Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Theorie der sozioökonomischen Schule
3. Policy- Analyse
3.1. Wandel der Gesellschaft
3.2. Reaktionen der Politik
3.2.1 Rentenreform 1990 - 1999
3.2.2 Rentenreform 2000 - 2004
3.2.3 Rentenreform 2005 - 2016
3.3. Sozioökonomische Determinanten
3.4. Auswertung
4. Fazit
5. Abbildungsverzeichnis
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Seit jeher erlebt die Welt einen Wandel in der Gesellschaft. Natur, Bevölkerungen, Systeme und Strukturen, alles verändert und wandelt sich im Laufe der Zeit. Der demografische Wan- del wurde schon im 18. Jahrhundert, als eine Wissenschaft der Bevölkerungsstruktur definiert. Fundamentale Veränderungen in der Bevölkerung bringen Folgen in vielen verschiedenen Bereichen mit sich, sowohl in sozialen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen als auch in politis- chen Dimensionen. Es stellt sich nun die Frage, welche Schwierigkeiten strukturelle Verän- derungen mit sich bringen und welche Reaktionen dadurch hervorgerufen werden. Ziel dieser Hausarbeit soll es sein, die Frage zu untersuchen, wie die Politik auf den demografischen Wandel in Deutschland im Bereich der Rentenpolitik seit dem Jahre 1990 bis heute reagiert hat, beziehungsweise reagiert. Aufgrund des großen thematischen Umfangs, habe ich mich auf die Folgen in der Rentenpolitik seit dem Jahre 1990 beschränkt. Mithilfe der Theorie der sozioökonomischen Schule, in die im ersten Teil dieser Arbeit eingeführt wird, ist es möglich die Korrelation zwischen Demografie und Staatstätigkeit zu untersuchen.
Im zweiten Teil der Hausarbeit wird eine Übersicht über den demografischen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahre 1990 bis heute dargestellt und schließlich ausgewählte politische Maßnahmen in dem Bereich der Rentenpolitik erörtert. Im nächsten Punkt, der Policy-Analyse wird untersucht, inwieweit die Politik auf den demografischen Wandel am Beispiel der Rentenpolitik seit 1990 reagiert hat. Des Weiteren soll die Hypothese, dass die Staatstätigkeit aufgrund von demografischen Wandlungsprozessen seit 1990 gezwungen ist sich auszuweiten, bekräftigt oder entkräftet werden.
Zum Schluss werden in der Auswertung die Ergebnisse zusammengefasst und im Fazit die anfänglich gestellte Frage beantwortet. Als Letztes versucht diese Arbeit einen Blick auf die zukünftige Sicht zu geben.
2. Theorie der sozioökonomischen Schule
Zur Policy-Analyse und vergleichenden Staatstätigkeitsforschung, der „ Heidelberger Schule “, zählen sechs wichtige Theorieansätze, die in verschiedenen Politikfeldern angewen- det werden. Neben der Bedeutung von Machtressourcen, dem Einfluss von Parteien, den Insti- tutionen und Vetospielern, der Globalisierung und der Pfadabhängigkeit ist die sozio ö konomische Schule eine zentrale Theorie (vgl. Zohlnhöfer 2008: 157ff.). Bei einer ver- gleichenden Staatstätigkeitsforschung wird die Regierungspolitik auf unterschiedliche oder zusammenhängende Variablen auf der Makroebene genauer analysiert. Die zuvor erwähnten Theorieschulen werden bei einer Analyse nicht strikt von einander getrennt angewendet, son- dern als „komplementär“ (Zohlnhöfer 2008: 164) und folglich als vernetzte Schulen ver- standen. Im Rahmen dieser Hausarbeit ist es nicht möglich auf alle Theorieansätze einzuge- hen, weshalb sie sich ausschließlich auf die sozioökonomische Schule bezieht, da diese En- twicklung ein Augenmerk auf den Wandel und die damit verbundene Staatstätigkeit wirft. Die grundlegende Annahme des sozioökonomischen Theoriezweigs besteht darin, dass „Staatstätigkeit als Antwort auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen z u ver- stehen [ist]. Demnach müssten Regierungen auf neue Problemlagen, die durch wirtschaft- liche oder soziale Veränderungen bedingt seien und aus denen neue Bedarfslagen der Wähler bzw. der Bevölkerung allgemein resultieren, agieren.“ (Zohlnhöfer 2008: 157).
Mit „wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen“ sind beispielsweise Veränderungen gemeint, die aufgrund des Wandels von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft, von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft oder dem Wandel bis hin zur Wissensge- sellschaft entstehen. Technologische Fortschritte, Modernisierungsmaßnahmen, die Alterung der Gesellschaft oder auch steigende Zunahme an Studenten ergeben sich aus einem solchen Wandlungsprozess. Diese bringen Schwierigkeiten und Probleme mit sich und fordern schließlich Lösungsansätze durch die Politik (vgl. Schmidt/Ostheim 2007: 29). Ein gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder sozialer Wandel ist laut der sozioökonomischen Theo- riefamilie eine grundlegende Ursache für staatliches Handeln. Hinsichtlich neu entstandener Überlastungen, aber auch Alterung und Abnutzung von bereits bestehenden Ansätzen und Systemen, muss die Staatstätigkeit ausgeweitet werden und Problemlösungen bieten. Der Theorieansatz beschreibt somit ein „Reiz-Reaktions-Mechanismus“ (Zohlnhöfer 2008: 158). Des Weiteren beschreibt die sozioökonomische Entwicklung zum einen die Forderungen der Gesellschaft und zum anderen kostbare Ressourcen, wie zum Beispiel Umweltressourcen, womit sich die Theorie auf „bedarfs- und ressourcenbasierte Erklärungen von Politikinhalten“ (Schmidt/Ostheim 2007: 29) bezieht. Der Staat muss somit auf die gesellschaftlichen Konsequenzen eingehen und auf vielseitige Funktionsprobleme mithilfe von neuen Programmen und Ansätzen reagieren, damit die Bedarfslagen der Bevölkerung gestillt werden und das System stabil bleibt (vgl. Schmidt/Ostheim 2007: 30).
Mit Unterstützung der sozioökonomischen Determinanten lassen sich Vergleiche in der Regierungspolitik von unterschiedlichen Ländern erstellen, untersuchen wie Regierungen auf Wandlungsprozesse und Herausforderungen reagieren und welche Berührungspunkte oder auch Differenzen es zwischen den Ländern gibt (Zohlnhöfer 2008: 158). Es lässt sich charak- terisieren, wann ein Strukturwandel ein Auslösungsmechanismus für Regierungshandeln her- vorruft und inwiefern ein Zwang zum Handeln für den Staat entsteht. Ein weiterer Punkt des sozioökonomischen Modells bezieht sich auf das zur Verfügung stehende Kapital, da laut sozioökonomischen Ansätzen wirtschaftlich reichere Länder mehr Möglichkeiten haben „den Bedarf durch sozialpolitisches Engagement zu decken“ (Schmidt/Ostheim 2007: 34). Wirtschaftlich weit entwickelte Länder weisen im Allgemeinen eine stärkere Sozialpolitik auf, als wirtschaftlich schwache Länder. Folglich besteht ein Zusammenhang „zwischen den Aus- gaben für Alterssicherungssysteme und der Seniorenquote“ (Schmidt/Ostheim 2007: 35). Hi- eraus ergibt sich, laut sozioökonomischer These, dass eine direkte Korrelation zwischen den Bedarfslagen, angesichts des demografischen Wandels, einer Bevölkerung und dem folglich politischen Handeln durch sozialpolitisches Engagement besteht. Als letzten Punkt lässt sich mit sozioökonomischen Analysen untersuchen, wann ein Zeitpunkt für Regierung, Institutio- nen oder auch Parteien günstig ist, um auf den Strukturwandel zu reagieren und wann die Be- dingungen für politisches Handeln unangemessen sind (vgl. Schmidt/Ostheim 2007: 35).
Zu der sozioökonomischen Theoriefamilie zählen Karl Marx Kapitalismustheorie, Adolph Wagners Gesetz, sowie Wilenskys Analyse (Schmidt/Ostheim 2007: 30).
3. Policy-Analyse
In den folgenden Punkten wird diese Arbeit zunächst auf den Wandel der Gesellschaft, den demografischen Wandel, mit seinen Ursachen und Folgen zu sprechen kommen. Danach wer- den ausgewählte Maßnahmen der Politik vorgestellt, um dann schließlich mit der sozioökonomischen Schule zu untersuchen, inwiefern die Regierung auf die Probleme reagiert hat und ob die Staatstätigkeit bezüglich des Wandels ausgeweitet wurde. Die Analyse beschränkt sich auf den Wandel in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahre 1990 bis heute und zwei problematische Folgerungen, die sich in der Rentenpolitik sichtbar machen. Mithilfe der bereits vorgestellten sozioökonomischen Schule soll somit die Frage beantwortet werden, wie die Politik auf den Wandel der Gesellschaft in Deutschland seit 1990 reagiert. Außerdem soll im Analyse-Teil untersucht werden, ob die Hypothese, dass die Staatstätigkeit in der Bundesrepublik auf Basis von demografischen Wandlungsprozessen seit 1990 gezwun- gen ist sich auszuweiten, bekräftigt oder verworfen werden kann. Anhand der sozio- ökonomischen Determinanten wird geprüft, ob gesellschaftliche Veränderungen gleichzeitig politische Maßnahmen im Bereich der Rentenreformen mit sich gezogen haben und inwieweit die Lösungsansätze wirksam waren.
3.1. Wandel der Gesellschaft
Im 19. Jahrhundert wandelt sich die Agrargesellschaft (primärer Sektor) aufgrund von tech- nischen und wirtschaftlichen Veränderungen zur Industriegesellschaft (sekundärer Sektor). Produktivität wurde gesteigert, Fortschritte in Industrie und Handel erzielt, Mobilität gefördert und Menschen zog es durch push-/ und pull-Faktoren in die Städte. Im 20. Jahrhun- dert entwickelte sich die Industriegesellschaft schließlich zur Dienstleistungsgesellschaft. Durch Veränderungen der Lebensformen in der Bevölkerung liegt der Fokus nicht mehr auf der Produktion von Gütern, sondern auf der Ebene der Dienstleistungen. Der tertiäre Sektor, der Dienstleistungssektor, gewinnt infolgedessen an Bedeutungszuwachs. Seit dem 20. Jahrhundert steht schließlich der Quartärsektor, der Informationssektor, im Vordergrund. Bis- lang gibt es viele Debatten und Varianten über die Gesellschaftsform, in der wir uns heute befinden (vgl. Hradil 2012). 1966 veröffentlichte der Soziologe Robert E. Lane den Artikel „The Decline of Politics and Ideology in a Knowledgeable Society“, und bezeichnet den gesellschaftlichen Strukturwandel seit Ende des 20. Jahrhunderts erstmals als Wissensge- sellschaft:
„The knowledgeable society is a modern phenomenon; it has inherited a body of knowledge of man, nature, and society which has been continually created and reserved throughout a history of accelerating attention to systematic investigation, despite the iregularity of the production of „great“ ideas.“ (Lane, Robert E. 1966: 653)
Auch Daniel Bell, ein US-amerikanischer Soziologe, und Ökonom Peter Ferdinand Drucker stellen die Bedeutung von Wissen als zentralen Faktor des 21. Jahrhunderts dar. In der Wissensgesellschaft spielen wissensintensive Dienstleistungen, das Bildungssystem, Humankapital und Globalisierung eine wesentliche Rolle. „Wissen“ wird als grundlegendes Gut angesehen, dem keine Grenzen gesetzt sind (vgl. Steinbicker 2006).
Eng verknüpft mit den Wandlungen der Gesellschaftsformen ist der demografische Wandel, da die Entwicklung der Bevölkerung ein wichtiger Faktor dafür ist, in welchem Maße sich die Gesellschaftsform wandelt. So trägt zum Beispiel die niedrige Geburtenrate und Emanzipa- tion der Frau im Beruf dazu bei, dass Bildungssysteme ausgeweitet werden müssen und die wissenschaftliche Produktivitätskraft steigt. Ergo sind Faktoren des demografischen Wandels und Merkmale der Gesellschaftsformen miteinander vernetzt (vgl. Hradil 2012). Im Folgen- den wird sich diese Arbeit genauer mit dem demografischen Wandel auseinandersetzen, allerdings auf den Wandel in Deutschland seit 1990 bis heute einschränken, da ein vollständi- ger Überblick der Wandlungsprozesse über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würde. In weiteren Punkten wird dann analysiert, inwiefern sich die gesellschaftlichen Folgen eines Wandels auf die Politik übertragen und somit Druck auf die Staatstätigkeit auswirken. Unter dem demografischen Wandel versteht Tivig et al.
„ein Phänomen, das in entwickelten Ländern auftritt und Entwicklungsländern bevorsteht; seine wesentlichen Merkmale sind das Altern der Bevölkerung und die Perspektive des Bevölkerungsrückgangs.“ (Tivig et al. 2011: 1)
Mit dieser Definition werden grundlegende Standpunkte des Wandels genannt, zum einen die Überalterung der Bevölkerung und die gesunkene Fertilitätsrate und zum anderen der Bevölkerungsrückgang. Neben der sogenannten „ doppelten Alterung “ gibt es jedoch noch weitere Faktoren, wie zum Beispiel die Heterogenisierung, Vereinzelung oder Singular- isierung und Regionale Disparitäten. Infolge von überholten gesellschaftlichen Ansichten verändern sich die Strukturen einer Gesellschaft. So gibt es heutzutage beispielsweise viel mehr Singlehaushalte oder Patchwork-Familien, was vor ein paar Jahrzehnten noch nicht denkbar gewesen wäre. Des Weiteren hat auch die Ost-West-Wanderung zugenommen, da viele, vor allem junge Leute, anlässlich von Arbeitsmarktgründen umgezogen sind (vgl. Frev- el, Bernhard 2004: 15ff). All diese aufgezählten Punkte sind Faktoren und Ursachen, die zu einem demografischen Wandel beitragen. Die vorliegende Arbeit widmet sich jedoch haupt- sächlich den Aspekten der sinkenden Geburtenrate und der Überalterung durch steigende Lebenserwartung der Bevölkerung. Zur Veranschaulichung dienen die folgenden drei Statis- tiken.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 (Statistisches Bundesamt 2015) Abbildung 2 (Statistisches Bundesamt 2015)
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