Die deutschen Tagelieder des späten Mittelalters


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Das Tagelied des klassischen Minnesangs Wolfram von Eschenbach Sîne klawen sint geslagen
2.2 Das Tagelied des späten Mittelalters Anonymus: Lig still meins hertzen trautt gespil

3. Resümee

4. Literatur

1. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Tagelied des späten Mittelalters. Seine typischen Charakteristika sollen aufgezeigt und die Veränderungen zum Tagelied des klassischen Minnesangs herausgestellt werden. Um dies adäquat tun zu können, muss das Tagelied des klassischen Minnesangs auch kurz erläutert werden, da es Vorläufer in der Entwicklung gewesen ist. Zu jeder dieser zwei Phasen wird jeweils ein Beispiel analysiert, um die theoretischen Aussagen am Text zu verdeutlichen.

Das Beispiel für den klassischen Minnesang ist das Lied Sîne klawen durch die wolken sint geslagen von Wolfram von Eschenbach. Das Tagelied des Spätmittelalters wird vertreten durch das Lied Lig still meins hertzen trautt gespil, welches anonym im Liederbuch der Clara Hätzlerin überliefert ist.

2. Hauptteil

2.1 Das Tagelied des klassischen Minnesangs

Das Tagelied ist seit dem 12. Jahrhundert eine etablierte literarische Größe. Das deutsche Tagelied orientierte sich vor allem an romanischen Vorbildern wie zum Beispiel der französischen Alba.

Die Situation im Text stellt sich folgendermaßen dar: Ein Liebespaar, meist Ritter und Dame, erwacht nach einer gemeinsam verbrachten Nacht. Der Tagesanbruch wird häufig durch den Weckruf des Wächters angekündigt. Der Tag birgt die Gefahr der Entdeckung in sich, weshalb es zum Abschied und zur Trennung der Liebenden kommen muss. Dieser Umstand wird von dem Paar beklagt.

Die klassische Form des Tageliedes besteht aus drei Strophen, drei Figuren (Ritter, Dame, Wächter) und der dreistufigen Darstellung von Erwachen, Klage und Abschied. Häufig besitzt das Lied einen Refrain und hat die Form eines Dialoges.

Das Tagelied durfte in der Darstellung der erotischen Liebe weiter gehen als die Minnekanzone. Ein weiterer Unterschied zwischen Minnekanzone und Tagelied ist die Darstellung der wechselseitigen Liebe im Tagelied.

Die Forschung stellt sich oft die Frage nach dem Verhältnis der beiden Liedformen. Es gibt die Theorie der Kompensation. Sie besagt, das es einen systematischen Gegensatz von Tagelied und Minnekanzone gibt. In der Minnekanzone wirbt das lyrische Ich um die unerreichbare Dame, preist ihre Tugenden und ihre Schönheit und beklagt, dass es nicht von ihr erhört wird. Im Tagelied hingegen kommt es zur Erfüllung der Liebe. Beide, Ritter und Dame, lieben einander. Sie müssen sich allerdings heimlich treffen. Das Tagelied besitzt dieser Theorie zufolge eine Ventilfunktion gegenüber der Minnekanzone.[1] Neuere Ansätze verlegen sich darauf, dass es sich hier nicht um einen Gegensatz, sondern um eine ergänzende Funktion handelt.[2] Dem Konzept der hohen Minne wird im Tagelied nicht widersprochen, denn es wird nicht nur Freude über die erfüllte Liebe ausgedrückt. Der durch die Trennung herbeigeführte Schmerz rückt Klage und Leid wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung.

Die Liebenden befinden sich eindeutig in Opposition zur höfischen Gesellschaft. Dies ist der Grund für ihre heimlichen Begegnungen bei Nacht, nur im Verborgenen können sie sich lieben. Das Moment der Gefahr verleiht dem Tagwerden zusätzliche Dynamik und dem Tagelied Spannung.

Trotz dieser Bedrohung der Liebe von außen, ist es sehr selten, dass die Begriffe huote oder merker, Institutionen, die in der Minnekanzone oft angeklagt werden, explizit fallen. Dies ist insofern erstaunlich, als sie sonst im Minnesang verbreitete Motive sind. Da im Tagelied aber dem Wächter auch eine warnende Funktion zukommt, fühlt sich das Liebespaar in der Kemenate relativ sicher und muss sich keine Gedanken um die huote machen.

Eine große Ähnlichkeit mit den Minnekanzonen stellt sich im Bereich des Frauenpreises ein. Auch in den Tageliedern findet der Dichter die schönsten Worte, um die Dame zu preisen. Vor allem ihren körperlichen Reize wird gehuldigt. Ihre weiße, zarte Haut wird sehr geschätzt, besonders an den Armen und Händen, beispielsweise in der Formulierung

Mit linden wîzen armen

beslozzen lac des ritters lîp.[3]

Im Kontrast zur weißen Haut steht der leuchtend rote Mund, dessen Küsse so heiß begehrt sind. Otto von Botenlauben preist ihren Mund und ihren schönen Körper:

Dîn kuslîch munt, dîn lîp klar und süeze[4]

Die Dame erhält auch meist sehr schmeichelnde Anreden: diu minnenkliche[5], wunderschoene wîp[6] oder saelic wîp[7]. Um wen es sich bei der beschriebenen Dame handelt, bleibt unklar. Es ist auch nicht zu erkennen, ob es sich um eine verheiratete Frau handelt, die sich hier in einer Ehebruchsituation befindet. Die Frage nach dem Familienstatus der Geliebten scheint auch nicht besonders relevant für den Dichter gewesen zu sein.[8]

Meist ist es die Dame, die zuerst erwacht und sich zugleich an den Unterbrecher ihres Liebesglücks wendet. Nicht selten wendet sie sich gegen den Wächter, versucht mit ihm zu debattieren und ihn umzustimmen. Dies ist auch in dem von mir gewählten Lied Wolframs der Fall. Insgesamt ist die Frau wesentlich leidenschaftlicher und emotionaler dargestellt als der Mann. Mit dem Weckruf ist ihre Freude dahin und sie beginnt zu klagen. Oft fließen Tränen entlang ihrer Wangen.

Der Ritter reagiert in den meisten Fällen nicht mit einer solchen Leidenschaft auf den anbrechenden Morgen. Wenn er sich äußert, ist auch er traurig und von Schmerz erfüllt, doch versteht er es nicht so emotional und ausdauernd zu klagen wie seine Geliebte.

Bemerkt werden muss allerdings, dass es hier auch Ausnahmen gibt. Aber „[v]orherrschend ist der Typ des schwachen Mannes, der sich ohne eigene Initiative von den Ereignissen treiben läßt.“[9]

Ein oft verwendetes Motiv der Liebenden sich ihre gegenseitige Liebe zu zeigen ist der Herzwechsel, beispielsweise in einem Lied von Walther von Breisach:

ein fluc ir herzen an ein ander dâ[10]

Die Ankündigung des Abschieds mit dem Terminus urloup ist in den Tageliedern weit verbreitet. Zuerst fiel dieser Begriff bei Wolfram von Eschenbach.

Der Wächter ist eine der konstitutiven Elemente des Tageliedes. Es ist seine Aufgabe den Morgen anzukündigen und so das Liebespaar zu wecken. Des Weiteren übernimmt er oft die Aufgabe, den Ritter am Abend unbemerkt und gefahrlos zu seiner Geliebten zu bringen. Trotzdem schlägt ihm nicht selten der Unwillen der Liebenden entgegen. Sie misstrauen ihm und seinem Weckruf.

Der Disput zwischen dem Wächter und dem Paar (meist nur der Dame) kann natürlich nicht aus der Realität entlehnt sein, denn wie sollte man sich diese Situation vorstellen? Der Wächter steht auf der Zinne, das Paar befindet sich in der Kemenate. Eine Unterhaltung über diese Instanz ist schwer vorstellbar. Ferner würde der Wächter die gesamte Burg mit seinem Weckruf wecken und der Ritter könnte nicht unentdeckt verschwinden. Die zweite unwahrscheinliche Möglichkeit besteht darin, dass sich der Wächter in der Kemenate befindet und mit dem Paar redet.

Und doch sind sein [des Tageliedes] Erfolg und seine Verbreitung zweifellos bedingt durch das fundamentale Erlebnissubstrat, dessen auch die artistische Kunstübung noch Ausdruck ist. Ich meine also, daß hier imaginierte Züge nicht ‘erfunden’, sondern lediglich in einen realitätsfernen Raum transportiert sind, ihr Wirklichkeitscharakter aber nicht aufgehoben sondern in gewisser Weise [...] eher noch verstärkt ist.[11]

[...]


[1] Vertreter dieser Theorie ist beispielsweise Helmut de Boor, vgl. de Boor, Helmut: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 2: Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang. München 1955, S. 330.

[2] Cormeau, Christoph: Zur Stellung des Tageliedes im Minnesang. In: Festschrift für Walter Haug und Burghart Wachinger, Bd.2, hg. v. Johannes Jonata. Tübingen 1992, S. 695-708.

[3] Ulrich von Lichtenstein: Got willekomen, herre, VII, 1f. In: Tagelieder des deutschen Mittelalters. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg. v. Martina Backes. Stuttgart 1999, S. 152.

[4] Otto von Botenlauben: Wie sol ich den ritter, III,1. In: Tagelieder des deutschen Mittelalters, S. 118.

[5] Hadlaub: Sich fröit uf die edlen nacht, I,9. In: Tagelieder des deutschen Mittelalters, S. 186.

[6] Otto von Botenlauben: Singet, vogel, singet, I,4. In: Tagelieder des deutschen Mittelalters, S. 114.

[7] ebenda III, 5

[8] Lomnitzer, Helmut: Geliebte und Ehefrau im deutschen Lied des Mittelalter. In: Liebe – Ehe – Ehebruch in der Literatur des Mittelalters. Vorträge zum Symposium vom 13. bis 16. Juni 1983 an der Universität Gießen, hg. v. Xenja von Ertzdorff und Marianne Wynn. Gießen 1984. (=Beiträge zur deutschen Philologie, Bd. 58), S. 111-124.

[9] Nicklas, Friedrich: Untersuchungen zum Stil und Geschichte des deutschen Tageliedes. Berlin 1929, S. 61.

[10] Walther von Breisach: Ich singe und sollte weinen, IV, 7. In: Tagelieder des deutschen Mittelalters, S. 169.

[11] Wapnewski, Peter: Die Lyrik Wolframs von Eschenbach. Edition – Kommentar – Interpretation. München 1972, S. 245.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die deutschen Tagelieder des späten Mittelalters
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V37303
ISBN (eBook)
9783638366861
Dateigröße
583 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tagelieder, Mittelalters, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Karin Neumann (Autor:in), 2004, Die deutschen Tagelieder des späten Mittelalters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37303

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