Anfang des 20. Jahrhunderts empfand die bürgerliche Intelligenz – hierunter v.a. die jüngere Generation der zwischen 1875 und 1895 Geborenen – die Kultur, die Gesellschaft in der sie lebten als zerfallen, degeneriert. Identitätskrise und Selbstentfremdung sind Symptom des Traumas einer ganzen Generation. Ihr radikaler Protest gegen die Zeit offenbart sich in der während des "expressionistischen Jahrzehnts" (1910 – 1920) entstandenen Literatur, welche die "der expressionistischen Bewegung in all ihren Richtungen gemeinsame Weltanschauung, die in einem niemals genau formulierten Idealismus ruht", offensichtlich macht.
Die literarischen Zeugnisse der jungen Expressionisten sind allerdings durch einen ausgeprägten Stil- und Formpluralismus gekennzeichnet, so dass „das Verbindende des Expressionismus weniger in stilistischen Eigenarten als in seiner einheitlichen Grundhaltung der Wirklichkeitszertrümmerung als Opposition gegen die vorangegangene Wirklichkeitsauffassung des Naturalismus" zu sehen ist. Das Drama bezieht hierbei eine Sonderstellung.
Dem Phänomen der Zertrümmerung der Wirklichkeit, d.h. insbesondere dem ästhetischen Mittel der Abstraktion in der Dramatik als auch im Theater des Expressionismus, möchte ich in der vorliegenden Arbeit auf den Grund gehen. Zu Beginn werden die sozialen und kulturellen Gegebenheiten, welche die literarische Strömung des Expressionismus hervorriefen, beleuchtet, um nachzuvollziehen, worin genau die Beweggründe der Expressionisten lagen, welche Ziele sie verfolgten und warum das Drama zum beliebtesten Medium avancierte. Im Anschluss wird untersucht, inwiefern das Prinzip der Abstraktion sich sowohl in der Dramatik als auch in der Bühnenform des expressionistischen Theaters niederschlägt.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Das Zertrümmern der Wirklichkeit in einer entfremdeten Welt
- 2. Die Krise der Gesellschaft als Ursprung des Expressionismus und die Hinwendung zum Drama
- 3. Das ästhetische Prinzip der Abstraktion
- 3.1. In der Dramatik des Expressionismus
- 3.1.1. Die Dramaturgie des Stationendramas
- 3.1.2. „Dramatis personae“
- 3.1.3. Der Einsatz und die Bedeutung von Sprache
- 3.2. Im Theater des Expressionismus
- 3.2.1. Der Bühnenraum
- 3.2.2. Der Einsatz von Licht und Farbe
- 3.2.3. Der „neue“ Schauspielstil
- 3.2.4. Das Kostüm
- 3.1. In der Dramatik des Expressionismus
- 4. Das Ende des Expressionismus in der Literatur und auf der Bühne
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht das ästhetische Prinzip der Abstraktion im Expressionismus und analysiert dessen Bedeutung für die Dramatik und das Theater dieser Epoche. Sie beleuchtet die sozialen und kulturellen Ursachen der expressionistischen Bewegung, um die Beweggründe und Ziele der Expressionisten sowie die Dominanz des Dramas als Medium zu erklären. Der Schwerpunkt liegt auf der Analyse des Prinzips der Abstraktion in der Dramatik und auf der Bühne, einschließlich der Dramaturgie des Stationendramas, der Gestaltung des Bühnenraums und des Einsatzes von Licht und Farbe.
- Zertrümmerung der Wirklichkeit und Entfremdung im frühen 20. Jahrhundert
- Krise der Gesellschaft als Ursprung des Expressionismus
- Das ästhetische Prinzip der Abstraktion in der Dramatik und im Theater
- Die Rolle des Dramas als Medium der gesellschaftlichen Kritik
- Das Stationendrama und andere dramaturgische Elemente des Expressionismus
Zusammenfassung der Kapitel
1. Das Zertrümmern der Wirklichkeit in einer entfremdeten Welt
Das erste Kapitel analysiert die sozialen und kulturellen Bedingungen, die zum Aufstieg des Expressionismus führten. Es zeigt auf, wie die bürgerliche Intelligenz des frühen 20. Jahrhunderts die Gesellschaft als zerfallen und degeneriert empfand und sich einer entfremdeten Welt ausgeliefert sah. Der radikaler Protest gegen diese Zeit manifestiert sich in der expressionistischen Literatur, die sich durch einen ausgeprägten Stilpluralismus auszeichnet. Das Drama nimmt hierbei eine besondere Stellung ein, da es als geeignet erachtet wurde, einem breiten Publikum den Weg aus der Krise der Gesellschaft zu weisen.
2. Die Krise der Gesellschaft als Ursprung des Expressionismus und die Hinwendung zum Drama
Das zweite Kapitel beleuchtet die gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungen der Jahrhundertwende, die den Expressionismus prägten. Die Industrialisierung, Urbanisierung und die Auflösung traditioneller Ständestrukturen führten zu einer neuen Form von Entfremdung und einem Wunsch nach Veränderung. Der Erste Weltkrieg, als trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung, verstärkte die Krise und schürte die Sehnsucht nach einer neuen Welt. Das Kapitel zeigt auf, wie die Expressionisten auf diese Krisen reagierten und warum das Drama als Medium der Vermittlung ihrer Ideen und Utopien ausgewählt wurde.
3. Das ästhetische Prinzip der Abstraktion
Das dritte Kapitel befasst sich mit dem ästhetischen Prinzip der Abstraktion im Expressionismus. Es wird erläutert, wie die Expressionisten sich von der naturalistischen Auffassung eines von seiner Umgebung bestimmten Menschen abwandten und ein aus sich selbst heraus die Umwelt konstituierendes Menschenbild entwickelten. Das Kapitel beleuchtet, wie die Expressionisten durch die ästhetische Abstraktion die Welt von ihren zufälligen Merkmalen lösten, um den ihr zugrunde liegenden, unveränderlichen Gehalt zu erkennen.
Schlüsselwörter
Expressionismus, Abstraktion, Dramatik, Theater, Gesellschaft, Krise, Entfremdung, Stationendrama, Bühnenraum, Licht, Farbe, Schauspielstil, Kostüm, Wilhelm Worringer, Abstraktion und Einfühlung.
- Quote paper
- Robert Müller (Author), 2013, Die Zertrümmerung der Wirklichkeit. Abstraktion in der Dramatik und im Theater des Expressionismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373169