Monströse Weiber oder weibliche Monster? Die Riesinnen im "Eckenlied"


Hausarbeit, 2017

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Baumkämpferinnen
2.1 Äußerliche Merkmale
2.2 Charaktereigenschaften
2.3 Funktion

3 Rachin
3.1 Äußerliche Merkmale
3.2 Charaktereigenschaften
3.3 Rachin als Kämpferin
3.4 Funktion

Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„[ S ]o bestuend ich gerner hundert man / strites den aine vrovwen […]“ (E2 232,2–3)[1], sagt Dietrich von Bern in der Fassung E2 des ‚Eckenliedes‘. Sowohl in dieser als auch in der Handschrift E7 und im Druck e1 kommt der Held auf seinem Weg nach Jochgrimm jedoch nicht um den Kampf mit weiblichen Familienangehörigen Eckes herum, die Rache für den Tod ihrer Verwandten an Dietrich verüben wollen. Ob es sich bei diesen um Riesinnen oder wilde Frauen handelt, ist in der Wissenschaft umstritten. Beide Gattungen sind einander sehr ähnlich[2] und Habiger-Tuczay zufolge wurden sie im ‚Eckenlied‘ miteinander vermischt.[3] Im Folgenden werden die betreffenden Frauengestalten überwiegend als Riesinnen bezeichnet, dennoch wurde auch die Sekundärliteratur zum Thema wilde Frau einbezogen.

In E2 bekommt Dietrich es sowohl mit Eckes Mutter Birkhilt als auch mit deren Tochter Uodelgart zu tun, während ihn in e1 Eckes Tante Rütze angreift. Diese drei Riesinnen, die allesamt mit ausgerissenen Bäumen auf Dietrich losgehen, sind einander sehr ähnlich. Die in E7 auftretende Riesenkönigin Rachin, ebenfalls eine Tante Eckes, die sich in einer wertvollen Rüstung und mit Schwert und Stange in den Kampf gegen Dietrich begibt, hebt sich stark von den drei anderen ab. Allen Vieren ist gemeinsam, dass sie nicht der Idealvorstellung von Frauen in der mittelalterlichen Literatur entsprechen. Sie scheinen entweiblicht. Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern man bei Birkhilt, Uodelgart, Rütze und Rachin tatsächlich von einer Entweiblichung sprechen kann und welche Funktionen sich daraus für die Riesinnen im ‚Eckenlied‘ ergeben.

Zunächst werden Birkhilt, Uodelgart und Rütze als Gruppe der Baumkämpferinnen zusammengefasst betrachtet. Ihr Aussehen und ihr Charakter werden daraufhin analysiert, inwiefern sie dadurch unweiblich wirken, und ihre Funktion im Text wird herausgearbeitet. Anschließend werden auch Rachins äußere sowie charakterliche Merkmale in Bezug auf ihre Entweiblichung analysiert, wobei auch auf die Unterschiede zwischen ihr und den Baumkämpferinnen eingegangen wird. Ihre Rolle als kämpfende Frau wird eingehender betrachtet, bevor abschließend auch ihre Funktion im ‚Eckenlied‘ aufgezeigt wird.

2 Die Baumkämpferinnen

2.1 Äußerliche Merkmale

Birkhilt, Uodelgart und Rütze zeichnen sich durch ihre enorme Körpergröße aus. [ K ] ein weib ward nie von leng so hoch (e1 185,11)[4] wie Rütze. Birkhilt was gar ungefuege (E2 228,12) und auch Uodelgart wird als die vil ungefuege (E2 241,7) bezeichnet. Ungevuege lässt sich mit ‚übermässig groß und schwer, riesig, plump, stark, heftig‘[5] übersetzen und ist Boyer zufolge ein typischer Begriff, um Riesen zu beschreiben.[6] Ihre Größe erlaubt es den Riesinnen, über Bäume zu springen. Wenn sie sich auf den Weg machen, um Rache an Dietrich zu nehmen, gehen Birkhilt und Uodelgart nicht wie es sich für das Idealbild der höfischen Dame gehört „leicht und leise, gemessen und langsam mit kleinen Schritten“[7], sondern springen úber die grossen ronen (E2 233,5) bzw. úber stok und ronen (E2 241,5). Uodelgart hat ain fraislichen gank (E2 241,4) und die bom ir sigen alle nach (E2 241,2) und auch der Gang von Birkhilt ist gar vraislichen (E2 233,4), also ‚Gefahr und Verderben bringend, Schrecken erregend, furchtbar‘.[8] Boyer zufolge bewirken die Adjektive ungefuege und vraislich eine Dämonisierung der Riesinnen und lassen sie monströs erscheinen.[9] Uodelgart wird sogar ungehúre (E2 241,3) genannt, nach Boyer die Bezeichnung für Monster schlechthin, die Uodelgart einen Status zwischen den Geschlechtern verleiht.[10]

Die Wortwahl bei ihrer Beschreibung lässt die Riesinnen hässlich erscheinen, denn ungefuege, vraislich und ungehúre sind typische Begriffe zum Ausdruck von Hässlichkeit.[11] Da ein Wort mit der Bedeutung von ‚hässlich‘ im Sinne von ‚das Gegenteil von schön‘ im Mittelhochdeutschen nicht existierte,[12] drückte man Hässlichkeit nämlich stattdessen wie Michel schreibt „entweder durch die Negation des Gegenteils […] oder durch das Missfallen begleitende Gefühl der Angst oder des Ekels und Abscheus […]“[13] aus. Ihre Hässlichkeit trägt zur Entweiblichung der Riesinnen bei, denn Frauen werden in der mittelalterlichen Literatur dem normbildenden höfischen Frauenideal entsprechend normalerweise als schön dargestellt.[14] Hässlichkeit zählt jedoch zu den charakteristischen Merkmalen von Riesen und wilden Frauen.[15] Laut Habiger-Tuczay soll „das abstoßende Äußere der Wildfrauen noch zusätzlich ihre Riesenhaftigkeit, Gewalttätigkeit und vor allem Unweiblichkeit betonen“.[16] Hässlichkeit wird in der höfischen Literatur jedoch nicht nur mit Unweiblichkeit verbunden, sondern erweckt weitere Assoziationen: Sie ist mit dem Heidnischen verknüpft. Dies zeigt sich beispielsweise in einigen mittelalterlichen Kreuzzugsepen, in denen die Christen als schön, die Heiden hingegen als hässlich dargestellt werden.[17] Außerdem wird Hässlichkeit auch mit dem Nicht-Höfischen und dem Bösen sowie der wilden Natur assoziiert,[18] welche auch der Wohnraum der drei Riesinnen ist. Birkhilt mag zwar die Herrin einer prunkvollen Burg sein (E2 230,1–231,3), doch ihr Verhalten ist ebenso wenig höfisch wie das von Uodelgart und Rütze. Dadurch heben sich die Baumkämpferinnen auch von Ecke ab, mit dem man höfisches Verhalten assoziiert.[19]

Über Birkhilts Äußeres wird ein weiteres Detail genannt, das sie hässlich und unweiblich erscheinen lässt, wenn Vasolt über seine Mutter sagt: „[…] ir ist ovch ruch aller ir lip. […]“ (E2 231,5). Körperbehaarung weckt einerseits Assoziationen zum männlichen Körper, andererseits aber auch zum Fell von Tieren, womit ihr behaarter Körper Birkhilt sowohl einen maskulinen als auch einen animalischen Aspekt verleiht. Es handelt sich auch bei der Behaarung um eine typische Eigenschaft wilder Frauen, die sie von den Menschen abgrenzt.[20] Zudem lässt sie Birkhilts Körper dunkel erscheinen. Dies steht im Gegensatz zur zum weiblichen Schönheitsideal gehörenden zarten weißen Haut[21] und hat außerdem symbolische Bedeutung, da das Schwarze für das Heidnische steht und die Verbindung zum Teufel betont.[22]

Die Baumkämpferinnen sind nicht nur groß und hässlich, sondern auch übermäßig stark. Uodelgart was ovch bi den ziten / dú staerchste maget die man vant / in dem gebirge witen (E2 239,8–10). Birkhilt und Rütze werden nicht direkt als stark bezeichnet, doch ihre große Körperstärke wird deutlich erkennbar, wenn sie riesige Bäume ausreißen, um sie als Waffen zu verwenden (E2 235, 4–5; e1 213, 1–3). Rützes Stärke wird außerdem anhand ihrer Vorgeschichte aufgezeigt. Man erfährt über sie, dass sie ein burg […] zerbrach (e1 193,5), um ihren Söhnen Rüstungen zu beschaffen, und zwar laut Vasolt mit der hende (e1 221,6). Auch wenn Rütze dies tut, um als Mutter für ihre Kinder zu sorgen, ist das Überfallen von Burgen genauso wenig typisch weiblich wie das Ausreißen von und Kämpfen mit Baumstämmen und außergewöhnliche Stärke an sich, denn „an körperlicher Kraft sollte die Frau den Männern nicht gleichkommen“.[23] Enorme Körperstärke ist jedoch eines der Hauptmerkmale von Riesen.[24]

2.2 Charaktereigenschaften

Die Baumkämpferinnen werden hauptsächlich über ihr Äußeres charakterisiert, das sie grausam, furchterregend und gewalttätig erscheinen lässt, und dies entspricht auch ihrem Charakter. Vasolt sagt über seine eigene Mutter, sie sei ain úbel wip (E2 236,9) und dass ir muot […] so grimme (E2 231,12) sei, dass sie Dietrich den Tod ihres Sohnes nie verzeihen werde. Sie ist dem tiefel wol genos (E2 237,9) und sie sowie Rütze werden als valendin (E2 235,1) bzw. valentine (e1 194,6) bezeichnet. Dass man sie mit dem Teufel in Verbindung bringt, macht das Erscheinen der Riesinnen, wie Boyer feststellt, noch furchterregender.[25] Die Bezeichnung valentine wird laut Wolf auch gelegentlich für unweibliche Frauen gebraucht.[26] Zudem handelt es sich beim Bezug zum Teufel um ein weiteres typisches Merkmal von Riesen, das ihre Feindseligkeit sowie ihre Verkörperung des Bösen ausdrückt.[27]

Eine Charaktereigenschaft, die sowohl bei Birkhilt als auch bei Uodelgart hervorgehoben wird, ist ihr unbändiger Zorn. Im Falle Birkhilts ist dieser laut Vasolt fraislich getan (E2 236,5) und zeigt sich, wenn sie ainen ungefuegen bon […] / vor zorn usser der erde (E2 235,4–5) bricht. Wenn Uodelgart den Todesschrei ihrer Mutter hört wird si zornes rich (E2 239,13) und als sie erfährt, was mit ihrer Mutter geschehen ist, wird ir zorn […] michel und brait (E2 244,2). Statt auf Vasolts Warnung vor Dietrich zu hören, reißt sie einen Baum aus der Erde und geht auf ihn los. Auch von Rütze heißt es, dass sie [ g ] ar zornicklichen […] do gieng (e1 213,1), als ihr Baum zerbricht, während sie auf die Linde einschlägt, hinter der Dietrich steht. Riesen werden häufig mit solch großem Zorn und jähzornigen Tendenzen ausgestattet.[28]

Zu beachten gilt, dass ihr Zorn im Falle von Uodegart und Birkhilt dadurch ausgelöst wird, dass sie erfahren, dass ihre Verwandten getötet wurden. Ihre Sippe ist den Riesinnen sehr wichtig. Wie sehr sie der Tod ihrer Angehörigen trifft, sieht man vor allem an Rütze, die, als sie vom Tod Eckes und ihrer Söhne, die beim Versuch, Ecke zu rächen, ihr Leben gelassen haben, erfährt, in anmaechten (e1 208,4) fällt. Keine der drei Riesinnen zögert, Rache für ihren toten Sohn, Neffen, Bruder oder ihre tote Mutter zu nehmen. Für Rütze steht fest: „[…] wer hat gethan / mir leyd an meinen kinden? / es seye recht man oder weib, / der muoß mir lassen seinen leib […]“ (e1 209,2–5). Ihre Verwandten zu rächen, ist für die Riesinnen wichtiger als ihr eigenes Leben (E2 236,10–13; E2 242,9–13). Das Rachemotiv ist sowohl für Riesen als auch für wilde Frauen üblich.[29] Während ihre Wut und Kampfeslust eher unweiblich ist, hebt der Wunsch nach Rache vor allem in Bezug auf Birkhilt und Rütze jedoch auch ihre weibliche Rolle als Mutter hervor, die Rache für ihre toten Kinder nehmen will.[30]

Ihr Wunsch nach Rache ist ihre Motivation für die im Wesentlichen einzige große Handlung, die die drei Riesinnen während der kurzen Episoden, in denen sie auftauchen, ausführen: Sie kämpfen gegen Dietrich. Eine alles anders als typisch weibliche Handlung. Wie bereits erwähnt, kämpfen alle drei mit ausgerissenen Baumstämmen (E2 235, 4–5; E2 240, 1–2; e1 213, 1–3). Birkhilt ist sogar nach dieser Kampfmethode benannt, denn man kann ihren Namen mit ‚die Birken im Kampf als Waffe benutzt‘ übersetzen. Bei ausgerissenen Bäumen handelt es sich um eine für Riesen typische und zugleich primitive Waffe, bei deren Handhabung es hauptsächlich auf Körpergröße und Kraft ankommt und die die Wildheit der Riesinnen hervorhebt.[31] Dietrichs Waffe, das Schwert, hingegen erfordert „viel Übung und militärische Kunst“.[32]

2.3 Funktion

Zusammengefasst sind die Hauptmerkmale von Birkhilt, Uodelgart und Rütze ihre enorme Größe und Körperstärke, ihr abstoßendes Äußeres, ihr Zorn, ihr Bestreben, den Tod ihrer Verwandten mit Gewalt zu rächen, sowie die primitive Kampftechnik, mit der sie dieses Ziel verfolgen. Alle diese Eigenschaften stellen die Unweiblichkeit der drei Frauen heraus. Dies ist nötig, damit es überhaupt zum Kampf zwischen ihnen und Dietrich kommen kann, denn dieser sl [ eht ] nit gerne wip (E2 235,11), wenn es sich verhindern lässt. Schließlich würde ein Kampf mit einer Frau seiner Ehre schaden. Es sind stets die Riesinnen, die die ersten Schläge ausführen und Dietrich somit keine Wahl lassen, als sich zur Wehr zu setzen. Rütze schlägt auf die Linde ein, hinter der Dietrich steht (e1 212,5–215,2). Birkhilt f [ ehtet ] so, das [ Dietrich ] / des libes kam in grosse not (E2 237,10–11) und erinnert ihn so daran, dass er niht aines mannes muot (E2 238,2) hat, um so viele Schläge von einer Frau einzustecken, woraufhin er sie entzweischlägt. Uodelgart versetzt dem Helden ebenfalls einen Schlag, der ihn beinahe tötet, woraufhin er sich schämt und sich zu wehren beginnt (E2 244,6–245,6). Wie der Kampf für Uodelgart ausgeht, erfährt man nicht, da die Fassung abbricht, wenn Dietrich sie an den Haaren packt, doch angesichts dessen, wie Dietrichs andere Riesenkämpfe im ‚Eckenlied‘ enden, ist davon auszugehen, dass auch sie den Kampf nicht überlebt.

Die Riesinnen dürfen also nicht weiblich sein, um für Dietrich bekämpfbar zu werden, doch ob man tatsächlich von einer Entweiblichung sprechen kann, hängt davon ab, ob man Birkhilt, Uodelgart und Rütze überhaupt primär als Frauen betrachtet. Dies liegt insofern nahe, als sie als solche bezeichnet werden und thematisiert wird, dass Dietrich eigentlich nicht gegen Frauen kämpfen möchte und sich schämt, solch kräftige Schläge ausgerechnet von Frauen einzustecken. Allerdings ist es auffällig, dass die Baumkämpferinnen abgesehen von Birkhilts und Rützes Rolle als Mutter keinerlei spezifisch weiblichen Merkmale aufweisen, wohingegen all ihre Merkmale charakteristisch für Riesen bzw. wilde Frauen sind. Daher sollte man sie vielleicht eher als solche Wesen der Anderwelt betrachten. Dann wird ihr Geschlecht zweitrangig, da zwischen Riesen und Riesinnen kein wesentlicher Unterschied besteht.[33] Die Baumkämpferinnen sind angsteinflößende und gefährliche Monster, weshalb Dietrich mit ihnen kämpfen und sie töten kann, obwohl sie weiblich sind.[34] Sie dienen, wie es laut Ahrendt für Riesen die Regel ist, „zur Ausschmückung des Stoffes“.[35] Sie sind nicht nur potenzielle Gegner, sondern solche, die es auch wert sind, von Dietrich bekämpft zu werden, denn durch den Sieg über sie kann er seine Stärke unter Beweis stellen. Gleichzeitig entsteht beim Publikum kein Mitleid mit den Riesinnen, wenn sie getötet werden. So beschreibt auch Michel eine mögliche Funktionalisierung der Hässlichkeit in Bezug auf Riesen und andere Ungeheuer.[36] Auch, wenn sie mehrfach als Frauen bezeichnet werden, sind Birkhilt, Uodelgart und Rütze weniger als entweiblichte Frauen, sondern vielmehr als weibliche Monster zu sehen, eben als stereotype anderweltliche Antagonisten, mit deren Benehmen das der Riesinnen laut Boyer korrespondiert.[37]

3 Rachin

3.1 Äußerliche Merkmale

Wie die Baumkämpferinnen ist auch Rachin sehr groß und stark. Sie wird mehrfach als starck weip (E7 262,1)[38] bezeichnet, ist von art / so krefticklich bereitet (E7 255,4–5) und ir stang die was fünf claffter lanck, / wißpawmes groß het sie ein swanck, / trug sie recht als ein gerten; / ir swert von siben ellen was, einer span preit (E7 257,1–5). Die Beschaffenheit ihrer Stange und ihres Schwertes weisen sowohl auf ihre Kraft als auch auf ihre Körpergröße hin, die allerdings nicht direkt erwähnt wird. Überhaupt wird Rachins Aussehen vor allem durch ihre Waffen und ihre Rüstung definiert, die sehr detailliert beschrieben werden und durch die sie sich von den drei anderen Riesinnen abhebt. Rütze raubt zwar Rüstungen für ihre Söhne, von ihr selbst sowie von Uodelgart und Birkhilt wird jedoch nicht erwähnt, dass sie Rüstungen tragen. Der Beschreibung von Rachins Rüstung hingegen ist eine ganze Strophe gewidmet, die den Strophen über die Rüstungen der männlichen Riesen ähnelt.[39] Wie in diesen werden Wert und Robustheit der Rüstung hervorgehoben. Die Hosenbeine sind von eytel stahelpleche / gewurckt, floriret in dymant (E7 256,10–11) und durch ihren Harnisch vormols doch nye versnaid / zwar keines swertes plicke (E7 256,5–6). Einerseits ist die Rüstung ein maskulines Attribut, andererseits ist sie so beschaffen, dass sie Rachins Weiblichkeit unterstreicht, denn ihr Brustpanzer besteht aus zwey stahelfaß (256,2), die ihre Brüste umschließen, und betont somit ihren weiblichen Körperbau. Dieser wird später nochmals besonders hervorgehoben, wenn Dietrich ihr den ersten Stich wol durch das eine stahelfaß (E7 266,7) versetzt, woraufhin milch und plut wischt auf das graß (E7 266,9). Dadurch wird Rachins Körper Boyer zufolge als eindeutig feminin markiert.[40] Boyer stellt außerdem fest, dass sich Rachins Rüstung von der der Männer dadurch unterscheidet, dass sie keine Vorgeschichte hat, was daran liegt, dass es keine heroische Tradition von Riesenkämpferinnen gibt.[41]

3.2 Charaktereigenschaften

So ambivalent wie ihre Rüstung mit ihren sowohl femininen als auch maskulinen Merkmalen wird auch Rachins Charakter beschrieben. Wie Uodelgart wird auch sie einmal die ungehawre (E7 260,8) genannt und wie für Birkhilt und Rütze wird auch für sie die Bezeichnung vellentine (E7 255,12) gebraucht. Zu ihren Söhnen sagt Rachin jedoch, dass diese sie durch got (E7 258,13) rächen sollen, sollte sie im Kampf sterben. Als dies eintritt, sagt ihr Sohn Welderich: „[…] so wil ich sie rechen, / ob mir von got das hail geschicht. “ (E7 268, 12–13) Der Bezug auf Gott ist auch deshalb bemerkenswert, weil Riesen normalerweise als Heiden und Verbündete des Teufels angesehen werden.[42] Den Teufel scheint Rachin allerdings eher Dietrich zuzuordnen, denn sie sagt zu ihm: […] der teuffel auß der helle / der kann dich vor mir nit dernern.“ (E7 259,12–13)

[...]


[1] Das Eckenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Text, Übersetzung und Kommentar von Francis B. Brévart. Stuttgart: Reclam 1986 ( = RUB 8339).

[2] Ahrendt, Ernst Herwig: Der Riese in der mittelhochdeutschen Epik. Güstrow: Carl Michaal 1923. S. 95 u. S. 115.

[3] Habiger-Tuczay, Christa: Zwerge und Riesen. In: Dämonen, Monster, Fabelwesen. Hrsg. von Ulrich Müller u. Werner Wunderlich. St. Gallen: UVK 1999 ( = Mittelalter-Mythen 2). S. 656.

[4] Das Eckenlied. Sämtliche Fassungen. 3 Bde. Hrsg. von Francis B. Brévart. Bd. 3: Die Druckversion und verwandte Textzeugen e1, E4, E5, E6. Tübingen: Niemeyer 1999 ( = ATB 111).

[5] Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Mathias Lexer. http://woerterbuchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer&mode=Vernetzung&lemid=LU03771#XLU03771 (24.02.2017)

[6] Boyer, Tina Marie: The Giant Hero in Medieval Literature. Leiden: Brill 2016 ( = Explorations in Medieval Culture 2). S. 69.

[7] Köhn, Anna: Das weibliche Schönheitsideal in der ritterlichen Dichtung. Leipzig: Eichblatt 1930 ( = Form und Geist. Arbeiten zur Germanischen Philologie 14). S.107.

[8] Mhd. Handwörterbuch von M. Lexer. http://woerterbuchnetz.de/Lexer/?sigle=Lexer&mode=Vernetzung&lemid=LV05772#XLV05772 (24.02.2017)

[9] Boyer, T.: The Giant Hero. S. 69.

[10] Ebd. S. 70.

[11] Michel, Paul: „Formosa deformitas“. Bewältigungsformen des Hässlichen in mittelalterlicher Literatur. Bonn: Bouvier 1976 ( = Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 57). S. 20; Kasten, Ingrid: Häßliche Frauenfiguren in der Literatur des Mittelalters. In: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fragen, Quellen, Antworten. Hrsg. von Bea Lundt. München: Fink 1991. S. 259.

[12] Ebd.

[13] Michel, P.: Bewältigungsformen des Hässlichen. S. 20.

[14] Kasten, I.: Häßliche Frauenfiguren.. S. 256.

[15] Habiger-Tuczay, Christa: Wilde Frau. In: Dämonen, Monster, Fabelwesen. Hrsg. von Ulrich Müller u. Werner Wunderlich. St. Gallen: UVK 1999 ( = Mittelalter-Mythen 2). S. 609; Röhrich, Lutz: Riese, Riesin. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich Bd. 11. Berlin: de Gruyter 2004. Sp. 669.

[16] Habiger-Tuczay, C.: Wilde Frau. S. 609 Anm. 32.

[17] Kasten, I.: Häßliche Frauenfiguren. S. 263.

[18] Kasten, I.: Häßliche Frauenfiguren. S. 259f.; Horn, Katalin: Schön und häßlich. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich. Bd. 12. Berlin: de Gruyter 2007. Sp. 154.

[19] Boyer, T.: The Giant Hero. S. 67.

[20] Habiger-Tuczay, C.: Wilde Frau. S. 605 u. 609.

[21] Köhn, A.: Das weibliche Schönheitsideal. S. 93–95.

[22] Boyer, T.: The Giant Hero. S. 70.

[23] Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 11. Aufl. München: dtv 2005. S. 462.

[24] Habiger-Tuczay, C.: Zwerge und Riesen. S. 653; Röhrich, L.: Riese, Riesin. Sp. 669.

[25] Boyer, C.: The Giant Hero. S. 69.

[26] Wolf, Leo: Der groteske und hyperbolische Stil des mittelhochdeutschen Volksepos. In: Palaestra. Untersuchungen und Texte aus der deutschen und englischen Philologie 25 (1903). S. 125.

[27] Vgl. Röhrich, L.: Riese, Riesin. Sp. 668; Tarantul, Evgen: Elfen, Zwerge und Riesen. Untersuchung zur Vorstellungswelt germanischer Völker im Mittelalter. Frankfurt am Main: Lang 2001 ( = Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur 1791). S. 254 u. 417; Wolf, L. Der groteske und hyperbolische Stil. S. 125.

[28] Boyer, T.: The Giant Hero. S. 70; Habiger-Tuczay, C.: Zwerge und Riesen. S. 654.

[29] Habiger Tuczay, C.: Wilde Frau. S. 609; Habiger-Tuczay, C.: Zwerge und Riesen. S. 646.

[30] Boyer, T.: The Giant Hero. S. 70.

[31] Tarantul, E.: Elfen, Zwerge und Riesen. S. 243–247.

[32] Ebd. S 247.

[33] Wolf, L. Der groteske und hyperbolische Stil. S. 116.

[34] Boyer, T.: The Giant Hero. S. 69.

[35] Ahrendt, E.: Der Riese in der mhd. Epik. S. 91.

[36] Michel, P.: Bewältigungsformen des Hässlichen.

[37] Boyer, T.: The Giant Hero. S. 66.

[38] Das Eckenlied. Sämtliche Fassungen. 3 Bde. Hrsg. von Francis B. Brévart. Bd. 2: Dresdener Heldenbuch und Ansbacher Fragment. E7 und E3. Tübingen: Niemeyer 1999 ( = ATB 111).

[39] Boyer, T.: The Giant Hero. S. 71.

[40] Ebd. S. 72.

[41] Ebd. S. 71.

[42] Ahrendt, E.: Der Riese in der mhd. Epik. S. 105; Tarantul, E: Elfen, Zwerge und Riesen. S. 254.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Monströse Weiber oder weibliche Monster? Die Riesinnen im "Eckenlied"
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Germanistische Literaturwissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
18
Katalognummer
V371723
ISBN (eBook)
9783668502291
ISBN (Buch)
9783668502307
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Riesen, Riesinnen, Eckenlied
Arbeit zitieren
Anne Zeiß (Autor:in), 2017, Monströse Weiber oder weibliche Monster? Die Riesinnen im "Eckenlied", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/371723

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