Kaum ein anderes literarisches Werk hat im Nachkriegsdeutschland derart unterschiedliche Gefühle bei seinen Rezipienten ausgelöst: Wut, Hass, Abscheu, Unverständnis und Angst. Doch wie sind diese Emotionen zu deuten? Projiziert der Rezipient seine Wut auf die Antisemiten im Stück oder fühlt er sich durch das Verhalten der Nazis wie Müller oder Hans von Gluck sogar
in seinen antisemitischen Denkweisen bestätigt?
Auf Grundlage dieser Fragestellung soll in der vorliegenden Arbeit explizit untersucht werden, inwiefern Fassbinders Text als Lehrstück für Antisemitismus zu verstehen ist. In diesem Zusammenhang ist es unabdingbar, zunächst den jahrzehntelangen Verlauf der so genannten Fassbinder-Kontroversen zu betrachten. Im Anschluss daran soll kritisch begutachtet werden, ob der Vorwurf des literarischen Antisemitismus an "Der Müll, die Stadt und der Tod" (kurz: "Müll") zu Recht erhoben wird. Um den antisemitischen Gehalt des Textes nachweisen zu können, wird im ersten Teil dieser Untersuchung die Darstellung des Reichen Juden aufgezeigt. Anhand dieser Darstellung wird dann analysiert, ob und wenn ja, inwiefern, der Jude im Stück dem Stereotyp nach Martin Gubsers Merkmalskatalog des literarischen Antisemitismus entspricht. Zudem scheint durch das Rachemotiv des Juden und die Figuren Hans von Gluck und Müller ein literarischrn Antisemitismus nach Auschwitz in Müll zu existieren. Daher sollen im zweiten Teil die antisemitischen Aussagen des Textes im Hinblick auf Klaus-Michael Bogdals Untersuchungen zum literarischen Antisemitismus nach 1945 betrachtet werden. Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass diese Analyse auf dem literarischem Text von 1975 beruht. Dies ist insofern relevant, als dass für spätere Schauspielaufführungen einzelne Textpassagen und Figurendarstellungen verändert wurden.
Der dritte Teil dieser Arbeit widmet sich explizit der Wirkung von "Müll" auf den Rezipienten. Ein Vergleich zweier Essays soll eine differenzierte Perspektive auf den Effekt von Fassbinders Stück ermöglichen. Abschließend wird ein Fazit aus all
diesen Untersuchungen gezogen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Fassbinder-Kontroversen
- Überprüfung des antisemitischen Gehalts
- Literarischer Antisemitismus nach Martin Gubser
- Literarischer Antisemitismus nach Klaus-Michael Bogdal
- Zur Wirkung des Stücks
- Ergebnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert Rainer Werner Fassbinders Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ mit dem Ziel, dessen potenziellen Antisemitismus zu untersuchen. Insbesondere soll geklärt werden, ob das Stück als Lehrstück für Antisemitismus zu verstehen ist.
- Analyse der Darstellung des „Reichen Juden“ in Fassbinders Text im Kontext des literarischen Antisemitismus nach Martin Gubser.
- Untersuchung des Rachemotivs des Juden und der Figuren Hans von Gluck und Müller im Hinblick auf den literarischen Antisemitismus nach Auschwitz nach Klaus-Michael Bogdal.
- Bewertung der Wirkung des Stücks auf den Rezipienten anhand eines Vergleichs verschiedener Interpretationen.
- Diskussion der Kontroversen um das Stück und die unterschiedlichen Perspektiven auf dessen antisemitischen Gehalt.
- Bewertung der Relevanz und des Risikos, dass das Stück antisemitische Stereotype reproduziert.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik und Fragestellung der Arbeit ein und stellt den Kontext des Stücks „Der Müll, die Stadt und der Tod“ sowie die kontroversen Reaktionen auf dessen Veröffentlichung dar.
Das zweite Kapitel behandelt die Fassbinder-Kontroversen und gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Reaktionen auf das Stück, insbesondere die Vorwürfe des Antisemitismus und die Argumentation des Autors.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der Überprüfung des antisemitischen Gehalts von „Der Müll, die Stadt und der Tod“. Im ersten Teil wird die Darstellung des „Reichen Juden“ im Hinblick auf Martin Gubsers Merkmalskatalog des literarischen Antisemitismus analysiert. Im zweiten Teil werden die antisemitischen Aussagen des Stücks im Kontext von Klaus-Michael Bogdals Forschung zum literarischen Antisemitismus nach 1945 betrachtet.
Das Kapitel „Zur Wirkung des Stücks“ betrachtet den Effekt des Stücks auf den Rezipienten anhand zweier verschiedener Interpretationen.
Schlüsselwörter
Literarischer Antisemitismus, Rainer Werner Fassbinder, „Der Müll, die Stadt und der Tod“, Antisemitismus-Debatten, Martin Gubser, Klaus-Michael Bogdal, Stereotyp, „Reicher Jude“, Holocaust, Rachemotiv, Wirkung des Stücks, Rezeption.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2015, Rainer Werner Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod". Ein Lehrstück des Antisemitismus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373993