Der sogenannte „Weltbühneprozess“ bezeichnet das Strafverfahren, das zur Verurteilung des linksliberalen Publizisten und späteren Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky und des Luftfahrtexperten Walter Kreiser durch den IV. Strafsenat des Reichsgerichts am 23.11.1931 führte. Vorgeworfen wurde ihnen der Verrat militärischer Geheimnisse im Rahmen eines Aufsatzes, der von Walter Kreiser verfasst und durch Ossietzky als Herausgeber und Schriftleiter der Wochenschrift „Weltbühne“ eröffentlicht wurde. Das Verfahren gilt wegen der Rolle von Ossietzkys im damaligen öffentlichen Leben und wegen seiner Funktion als Symbolfigur im Kampf für Frieden und Demokratie als eines der bedeutendsten Strafverfahren im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Der Schriftsteller Thomas Mann bezeichnete ihn als Mann des „Principiis obsta“, der sich den Anfängen des Nationalsozialismus zu einer Zeit entgegenstellte, zu der die Deutsche Republik noch gar nicht realisiert hatte, worauf sie zusteuerte. Der gesamte Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und auch das Urteil wurde zu Zeiten der Weimarer Republik nie veröffentlicht. Der Originaltext des Urteils ging im Zweiten Weltkrieg verloren, sodass sich lediglich eine Abschrift im politischen Archiv des Auswärtigen Amtes befindet.
Diese Arbeit soll zunächst die „Tat“ Carl von Ossietzkys und Walter Kreisers in den historischen Kontext einbetten. Sodann soll beleuchtet werden, wie das Reichsgericht die einzelnen Umstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bewertete und welche Rechtsansichten es hierbei vertrat. Dabei soll im Vordergrund stehen, wie stichhaltig die Argumentation des Gerichts auch mit Blick auf die damalige Rechtslage ist, und ob gegebenenfalls eine Rechtsbeugung durch das Reichsgericht feststellbar ist. Anschließend sollen einerseits die weitere Entwicklung des Falls Ossietzky und das gescheiterte Wiederaufnahmeverfahren behandelt werden, das die Tochter von Ossietzkys in den 1990er Jahren anstrengte. Sodann soll andererseits die Entwicklung des Landesverrats im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschlands dargestellt werden. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, ob eine Wiederholung des Falls Ossietzky in der BRD denkbar ist.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Hauptteil
- I. Der inkriminierte Artikel und seine Auswertung
- II. Politischer und gesellschaftlicher Kontext
- III. Die Richterschaft und die Rechtsprechung des Reichsgerichts
- 1. Rechtsprechung gegenüber Taten im Umfeld der Reichswehr
- 2. Rechtsprechung zum publizistischen Landesverrat
- IV. Der Prozess gegen Carl von Ossietzky und Walter Kreiser
- 1. Beteiligte
- 2. Das Urteil
- a) Objektive Seite der Tat
- aa) Die Lehre vom relativen Geheimnisbegriff
- (1) Einordnung in das Meinungsspektrum in der Literatur
- (2) Beweisführung und Subsumption durch das RG
- bb) Geheimhaltungserfordernis und Gefährdung der Sicherheit des Reichs
- (1) compensatio lucri cum damno
- (2) Figur des illegalen Staatsgeheimnisses
- cc) Rechtswidrigkeit
- (1) Staatsnothilfe, § 53 RStGB
- (2) Übergesetzlicher Notstand
- aa) Die Lehre vom relativen Geheimnisbegriff
- b) Subjektive Seite der Tat
- aa) Kenntnis der Geheimhaltungsbedürftigkeit
- bb) Der Irrtum über die Berechtigung zur öffentlichen Kritik
- c) Strafzumessung
- 3. Nachtrag
- a) Objektive Seite der Tat
- C. Die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg
- I. Das Wiederaufnahmeverfahren Ossietzkys
- 1. Die Begründung des Wiederaufnahmeantrags
- 2. Die Argumentation des Kammergerichts
- 3. Die Argumentation des Bundesgerichtshofs
- 4. Die Kritik an der Behandlung des Wiederaufnahmeverfahrens
- II. Der publizistische Landesverrat nach heutiger Rechtslage
- I. Das Wiederaufnahmeverfahren Ossietzkys
- D. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit befasst sich mit dem Weltbühneprozess, einem bedeutenden Rechtsstreit der Weimarer Republik. Der Prozess gegen Carl von Ossietzky und Walter Kreiser wegen publizistischen Landesverrats wirft Fragen nach der Meinungsfreiheit, dem Schutz von Staatsgeheimnissen und der Rolle der Justiz in einer Demokratie auf.
- Die Auswertung des inkriminierten Artikels und seine Bedeutung für die politische und gesellschaftliche Situation der Weimarer Republik.
- Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum publizistischen Landesverrat und die Interpretation des Geheimnisbegriffs.
- Die Rolle der Staatsgewalt im Umgang mit Kritikern der Regierung und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Strafen.
- Die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg hinsichtlich des Wiederaufnahmeverfahrens und der heutigen Rechtslage zum publizistischen Landesverrat.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Kontext des Weltbühneprozesses skizziert. Der Hauptteil beleuchtet den inkriminierten Artikel und seine Auswertung, den politischen und gesellschaftlichen Kontext des Prozesses sowie die Rechtsprechung des Reichsgerichts. Dabei werden die Rechtsprechung gegenüber Taten im Umfeld der Reichswehr und die Rechtsprechung zum publizistischen Landesverrat analysiert. Der Prozess gegen Carl von Ossietzky und Walter Kreiser wird im Detail dargestellt, wobei die Beteiligten, das Urteil und die Argumentation der Richter beleuchtet werden. Die Arbeit geht auf die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg ein, einschließlich des Wiederaufnahmeverfahrens Ossietzkys und der heutigen Rechtslage zum publizistischen Landesverrat.
Schlüsselwörter
Weltbühneprozess, publizistischer Landesverrat, Meinungsfreiheit, Staatsgeheimnis, Reichsgericht, Rechtsprechung, Weimarer Republik, Carl von Ossietzky, Walter Kreiser, Wiederaufnahmeverfahren, Bundesgerichtshof, Geheimhaltungsbedürftigkeit, relative Geheimnisbegriff, compensatio lucri cum damno, Staatsnothilfe, Übergesetzlicher Notstand.
- Quote paper
- Nils Kraus (Author), 2016, Der Weltbühneprozess. Rechtsgeschichtliche Betrachtung des Strafverfahrens gegen Carl von Ossietzky und Walter Kreiser, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/372540