Die Notenbankstrategie "Leaning against the Wind". Erläuterungen und Kritik

Warum handeln die Notenbanken nicht nach dieser Strategie?


Masterarbeit, 2017

64 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Motivation
1.2 Vorgehensweise

2 Begriffsdefinitionen
2.1 Finanzpolitik
2.2 Finanzsystem / Finanzkrisen

3 Aktueller Hintergrund
3.1 Die Entwicklung der Vermögenspreise
3.2 Notenbankstrategie Benign Neglect
3.3 Vor- und Nachteile von Benign Neglect
3.4 Strategiewechsel von BN zu LATW
3.5 Vor- und Nachteile von LATW
3.6 Umsetzungsmöglichkeit bei den Notenbanken
3.6.1 Fed
3.6.2 EZB
3.6.3 Bank of England
3.6.4 Weitere Zentralbanken
3.7 Mögliche Folgen

4 Nichtumsetzungsgründe und Ausweichmodelle
4.1 Notenbankübergreifende Gründe
4.1.1 Fehlende Definition von Vermögenspreisblasen
4.1.2 Fehlende Instrumente
4.2 Gründe der Federal Reserve System
4.2.1 Interessen der Notenbank-Präsidenten
4.2.2 Theoretisches Modell der Fed
4.2.3 Weitere Gründe
4.2.4 BGG Modell
4.2.5 Stylized Modell
4.2.6 ABRR Modell
4.2.7 Anwendung LATW bei Kreditblasen
4.3 Gründe der Europäischen Zentralbank
4.3.1 Nutzungsmöglichkeit und Sinn von LATW
4.3.2 Gründung von ESRB
4.3.3 ABRR Modell
4.3.4 Konzentration auf Preisstabilität
4.4 Gründe der Bank of England
4.5 Zusammenfassung

5 Fazit und Ausblick

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Vermögenspreisinflation in Deutschland

Abbildung 2: US Ökonom Ben Bernanke

Abbildung 3: Zinssatzverlauf der Strategien

Abbildung 4: EU Mitgliedsstaaten

Abbildung 5: Neues Modell der Fed

Abbildung 6: Entwicklung der Bank of England

Abbildung 7: Modellentwicklungen für Vermögenspreisentwicklung

Abbildung 8: Gründe der Nichtumsetzung LATW

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Bedeutende Finanzkrisen der vergangenen Jahre

Tabelle 2: Finanzpolitische Interessen der Fed Präsidenten

Tabelle 3: Pro und Kontra Argumente LATW bei der EZB

Tabelle 4: Inflationsentwicklung Deutschland

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Motivation

Das Thema „Leaning against the Wind – Warum handeln die Notenbanken nicht nach dieser Strategie“ klingt im ersten Moment sehr theoretisch und wird teilweise als unnahbar für den Leser gesehen. Dem ist aber keineswegs so! Der Großteil unserer Bevölkerung hat sich bereits direkt oder indirekt mit den gestiegenen Vermögenspreisen und der Reaktion der Notenbanken auf wirtschaftliche Veränderungen beschäftigt.

Haben Sie in den letzten Jahren nach verschiedenen Anlagemöglichkeiten gesucht? Haben Sie jemals mit dem Kauf von Immobilien auseinandergesetzt? Haben Sie den Dax / Dow Jones Kurs verfolgt? Haben Sie Interesse an Sammlerstücke gezeigt? Wenn Sie auch nur eine dieser Fragen mit „Ja“ beantworten können, dann haben Sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit über die hohen Preise/Kurse der Vermögensgegenstände gewundert oder sie sogar kritisiert.

Der Preisanstieg dieser Vermögensgegenstände ist in den letzten Jahren nachweisbar in die Höhe gestiegen. Die Notenbanken werden für diese Preisentwicklung wegen ihrer Handlungsweise in Verantwortung gezogen. Dabei wird die gesamte strategische Ausrichtung der Notenbanken in Frage gestellt. Da sich die Kritik der Finanzökonomen an der strategischen Ausrichtung häuft und Lösungsvorschläge zur bevorstehenden Krise zunehmend veröffentlicht werden, wird die aktuelle Handlungsstrategie mit einer weiteren Handlungsstrategie verglichen. Innerhalb des Themas „Leaning against the Wind - Warum handeln die Notenbanken nicht nach dieser Strategie“ werden besonders die Argumente gegen Leaning against the Wind erarbeitet. Das Thema ist deshalb so interessant, weil sich die aktuelle Strategie (Benign Neglect) nicht hinsichtlich aktueller Probleme weiterentwickelt hat, d.h. technologische Fortschritte, Weltwirtschafts-veränderungen der letzten Jahre und gesammelte Kenntnisse wurden bewusst ignoriert.

Diese Arbeit wird die Beweggründe der bedeutenden Notenbanken aufgreifen und analytisch betrachten.

1.2 Vorgehensweise

Das Thema „Leaning against the Wind – Warum handeln die Notenbanken nicht nach dieser Strategie?“ sagt bereits aus, dass die Notenbankstrategie Leaning against the Wind in dieser Arbeit genauer erforscht wird. Dabei werden vor allem die Schwachpunkte dieser neuartigen aber vieldiskutierten Strategie beschrieben. Am Ende der Arbeit ist der Leser bestmöglich darüber informiert, warum dies ein aktuelles Thema in der Weltwirtschaft ist, wie die Notenbanken zu dieser Strategie stehen und warum diese Strategie bis jetzt noch nicht an den bedeutenden Notenbanken als Handlungsstrategie durchgesetzt hat, um die Vermögenspreisentwicklung zu beobachten.

Dafür werden im zweiten Kapitel die relevanten Begriffe der Finanzpolitik erklärt. Innerhalb des Abschnittes werden die wichtigsten Institutionen anhand ihrer Aufgabe und Funktion beschrieben. Außerdem werden zum ersten Mal die beiden Notenbankstrategien kurz definiert. In einem weiteren Unterkapitel wird das Finanzsystem als Ganzes aufgeführt. Im Zuge dessen werden die verschiedenen Arten der Finanzkrisen beschrieben und die wichtigsten Finanzkrisen der Historie anhand ihrer Ursachen und Folgen unterschieden.

Das dritte Kapitel beinhaltet die Definitionen der Notenbankstrategien, die wichtig für den Verlauf der Arbeit sind. Dabei werden die Vor- und Nachteile der Strategien beschrieben. Im Anschluss wird die Möglichkeit eines Strategiewechsels innerhalb der Notenbanken geprüft, bei der die Vermögenspreisentwicklung in den Maßnahmen integriert ist. Dazu werden die größten Notenbanken im Zusammenhang zu ihrer Stellung zu den Strategien vorgestellt.

Das vierte Kapitel ist das Herzstück der Arbeit. In dem Abschnitt werden die Gründe der Nichtumsetzung von Leaning against the Wind notenübergreifend, für die Fed, für die EZB und für die Bank of England beschrieben. Darunter fallen auch Ausweichmodelle, welche die Nichtumsetzung von LATW erklären und trotzdem eine Möglichkeit geben, auf die Vermögenspreisentwicklung (präventiv) zu reagieren. Anschließend werden die wichtigsten Gründe der Notenbanken gegen eine generelle Umsetzung von Leaning against the Wind zusammengefasst.

Im letzten Kapitel wird die Ausarbeitung mit einem Fazit und einem Ausblick für die nächsten Jahre beendet. Innerhalb des Kapitels äußert der Autor dieser Arbeit seine persönliche Meinung zu den aktuellen Vorkommnissen in der Weltwirtschaft und den Handlungen der Notenbanken.

2 Begriffsdefinitionen

In diesem Kapitel werden die grundlegenden Begriffe und Wortgruppen aus der Finanzpolitik und der Finanzwirtschaft definiert und klar voneinander abgegrenzt. Der Leser hat somit die Möglichkeit ohne Vorkenntnisse die Arbeit mit dem Thema „Leaning against the Wind - Warum handeln die Notenbanken nicht nach dieser Strategie“ zu verstehen und zu hinterfragen.

2.1 Finanzpolitik

Der in diesem Kontext häufig benutzte Begriff Finanzpolitik (oder auch Politik) beschreibt Institutionen, die wesentlichen Einfluss auf die Gestaltungen und Regelungen des Wirtschaftssystems haben. Sie handeln regelsetzend oder beratend und sind durch Wahlen demokratisch legitimiert (mittel- oder unmittelbar).

Die nationalen Regierungen gelten als die höchste exekutive Gewalt in einem Staat und als die wichtigste Instanz in der Umsetzung der nationalen Politik. Sie vertreten die Staatsinteressen auf internationaler Ebene. Außerdem stützen sich die nationalen Regierungen auf ein unmittelbar legitimiertes Parlament. Die Mitglieder von den Regierungen und den Parlamenten werden (wieder-)gewählt. Die Möglichkeit zur Wiederwahl hat zur Folge, dass sich die Mitglieder auf die Verfolgung kurzfristiger Ziele konzentrieren, was sich schlecht auf die Nachhaltigkeit und die langfristigen Ziele auswirken kann (Vgl. Hartmann 2001: 113-114).

Die Notenbank (auch Zentral-, National oder Zentralnotenbank genannt) ist eine wichtige Institution der Finanzpolitik. Sie ist für die Geld- und Währungspolitik eines Währungsraums zuständig. Das wichtigste Ziel der Notenbanken ist die Wahrung der Preisniveau- und Geldwertstabilität. Für die Umsetzung der geldpolitischen Ziele muss die Notenbank unabhängig sein. Dadurch wird vermieden, dass die Geldpolitik zur Verwirklichung sonstiger politischer Ziele, wie z.B. der Sanierung des Haushalts, durch gezielte Inflation missbraucht wird. Die Federal Reserve System (Fed) ist die Notenbank mit dem Zuständigkeitsbereich für die Vereinigten Staaten von Amerika, dem größten Wirtschaftsraum weltweit. Eine nicht minder wichtige Zentralbank ist die Europäische Zentralbank (EZB). Sie kontrolliert und steuert die Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet. Seit 2011 leitet Mario Draghi (ITA) die EZB. Er ist der Nachfolger von Jean-Claude Trichet, der die Präsidentschaft zwischen 2003 und 2011 innehatte (Vgl. Europäische Zentralbank 2011: 7-10).

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist eine Organisation, die als Bank der Notenbanken fungiert. Ihr Ziel ist die Förderung der internationalen Zusammenarbeit der Notenbanken, was zu einer Stabilisierung des Finanzsystems führen soll.

Der Internationale Währungsfond (IWF) fungiert als sogenannter „Lender of last Resort“. Die Organisation verleiht Geld an Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Zahlungsschwierigkeiten haben. Des Weiteren beeinflusst der Internationale Währungsfond weltweit politische Entscheidungen durch wissenschaftliche Veröffentlichungen zu geldpolitischen Themen.

Die beiden letztgenannten Institutionen (BIZ und IWF) sind bedeutend für die weltweite Geldpolitik, spielen aber in dieser Arbeit eher eine untergeordnete Rolle (Vgl. Driscoll 2000: 1-3).

Die Richtung und die Intensität der Handlungen der Notenbanken sind an bestimmte Faktoren gebunden. Diese Faktoren lassen sich mit der Reaktionsfunktion, auch Taylor-Regel genannt, zusammenfassen. Die nach dem US-Ökonomen John B. Taylor benannte Regel zielt auf die Bestimmung der Geldpolitik bzw. den von der Zentralbank gesetzten Leitzins ab. Die Taylor-Regel ist als Handlungsanleitung für Notenbanken zu betrachten:

i = r* + p + 0,5 (p - p*) + 0,5 (y - y*)

i: Taylor-Zinssatz

r*: Langfristiger realer Gleichgewichtszinssatz

p: Inflationsrate

p*: Zielinflationsrate der Zentralbank

y: Bruttoinlandsprodukt BIP

y*: Trendwert des BIPs

Diese Formel wird je nach Währungsraum und -lage angepasst und gilt seit mehreren Jahren als Grundlage für die geldpolitischen Entscheidungen (Vgl. Finanz und Wirtschaft 2014, Vgl. Ouellet et al. 2012: 37-38).

Die Taylor-Regel beinhaltet neben den Inflationskennzahlen auch Werte aus dem Bruttoinlandsprodukt. Es fehlen jedoch jegliche Zahlen aus der Entwicklung der Vermögenspreise. Die Vermögenspreise spielen eine übergeordnete Rolle in dieser Arbeit. Sie ergeben sich aus den folgenden beiden Vermögensarten: Den Finanz- und den Sachvermögen. Zum Finanzvermögen zählen Aktien, Rentenwerte, Spar- und Sichteinlagen, aber auch Gold und Rohstoffe. Zum Sachvermögen gehören Immobilien (mehr als 60 %), Betriebsvermögen, Sammel- und Spekulationsobjekte wie Automobile und kostbare Weine.

Die aufgezählten Vermögensarten bilden den Vermögenspreis bzw. den Vermögenspreisindex. Dieser Vermögenspreis ist innerhalb der letzten Jahre in einigen Staaten und Währungszonen erheblich angestiegen, sodass sich immer mehr Finanzexperten die Frage stellen, warum die Notenbanken nicht auf die Vermögenspreise reagieren bzw. diese nicht in ihren Handlungen miteinbeziehen (Vgl. Spiegel Online 2016).

Die Miteinbeziehung der Vermögenspreise in die Handlungen der Notenbanken ist eine Strategie, welche sich Leaning against the Wind (LATW) nennt. Sinnvoll ist es mit dem Sprichwort „Gegen den Strom schwimmen“ zu übersetzen. In wirtschaftlicher Hinsicht bezieht sich die LATW-Strategie auf eine antizyklische Geldpolitik, bei der die Zentralbanken präventive Maßnahmen ergreifen, um den Inflationsboom zu dämpfen und die wirtschaftliche Situation zu verbessern. Außerdem steht die Leaning against the Wind für die Integration der Vermögenspreisentwicklung in die Reaktionsfunktion der Notenbanken. Die Notenbanken können somit auf die Entwicklung der Vermögenspreise und handelsüblichen Marktpreise einwirken und so gegensteuern, sodass diese Entwicklung eingedämpft und das Risiko einer platzenden Blase verringert wird.

Die aktuelle Strategie, die von der Fed, der EZB und vielen staatenbasierten Notenbanken angewendet wird, nennt sich Benign Neglect (BN). Im deutschen Sprachgebrauch ist diese Bezeichnung mit „wohlwollender Vernachlässigung“ zu übersetzen. Es ist eine allgemeine Form der Politik, bei der öffentliche oder natürliche Personen in Bezug auf bestimmte Situationen, Personen oder Fakten ignorant auftreten. In den 1960er Jahren war es der damalige New Yorker Senator Daniel Patrick Moynihan (zu seiner Zeit Berater für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Weißen Haus), der den Begriff zum ersten Mal öffentlich in dieser Bedeutung verwendet hat. Heutzutage ist die BN-Strategie mit der Nichteinbeziehung der steigenden Vermögenspreise in den Handlungen der Notenbanken zu verstehen. Im Zusammenhang mit Benign Neglect wird auch von Mopping Up after bzw. Clean Up gesprochen. Es impliziert die teilweise übertriebene Handlung der Notenbanken, Liquiditäten bereitzustellen und den Zins zu senken, nachdem es zu einer großen wirtschaftlichen Veränderung kam (Vgl. Finanz-Lexikon 2016).

2.2 Finanzsystem / Finanzkrisen

Ein Finanzsystem ist ein System mit den folgenden drei Elementen: Erstens der Finanzsektor, zweitens Personen und Institutionen des privaten Sektors, die Leistungen des Finanzsektors in Anspruch nehmen und drittens staatliche Institutionen, die steuernd oder regulierend auf den Finanzsektor einwirken (Vgl. Schmidt 2001: 209).

Finanzkrisen sind größere Verwerfungen im Finanzsystem, die durch plötzlich sinkende Vermögenswerte und durch die Zunahme von Zahlungsunfähigkeiten zahlreicher Unternehmen gekennzeichnet sind. Diese Verwerfungen beeinträchtigen die ökonomische Aktivität in den betroffenen Ländern maßgeblich. Sie entstehen durch destabilisierende Fehlentwicklungen auf der makro- oder mikroökonomischen Ebene (Vgl. Deutsche Bundesbank 2016).

In einem funktionierenden Finanzsystem entstehen Finanzkrisen unterschiedlichster Art und in einem nicht-definierten Zeitraum nach dem Anstieg der privaten Verschuldung innerhalb einer Volkswirtschaft und der damit einhergehenden Erhöhung der Zahlungsausfälle von Kreditnehmern. Zu Beginn eines Konjunkturzyklus sind alle Investitionen eigenkapitalfinanziert. Wenn die Nachfrage nach Gütern steigt und neue Investitionen über Kredite finanziert werden, steigt der Zinssatz. Um die Eigenkapitalrendite konstant zu halten, verschulden sich die Unternehmen. Dies wird auch als „Leverage-Effekt“ bezeichnet. Es folgt ein Anstieg des Zinsniveaus. Irgendwann können die Rückflüsse der Investitionen nicht mehr die Zinszahlungen ausgleichen. Die Unternehmen nehmen weiterhin Kredite auf, um die anfallenden Kreditzinsen bezahlen zu können und so die Insolvenz abzuwenden. Dieses Verhalten wird auch „Ponzi Finance“ (nach Charles Ponzi benannt) oder auch „Schneeballsystem“ genannt. Die Banken haben den Anreiz dieses Schneeballsystem der Unternehmen zu fördern, da sie auf eine spätere Tilgung der Kredite hoffen und so vermeiden, sämtliche Verluste unmittelbar realisieren zu müssen. Gleichzeitig steigt das Risiko für Bankkunden, die Einlagen bei der Bank haben, ihr Geld aufgrund einer Bankinsolvenz zu verlieren. Würden die Bankkunden nun gleichzeitig ihre Depositen abrufen wollen (Bank-Run), droht der Bank die Zahlungsunfähigkeit, da der Großteil des Kapitals langfristig an Kredite gebunden ist und sie den kurzfristigen Zahlungswünschen der Kunden nicht nachkommen kann. Um das Risiko der Zahlungsunfähigkeit zu verringern, geben die Banken den Unternehmen, die bereits viele laufende Kredite abbezahlen, keine neuen Kredite. Das führt bei diesen Unternehmen zu einer erhöhten Insolvenzrate. Bei Insolvenzen erfahren die Banken zeitgleich hohe Verluste. Sie bekommen den Großteil der an Unternehmen verliehenen Gelder, aufgrund der Insolvenz, nicht zurück. Nur Unternehmen, die sich vor dieser Krise nicht überschuldet haben, überleben die Krise. Das ist der grobe Ablauf von einem Konjunkturzyklus (Vgl. Kindleberger/Robert 2005: 25-31). Kindleberger und Robert (2005) glauben darüber hinaus, dass solche Krisen als fester Bestandteil einer kapitalistischen Ökonomie zu sehen sind und sich im Laufe der Zeit wiederholen werden.

Ein Beweis für die wiederholenden Zyklen zeigt die Vergangenheit. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Finanzkrisen nicht nur angehäuft, ihre Zyklen wurden dazu immer kürzer (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Bedeutende Finanzkrisen der vergangenen Jahre

(Quelle: Vgl. FAZ 2008, Vgl. BPB 2010, Vgl. Whilborg et al. 2011: 2 ff.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die aufgeführte Tabelle zeigt, wie oft und in welchen Zeitabständen die verschiedenen Finanzkrisen (Unterschiede in Inhalt, Folge und Auslöser) in den letzten Jahrzehnten zum Tragen eingetreten sind. Die Finanzkrisen lassen sich nach der Definition des IWF in verschiedene Arten einteilen. So wird zwischen den Bankenkrisen, den Währungskrisen, den (Verschuldungs-)Krisen, in denen Länder ihre Auslandsschulden nicht mehr bedienen können und den systemgefährdeten Finanzkrisen unterschieden (Vgl. International Monetary Fund 1998: 74).

Die Bankenkrisen entstehen mit einem Werteverfall auf der Aktivseite einer Bankbilanz. In der Praxis spiegelt sich das in ausfallende Kredite oder dem Sinken von Vermögenspreisen wider. In der Folge steigt die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz. Die Kunden möchten dem drohenden Verlust zuvorkommen und rufen ihre Depositen bei der Bank ab. Aufgrund dessen entsteht ein Bank-Run. Da die Banken die Kredite langfristig vergeben haben, können Sie das Geld nicht so schnell eintreiben, wie die Bankkunden ihre Einlagen zurückfordern. Die Bank wird somit zahlungsunfähig. Die Zahlungsunfähigkeit wirkt sich meist gleichzeitig auf mehrere Banken aus. Die Unternehmen haben so geringere Chancen Kredite aufzunehmen und in ihre Firma zu investieren. Daraus folgt das Überspringen der Krise auf die Realwirtschaft (Vgl. Kaminsky et al. 1999: 476).

Eine Währungskrise wird von einem massiven Werteverfall der Währung ausgelöst. In Währungsräumen mit flexiblen Wechselkursen sind Währungskrisen oft eine Folge der Erhöhung fundamentaler Risiken wie beispielsweise durch eine Naturkatastrophe oder eine ansteigende Staatsverschuldung, die eine Gefahr für das Wachstum des BIP innerhalb des Währungsraums sind. In Währungsgebieten mit festen Wechselkursen können auch spekulative Attacken zu einer Währungskrise führen. Die Notenbank ist gezwungen zu intervenieren und einen Zielwechselkurs wiederherzustellen. Für Banken und Unternehmen stellt die Währung eine staatliche Garantie dar. Somit sichern sie sich nicht gegen den Verfall der Währung ab. Schafft es die Notenbank nicht, den Zielwechselkurs zu erreichen, hat dies erhebliche Folgen auf die Wirtschaft des Währungsgebietes und kann zu Bank- und Unternehmensinsolvenzen führen (Vgl. International Monetary Fund 1998: 74 ff.).

Eine Verschuldungskrise tritt ein, wenn ein Staat oder viele Unternehmen eines Staates ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Dies betrifft insbesondere Auslandsschulden. Diese Schulden werden in der Fremdwährung notiert. Eine selbstinitiierte Inflation im eigenen Staat kann somit den Realwert der Schulden nicht beeinflussen (Vgl. International Monetary Fund 1998: 74 ff.).

Eine Finanzkrise wird als systemische Finanzkrise bezeichnet, wenn das Ausmaß der Verfehlungen am Finanzmarkt so groß wird, dass das Wirtschaftssystem droht, nicht mehr zu funktionieren. Die Vielzahl der Risiken, die zurzeit im Wirtschaftssystem bestehen (Verfall der Vermögenspreise, massenhafter Ausfall von Kredite etc.), sind nur einige Gründe, warum die Entwicklung hin zu einer systemischen Finanzkrise verläuft (Vgl. Claessens et al. 2004: 2 f.).

Die Geschichte der Wirtschafts- und Finanzkrisen zeigt, dass die Arten der Krisen oft zeitgleich bzw. in einer Abhängigkeit voneinander auftreten können, z.B. bei Banken- und Währungskrisen. Erfährt die nationale Wirtschaft einen ökonomischen Schock, so schwächt sich auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ab. In Folge dessen verliert auch die innerstaatliche Währung an Wert. Eine Kombination von Banken- und Währungskrise multipliziert ihre Wirkung und kann zu existenziellen Problemen in einer Volkswirtschaft führen (Vgl. Kaminsky et al. 1999: 473 ff.).

Eine weitere gefährliche, aber nicht unrealistische Krisenkombination ist die Verschuldungskrise, die im Nachgang einer Bankenkrise entsteht. In dieser Kombination werden die entstandenen Schulden aus der Bankenkrise über Umwege in den Ausfall öffentlicher Verbindlichkeiten verschoben (Vgl. International Monetary Fund 1998: 75).

3 Aktueller Hintergrund

In diesem Abschnitt wird dem Leser die aktuelle finanzpolitische Situation nähergebracht. Die Entwicklungen im Weltwirtschaftsgeschehen werden speziell im Hinblick auf die Entstehung der Vermögenspreisblasen beschrieben. Außerdem werden die diesbezüglichen Handlungen/Reaktionen der Notenbanken beschrieben. Dazu wird die aktuell verwendete Handlungsstrategie (Benign Neglect) der Notenbanken vorgestellt. Im Nachgang wird die Leaning against the Wind Strategie beschrieben.

3.1 Die Entwicklung der Vermögenspreise

Die Notenbanken werden wegen ihrer aktuellen Handlungsweise mit zunehmender Häufigkeit in der Öffentlichkeit kritisiert. Den Notenbanken wird u.a. die Schuld an den Finanzkrisen, ungleichen Vermögensverteilungen und Deflationen gegeben. In den letzten Jahren hat sich eine Vermögenswertblase entwickelt. Sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in den kommenden Jahren weiterwachsen. Die Notenbanken werden auch dafür, aufgrund von ungleicher Geldpolitik, verantwortlich gemacht. Sofern sie an der eigenen Handlungsstrategie nichts ändern, verlaufen somit die genannten Konjunkturzyklen in immer kürzeren Zeiträumen. Außerdem werden sich die Krisenzeiten und die damit verbundenen Krisenbewältigungsmaßnahmen häufen (Vgl. Armbruster/Bernau 2015).

Die Schere zwischen den Verbraucher- und Vermögenspreisen ist in den letzten Jahren in Deutschland immer größer geworden (siehe Abbildung 1). Besonders besorgniserregend ist die Entwicklung der letzten drei Jahre, in der die Schere sehr weit auseinandergeklappt ist. Flossbach von Storch (2016) hat für die Darstellung der Entwicklung der Verbraucher- und Vermögenspreise die jeweiligen Werte im Jahr 2010 auf den Index 100 gesetzt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Die Notenbankstrategie "Leaning against the Wind". Erläuterungen und Kritik
Untertitel
Warum handeln die Notenbanken nicht nach dieser Strategie?
Hochschule
Brandenburgische Technische Universität Cottbus
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
64
Katalognummer
V370927
ISBN (eBook)
9783668513167
ISBN (Buch)
9783668513174
Dateigröße
961 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Notenbank, Handlungsstrategie, Federal Reserve System, Europäische Zentralbank, Bank of England, Finanzsystem, Finanzkrise, Benign Neglect, Vermögenspreise
Arbeit zitieren
Patrick Torsten Krenz (Autor:in), 2017, Die Notenbankstrategie "Leaning against the Wind". Erläuterungen und Kritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/370927

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