

Vor allem europäische Studien jedoch verwässern den in den letzten beiden Absätzen beschriebenen Zusammenhang. Mehr noch: Sie liefern gegenteilige empirische Evidenz. Stutzer und Frey (2006) zum Beispiel analysierten die Daten des deutschen Sozio- ökonomischen Panels für den Zeitraum 1984 bis 2000 und fanden für die Befragten unter 45 Jahren heraus, dass Eltern, deren Kinder noch Zuhause wohnen, zufriedener mit ihrem Leben waren als kinderlose Personen. Darüber hinaus zeigen Daten des European Social Survey aus dem Jahr 2006, dass Zuhause lebende Kinder zwischen 20 und 50 Jahren im Durchschnitt einen positiven Effekt auf das Glück von Eltern haben (Aassve et al., 2012). Allerdings variiert letzterer Befund stark zwischen den einzelnen Ländern. Am glücklichsten sind Eltern, deren Kinder noch Zuhause wohnen, in Wohlfahrtsstaaten wie den skandinavischen Ländern; am unglücklichsten in Bulgarien, Polen oder Slowenien.

Auch der positive Effekt von Kindern, die erwachsen sind, auf eigenen Beinen stehen und daher als wichtige soziale Güter für ihre Eltern gelten, wird von europäischen - bzw. vor allem von skandinavischen Studien - in Zweifel gezogen. Sie zeigen, dass dieser Effekt entweder sehr schwach ist oder nicht existiert (Kohler, Behrman & Skytthe, 2005; Hansen et al., 2009). Insgesamt lässt sich konstatieren: Der Zusammenhang, dass Kinder erst einen negativen Effekt auf das elterliche Wohlbefinden haben und dieser Effekt mit steigendem Alter der Eltern positiv wird, ist stärker in schwachen Wohlfahrtsstaaten und schwach oder nicht existent in starken Wohlfahrtsstaaten. Dieses Muster besteht unabhängig der Untersuchungsmethoden (Margolis & Myrskala, 2010).

Ob Kinder im Alter für Eltern eine Quelle des Wohlbefindens sind, hängt darüber hinaus entscheidend von der Qualität der intergenerationellen Beziehung ab (Milkie, Bierman & Schieman, 2008). Studien zeigen, dass emotional nahe und unterstützende Beziehungen mit den erwachsenen Kindern das Wohlbefinden der Eltern verbessern, während angespannte und konfliktbeladene Beziehungen mit den Kindern das Wohlbefinden unterminieren (Knoester, 2003). Darüber hinaus können sich Stress und Probleme der Kinder negativ auf die mentale Gesundheit der Eltern auswirken. Greenfield und Marks (2006) zeigten, dass Probleme erwachsener Kinder (e.g., Alkohol, in der Schule oder an der Arbeit) mit einem niedrigeren Wohlbefinden der Eltern verbunden waren. Die Teilnehmer ihrer Studie waren zwischen 64 und 65 Jahre alt und kamen aus Wisconsin.

Geschlecht

Ob Kinder glücklich machen, hängt möglicherweise auch vom Geschlecht des Elternteils ab. Diesen Schluss legen internationale Studien nahe. Stanca (2012) zum Beispiel fand heraus, dass der Effekt von Kindern auf die Lebenszufriedenheit der Eltern negativer für Frauen war als für Männer. Außerdem zeigen Studien, dass Elternschaft gerade in jungen Jahren mit negativeren psychischen Auswirkungen für Mütter verbunden ist als für Väter. Mastekaasa (1994) untersuchte Daten aus 19 Ländern und fand für die Teilnehmer unter 35 Jahren heraus, dass Kinder einen negativen Effekt auf das Glück und die Lebenszufriedenheit (nicht signifikant) von Frauen, aber einen positiven Effekt auf Glück und Lebenszufriedenheit von Männern hatten. Andere Untersuchungen zeigen, dass Väter signifikant glücklicher sind als kinderlose Männer ihrer Generation, es für Mütter aber keine emotionalen Vorteile gibt (Nelson et al., im Druck). Diese Resultate überraschen nicht, weil Mutterschaft in den meisten Fällen mit einem sprunghaften Anstieg an Verantwortung und Hausarbeit verbunden ist. Nomaguchi und Milkie (2003) untersuchten amerikanische Daten des National Survey of Families and Househoulds und zeigten, dass Mütter nach der Geburt eines Kindes in der Woche rund neun Stunden mehr für Hausarbeit aufwenden mussten als Frauen, die im betrachteten Zeitraum kinderlos geblieben waren. Väter hingegen mussten im Vergleich zu kinderlosen Männern nur eine Stunde mehr für Hausarbeit aufwenden. Darüber hinaus fanden die beiden Forscher heraus, dass Mütter ein höheres Maß an Streit und Uneinigkeit mit ihren Partnern berichteten als kinderlose Frauen. Für Väter hingegen galt dieser Befund nicht. Allerdings gibt es auch Studien, die keine Unterschiede zwischen Müttern und Vätern bezüglich der emotionalen Konsequenzen von Kindern feststellen konnten, weder in Bezug auf Depression (Evenson & Simon, 2005) noch in Bezug auf das subjektive Wohlbefinden vier Jahre vor und vier Jahre nach der Geburt des ersten Kindes (Galatzer-Levy, Mazursky, Mancini & Bonanno, 2011). Mehr noch: Nomaguchi und Milkie (2003) stellten fest, dass Mütter - entgegen aller Argumente im letzten Absatz - weniger anfällig für Depressionen waren als Männer. Auch die emotionalen Vorteile von Vätern gegenüber kinderlosen Männern werden von Studien entkräftet. Dykstra und Keizer (2009) fanden für einen niederländischen Datensatz (Netherlands Kinship Panel Study) heraus, dass Väter und kinderlose Männer ähnliche Levels an Lebenszufriedenheit und mentaler Gesundheit berichteten und dass das Wohlbefinden von Männern nicht vom Elternschafts-, sondern vom Partnerschaftsstatus abhing.

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Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Elternschaft und Glück. Warum wir trotz hoher Kosten daran glauben, dass Kinder glücklich machen
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
47
Katalognummer
V370739
ISBN (eBook)
9783668483316
ISBN (Buch)
9783668483323
Dateigröße
631 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elternschaft, Glück, Subjektives Wohlbefinden, Kinder, Kinderlosigkeit, Kognitive Dissonanz, System Justification, Affective Forecasting, Focusing Illusion
Arbeit zitieren
Stephan Degenhardt (Autor:in), 2013, Elternschaft und Glück. Warum wir trotz hoher Kosten daran glauben, dass Kinder glücklich machen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/370739

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