Die Kunst und die Liebe. Die Beziehung von Kunst und Philosophie in Platons "Symposion"


Hausarbeit, 2015

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Symposion
2.1. Die Teilnehmer
2.2. Die Reden

3. Die Liebe im Wandel der Zeit?
3.1. Die Entwicklung der Liebe
3.2. Die neue Liebe

4. Kunst und Philosophie

5. Die Moderne im Symposion

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Manche Phänomene beschäftigen die Menschen bereits seit ihrer Gedenken. Ihre Begriffe be-zeichnen etwas, das jeder kennt und von dem jeder eine Vorstellung hat. Das sicherlich fesselndste dieser Phänomene ist die Liebe. Jeder Mensch denkt über sie nach, Künstler widmen ihr allein ganze Werke und selbst Philosophen zerbrechen sich ihretwegen den Kopf. Aber kann man die Frage „What is Love?“[1] so einfach beantworten? Da trotz fortschreitender Globalisierung und Kulturvermengung weltweit noch immer Unterschiede in der Auslegung und Bedeutung des Wortes, sowie den damit verbundenen Handlungen bestehen[2], muss man sich zu aller erst auf den kulturellen Rahmen beschränken, dem dieses Lied entstammt. Was also ist Liebe in der sog. westlichen Welt? Laut Connie Francis „ein seltsames Spiel“[3], laut der Band The Darkness ein Ding an das man glauben kann[4] und dem Duo Rosenstolz zufolge ist „Liebe […] Alles“[5]. Jedes diese Kunstwerke deutet die große Varietät der Bedeutung des Wortes an. Ihre jeweilige Beliebtheit – die sich vom kommerziellen Erfolg ableiten lässt – weist aber darauf hin, dass trotz individueller Interpretationen des Begriffes ein gewisser Konsens über dessen Bedeutungsinhalt vorherrscht. Da Liebe aber trotzdem für so viel ver-schiedenes steht – z.B. ein Gefühl, ein Ideal oder sogar eine Kunst, die man mit mühsamen Einsatz wie das Malen, Schreiben und Singen erlernen und perfektionieren kann[6] – und trotz all der anderen Begriffe, die mit ihr in Verbindung gebracht werden, um sie zu beschreiben und ihre Mechanismen zu erklären, oft unerklärlich bleibt, ist sie seit jeher in eine Aura des Geheimnisvollen und Rätselhaften gehüllt, deren Schleier jeder Mensch für sich selbst lüften muss. Möchte man die Liebe nun verstehen und wissen, was sie im Allgemeinen ausmacht, muss man also erst mal verschiedene Menschen fragen: Was bedeutet Liebe für Dich und was steht deiner Meinung nach mit ihr in Verbindung? Das erkannte schon Platon (~ 427/428 – 347/348 v. Chr.) und hielt die wichtigsten Gedanken der Athener seiner Zeit zum Thema Liebe auf kunstvolle Weise in einer der ältesten und einflussreichsten philosophischen Schriften zu diesem Thema fest. Im Symposion (zu deutsch: Gastmahl) lässt er unterschied-liche Menschen vortragen, was sie persönlich unter der Liebe verstehen, um daraus dann eine Wesensbestimmung der Liebe zu entwerfen. Die folgende Arbeit soll anhand dieses Werkes zeigen wie aktuell die darin angeführten Aspekte der Liebe sind und insbesondere welche Rolle die Kunst damals wie heute für die Wissenschaft spielt. Dafür werden zuerst die Figuren, ihre Konstellation und deren Reden analysiert. Das anschließende Kapitel befasst sich dann mit der Entwicklung des Liebesverständnisses bis hin zum 21. Jahrhundert, um die Parallelen von Antike und Moderne für die spätere Analyse zu umreißen. Vor der kurzen Zu-sammenfassung im Fazit, werden die Beziehung von Kunst und Philosophie bzw. Wissen-schaft betrachtet sowie weitere Parallelen zur heutigen Gesellschaft gezogen.

2. Das Symposion

Das sog. „Dialogverfahren“[7] zeichnet alle von Platons Schriften stilistisch aus, wodurch diese viel eher prosaisch als philosophisch wirken und sich stark von denen anderer Philosophen abheben. Eine Besonderheit des Symposion ist also nicht dessen ungewöhnliche Form des Dialogs, sondern die Monologe oder besser gesagt Reden, welche von den einzelnen Gästen gehalten werden. Zu diesen Reden sollen zwei Dinge im Vorfeld erwähnt werden. Zum einen weist der explizite Aufruf des Eryximachos in Anlehnung an die Verfehlung der großen Dichter der Vergangenheit eine Lobrede auf den Eros zu halten[8] bereits auf die allgemeine Überzeugung hin, dass „die Liebe [...] auf das Gute“[9] zielt; das Schlechte wird schließlich nicht gelobt. Der Vorschlag den Eros rühmende Reden vorzutragen „gibt den Gästen die Gele-genheit sich im [rhetorischen] Wettstreit zu messen“[10]. Zum anderen, steht jede einzelne Rede innerhalb dieses Wettbewerbs für sich genommen keine „Äußerung[...] von Individualität“[11], sondern repräsentativ für einen Teil der antiken griechischen Gesellschaft. Platons Verwen-dung ein und selben Figuren in unterschiedlichen Dialogen und verbunden damit das Beispiel des Glaukon stützen diese Annahme einer allegorischen Vorgehensweise bei seiner Figuren-wahl zusätzlich. So tritt die fiktive Figur des Glaukon nicht nur im Vorgespräch des Symposion als einer von Appollodoros' Zuhörern auf, sondern auch in seinem Staat als Reprä-sentant gesellschaftlicher Normen auf[12]. Diese Sachverhalte legen die Vermutung nahe, dass es Platon nicht nur auf den Inhalt einer Aussage ankommt, sondern vielmehr auch darauf, wer diese tätigt und in welchem Zusammenhang sie getroffen wird; es zählt die Beschaffenheit der Persönlichkeit, ihrer Hintergründe und Situation, die hinter einer Aussage steht.

Neben den langen Monologen der gezielt eingesetzten sozialen Stereotypen gibt es ein zweites literarisches Merkmal, welches das Symposion von Platons anderen Dialogen unter-scheidet; in gewisser Weise vollzieht Platon damit einen erzählerischen Kunstgriff. Im Grunde besteht der Hauptteil des Textes nämlich aus der Nacherzählung eines Berichtes. In der Rahmenhandlung erfährt man anfangs, dass Apollodoros, der bei jener privaten Feierlichkeit nicht persönlich anwesend war, lediglich das wieder gibt, was ihm sein Freund Aristodemos - ihres Zeichens beide „enthusiastische[...] Sokratesjünger“[13] - über besagten Abend erzählt hat. In einer Rücksprache mit Sokrates wurde Apollodoros dann der Wahrheitsgehalt der ihm zugetragenen Informationen bestätigt. Die doppelte Filterung der Geschehnisse einerseits und die große Bewunderung ihrer beiden Erzählerfiguren gegenüber Sokrates andererseits stehen für die detailgetreue Wiedergabe der wichtigsten Geschehnisse während des Gastmahls[14].

2.1. Die Teilnehmer

Im Zusammenhang mit ihrem gesellschaftlichen Status – genauer Gesagt ihrer Tätigkeit sowie dem daraus resultierenden Wirken innerhalb der Gesellschaft – und ihrem Bezug zur Philo-sophie ist die Konstellation der Redner besonders auffällig. Die ersten drei Redner sind weder Künstler noch Philosophen und in Anlehnung an die obigen Aussagen stellvertretend für die gesellschaftliche Allgemeinheit oder die sog. breite Masse. Die Eröffnungsrede hält Phaidros, über dessen Person nicht sonderlich viel bekannt ist, außer, dass er zum fiktiven Zeitpunkt des Gastmahls im Jahre 416 v. Chr. [...] etwa 35 Jahre alt[...]“[15] und „der Geliebte des [dritten Redners] Eryximachos“[16] ist. Auch über seinen Folgeredner namens Pausanias ist nur wenig bekannt. Er ist bekennender Päderast und darüber hinaus der Liebhaber des Gastgebers Agathon[17], woraus sich schließen lässt, dass er älter ist als sein Geliebter. Ihnen schließt sich der Arzt und Liebhaber des Phaidros Eryximachos an, dessen Weltanschauung sehr stark von seinem naturwissenschaftlichen und technischen Kenntnissen geprägt ist[18]. Sein Beruf, genauer gesagt die Tatsache, dass er im Gegensatz zu seinen Vorrednern überhaupt bekannt ist, impliziert nicht nur eine höhere gesellschaftliche Stellung, sondern darüber hinaus auch einen höheren Bildungsgrad als die anderen dieser Rednergruppe. Seinen Platz in der Reihenfolge verdankt er jedoch dem Umstand, dass er erst durch die Sprachlosigkeit des Aristophanes an diese Stelle rückt. Eigentlich sollte dieser die dritte Rede halten, doch ein Schluckauf, für dessen Linderung der anwesende Arzt sogleich helfende Ratschläge gibt, hin-dert ihn daran[19]. Dieser Zwischenfall bringt die Figuren erst in die Redefolge und rückt den relativ gebildeten Eryximachos in den ersten Personenkreis. Vielleicht soll mit diesem Wech-sel eine generelle intellektuelle Überlegenheit gegenüber seinem geplanten Nachredner ange-deutet werden. Zudem wirkt er durch das Wegschicken der Musiker verhältnismäßig ernst-haft, die Kritik an Pausanias sowie die Übernahme der Verantwortung zur Abendplanung, der Linderung von Aritophanes' Schluckauf und der Zügelung des betrunkenen Alkibiades[20] lässt ihn selbstsicher, aber auch übermäßig engagiert erscheinen. Es verwundert daher wenig, dass diese Figur „seit Beginn der modernen Platon-Forschung [scharf attackiert wird]“[21], da derart übereifrige und besserwisserische Persönlichkeiten schnell als Wichtigtuer in Verruf geraten. Fernab jeglicher Sympathiewirkung der Figur bleibt aber bemerkenswert, dass ausgerechnet der strebsamste und gesellschaftlich erfolgreichste dieser ersten Gruppe, trotz umfangreicher und weitreichender Bildung bei der Wahrheitsfindung keinen so großen Beitrag leisten kann, wie ein künstlerisch veranlagter Mensch. Es wirkt so aus als wolle Platon anhand dieses Charakters einen Unterschied zwischen Intellekt und Intelligenz aufzeigen, um darauf hinzuweisen, dass Bildung und Wissen allein nicht zu wahrhaftiger Weisheit führen können, sondern dass Begabung und Übung ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind.

Den ersten drei Lobreden der mehr oder weniger gebildeten Stellvertreter der Allge-meinheit folgen die der beiden Künstler. Den Anfang in dieser – wegen des Wechsels der vorweg angedachten Rednerfolge erst zusammengerückte – Gruppe macht der wieder gene-sene Aristophanes. Er ist ein „berühmte[r] Komödiendichter […] [und der einzige v]on den fünf vor-sokratischen Rednern […] ohne erotische Bindung zu einem der Teilnehmer“[22]. Es bleibt sogar unklar, ob er zum Zeitpunkt des Ereignisses überhaupt in einer partner-schaftlichen Beziehung ist, weshalb es nahe liegt, dass er sogar ledig ist. Die letzte prä-philosophische Rede hält der ungefähr 24-jährige, für seine Schönheit bekannte – und dafür von Aristophanes verspottete – Gastgeber und Tragödiendichter Agathon; Geliebter des Pausanias[23]. Als Repräsentanten des Fröhlichen und Traurigen stehen die Figuren in starkem Kontrast zu einander. Durch diese extreme Polarisierung wird mit ihnen jedoch der gesamte Bereich der Kunst umfasst. Die Einteilung dieser Pole erfolgt wie schon angedeutet anhand positiv (Freude) bzw. negativ (Trauer) konnotierter Gefühle. Damit personifizieren sie die von Pausanias eingeführte Unterscheidung zwischen guten und schlechten Formen der Liebe[24].

Alle der nun vorgestellten Vorredner des Sokrates verbindet jedoch eine biographische Gemeinsamkeit: Sie sind allesamt sophistisch geprägt bzw. insofern vorbelastet, dass sie ihre Aussagen lieber in möglichst phantasie- und kunstvoll gestalteten Phrasen zu verpacken ver-suchen als dessen Bedeutung eindeutig darzulegen[25]. Die Masse und die Künstler sind folglich dermaßen daran interessiert ihr Wissen von der Liebe zu erweitern, dass sie weder Kosten noch Mühen scheuen dieses Ziel zu erreichen. Die Notwendigkeit aber selbsterkorene Ex-perten zu Rate zu ziehen, die daraus in erster Linie Profit schlagen wollen, verweist auf einen Grenzbereich ihres Denkens, über den letztendlich nur ein Philosoph hinweg helfen kann, der aus Liebe zur Weisheit und nicht aus Geldgier handelt.

Den Reden der Sophismusgeschädigten schließt sich die des Philosophen an. Stellver-tretend dafür ist wie in jedem von Platons Dialogen der Philosoph schlechthin: Sokrates (469 – 399 v. Chr.). Seine herausragende Rolle für die Bestimmung des wahren Wesens der Liebe wird neben der planmäßig finalen Stellung seiner Rede auch von den anderen Teilnehmern regelmäßig hervorgehoben. Das Lob und die Bewunderung, die Sokrates von allen An-wesenden entgegengebracht werden, finden in der sexuell aufgeladenen[26] Wollfaden-Metapher ihren Höhepunkt. Sie symbolisiert „die […] Vermittlung der Weisheit“[27], welche und vor allem wie sich die Teilnehmer diese von Sokrates erhoffen. Bezeichnenderweise kommt sie im Gespräch zwischen dem preisgekrönten Agathon und dem herausragenden Sokrates auf[28]. So skizziert Platon mit dessen Metapher das große Interesse, welches nicht nur Künstler an den Erkenntnissen der Wissenschaft haben. Bevor der Philosoph aber seine Rede beginnt, hält er jedoch einen Dialog mit eben jenem Tragödiendichter. Diese Rücksprache mit dem Künstler deutet wiederum auf die gleiche Art von Abhängigkeit zwischen Philosoph und Künstler hin, welche anhand vom Schluckauf des Aristophanes bereits für die Personen-gruppen der Künstler und der Masse etabliert wurde. Der Philosoph ist auf die Worte der Künstler, oder anders gesagt eine Auseinandersetzung mit der Kunst angewiesen. Doch wie der anschließende Dialog mit Diotima zeigt nicht allein auf diese. Sie symbolisiert das Göttliche und als einzige Frau steht die Lehrmeisterin des Sokrates nicht nur in Opposition zur rein maskulin geprägten Selbstverliebtheit der Vorredner, sondern auch deren körperlicher (biologischer) und geistiger (philosophischer) Unfruchtbarkeit, die sich aus der extremen Selbstbezogenheit – symbolisiert durch deren Homosexualität – ergibt[29]. Dieses Gespräch von Sokrates und Diotima sowie ihr anschließender Monolog, den Sokrates rezitiert, deuten neben der Notwendigkeit der biologischen Funktion der Liebe auch auf die ihres Erlernens hin, welches im Sinne der Natur mit Hilfe des anderen Geschlechts geschieht. Die Er-fahrungswerte des Gegenübers scheinen dabei ebenfalls von Bedeutung für die erfolgreiche Vermittlung.

Obwohl er keiner der bisher gehaltenen Reden beigewohnt hat hält der überraschend nachgerückte Alkibiades die Schlussrede. Auf der Handlungsebene grenzt er sich durch seine Aufsehen erregende Verspätung, während der er an seinem Alkoholrausch arbeitete als sich die Symposianten zur selben Zeit der Mäßigung hingaben, auf doppelte Weise sehr stark ab. Er kann aber der erst genannten Kategorie der Teilnehmer zugeordnet werden, da seine Ab-wesenheit während der Reden, in welcher er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, seine Entfernung zur Philosophie, Kunst, ja sogar der Gesellschaft verbildlichen. Sein gesell-schaftlicher Status – genauer: seine Berühmtheit – unterscheidet sich hingegen stark von dem der drei ersten Redner. Seine Biographie[30] bestätigt diese übermäßige Egozentrik, mit der er sich sozial immer wieder ins Abseits stellte und in Schwierigkeiten brachte. Zum Zeitpunkt des Symposion ist er ca. 35 Jahre alt. Nach seiner Tätigkeit als Politiker und seinem Olympia-sieg startete er seine militärische Laufbahn. Zuerst kämpfte anfangs noch mit unerbittlicher Rücksichtslosigkeit für Athen, floh aber nach einer Anklage der Blasphemie nach Sparta und kämpfte dann auf deren Seite gegen Athen. Vor seiner Ermordung im Alter von ca. 50 Jahren wechselte er erneut die Fronten. Er kehrte nach Athen zurück, geriet aber nach einer militärischen Niederlage wieder in Unsegen und floh ein weiteres mal; diesmal in die persische Provinz Satrapie, deren Statthalter seine Ermordung veranlasste. Die extreme Ver-spätung ist wie sein extravaganter und wechselhafter Lebenslauf erstes Indiz dafür, dass er zwar ein körperlich und im persönlichen Interesse sehr aktiver und ehrgeiziger Mensch ist, doch aufgrund dessen keine Muße zum Philosophieren findet und nicht annähernd so viel von der Liebe versteht, wie seine Vorredner.

2.2. Die Reden

Nachdem die Figuren und ihre Handlungen betrachtet und in Beziehung gesetzt wurden, werden nun die Inhalte ihrer Reden mit einander verglichen. Dabei wird – an dieser Stelle noch – nicht auf einzelne Punkte der Reden eingegangen. Wesentlich Interessanter sind vor-erst ihre Gemeinsamkeiten und Verbindungen. In der Eröffnungsrede des Phaidros werden nämlich viele Punkte angeführt, die in den folgenden Reden wieder aufgegriffen oder anders ausgelegt werden[31]. In allen vorsokratischen Reden wird von einem Verhältnis zwischen Lieb-haber und Geliebten gesprochen sowie eine Verbindung der Liebe mit dem Göttlichen her-gestellt, indem Eros als Gott betrachtet wird[32]. Zudem beginnt er seine Rede mit einem Zitat des Dichters Hesiod (geboren zwischen 850 und 700 v. Chr.)[33]. So berufen sich alle Nicht-Philosophen in ihren Vorträgen auf die Aussagen antiker Dichter – namentlich Hesiod, Euripides (480 – 406 v. Chr.) und Homer (lebte ca. 800 v. Chr.) – und zitieren diese teilweise wörtlich[34]. Ob nun in der Reihenfolge der Redner, oder in Anbetracht der Reden selbst bildet die des Pausanias und mit ihm die Figurengruppe der Masse die Basis der platonischen Liebesanalyse, die ihren Anstoß in der Kunst findet.

Zwischen den Gruppen der Stereotypen offenbart sich aber auch ein Unterschied, der auf die gruppenspezifische analytische Vorgehensweise anspielt. Er bezieht sich auf die inhalt-liche Qualität der Reden. „Die ersten drei Reden [bilden] eine quantitative, die wieder an der ersten anknüpfende vierte und fünfte Rede eine qualitative Reflexion“[35]. Das bedeutet, dass die Masse nur die Wirkungen und Erscheinungen der Liebe nachdenkt, während die Künstler auch über ihre Gründe räsonieren. Allein Eryximachos versucht sich vergeblich an „eine[r] Art von Wesensbestimmung des Eros“[36] und beweist damit eher zielloses Halbwissen. Der Wechsel von Eryximachos und Aristophanes impliziert – zurückgreifend auf die rein an den Figurenhandlungen orientierten Interpretation – auf inhaltlicher Ebene, dass der Arzt trotz seines überlegenen Intellekts weniger von der Liebe verstanden hat bzw. weniger effektiv über sie räsoniert hat als der Künstler. Seine Sprachlosigkeit hingegen hindert Aristophanes daran zu sprechen, bevor jeder Vertreter der breiten Masse gesprochen hat, während seine Rede zugleich auf den Inhalten der vorherigen aufbaut. Das lässt vermuten, dass er vorher gar nichts zu dem Thema sagen kann. Er ist auf die Worte bzw. Hilfe der Masse angewiesen indem er seine persönliche Inspiration im menschlichen Alltag findet. Ihre Worte und Gedanken betrachtet er aber tiefgründiger als jene und hält seine Ergebnisse auf möglichst ästhetische und ansprechende Weise fest.

Mit dem Dialog zwischen Sokrates und Agathon findet dann eine Abgrenzung der Philosophie von der Kunst statt. Nachdem er ausdrücklich darauf hinweist sich auf eine andere Art des Wortgebrauchs zu verstehen, als die übrigen Symposianten[37], zeigt dieser Dialog den ersten Unterschied zwischen Wissenschaft und Kunst. Indem er den Begriff der Liebe (also die Bedeutung des Eros und womit er in Verbindung gebracht wird) bei Agathon hinterfragt, macht er klar, dass dem Philosophen wichtiger ist die Worte zu definieren und Klarheit über deren Bedeutung zu schaffen. Dies signalisiert eine Interessendivergenz des Wortgebrauchs innerhalb der Disziplinen. Während die Schönheit für den Wissenschaftler in der inneren Erkenntnis liegt, tut sie es beim Künstler in der äußeren Erscheinung. Nach der tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den Wortbedeutungen im Gespräch mit dem Künst-ler, wird an dem Dialog des Sokrates mit Diotima und dessen Rezitation ihres Monologs ein weiterer Unterschied sichtbar. Im Gegensatz zu den Vorrednern zitiert Sokrates keine Dichter sondern eine fachlich spezialisierte Autorität. Im Dialog verfährt sie mit Sokrates, wie dieser zuvor mit Agathon. In Vorbereitung auf eine Darlegung der Wahrheit über die Liebe durch die Rede der Diotima werden im Dialog mit ihr die Grundbegriffe genau definiert, bevor diese in einen Bedeutungszusammenhang gebracht werden. Sokrates reagiert mit seiner Rede auf einen Mangel der Eindeutigkeit einer ästhetischen Wortwahl, vollzieht also eine Trennung von wissenschaftlicher und künstlerischer Formulierung und demonstriert die unterschiedliche Vorgehensweise.

Die Rede des Alkibiades bestätigt abschließend, was sein Lebenslauf bereits andeutet. Anstatt über den Eros nachzudenken lebt er ihn in jeder erdenklichen Form. Im Gegensatz zu allen anderen lobt er nicht den Eros, sondern Sokrates. Genau wie Sokrates erzählt er aber eine Anekdote aus seinem eigenen Leben. Diese ist jedoch nicht dialogisch aufgebaut, son-dern wird gänzlich aus seiner eigenen Perspektive wiedergegeben. Sie bringt damit seine extreme Egozentrik und den innigen Wunsch danach geliebt und bestätigt zu werden zum Ausdruck. Kontrolliert von seinen Lüsten wird er ziellos durch sein Leben getrieben, einzig im Wissen um die Existenz der Liebe, die durch ihren „starken erotischen Drang“[38] erstmals ins menschliche Bewusstsein tritt. Ob ein Mensch nun genug über die Liebe lernt „den Weg über die Selbstbezogenheit […] hinaus“[39] zu finden – wie Sokrates – oder sich in seinen rudimentären Trieben verliert – wie Alkibiades – hängt von den lehrenden Worten und besonders der vernünftigen Auseinandersetzung damit ab. So illustrieren diese Figuren einen vorbildlichen und einen selbstzerstörerischen Umgang mit der Liebe, welche sich anfangs als reines Gefühl offenbart, doch bei näherer Betrachtung viel mehr im Menschen bewirkt als dieser wahrnimmt. Durch das Lob an die personifizierte Perfektion des Liebens bringt Platon die Idealisierung der Liebe zum Ausdruck.

[...]


[1] Haddaway, What is Love?, 1993.

[2] Zu den kulturell unterschiedlich konstruierten Formen der Liebe vgl.: Nussbaum, Konstruktion der Liebe, 2002, S. 176-182.

[3] Connie Francis, Die Liebe ist ein seltsames Spiel, 1960.

[4] Vgl.: The Darkness, I believe in a Thing called Love, 2003.

[5] Rosenstolz, Liebe ist Alles, 2004.

[6] Vgl.: Fromm, Die Kunst des Liebens, 2014, S. 11.

[7] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. VII.

[8] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 15.

[9] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. XVI.

[10] Horn, Platon - Symposion, 2012, S. 19.

[11] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. XXII.

[12] Vgl.: Nussbaum, 2002, S. 196.

[13] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. VIII.

[14] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. VIII.

[15] Horn, Platon - Symposion, 2012, S. 36.

[16] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 144.

[17] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 144.

[18] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 142.

[19] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 34-37.

[20] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 13 – 17, 37 & 112 f.

[21] Horn, Platon - Symposion, 2012, S. 72 f.

[22] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 144.

[23] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 139 f.

[24] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 25.

[25] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. XII f.

[26] Vgl.: Summerell, Der Wollfaden der Liebe, 2004, S. 78 ff.

[27] Summerell, Der Wollfaden der Liebe, 2004, S. 84.

[28] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 11 ff.

[29] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. XXIX - XXXIII.

[30] Zur Biographie des Alkibiades, welche in den folgenden Sätzen kurz zusammengefasst wird, vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 159.

[31] Vgl.: Horn, Platon - Symposion, 2012, S. 37.

[32] Vgl.: Horn, Platon - Symposion, 2012, S. 38 f.

[33] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 19.

[34] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 19, 31, 39, 47, 61 ff & 125.

[35] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. XXVII.

[36] Horn, Platon - Symposion, 2012, S. 38.

[37] Vgl.: Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. 69 ff.

[38] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. XXXIV.

[39] Zehnpfennig, Platon – Symposion, 2000, S. XXIX.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Kunst und die Liebe. Die Beziehung von Kunst und Philosophie in Platons "Symposion"
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
19
Katalognummer
V373035
ISBN (eBook)
9783668505414
ISBN (Buch)
9783668505421
Dateigröße
645 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Platon, Symposion, Liebe, Kunst, platonisch, Sokrates, platonische Liebe, Kultur
Arbeit zitieren
Bennet Ludwig (Autor:in), 2015, Die Kunst und die Liebe. Die Beziehung von Kunst und Philosophie in Platons "Symposion", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373035

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