Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Die Language of Thought Hypothese
1.1 Mentale Repräsentationen
1.2 Kausale und semantische Beziehungen
1.3 Kombinatorische Syntax & Semantik
2 Konnektionismus und die klassische Alternative
2.1 Grundzüge konnektionistischer Modelle
2.2 Konnektionistische & klassische Modelle
3 Fodors Kritik und konnektionistische Entgegnungen
3.1 Lokale & verteilte Repräsentation
3.2 Konkatenation
4 Das Verhältnis des Konnektionismus zur LOTH
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Verhalten von Menschen zeigt selbst in Bezug auf kleine Unterschiede eine bemerkenswerte Vielfalt. Von außen betrachtet ist es schwer zu entscheiden, ob jemand ein Gedicht entwirft, oder bloß aus dem Gedächtnis abschreibt – und doch ist das ein wesentlicher Unterschied. Wir sind in der Lage komplizierte Abfolgen von Handlungen zu planen, rationale Schlussfolgerungen zu ziehen und lösen oftmals auf unvorhersehbare Art und Weise die unterschiedlichsten Probleme. Für gewöhnlich erklären wir all das mit dem Vorhandensein von inneren Vorgängen, in denen wir uns mit unserer Umwelt in Beziehung setzen: dem Denken (Kognition). Früher wurde gemeinhin angenommen, dass dafür eine vom Körper unabhängige Seele nötig ist. Heute, im Zeitalter des physikalischen Weltbilds, gehen wir davon aus, dass auch Denken ein physischer Vorgang ist. Dennoch bleibt es eine große, längst nicht abgeschlossene Herausforderung für die Naturwissenschaften, menschliches Denken zu erklären. Wie können physische Wesen auf so vielfältige Art und Weise planen, schlussfolgern und darauf aufbauend handeln?
Die Language of Thought Hypothese (LOTH) ist ein Ansatz, diese Fragen zu beantworten. Ihr zufolge müssen die physischen Prozesse, die unser Denken ausmachen, in einer mentalen Sprache ablaufen, um sowohl derart vielfältig als auch kausal wirksam zu sein. Diesem Ansatz zufolge kann ein Gedanke nur so etwas wie ein Satz in unserem Gehirn sein, der nach bestimmten grammatikalischen Regeln aus Symbolen zusammengesetzt ist. Denken würde dann einen Mechanismus beinhalten, der solche Sätze verarbeitet und sie mit unserem motorischen und verbalen Verhalten verschaltet.
Mit dem Konnektionismus hat sich in den letzten vier Jahrzehnten eine Bestrebung in den Kognitionswissenschaften etabliert, welche versucht die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen mithilfe künstlicher Netzwerke zu modellieren. Diese ahmen die Funktionsweise der neuronalen Netze im menschlichen Gehirn nach. Jerry Fodor, der bedeutendste Vertreter der LOTH, übt Kritik an konnektionistischen Modellen. Ihm zufolge seien sie nicht in der Lage bestimmte Eigenschaften menschlichen Denkens zu erklären und damit die Anforderungen der LOTH an eine Theorie der Kognition zu erfüllen. Währenddessen meinen viele Konnektionisten bestimmte Modelle konstruiert zu haben, die wichtige Aspekte menschlichen Denkens aufweisen, ohne einer Language of Thought zu bedürfen.
Murat Aydede fasst dieses angespannte Verhältnis anders auf. Er plädiert für die Auffassung, dass auch die besagten konnektionistischen Modelle eine Language of Thought (LOT) voraussetzen. Damit verneint er aber nicht, dass mit ihnen maßgebliche Neuerungen in die Kognitionswissenschaften gekommen sind. Diese Neuerungen bestünden nur nicht in der Schaffung eines neuen Paradigmas, das die Vorherrschaft der LOTH bedroht. Stattdessen stellten konnektionistische Modelle, sofern sie erfolgreich darin seien grundlegende Aspekte menschlichen Denkens zu erklären, eine neue Art und Weise dar, eine Language of Thought zu realisieren. Wie sollte man das Verhältnis zwischen der LOTH und dem Konnektionismus nun auslegen? Die Beantwortung dieser Frage erfordert zunächst ein klares Verständnis der diskutierten Positionen. Meine Arbeit gliedert sich daher in folgende Abschnitte:
§1 Was besagt die Language of Thought Hypothese im Detail und durch welche Argumente wird sie gestützt?
§2 Was genau hat man sich unter dem Konnektionismus vorzustellen und was ist sein Verhältnis zum klassischen Ansatz in den Kognitionswissenschaften?
§3 Was ist der Kern der Auseinandersetzungen zwischen Fodor und den Konnektionisten?
§4 Was ist das Verhältnis des Konnektionismus zur LOTH ?
Ich werde dafür argumentieren, den Konnektionismus als einen neuen Ansatz in den Kognitionswissenschaften aufzufassen, der den Klassizismus herausfordert, dabei aber immer noch in der Tradition der LOTH steht.
1 Die Language of Thought Hypothese
Die LOTH hat zum Inhalt, dass es Eigenschaften menschlichen Denkens gibt, die den Schluss auf eine sprachähnliche Struktur der zugrundeliegenden Denkprozesse erzwingen. Dabei sollte man die LOTH nicht als ein konkretes Modell vom kognitiven Apparat des Menschen missverstehen. Stattdessen wäre es angemessen zu sagen, dass sie solchen Modellen bestimmte Bedingungen auferlegt. Um das im Detail zu erläutern, werde ich mich in diesem Abschnitt mit den Argumenten von Jerry Fodor beschäftigen, den ich für den maßgeblichen Vertreter der LOTH halte.
1.1 Mentale Repräsentationen
Wir gehen davon aus, dass vieles von unserem Verhalten durch bestimmte Gedanken - Wünsche und Überzeugungen - verursacht wird. In der philosophischen Debatte fallen solche Gedanken unter den Begriff der propositionalen Einstellung. Hat ein Subjekt eine Überzeugung oder einen Wunsch, so lässt sich dies so auffassen, dass es eine bestimmte Einstellung gegenüber einer Proposition, d.h. dem Inhalt eines Satzes hat. Wenn man aber davon ausgeht, dass propositionale Einstellungen Verhalten verursachen, stößt man auf ein Problem. Wir sind konkrete physische Wesen, Propositionen hingegen sind abstrakte Entitäten. Es ist sinnlos zu fragen, wo sich der Inhalt eines Satzes befindet, oder bis wann es ihn noch geben wird, er existiert nicht in Raum und Zeit. Damit sich ein Subjekt dennoch auf einen Inhalt beziehen und somit mithilfe von Gedanken sein Verhalten steuern kann, braucht es einen Umweg. Nach Fodor muss es innere Stellvertreter für Teile der Wirklichkeit - mentale Repräsentationen - geben, die sich buchstäblich in unserem Gehirn befinden. Nur vermittelt über solche Repräsentationen können wir in einem Verhältnis zu Propositionen stehen [vgl.1, s. 236] und somit kausal wirksame Gedanken haben. Eine propositionale Einstellung zu haben hieße, in einem bestimmten funktionalen Verhältnis zu einer mentalen Repräsentation zu stehen, die die entsprechende Proposition bedeutet [vgl.1, s. 236]. Etwas zu wünschen, wäre dann nichts anderes, als die richtigen Repräsentationen im Kopf und einen bestimmten inneren „Mechanismus“ zu haben, der sich der Repräsentationen bemächtigt und sie zu einem für einen Wunsch angemessenen Verhalten verarbeitet [vgl.2, s.125]. Ein adäquates Modell menschlicher Kognition müsste dementsprechend über Bestandteile, die etwas Äußeres repräsentieren und einen Mechanismus, der sie angemessen verarbeiten kann, verfügen.
1.2 Kausale und semantische Beziehungen
Menschen haben nicht nur einzelne Gedanken, sondern auch Gedankengänge. Beispielsweise gehen wir davon aus, dass bestehende Wünsche und Überzeugungen neue Wünsche und Überzeugungen verursachen können. Wenn Gedanken auf mentale Repräsentationen zurückzuführen sind, muss der kognitive Mechanismus also derart beschaffen sein, dass ein Vorkommnis einer mentalen Repräsentation darin ein Vorkommnis einer anderen kausal verursachen kann. Gedankengänge sind nun keine zufälligen, sondern semantisch sinnvolle Abfolgen von Überzeugungen, Wünschen, etc. Nehmen wir ein Beispiel: Ich denke, dass ‚Menschen sterblich sind‘ und dass ‚Sokrates ein Mensch ist‘ und folgere daraus, dass ‚Sokrates sterblich ist‘. Wenn das auf eine kausale Abfolge mentaler Repräsentationen zurückzuführen ist, stellt sich folgende Frage: Wie genau kann es der Fall sein, dass die kausalen Beziehungen zwischen Repräsentationen parallel zu den semantischen Beziehungen zwischen den Propositionen sind, die sie bedeuten [vgl.1, s.237]? Computer lösen genau dieses Problem: sie verbinden die kausalen und semantischen Eigenschaften eines Symbols mithilfe seiner Syntax [vgl.1, s.237] – also (in grober Annäherung) seiner physischen Form. Unsere mentalen Repräsentationen müssen Fodor zufolge also über eine solche Syntax verfügen, dass der kognitive Mechanismus semantisch sinnvolle Transformationen von mentalen Repräsentationen durchführen kann [vgl.1, s.238-239]. Repräsentationen müssen also nur aufgrund ihrer formalen Eigenschaften auf eine Art und Weise verarbeitet werden, die ihren semantischen Eigenschaften Rechnung trägt.
1.3 Kombinatorische Syntax & Semantik
Das Kernstück der LOTH ist die Aussage, dass die Syntax und Semantik mentaler Repräsentationen kombinatorisch sein müssen [vgl.3, s.12-13]. Das würde bedeuten, dass strukturell einfache Repräsentationen mit einfachen Bedeutungen zu strukturell komplexen Repräsentationen mit komplexen Bedeutungen zusammensetzbar wären. Dabei ergäbe sich die Bedeutung einer komplexen Repräsentation ausschließlich aus der Bedeutung ihrer Bestandteile und ihrer Konstituentenstruktur, also der Art, wie diese Bestandteile miteinander verknüpft sind [vgl.3, s.12]. Die gleichen einfachen könnten in unterschiedlichen komplexen Repräsentationen auftreten, sie wären also transportierbar. Das wäre analog zu Sätzen aus natürlichen Sprachen, die ebenfalls aus einfachen, transportierbaren Bestandteilen – Wörtern, bzw. Satzgliedern - zusammengesetzt sind, die nach bestimmten Regeln miteinander verknüpft werden können.
Warum aber sollten Repräsentationen so strukturiert sein? Fodor behauptet, dass nur unter dieser Voraussetzung die Produktivität und Systematizität des Denkens erklärt werden können. Er argumentiert folgendermaßen: Obwohl der Mensch ein materielles und damit endliches Wesen ist, scheint die Anzahl möglicher Gedanken, die jeder einzelne haben kann, auf den ersten Blick unbegrenzt zu sein [vgl.2, s.140]. All diese Gedanken können unmöglich jeweils einzeln im Gedächtnis einer Person abgespeichert sein, um im Denken bloß abgerufen zu werden. Es muss einen Mechanismus geben, der mit endlichen Mitteln unendlich viele unterschiedliche Gedanken erzeugen kann. Das ist es, was mit der Produktivität des Denkens gemeint ist. Natürliche Sprachen sind produktiv, das liegt an der kombinatorischen Struktur von Sätzen: aus einer endlichen Anzahl an Wörtern lassen sich nach bestimmten Regeln unendlich viele unterschiedliche Sätze bilden. Es ist dann naheliegend, eine kombinatorische Struktur von Gedanken, bzw. Repräsentationen anzunehmen. Was sonst könnte die Produktivität des Denkens erklären?
Fodor zufolge soll Denken aber nicht nur produktiv, sondern auch systematisch sein. Die Fähigkeit bestimmte Gedanken zu haben, gehe mit der Fähigkeit einher, bestimmte andere Gedanken zu haben. Ein Mensch, der denken könne, dass John Mary liebt, sei der Regel nach auch in der Lage zu denken, dass Mary John liebt. Unsere sprachlichen Fähigkeiten sind auch systematisch. Muttersprachler wissen mehr, als eine große Menge isolierter Sätze. Stattdessen beherrschen sie ein System, nach dem sie gleich viele Sätze auf einmal bilden und verstehen können. Wer als Muttersprachler den Satz „Karl ist größer als Georg“ versteht, versteht notwendigerweise auch den Satz „Georg ist größer als Karl“ und andere ähnlich geformte Sätze. Das ist nur möglich, weil Sätze eine kombinatorische Struktur haben. Unterschiedliche Sätze können dementsprechend ähnlich geformt sein. Hätten Gedanken, bzw. Repräsentationen ebenfalls eine kombinatorische Struktur, würde dies erklären, warum Denken systematisch sei [vgl.2, s.143].
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