Die Kirchenreformen von Zar Peter I.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

31 Seiten, Note: 2,7

Gina Wohler (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hinführung zum Thema
II.1 Die russische Kirche in der frühen Neuzeit (Die Autokephalie - Regierungsantritt von Peter I.)
II.2 Absolutismus und Aufklärung im Allgemeinen
II.3 Peter I. - Absolutistischer Herrscher

III. Die Kirchenreformen von Peter I
III.1 Darstellung der Quelle
III.2 Quellenanalyse

IV. Ausblick — Rezeption von Peters I. Maßnahmen in der weiteren Geschichte

V. Fazit

VI. Quellen - und Literatu^erzeichnis

Anhang: Quelle

I. Einleitung

Im Folgenden wird es um die Russische Orthodoxe Kirche unter der Herrschaft von Zar Peter I. gehen, wobei der thematische Fokus auf den von ihm erlassenen Kirchenreformen liegen wird.

Der russischen Legende nach, heißt es, dass bereits der Apostel Andreas auf seiner Reise nach Rom am Schwarzen Meer am Ufer des Flusses Dnjepr Rast gemacht und dort seinen Jüngern angekündigt haben soll, dass hier einmal eine große Stadt mit vielen Kirchen entstehen werde:[1] „Und nachdem er hinaufgegangen war auf diese Berge, segnete er sie und errichtete ein Kreuz. Und nachdem er zu Gott gebetet hatte, stieg er herab von diesem Berg, wo später Kiev entstand. “[2] Tatsächlich können die ersten Kontakte mit dem Christentum allerdings zeitlich erst viel später angesetzt werden, denn erst in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts kam Kiev durch den regen Handel mit Konstantinopel mit dem Christentum byzantinischer Prägung in Berührung. [3] Im Jahre 988 kam es dann erstmalig unter Vladimir, dem Großfürsten von Kiev, zur Massentaufe der russischen Bevölkerung und von dem Zeitpunkt an zu einer raschen Verbreitung des Christentums, sodass im 11. Jahrhundert von einer religiösen sowie politisch kulturellen Blütezeit gesprochen werden kann.[4] Allerdings führte der Tod des Fürsten Jaroslav des Weisen im Jahre 1054 zu einer allmählichen Zersplitterung des Kiever Staates in kleine Teilfürstentümer, sodass Ende des 12. Jahrhunderts die Kiever Rus‘ zerfallen war, was letztendlich zu einer Verlagerung des Machtzentrums nach Moskau im Jahre 1325 führte.[5] Im 17. Jahrhundert, als Peter I. das Licht der Welt erblickte, litt Russland noch unter den Nachwirkungen des Tatarenjochs, welches 250 Jahre angedauert hatte.[6] Des Weiteren hatte Russland aufgrund der vom Staat festgelegten Schollenbindung der russischen Bauern mit einer Entwicklungsstagnation zu kämpfen, was zu einer enormen Rückständigkeit des Landes im Vergleich zu Mittel- und Westeuropa geführt hatte.[7] Insgesamt war zu Zeiten des Regierungsantritts Peters I. Ende des 17. Jahrhunderts die wirtschaftliche Lage Russlands im Vergleich zu Europa also schwach und rückständig, sodass Peter der Große natürlich das Ziel verfolgte, diese Rückständigkeit aufzuheben,[8] denn Rückständigkeit, der Russland besonders in den Bereichen der Industrieentwicklung, dem Außenhandel, der Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur unterlag, bedeutete eine Gefahr für die Unabhängigkeit des Landes und seiner Fortentwicklung.[9] Um dem nun entgegenzuwirken, war es erforderlich, mit den fortgeschrittenen Ländern Europas gleichzuziehen, sich deren Errungenschaften anzueignen sowie in Russland selbst alle Kräfte für die Durchsetzung des gesellschaftlichen Fortschritts zu mobilisieren, insbesondere in Bezug auf Technik, Wissenschaft und Organisation.[10] Dieser notwendige Schritt des gesellschaftlichen Fortschritts Russlands gelang Peter I. zeitens seiner Regierung mit Hilfe seines Reformprogrammes, wodurch Russland unter ihm zu einer Großmacht heranwachsen konnte.[11] Bezüglich des

Reformprogrammes war besonders die Reformierung der Kirchenverwaltung von großer und weitreichender Bedeutung hinsichtlich des wirtschaftlichen Aufschwungs Russlands.[12] Basierend auf dieser Tatsache, stellt sich natürlich die Frage, welche Auswirkungen die Reformmaßnahmen Peters I. nun konkret auf die russisch-orthodoxe Kirche hatten, weshalb es nun gilt, dieser Frage in der vorliegenden Arbeit auf den Grund zu gehen. Um die Frage nun also beantworten sowie explizit auf die Kirchenreformen eingehen zu können, wird die Quelle „Erlass Kaiser Petr I. (1682-1725) zur Einführung des Kollegialen Kirchenregimentes und des Geistlichen Regulaments 1721“[13] zur exemplarischen Darstellung dienen, sodass das Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit auf der Darstellung und Analyse der genannten Quelle liegen wird. Bevor jedoch auf die Kirchenreformen Peters I. eingegangen werden kann, soll zunächst einmal eine Hinführung zum Thema erfolgen, indem in einem ersten Schritt auf die russische Kirche in der frühen Neuzeit, von der Autokephalie bis zum Regierungsantritt Peters I., eingegangen werden wird, um in einem zweiten Schritt kurz die Begrifflichkeiten des Absolutismus und der Aufklärung im Allgemeinen zu klären sowie drittens biographisch auf Peter I. als absolutistischen Herrscher einzugehen. Daraufhin folgen dann die Darstellung der genannten Quelle und die Analyse dieser, um die Kirchenreformen Peters I. exemplarisch verdeutlichen zu können. Danach wird es noch einen kurzen Ausblick hinsichtlich der Rezeption von Peters I. Maßnahmen in der weiteren Geschichte geben, um dann zum Fazit zu gelangen. Nebst der im Fokus der vorliegenden Arbeit liegenden Quelle, waren die Publikationen „Die Orthodoxe Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte (860-1980)“ von Peter Hauptmann und Gerd Stricker,[14] „Peter der Grosse“ von Erich Donnert[15] sowie „Peter der Große. Sein Leben und seine Zeit“, herausgegeben von Robert Massie[16] und „Die Russische Orthodoxe Kirche“ von Rudolf Prokschi[17] bezüglich der Fragestellung sehr hilfreich und erhellend. Abschließend ist noch zu erwähnen, dass die allgemeine Quellenlage zu Peter dem Großen recht ergiebig und beinahe nicht mehr zu überblicken ist, denn bereits seit dem 18. Jahrhundert reißt das Interesse an den Reformen Peters I. in Europa nicht mehr ab, sodass die Reformen schnell zu den „großen Themen“ der wissenschaftlichen Geschichtsforschung wurden.[18] Daher sind bis heute unzählige Publikationen über Zar Peter I. erschienen, wobei auch der aktuelle Forschungsstand keinen Anspruch auf einen absoluten Wahrheitsgehalt erheben kann, da die Forschungsüberblicke trotzdem nicht vollständig sind.[19] Bereits aus diesem anhaltenden Interesse an den Reformen Peters I. bis heute, ergibt sich die immer noch gegenwärtige Aktualität und Relevanz der Thematik der vorliegenden Arbeit. Hinzukommend lässt sich diese genannte Relevanz der Kirchenreform Peters I. sowie besonders des Erlasses Peters I. zur Einführung des Kollegialen Kirchenregimentes und des geistlichen Regulaments im Jahre 1721 daran erkennen, dass das Kirchenstatut von 1721 das weitreichendste Kirchengesetzt in der russischen Geschichte war,[20] sodass es im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte das Leben der Russischen Orthodoxen Kirche weiterhin bestimmt hatte.[21] Des Weiteren ergibt sich die Aktualität auch aus der Tatsache, dass Peter I. in seinem Reformdenken bereits moderne Denkweisen an den Tag legte, besonders in Bezug auf die Förderung von Bildung und Wissenschaft im Interesse des technischen Fortschritts und der damit einhergehenden Entmachtung der Kirche,[22] worauf nun im Folgenden noch genauer eingegangen werden wird.

II. Hinführung zum Thema

II.1 Die russische Kirche in der frühen Neuzeit (Die Autokephalie - Regierungsantritt von Peter I.):

Um die Reformmaßnahmen Peters I. sowie seine Beweggründe dafür besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, sich zunächst einmal die Stellung der russischen Kirche in der frühen Neuzeit vor Augen zu führen sowie das Verhältnis von Kirche und Staat vor Peter I.

Bestand im Mittelalter noch eine kirchliche Abhängigkeit von der „Mutterkirche“ Konstantinopel, besonders in Bezug auf die Bestellung der kirchlichen Hierarchie, so kam es hinsichtlich dieses hierarchischen Verhältnisses um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu tiefgreifenden politischen Veränderungen, die sich auch auf die kirchlichen Strukturen in Russland ausgewirkt hatten, aufgrund dessen, dass Konstantinopel im Jahre 1453 gefallen war und Russland sich endgültig vom Tatarenjoch hatte befreien können, sodass nun eine Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten des Moskauer Großfürsten eingetreten war.[23] Die russische Kirche hatte sich ihrerseits jedoch bereits einige Jahre vor dem Fall Konstantinopels aus der jurisdiktionellen

Unterstellung gelöst, nämlich im Jahre 1448, indem sie eigenständig den Metropoliten von Moskau gewählt und damit ihre kirchliche Unabhängigkeit erklärt hatte; somit also autokephal wurde.[24] Autokephal, bzw. die Autokephalie bedeutet allgemein aus dem Griechischen übersetzt „eigenes Haupt“ und hat sich besonders in der Orthodoxen Kirche für die Beschreibung der Eigenständigkeit etabliert.[25] Ergo bedeutet Autokephalie die selbstständige Wahl und Einsetzung des kirchlichen Oberhauptes sowie der mindestens vier Bischöfe in Übereinstimmung in Glaube, Kultus, Kirchenrecht und Eigenverantwortlichkeit in Beziehung zu anderen Kirchen.[26]

Im Zuge der Autokephalie begann nun eine Neuorientierung an der (ost-) römischen Kaiservorstellung, sodass sich bereist Ivan III. in Dokumenten als „Selbstherrscher“ und „Kaiser/Zar“ betitelte sowie die Vorstellung vom Gottesgnadentum übernahm und sich daher als „durch Gottes Gnade Herrscher von ganz Russland“ bezeichnete.[27]

Als erster nun offiziell gekrönter Zar, ging Ivan IV., auch „der Schreckliche“ genannt, in die Geschichte ein, denn er wurde 1547 zum „von Gott gekrönten“ Zaren ernannt und bestieg somit als einziger orthodoxer Zar der Welt den Thron Moskaus.[28] Ab diesem Zeitpunkt sahen es die folgenden Generationen der russischen Zaren als ihre Verpflichtung an, sich in kirchliche Angelegenheiten einzumischen, was teilweise die Kirche in ihrer Entwicklung stark beeinträchtigte.[29] Aufgrund dessen musste die russische Kirche stets in einer gewissen Loyalität zu der weltlichen Autorität stehen.[30]

Nichtsdestotrotz zählten der Metropolit und die Bischöfe weiterhin zu den einflussreichsten Persönlichkeiten in Russland und nahmen Einfluss auf alle Lebensbereiche der Bürger; und obwohl die Kirche der weltlichen Macht unterstellt war, ließ der Zar sich stets bei allen seinen Entscheidungen vom Kirchenfürsten beraten.[31] Auch die Bischöfe konnten weites gehend weiterhin eigenständig handeln und Entscheidungen treffen sowie dem Klerus

Anordnungen erteilen, die christliche Lehre überwachen, den Glauben verbreiten und vor allem die Vermögensverwaltung der Gotteshäuser, Klöster und kirchlichen Einrichtungen überwachen.[32]

Ende des 16. Jahrhunderts kam es dann vermehrt zu Unruhen in Russland und zu einer damit einhergehenden politischen Instabilität des Landes, besonders unter dem im Jahre 1598 gekrönten Zaren Boris Godunov, sodass es kurzzeitig zu einer polnischen Herrschaft in Moskau kam.[33] Unter dem neuen Adelsgeschlecht der Romanovs kam es dann zur Konsolidierung des Landes und Anfang des 17. Jahrhunderts war die Autokratie des Zaren, wie sie noch bei Ivan IV. vorgeherrscht hatte, aufgehoben und stattdessen gab es jetzt eine sogenannte „Doppelspitze“, wodurch sich der Zar und der Patriarch, also das weltliche und das kirchliche Oberhaupt, gleichberechtigt gegenüberstanden.[34] Im Jahre 1652 starb der Patriarch Josif, sodass der Zar Alexej den damaligen Metropoliten Nikon von Novgorod bat, sich zum Patriarchen wählen zu lassen.[35] Nikon jedoch wollte diese Würde nur unter der Bedingung annehmen, dass der Zar ihm Gehorsam schwören müsse. Der Zar gab dieser Bedingung nach und stimmte zu. So vertrat Nikon diesen auch als weltlichen Herrscher, während dessen Abwesenheit im Polen- und Schwedenkrieg.[36] Nikon selbst hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die russischen liturgischen Eigenheiten zu eliminieren, mit dem Ziel, wieder zu den ursprünglichen griechischen Formen zurückzukehren, um die absolute Übereinstimmung mit der Orthodoxie zu bewahren sowie eine gewisse Vormachtstellung der russischen Kirche innerhalb der Gesamtorthodoxie zu bewirken.[37] Dieser tiefe Eingriff Nikons in die orthodoxen Riten rief einen Sturm der Entrüstung in der russischen Bevölkerung hervor, sodass es 1666 letztendlich zu seiner Absetzung kam sowie zu einer Spaltung innerhalb der russischen Kirche, da seine Reformen trotz seiner Absetzung durchgesetzt wurden. Ergo wurden die Gläubigen, die noch an den alten Riten festhielten, von nun an als Altgläubige bezeichnet.[38]

Zu Beginn des Regierungsantrittes Peters I. im Jahre 1689 befand sich die russische Kirche also in einem gespaltenen und desorganisierten Zustand, was deutlich macht, weshalb Peter I. sich in der Pflicht sah, diesem Zustand durch sein Reformprogramm entgegenzuwirken. Die Gründe Peters I. für seine sogenannte petrinische Reformpolitik lagen jedoch noch tiefer, da sie in einem starken Zusammenhang mit derzeitig vorherrschenden gesellschaftlichen Veränderungen sowie dem Aufkommen des neuen bürgerlichen Zeitalters standen.[39] Denn zu dieser Zeit setzte auch in Russland eine Epoche ein, in der die Manufakturen wuchsen, der Handel in seiner Blütezeit stand und das Bürgerturm immer mehr an Macht und Einfluss gewann, was eine gleichzeitige Entstehung eines neuen Gesellschaftsdenkens mit sich brachte sowie ein Interesse an der modernen Wissenschaft.[40] Ergo wurden die Aufklärung und der Rationalismus zur vorherrschenden Geistesströmung, sodass alte ideologische Grundeinstellungen in der Gesellschaft zunehmend untergraben wurden.[41] So standen die petrinischen Reformen also deutlich im Zeichen der Aufklärung sowie als Ausdruck der Hinwendung des Zaren zu den aufklärerischen Grundsätzen im Hinblick auf Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Staat und Wissenschaft.[42] Insgesamt stellte Peters I. Herrschaft also ein neu entwickeltes Staatsregiment dar, welches im Zeichen eines aufgeklärten Absolutismus stand, mit absolutistischem Reformwillen, gepaart mit einem hohen Maß an Aufklärerischem,[43] weshalb im Folgenden noch einmal kurz auf die Begriffe des Absolutismus und der Aufklärung im Allgemeinen eingegangen werden soll.

II.2 Absolutismus und Aufklärung im Allgemeinen:

Der Absolutismus war etwa von der Mitte des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts die besonders in Europa vorherrschende Herrschaftsform. Der Begriff an sich wurde jedoch erstmalig in Frankreich in den 1790er Jahren, nachdem der Absolutismus in seiner Herrschaftsform durch den Ausbruch der Französischen Revolution stark in Frage gestellt worden war, verwendet, um dieses Herrschaftsverständnis in seiner Epoche zu charakterisieren.[44] Insgesamt ist der Absolutismus in seiner Begrifflichkeit Ausdruck für eine singuläre Form politischer Herrschaft sowie Herrschaftslegitimation und ist gekennzeichnet durch die Tatsache, dass alte Rechte und traditionelle Beschränkungen beispielsweise für die jeweiligen Herrscher irrelevant waren, da diese ihre Politik auf die ihnen aufgrund des Gottesgnadentums zustehende Souveränität gründen konnten.[45]

Bei dem Begriff der Aufklärung handelt es sich unter anderem auch um ein Synonym für „aufhellen(d)“; siehe auch im Französischen die Übersetzung für Aufklä^g, die „les lumières“ lautet.[46] „Aufklärung“ kann aber ebenfalls definiert werden als ein „wegräumen [der] mancherlei Hüllen und Decken vor den Augen, Platz machen dem Licht in Verstand und Herz, daß es jenen erleuchte, dieses erwärme, und eintreten in die Gebiete der Wahrheit und der Ordnung, [...]“[47]

Die Epoche der Aufklärung meint im Allgemeinen einen Zeitraum von Mitte des 17. bis Ende des 18. Jahrhunderts, wobei die Entwicklungsstufen und Konkretionen in einzelnen Ländern unabhängig voneinander verliefen; abhängig nämlich von den jeweiligen vorherrschenden politischen, gesellschaftlichen, wissenschaftlich-kulturellen und religiösen Umständen.[48] Die grundsätzliche Leitidee der Aufklärung war prinzipiell die Annahme, dass es eine Verstehbarkeit der Welt gäbe sowie eine Autonomie der Vernunft des Menschen, was zu einer fortschreitenden Säkularisierung des Denkens führte. Während der Aufklärung erfolgte ein zunehmendes Vertrauen in die intellektuellen Fertigkeiten des Menschen an sich, was den Drang der Menschen mit sich brachte, alles verwissenschaftlichen sowie alle Lebensbereiche rational durchdringen und erklären zu wollen.[49] Die Aufklärung wurde ergo von einem Fortschrittsdenken und einem Perfektibilitätsglauben vorangetrieben und bestimmt, basierend auf der Tatsache, dass man die Natur zunehmend beherrschen und nutzbar machen wollte. Diese Dynamik des Fortschrittdenkens griff schnell auch auf die Bereiche der Politik, Gesellschaft und Religion zu und machte die Individualität des Menschen und dessen Perfektion zur dominierenden Leitidee.[50] Aufgrund dessen wurde der Begriff „Aufklärung“ zu einer Selbstbezeichnung, die von Anfang an von den Anhängern dieser Bewegung im Sinne eines stolzen und verantwortungsvollen Selbstbewusstseins positiv konnotiert wurde, wie auch Kant deutlich machte: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmütáigkeit. “[51] In theologischer und kirchengeschichtlicher Betrachtung bezeichnet die Epoche der Aufklärung einen Zeitraum der frühen Neuzeit, der in seinen wesentlichen Fragen und Folgen im Grunde genommen bis heute anhält.[52] Auch hier stehen natürlich der Perfektibilitätsglauben sowie der Anthropozentrismus als Leitidee im Vordergrund. Diese von Vernunft, Individualisierung und Rationalität angetriebene Denkweise der Epoche der Aufklärung bedeutete für die Theologie eine Art Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung, von natürlicher und positiver Religion.[53] Damit ging eine kritische Befragung biblischer Überlieferung, dogmatischer Lehrbestände und kirchlicher Traditionen nach ihrem Wahrheitsgehalt und ihrer lebenspraktischen Relevanz einher.[54] Voraussetzung für das Aufkommen der aufklärerischen Epoche war zum einen das allmähliche Erlahmen kontroverstheologischer Leidenschaften und zum anderen die fortschreitende Globalisierung des politisch-wirtschaftlichen sowie geistig-kulturellen Horizontes.[55] Aber auch das zunehmende Vertrauen der Menschen in wissenschaftliche Erkenntnisse und Rationalität spielte eine große Rolle, sodass die Naturwissenschaft einen deutlichen Aufschwung erlebte, sodass nun die Schöpfung aufgrund einer konsequenten Anwendung der Mathematik mechanisch-kausal erklärbar wurde und ein unaufhaltsamer Prozess der Säkularisierung einsetzte.[56]

Insgesamt konnte erkannt werden, dass Aufklärung und Fortschritt ein unauflösliches Verhältnis eingingen, denn Aufklärung wurde als jede Veränderung des Bewusstseins gedeutet, die einen Fortschritt brachte.[57] Basierend auf dieser Tatsache scheint es nahezu einleuchtend, dass die petrinischen Reformen auf fruchtbaren Boden in Russland stießen und deren Durchsetzung so begünstigt wurden, weshalb nun auch auf Peter I. eingegangen werden soll sowie auf seine Beweggründe für die Kirchenreformen.

II.3 Peter I. - Absolutistischer Herrscher:

Peter I. (Pjotr) oder auch Peter der Große genannt, wurde nach dem gregorianischen Kalender am 9. Juni im Jahre 1672 als Sohn des russischen Zaren Alexej in Moskau geboren und war sein vierzehntes Kind.[58] Seine Mutter war die Bojarentochter Natalja Kirillowna Naryschkina, die der Zar Alexej in zweiter Ehe zur Frau nahm, nachdem seine erste Ehefrau Marija Iljinitschna Miloslawskaja bereits 1669 verstorben war.[59] Sie hatte ihm fünf Söhne und acht Töchter geschenkt, von denen jedoch bereits drei Söhne verstorben waren und die anderen beiden, Fjodor und Iwan, als zukünftige Regenten nur bedingt tauglich waren, denn Fjodor litt an Skorbut und konnte kaum laufen und Iwan war Epileptiker, augenleidend und geistesschwach, sodass Peter I. von Beginn an gute Aussichten auf die Thronnachfolge hatte.[60] Mit seiner Zweitehefrau bekam der Zar neben Peter dann noch zwei Töchter, Natalja und Fjodora.[61] Peter I. verstarb am 8. Februar 1725 in St. Petersburg.[62]

Im Alter von sieben Jahren erhielt Peter I. dann Unterricht, den er vom Kanzleisekretär Nikita Moisejewitsch Sotow erhielt, der mit ihm die Heilige Schrift las, Litaneien sang und ihn das Schreiben lehrte.[63] Jedoch war Peter I., der sehr wissbegierig und neugierig war, mit seinem Unterricht nicht zufrieden, denn im Gegensatz zu seinen Geschwistern hatte er einen wenig geistig inspirierenden Lehrer, weil seine Mutter die gebildeten, vielsprachigen Kiewer Mönche nicht mochte, die im geistigen Leben in Moskau den Ton angaben.[64] So kam es, dass der spätere Zar erst viel später seine Ausbildung vervollständigte und zwar in Eigeninitiative, indem er selbst bestimmte, was er lernen wollte und es sich selbst beibrachte.[65] Peter I. legte einen unglaublichen Wissensdurst an den Tag sowie ein hohes Interesse an Technik.[66] Im Alter von sechzehneinhalb Jahren suchte Peters I. Mutter ihm eine geeignete Ehefrau aus, die zwanzigjährige Tochter eines Adligen niederen Ranges, Jewdokija Fjodorowna Lopuchina, dessen ehrerbietige, zurückhaltende und sittliche Art der Mutter gefielen.[67] Peter I. willigte ohne Widerspruch ein, denn er stand der Ehe gleichgültig gegenüber, sodass die Ehe am 27. Januar 1689 vollzogen wurde. Aus ihr gingen zwei Söhne hervor, Alexej und Alexander, wobei der zweit genannte Sohn kurz nach der Geburt verstarb.[68] Peters I. Ehefrau versuchte zeit ihres Lebens, ihren Mann an sich zu binden, doch wandelte sich dessen Gleichgültigkeit rasch in Hass ihr gegenüber um und sie führte ein unglückliches Leben als Zarin, meist in der Abgeschlossenheit ihres Gemaches.[69] Diese Unterwürfigkeit der russischen Frau basierte noch auf der Rückständigkeit Russlands durch die langanhaltende Unterdrückung der tatarischen Männerwelt, aber auch durch die byzantinisch-mönchische Verachtung des weiblichen Geschlechts aufgrund der Furcht vor der Verführungskunst der Frau, was als Teufelswerk gedeutet wurde.[70]

Peter der Große war zwar seit 1682 Zar von Russland, musste jedoch bis zum Jahre 1689 die Regentschaft seiner Halbschwester Sofija erdulden und überließ bis zum Tod seiner Mutter im Jahre 1694 dieser weites gehend die Regierungsgeschäfte.[71] Die Halbschwester Peters I., Sofija, hatte die Tradition der unterwürfigen und ungebildeten Frau in Russland gebrochen, denn dank ihrer Lehrer der Kiewer Schule war sie eine kluge Frau, die bei Regierungsgeschäften nicht einzig und allein ihren Ratgebern vertraute, sondern ihren eigenen Verstand einsetzte, um eigenständig zu herrschen.[72] Ihr größter diplomatischer Erfolg war der Beschluss des „Ewigen Friedens“ mit Polen.[73] Während ihrer Amtszeit mischte sich Peter I. zunächst nicht in ihre Angelegenheiten ein und beschäftigte sich lieber mit Soldatenspielen; doch wie auch Peter I. heranwuchs, so wurden auch seine Soldaten älter, sodass ihm bald zwei der besten Moskauer Regimenter zur Verfügung standen.[74] Des Weiteren wurde Peter der Große bald achtzehn Jahre alt, ergo volljährig, womit die Regentschaft Sofijas erloschen wäre, was diese verhindern wollte, weshalb sie wenigstens versuchte, ihre Stellung so auszubauen, dass sie mit Peter I. gleichberechtigt sein würde.[75] Doch angestachelt von seinen Freunden und Verwandten, begann Peter I. rasch gegen seine Halbschwester zu opponieren, sodass Sofija letztendlich den Kreml verlassen und im Neuen Jungfrauenkloster leben musste.[76]

Während seiner Regentschaft erlangte Peter I. den Sieg über die Schweden im Nordischen Krieg von 1700 bis 1721, wodurch Russland den Zugang zur Ostsee sowie Livland und Estland erhielt.[77] Hinzukommend reformierte er den Staatsaufbau in dem Sinne, dass er den Adel dienstverpflichtete, die Rangabstufung der Staatsämter vornahm, St. Petersburg und einen Senat als höchste Regierungsbehörde gründete, um nur einige Beispiele zu nennen, die dann dazu führten, dass Russland unter Peter I. zu einer europäischen Großmacht heranwuchs.[78] Dieser Erfolg lässt sich wahrscheinlich nicht zuletzt auch auf die Bildungsreisen Peters I. zurückführen, die ihn stark inspirierten, von denen er sich den westeuropäischen Fortschritt abschaute, besonders in den Bereichen der Medizin/Chirurgie, der Schifffahrt und dem Handel, den er schnell als Quelle des Reichtums Europas erkannte, sodass sich seine spätere merkantilistische Politik darauf zurückführen lässt.[79] Aber auch die allgemeine moderne Lebensweise im Sinne der Aufklärung in Europa faszinierte ihn, was viele Geistliche in Russland als Gefahr für die Reinheit des rechten orthodoxen Glaubens sahen.[80] Insgesamt wurde die Rückständigkeit Russlands dem Zaren

[...]


[1] Vgl. Prokschi, Rudolf: Die Russische Orthodoxe Kirche, in: Bremer, Thomas; Gazer, Rafi; Lange, Christian (Hrsg.): Die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition. Darmstadt 2013, S. 33.

[2] Ebd.

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. ebd., S. 34.

[6] Vgl. Donnert, Erich: Peter der Grosse. Leipzig 1988, S. 9.

[7] Vgl. ebd.

[8] Vgl. Anisimov, Evgenii V.: The Reforms of Peter the Great. Progress through coercion in Russia London 1993, S. 203.

[9] Vgl. Donnert: Peter der Grosse, S. 15.

[10] Vgl. ebd.

[11] Vgl. Anisimov: The Reforms of Peter the Great, S. 203.

[12] Vgl. ebd.

[13] Erlass Kaiser Petr I. (1682-1725) zur Einführung des Kollegialen Kirchenregimentes und des Geistlichen Regulaments 1721, in: Thon, Nikolaus: Quellenbuch zur Geschichte der orthodoxen Kirche, Bd. 23. Trier 1983, S. 303-304.

[14] Hauptmann, Peter; Stricker, Gerd: Die Orthodoxe Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte (860-1980). Göttingen 1988.

[15] Donnert, Erich: Peter der Grosse. Leipzig 1988.

[16] Massie, Robert K.: Peter der Große. Sein Leben und seine Zeit. Königstein 1982.

[17] Prokschi, Rudolf: Die Russische Orthodoxe Kirche, in: Bremer, Thomas; Gazer, Rafi; Lange, Christian (Hrsg.): Die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition. Darmstadt 2013, S. 33­44.

[18] Vgl. Schippan, Michael: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte. Die Einrichtung der Kollegien in Rußland zur Zeit Peters I., Bd. 51. Wiesbaden 1996, S. 12.

[19] Vgl. ebd.

[20] Vgl. Hauptmann; Stricker: Die Orthodoxe Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte, S. 388.

[21] Vgl. ebd.

[22] Vgl. Schippan: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte. Die Einrichtung der Kollegien in Rußland zur Zeit Peters I., S. 28.

[23] Vgl. Prokschi: Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 33-35.

[24] Vgl. ebd., S. 35.

[25] Vgl. Döpmann, Hans-Dieter: Art. Autokephalie, in: RGG4 1 (1998), Sp. 1010.

[26] Vgl. ebd.

[27] Vgl. Prokschi: Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 35.

[28] Vgl. ebd., S. 35-36.

[29] Vgl. ebd., S. 36.

[30] Vgl. ebd., S. 38.

[31] Vgl. Donnert: Peter der Grosse, S. 155.

[32] Vgl. Haumann, Heiko: Geschichte Russlands. München 1996, S. 72.

[33] Vgl. Prokschi: Die Russische Orthodoxe Kirche, S. 38.

[34] Vgl. ebd.

[35] Vgl. ebd.

[36] Vgl. ebd.

[37] Vgl. ebd.

[38] Vgl. ebd., S. 38-39.

[39] Vgl. Donnert: Peter der Grosse, S. 96.

[40] Vgl. ebd.

[41] Vgl. ebd.

[42] Vgl. ebd.

[43] Vgl. ebd., S. 96-97.

[44] Vgl. Lehmann, Hartmut: Art. Absolutismus, in: RGG4 1 (1998), Sp. 86.

[45] Vgl. ebd.

[46] Vgl. Beutel, Albrecht: Art. Aufklärung, in: RGG4 1 (1998), Sp. 929.

[47] Vgl. Schmidt, Martin: Art. Aufklärung II. Theologisch, in: TRE 4 (1979), S. 595.

[48] Vgl. Beutel: Art. Aufklärung, Sp. 932.

[49] Vgl. ebd., Sp. 933.

[50] Vgl. ebd.

[51] Vgl. Schmidt: Art. Aufklärung II. Theologisch, S. 594.

[52] Vgl. Beutel, Albrecht: Art. Aufklärung. II. Theologisch-kirchlich, in: RGG4 1 (1998), Sp. 941­942.

[53] Vgl. ebd., Sp. 942.

[54] Vgl. ebd.

[55] Vgl. Beutel: Art. Aufklärung, Sp. 933.

[56] Vgl. ebd., Sp. 933-934.

[57] Vgl. Schmidt: Art. Aufklärung II. Theologisch, S. 595.

[58] Vgl. Donnert: Peter der Grosse, S. 17.

[59] Vgl. ebd.

[60] Vgl. ebd.

[61] Vgl. ebd.

[62] Vgl. Foley, Edward B.: Art. Peter der Große, in: RGG4 6 (2003), Sp. 1151.

[63] Vgl. Neumann-Hoditz, Reinhold: Iwan der Schreckliche. Peter der Grosse. Hamburg 1994, S. 79.

[64] Vgl. ebd., S. 79-80.

[65] Vgl. ebd., S. 80.

[66] Vgl. ebd., S. 81.

[67] Vgl. ebd., S. 82.

[68] Vgl. ebd.

[69] Vgl. ebd., S. 83.

[70] Vgl. ebd.

[71] Vgl. Foley: Art. Peter der Große, Sp. 1151.

[72] Vgl. Neumann-Hoditz: Iwan der Schreckliche. Peter der Grosse, S. 83.

[73] Vgl. ebd., S. 84.

[74] Vgl. ebd.

[75] Vgl. ebd.

[76] Vgl. ebd., S. 84-85.

[77] Vgl. Foley: Art. Peter der Große, Sp. 1151.

[78] Vgl. ebd.

[79] Vgl. Neumann-Hoditz: Iwan der Schreckliche. Peter der Grosse, S. 91-97.

[80] Vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Kirchenreformen von Zar Peter I.
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
2,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
31
Katalognummer
V373439
ISBN (eBook)
9783668513921
ISBN (Buch)
9783668513938
Dateigröße
1717 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kirchenreformen, peter
Arbeit zitieren
Gina Wohler (Autor:in), 2016, Die Kirchenreformen von Zar Peter I., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373439

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