Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Exposé
Theoretischer Teil
2 Narrative in der medialen Berichterstattung
3 Journalistisches Framing
Empirischer Teil
4 Bootsunglücke von Lampedusa - Bilder und dessen
Symbolwert
5 Symbolisch Narrative Schemata rr
6 Resumé Г
1 Exposé
Seit vielen Jahrzehnten ist die Europäische Union Zeuge von krisenbedingten Migrationsbewegungen. Die größten Bewegungen unseres Jahrhunderts fanden bisher in den Jahren 2015 und 2016 statt. Allein in Deutschland wurden im Jahr 2015 441'899 Asyl-Neuanträge gestellt, 2016 waren es bereits 722'37Θ
Neuanträge[1]. Das Thema Migration und deren Ursachen bestimmen quantitativ die Themen der deutschen Medienlandschaft. Zu sehen sind Bilder von Menschenmassen, welche europäische Grenzen passieren, untergehende und überfüllte Boote an Europäischen Seegrenzen, sowie frierende Menschen vor Flüchtlingsunterkünften und Erstaufnahmestellen. Diese Bilder und Berichterstattungen weckten Mitgefühl, Ängste und Reaktionen (z.b. Flüchtlingshilfe, oder politische Partizipation) bei den Rezipienten aus. Häufig wird den Qualitätsmedien vorgeworfen, diese würden unvollständig oder fehlerhaft über die Flüchtlingsthemen berichten, oder gar Informationen und Bilder in interessensorientierte Kontexte setzen. Professor Herrmann spricht hier von latenten Narrativen in der Berichterstattung, durch welche die Not der Flüchtlinge und deren Fluchtursachen in den Hintergrund gerückt werden. In dieser Arbeit sollen nun relevante Berichterstattungen nach solch medialen Narrativen untersucht und der Frage nachgegangen werden, ob solch latente Narrative tatsächlich in der Berichterstattung Einzug fanden und inwiefern die Wahrnehmung der Rezipienten über ihre Febensrealität verzerrt werden kann. Hierfür wird das Konzept des 'Framings herangezogen, um so signifikante Berichterstattungen zu analysieren. Die Analyse beschränkt sich auf zwei Artikel der deutschen Medienhäuser Spiegel und Focus, über Flüchtlingsbewegungen vor der italienischen Insel Fampedusa[2]. Hierfür werden im empirischen Teil einerseits die im Artikel verwendeten Bilder und Videos, sowie andererseits problematische Begriffe und Phrasen im Text, analysiert.
Vorgegangen wird mit einem Methodenmix aus Makro-Mikro-Methode (Vom Allgemeinen ins Spezielle), Inhaltsanalyse auf Basis des Framing-Konzeptes der Kommunikationswissenschaft, sowie der kritisch-analytischen-Methode zur Analyse des empirischen Materials (kritische, objektive, systematische Untersuchung des Korpus). Hierfür wurde relevante Literatur des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses abgesteckt und daraus relevante Beiträge für die Arbeit ausgewählt. Als Literaturbasis des theoretischen Teils wurde auf Hoffmann 'Das Märchen vom überkochenden Brei', sowie auf Scheufele/Engelmann 'Journalismus und Framing’ zurückgegriffen. Für den empirischen Teil wurden zwei Texte von Matthias Thiele herangezogen. Thiele beschreibt die aktuellen Probleme zwischen Flüchtlingsbewegungen und Journalismus treffend und wissenschaftlich. Die ausgewählten Quellen stecken einen Bereich des aktuellen Wissenschaftsdiskurses ab und bilden einen adäquaten Rahmen für diese Arbeit. Im theoretischen Teil fahre ich nun fort mit der grundlegenden Beschreibung von Narrativen in der medialen Berichterstattung über die Flüchtlingsbewegungen in Europa.
2 Narrative in der medialen Berichterstattung
In diesem Abschnitt wird nun der Begriff und die Theorie des (latenten) Narrativs in der medialen Berichterstattungen Umrissen. Hierfür wird auf den Text 'Das Märchen vom überkochenden Brei' von Herrmann Friederike zurückgegriffen. Prof. Dr. Herrmann ist Professorin am Lehrstuhl für Journalistik an der katholischen Universität Eichstätt. Im Herbst 2015 entstand ihrer Meinung nach ein stetiger Strom von medialen Beiträgen über die sogenannte Flüchtlingskrise. Das Thema beherrschte aktuelle Debatten und wurde in Talkshows endlos variiert, dessen sich niemand entziehen konnte. Diese 'Langzeiterzählungen', laut Medienwissenschaftler Knut Hickethier, sind solche Themen, welche über längere Zeiträume hinweg fast täglich aufgegriffen werden. Diese Darstellungen und 'Langzeiterzählungen' implizieren eben Narrative, welche Journalisten erkennen und dekonstruieren können.
Herrmann beschreibt diese Narrative als Darstellungsmuster, die Sinn und Bedeutung erzeugen und gleichzeitig unserem Wahrnehmen und Verstehen eine bestimmte Form geben und es damit auch begrenzen.1'[3] Gesellschaftliche Diskurse werden oft von solch Narrativen geformt, oder beeinflusst. Im Text untersucht Herrmann die Kommunikationssituation der Berichterstattung über Flüchtlinge im Herbst 2015 und möchte damit aufzeigen, dass gewisse mediale Narrative Gefühle von Überforderung und Ohnmacht kreierten. So entstand eben auch ein Narrativ, welches Bundeskanzlerin Angela Merkel die Verantwortung für die Krise zuschrieb und damit auch eine vereinfachte Problemlösung suggerierte. Die Ursachen für die Flüchtlingsbewegungen wurden nur marginal, oder kaum thematisiert. Nicht nur die Perspektive der Flüchtlinge ging verloren, auch die Ängste ihnen gegenüber haben sich gemehrt.[4]
"Es ist, als ob der endlose Strom der Berichterstattung als Metapher für den endlosen Flüchtlingstreck erscheint. [..]Die Bürgerinnen werden überrollt vom Strom der Berichterstattung"[5]
Herrmann ist der Meinung, dass die schiere Flut der Nachrichtenbeiträge im Herbst 2015 ein Gefühl der Überforderung als teilweise berechtigt erscheinen lassen, auch wenn es den Alltag der Bürgerinnen nicht widerspiegelt.
Als Beispiel führt sie eine Sendung der Tagesschau[6] an, in welcher Anfangs vier Beiträge über die Flüchtlingskrise und den Bürgerkrieg in Syrien gezeigt wurden. Sieht man sich die Sendung in ihrer Gesamtheit an, ihre Struktur, ihren Kontext und setzt diese in Beziehung zu den Reaktionen der Adressaten/Rezipienten, so entsteht ein Gefühl der Überforderung und Angst, dass das eigene Land in eine Krise steuert.[7] Wichtig für die Entstehung eines solchen Gefühls, ist die häufige Wiederholung solcher Berichte, also der Charakter einer 'Langzeiterzählung.
Gesellschaftliche Diskurse werden oft von solch 'latenten Narrativen' geformt. Diese Narrative sind allerdings kein Stilmittel des Journalismus; sie können unbewusst, oder bewusst einfließen. Ebenso können Narrative auch aus einen größeren Kontext indirekt mit einfließen. Narrative sind in der Tat auch Teil der öffentlichen Kommunikation und beeinflussen diese gesellschaftlichen Diskurse. Die Medien gestalten diese Narrative in der Regel nicht primär, aber transportieren sie jedoch als Medium. So können schon bloße Dauererzählungen über Flüchtlinge in Nachrichtensendungen den Eindruck erwecken, dass Deutschland von einem Phänomen überflutet werde, welches nicht mehr stemmbar sei.
Auch die öffentliche Ubiquität des Themas in allen Medien kreiert ein 'Zuviel' allein schon durch das Ausmaß der Berichterstattung. Zudem konkurrieren 'latente Narrative’ laut Herrmann in der öffentlichen Debatte um Deutungshoheit - unabhängig davon, ob sie von Politikerinnen bewusst eingebracht werden oder unbemerkt in journalistische Beiträge einfließen.[8]
„Narrative bestimmen mit darüber, was in der Öffentlichkeit zu einem Thema gedacht und getan werden kann und was ausgeklammert bleibt.“[9]
Narrative können zudem andere narrative Fakten ausblenden oder verdrängen, wie beispielsweise das Thema 'Flüchtlinge als Konjunkturmotor' - dies klammert die Not der Geflüchteten und deren Fluchtursachen aus, die es demnach zu Fösen gilt. Auch die Herkunft der Flüchtlinge bleibt ausgeklammert, sodass die Menschen als abstrakte Masse erscheinen. Journalismus sollte jedoch kritischer und aufklärerischer Natur sein, welcher eben solche Narrative in öffentlichen Diskursen identifiziert und darauf aufmerksam macht, um so Narrative in ihrer Wirkung einzuschränken.[10]
Fassen wir die wichtigsten Fakten über latente Narrative zusammen, um weiterführend mit der Framing-Theorie anknüpfen zu können:
Narrative sind Darstellungsmuster die Sinn und Bedeutung erzeugen, sowie die menschliche Wahrnehmung formen und begrenzen.
Narrative sind Teil der öffentlichen Kommunikation und bestimmen gesellschaftliche Diskurse.
Narrative können über politische Akteure, Medienschaffende, Gruppen und Lobbys, Bürgerbewegungen und über 'Social-Media-Diskurse', Einzug in die Berichterstattung finden.
Als Medium transportieren die Qualitätsmedien Narrative in gesellschaftliche Diskurse.
Narrative können bewusst, oder unbewusst gebildet werden.
Narrative können andere narrative Fakten ausblenden.
Langzeiterzählungen können ein Narrativ verstärken und ein Realitätsabbild suggerieren
Nachdem nun der Charakter des latenten Narrativs Umrissen wurde, wird nun mit der Erläuterung des Framing-Konzeptes fortgefahren. Herrmann fährt in ihrem Artikel mit einer akteurszentrierten Inhaltsanalyse fort, welche aber möglicherweise keine ausreichende Trennschärfe für diesen Korpus hat. Denn der Einsatz ihres Analyseinstrumentariums ist nicht gänzlich intersubjektiv nachvollziehbar. Deshalb gehe ich bei einer Verknüpfung von Narrativ und Framing-Konzept als Analysewerkzeug von einer höheren Validität aus.
3 Journalistisches Framing
In diesem Abschnitt sollen nun die Begrifflichkeiten und die inhaltlichen Ebenen des kommunikationswissenschaftlichen Framing-Konzeptes dargestellt, sowie dessen relevante Verbindung zu dem vorhin erläuterten medialen Narrativ hergestellt werden. Hierbei wird maßgeblich das Konzept von Scheufeie und Engelmann herangezogen.
Gitlin (1980) beschreibt Frames als "principles of selection, emphasis, and presentation composed of little tacit theories about what exists, what happens, and what matters"[11]. Das Framing bezeichnet im Allgemeinen das Einrahmen aktueller, gesellschaftlicher Themen und Phänomene in einen subjektiven Kontext, bzw. Bedeutungsrahmen. Darin befinden sich emotional und normativ aufgeladene Grundwerte von Subjekten und deren Habitus[12], welche in einen interessensorientierten Rahmen gesetzt werden. Auch der sprachliche Rahmen in welchen Informationen verpackt werden, kann die Befindlichkeit des Rezipienten und dessen Realitätswahrnehmung seiner Umwelt beeinflussen. Bezüglich der Intention der Medienschaffenden, demnach das Frame-Building betreffend, unterscheidet man zwischen diagnostischen, prognostischen und motivationalen Frames.[13] Ersteres sind Frames die aktuelle Probleme beschreiben und deren Ursachen benennen, zweitere sind Frames die Problemlösungen und Strategien zur Umsetzung vorschlagen und motivationale Frames besitzen eher Mobilisierungscharakter, bezogen auf die eigene Zielgruppe/Habitus.
Scheufeie bricht nun das Framing in diverse Unterkategorien auf. Zunächst unterscheidet er zwischen 'Framing' und 'Framing-Effekten'. Das 'Framing' betrifft die Anwendung eines Frames, während 'Framing-Effekte', die daraus resultierende Wirkung bezeichnen. Diese zwei Bezeichnungen sind primär am prägnantesten und können interpretiert und kategorisch verortet werden. Kommunikatorperspektivisch sind zwei weitere Frammg-Komponenten zu beachten - das journalistische Frame-Setting und das Frame-Building. Als journalistisches FrameSetting wird der Einfluss von eigenen Vorstellungen, Schemata, Deutungen und Vorbehalte der Journalisten bezeichnet, welche in dessen Beiträge einfließen. Als das Frame-Building hingegen bezeichnet Scheufeie als einen Prozess, in welchen Journalisten eben diese Frames bilden, oder ändern.[14] Aber auch Bezugsrahmen, von politischen Akteuren gesetzt, können von Journalisten aufgegriffen werden.
Hier wird die Verbindung zu latenten Narrativen deutlich, da durch das FrameSetting, Narrative und Bezugsrahmen unbewusst in der Berichterstattung Einzug finden können. Diesen Vorgang, beschrieben von Herrmann[15], lässt sich als FrameSetting/Frame-Building klassifizieren. Zuletzt und zudem sehr wichtig sind die ausgehenden Framing-Effekte, welche den Rezipienten bestimmte Urteile und Denkrichtungen vorgeben, oder nahelegen.[16]
Nachdem nun das Konzept des Framings erläutert und mit dem medialen Narrativ verknüpft wurde, soll dieses nochmals kurz zusammengefasst werden. Hierzu wurden die eben dargestellten Inhalte visuell aufbereitet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Narrativ bezeichnet Darstellungsmuster einer medialen Berichterstattung, welche zudem Teil der öffentlichen Kommunikation sind und gesellschaftliche Diskurse bestimmen. Das Framing bezeichnet das Einrahmen gesellschaftlicher Themen in gewisse Bedeutungsrahmen, aus welchen eben Narrative geformt, oder aufgegriffen werden. Die Realitätswahrnehmung der Rezipienten kann hierdurch verändert, oder beeinflusst werden. Solch mögliche Einflüsse (Framing-Effekte), sollen in der Analyse berücksichtigt werden.
[...]
[1] Vgl. Bamf, S.4.
[2] Pfad zu beiden Artikeln siehe Quellenverzeichnis.
[3] Herrmann (2016), S.6.
[4] Vgl. Herrmann (2016), S.6-7. f.
[5] Ebd,S.10.
[6] Tagesschau vom 20. Oktober 2015, 20:00 Uhr Ausgabe. Die vier genannten Beiträge erstrecken sich über 9:00 von 15:00 Minuten. Die erwähnten Rezipienten waren Studenten der Professorin im Rahmen eines Seminars der Universität Eichstätt.
[7] Vgl. Ebd,S.10.
[8] Vgl. Ebd,S.ll.
[9] Ebd,S.13.
[10] Vgl. Ebd, S.14-17.
[11] Scheufele/Engelmann (2016), S.443-444.
[12] Nach Bourdieu's Habitustheorie, In: Die feinenUnterschiede.
[13] Vgl. Strünck, Christoph (2006), S.201.
[14] Vgl. Ebd. S.443-444.
[15] Siehe S.4, oben.
[16] Vgl. Ebd. S.444.