"Der Circle". Eine postdigitale Dystopie


Hausarbeit, 2016

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Mittelbarkeit und zeitliche Anordnung
2.2 Die Rolle der Fokalisierung und der Versuch einer Charakterisierung von Mae .
2.3 Ironisierung durch die Stimme
2.4 Medientheoretischer Diskurs und faktualer Referenzrahmen

3. Schluss

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„ALLES WAS PASSIERT, MUSS BEKANNT SEIN“1

Mit diesen Worten führt Bailey, einer der drei Weisen im Circle, das System SeeChange ein, mit dem es innerhalb der Handlung fortan möglich ist, sich online mittels hochauflösender Kameratechnik alle Orte der Welt anzusehen. Diese Präsentation markiert in der Geschichte den Beginn eines unausweichlichen, rasend schnellen Prozesses hin zur totalen Transparenz und gleichzeitigen Kontrolle staatlicher Belange durch ein Privatunternehmen- freilich, so würden Mitarbeiter argumentieren, zum Wohle des Fortschritts und der ökonomischen Rentabilität.

Bei den Reaktionen auf das Buch lässt sich durchaus eine vermehrte Kritik am eigentlich literarischen Wert des Werkes vernehmen: Hierbei werden die durchsichtigen Charaktere, die literarisch minderwertige Sprache und der klischeehafte Handlungsverlauf zum Teil deutlich angeprangert.2 Die Diskussion über die literarische Dystopie, die Eggers entwirft, erinnert hierbei doch sehr deutlich an frühere, vergleichbare Romane wie Schöne neue Welt“ und „1984“. Anders als in diesen Werken konstituiert sich die totalitäre (?) Herrschaft in „Der Circle“ jedoch zunächst einmal nicht über die Unterdrückung, sondern über die Förderung der partizipatorischen Teilhabe des Einzelnen. Schon dieser wesentliche Unterschied, der bei nicht wenigen Rezipienten für eine wahrgenommene Vermischung realer gegenwärtiger und fiktionaler Momente gesorgt haben wird, lässt eine gesonderte Untersuchung dieses einzigartigen und kommerziell überaus erfolgreichen Werkes zweckmäßig erscheinen.3

Die vorliegende Arbeit soll demnach zeigen, dass es sich bei „The Circle“ um eine innerhalb des postdigitalen Zeitalters literarisch ästhetische und dabei bewusst erschreckend real wirkende Inszenierung handelt. Für die Explikation der erzählerischen Raffinesse und die damit einhergehende Entkräftung der Kritik ist eine erzähltheoretische Analyse unabdinglich:4 Auf welche Art und Weise werden bestimmte Elemente eingesetzt? Inwiefern verfolgt die Zeichnung von „flachen“ Charakteren möglicherweise eine übergeordnete Intention? Wissenschaftliche Werke zum postdigitalen (Medien-)Zeitalter, insbesondere zum neuartigen Phänomens des Social-Web, das hier offensichtlich eine wesentliche Rolle zur Machtübernahme des Privatunternehmens spielt, helfen zudem bei einer adäquaten Einordung der lebensweltlichen Bezüge. Dabei darf natürlich das Verhältnis zwischen Romandhandlung und gegenwärtigem Referenzrahmen nicht unberücksichtigt bleiben.

2. Hauptteil

2.1 Mittelbarkeit und zeitliche Anordnung

Innerhalb des zumeist szenischen Erzählens entsprechend sich die erzählte Zeit und Erzählzeit während des gesamten Romans. Mit Ausnahme von einigen, bei Erzählungen durchaus üblichen Zeitsprüngen lassen sich nur wenige Auffälligkeiten in der chronologischen Gestaltung feststellen.5 Unterbrochen wird diese Stringenz allerdings immer wieder von Einschüben über die Vergangenheit der Protagonistin Mae, die hier zumeist negativ konnotiert, vor allem im Vergleich mit der leuchtenden Zukunft des Circle, erscheinen.6 Außerdem befindet sich eine auffällig lange, aufbauende Rückwendung bei der ersten Begegnung Maes mit ihren Eltern.7 In der Disney-Land Episode verdeutlicht sich einmal mehr, wie schnell die Protagonistin fremdgesteuert werden kann: Seit jeher zeigte sie sich mit Entscheidungen , die über ihren Kopf hinweg und gegen ihren vorherigen Willen getroffen wurden, im Nachhinein dennoch einverstanden. Die leichte Beeinflussbarkeit Maes wird mithilfe der Analapese an dieser Stelle als festes Charaktermerkmals manifestiert, das ihr in der älteren Vergangenheit ja auch durchaus Vorteile erbrachte.8

Insgesamt bedient sich der Autor einer überwiegend dramatischen Erzählweise innerhalb der einzelnen Handelssequenzen. Der hohe Anteil an detailreichen Ausführungen, kombiniert mit dem zeitdeckenden Erzählen, sorgt dafür, dass die Nähe zum Geschehen als durchaus auffälliges Charakteristikum der Geschichte bezeichnet werden darf.9 Ausgenommen hiervon ist allerdings ab und an die Wiedergabe von Gedanken, die mittels Bewusstseinsbericht einfließen.10 Nichtdestotrotz finden sich auch Passagen, in denen durch freie Assoziationen ein Bewusstseinsstrom angebahnt wird. Außerdem treten in den besonders emotionalen Momenten gehäuft direktivere Präsentationen der Gedankenrede auf.11 Eine weitere Besonderheit im Kontext der Mittelbarkeit betrifft die Kapitelüberschriften, die nahezu gänzlich fehlen: Anders als in älteren Romanen werden einzelne Abschnitte allenfalls durch das „erste Buch“, „zweite Buch“ und „dritte Buch“ voneinander getrennt.12 Damit verzichtet Eggers hier bewusst auf ein Romanelement, das normalerweise die Existenz einer narratologischen Instanz im Handlungsverlauf zusätzlich anzeigt. Weiterhin fallen in Verbindung mit dem Inhalt zwei Aspekte auf: Zum einen nimmt die Detailfülle der verschiedenen technischen Neuerungen im Unternehmen im zweiten Buch spürbar ab: Radikaler technischer Fortschritt normalisiert sich für die Protagonistin zunehmend.13 Daneben spielt Online- Kommunikation als für sie valides Gütekriterium der eigenen Beliebtheit und Tüchtigkeit eine viel größere Rolle: Vergisst Sie im ersten Buch bei ihrer Einarbeitungsphase sogar die Bedienung ihrer Accounts, sorgt die DemoVis- Abstimmung im späteren Verlauf für eine handfeste Krise.14 Dies zeigt, wie sehr Online und Offline-Identität an dieser Stelle bereits miteinander verschwommen sind: Eine Entwicklung, die sich in der faktualen Gegenwart ebenfalls andeutet: Verletzungen durch real nicht bekannte Personen in sozialen Netzwerken führen bereits heute mitunter zur emotionalen Irritationen.15 Innerhalb der Geschichte vollzieht sich dieser Prozess allerdings in einer irrational anmutenden Geschwindigkeit und Intensität: Schließlich verliert Mae fast alle ihre wichtigen realen sozialen Bindungen, worüber sie sich auch explizit bewusst ist.16

Aufgrund der überdeutlichen Illustration der Leichtgläubigkeit bzw. mangelnden Reflexionsfähigkeit (unterstützt von einigen Anachronien und der allgemein eher dramatisch orientierten Erzählweise), in Kombination mit der realen, gegenwärtigen Referenz entsteht im Gesamten beim Rezipienten ein seltener Effekt: Zwar erscheinen die Handlungen von Mae immer wieder alles andere als nachahmenswert, dabei jedoch nie wirklich unrealistisch. Durch das unweigerliche und extrem schnelle Voranschreiten des Prozesses erhält die Handlung im Gesamten zwar eine weitere, eher realitätsferne Dimension, die jedoch wiederum aufgrund des faktualen Referenzrahmens sogleich entsprechend relativiert wird.

[...]


1 Eggers, Dave: Der Circle. Aus dem Amerikanischen v. Ulrike Wasel/Klaus Timmermann. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014, S.82.

2 Vgl. u.a. :Mangold, Ijoama: Diese Welt ist neu, ist sie auch schön? http://www.zeit.de/2014/33/ueberwachung-dave-eggers-circle/seite-5, 17.08.2016.

3 Vgl. Bernard, Andreas: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/der-dritte-kreis-der- hoelle-dave-eggers-der-circle-im-vergleich-mit-huxley-und-orwell-13089429-p2.html, 17.08.2016.

4 Für die erzähltheoretischen wird sich an die Kategorien/Tonalität von Martinez/Scheffel gehalten. Natürlich werden dabei weitere Werke implizit oder explizit mit berücksichtigt und ggf. heran gezogen.

5 Vgl. Martínez, Matías; Scheffel, Michael: Einführung in der Erzähltheorie. 9., erweiterte und aktualisierte Auflage. München: Beck 2012, S. 46.

6 Vgl. u.a. Eggers, D.: Der Circle, S. 15, S. 17, S. 60.

7 Vgl. Martínez, M./Scheffel, M.: Erzähltheorie, S. 38; Lämmert, Eberhard: Bauformen des Erzählens. 1. Auflage. Stuttgart: Metzler 1955, S. 104- 108, Mahne, Nicole: Transmediale Erzähltheorie. 1. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 32- 34. Eggers: Der Circle, S. 86- 87. Eine weitere Analapse findet sich am Anfang, als Annies erfolgreicher und geradliniger Werdegang, im Vergleich zur bisher eher holprigen Laufbahn heraus gestellt wird. Vgl. hierzu: Eggers, D.: Der Circle, S. 9.

8 Vgl. Eggers, D.: Der Circle, S. 86- 87. Deutlich expliziert sich dies an folgender Textstelle (S. 87): „Aber die beiden waren so treuherzig, dass sie nicht Nein sagen konnte, und letztlich hatten sie zusammen so viel Spaß. (…). Dazu befördert die uneingeschränkte Begeisterung Maes für den Circle diese Verhaltensweise, gleich bei der ersten privaten Begegnung mit einem Mann stellt dies Eggers in überpointierter Art und Weise heraus. Eggers, D.: Der Circle: S. 44: „und weil sie jeden im Circle vertraute“.

9 Bei der Erzählung von gesprochenen Worten wird ebenfalls auf direkte Gestaltungsmittel gesetzt. Vgl. hierzu u.a.: Eggers, D.: Der Circle. S. S 49- 50 (Figurenrede). Vgl. ebf. Martínez, M./Scheffel, M.: Erzähltheorie, S. 49- 66, Bal, Mike: Narratology. Introduction to the Theory of Narrative. 1. Auflage. Toronto: University of Toronto Press 1985, S. 102.

10 Vgl. u.a. Eggers, D.: Der Circle, S. 103.

11 Beispielsweise bei den Streitigkeiten mit Annie im zweiten Buch . Vgl. hierzu: Eggers, D.: Der Circle, S. 404.

12 Vgl. Stanzel, Franz. K.: Theorie des Erzählens. 6. unveränderte Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995, S. 58.

13 Besonders deutlich wird dies an den beiden Armbändern illustriert, die Mae trägt: Während die Vorstellung und Erklärung des ersten Armbandes noch mehrere Seiten in Anspruch nahm, wird das zweite Armband (Im Zuge des „Transparent-Werdens“ hinzugekommen) nur noch mit einigen erläuternden Sätzen bedacht. Vgl hierzu: Eggers, D.: Der Circle, S. 177- 183, S.354.

14 Natürlich hängt dies innerhalb des Werkes auch mit den bemerkbaren negativen Folgen, die durch die Vernachlässigung der Online-Kommunikation initiiert werden, zusammen. Vgl. hierzu: Eggers. D.: Der Circle, S. 212- 219, S. 460, 461.

15 Vgl. Höflich, Joachim R.: Der Mensch und seine Medien. Mediatisierte interpersonale Kommunikation. Eine Einführung. 1. Auflage, Wiesbaden: Springer 2016, S.148- 149.

16 Vgl. Eggers, D.: Der Circle, S. 428.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
"Der Circle". Eine postdigitale Dystopie
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
14
Katalognummer
V373959
ISBN (eBook)
9783668512917
ISBN (Buch)
9783668512924
Dateigröße
770 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Der Circle, Roman, Literatur, Dave Eggers
Arbeit zitieren
Cedric Feldmann (Autor:in), 2016, "Der Circle". Eine postdigitale Dystopie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373959

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