Zwischen 1776 und 1778 schrieb Johann Wolfgang von Goethe ein Gedicht, welches später in zwei weiteren Variationen erscheinen sollte. An den Mond ist ein lyrisches Werk seiner ersten Weimarer Jahre. Eine der beiden darauf folgenden Fassungen schrieb er selbst nieder, sie wurde 1789 in den Schriften veröffentlicht, die andere stammt von Charlotte von Stein. In der hier vorliegenden Arbeit sollen drei verschiedene Aufsätze, welche sich jeweils mit dem Gedicht – auch teilweise in seinen drei Varianten – in unterschiedlicher Weise auseinandersetzen, untersucht werden. Dabei gilt es, verschiedenartige wie auch ähnliche Positionen der Autoren zu vergleichen und nachzuvollziehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Wolfgang Schadewaldt: „Mond und Sterne in Goethes Lyrik – ein Beitrag zu Goethes erlebtem Platonismus“
2.1 „Musikalität der Sprache“
2.2 Das „innere melodische Fortströmen der Empfindungen“
2.3 Das ´sympathetische Einssein mit der Natur`
3. Emil Staiger: „Goethe. Frühe Weimarer Lyrik“
3.1 Goethes Mondlied: Geklärte und ungeklärte Fragen
3.2 „Des Menschen Seele gleicht dem Wasser“
3.3 „Der Mensch taucht auf“
4. Helmut Arntzen: „An den Mond“
4.1 Bekannte und neue Fragen
4.2 Akzentuierungen
4.3 „Bewegung“ als Quintessenz des Gedichts
5. Zusammenfassung – Ein Vergleich
6. Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Zwischen 1776 und 1778 schrieb Johann Wolfgang von Goethe ein Gedicht, welches später in zwei weiteren Variationen erscheinen sollte. An den Mond ist ein lyrisches Werk seiner ersten Weimarer Jahre. Eine der beiden darauf folgenden Fassungen schrieb er selbst nieder, sie wurde 1789 in den Schriften veröffentlicht, die andere stammt von Charlotte von Stein.
In der hier vorliegenden Arbeit sollen drei verschiedene Aufsätze, welche sich jeweils mit dem Gedicht – auch teilweise in seinen drei Varianten – in unterschiedlicher Weise auseinandersetzen, untersucht werden. Dabei gilt es, verschiedenartige wie auch ähnliche Positionen der Autoren zu vergleichen und nachzuvollziehen.
2. Wolfgang Schadewaldt
„Mond und Sterne in Goethes Lyrik – Ein Beitrag zu Goethes erlebtem Platonismus“
In dem Aufsatz „Mond und Sterne in Goethes Lyrik – ein Beitrag zu Goethes erlebtem Platonismus“ führt Wolfgang Schadewaldt Werke Goethes an, die vor allem das Motiv des Mondes, aber auch der Sterne, enthalten. Das Gedicht An den Mond erläutert er in den Absätzen vier und fünf. Jedoch handelt es sich hierbei um die erste, zwischen 1776 und 1778 entstandene Fassung des bekannten Gedichts von 1788/89, die seiner Meinung nach „weniger geglättet“ ist als die zweite und trotzdem – oder genau deshalb - „die Grundverhältnisse deutlicher sichtbar macht“[1]. Diese ursprüngliche Fassung zeigt teilweise erhebliche Abweichungen von dem späteren Gedicht. Dennoch stimmen die beiden Werke in einigen wesentlichen Punkten überein. Im Folgenden soll der Abschnitt vier des Beitrages von Wolfgang Schadewaldt nachvollzogen und erörtert werden. Zusätzlich möchte ich über den von ihm angesprochenen Punkten einen Vergleich zwischen den beiden Gedichten ziehen.
Zu Beginn seiner Ausführungen gibt Schadewaldt einen kurzen Hintergrund zur Entstehungszeit des Gedichtes. Goethe befindet sich in Weimar, in einer Zeit der Unruhe, des „zerstreuten Hof- und Beamtenlebens“. Ein damit verbundenes Bedürfnis nach Ruhe und Ausgeglichenheit ist naheliegend. Dieses gefunden zu haben, beschreibt Goethe in mehreren Gedichten: Im nächtlichen Anblick des Mondes erkennt er eine „beruhigende [...], gesundende Wirkung“ durch das „unendlich stille [...] Licht“[2], wie es Schadewaldt ausdrückt. Das Gedicht An den Mond ist für den Autor „in mehrfacher Hinsicht“(ebd.) bedeutend. Die unter dieser Aussage von ihm genannten Punkte sollen als Thesen untersucht werden:
Zunächst führt das Gedicht dem Leser das „sympathetische Einssein des menschlichen Innern mit der Natur“[3] vor. Dieser Aspekt – welcher in Schadewaldts Abhandlung immer wieder auftaucht - gibt bereits an, dass in dem Gedicht geheime Gefühlswirkungen eine Rolle spielen, die sich im Verschmelzen des Menschen mit der Natur aufzeigen. Weiterhin spricht Schadewaldt von einer „Gesungenheit“, die sich beispielsweise in der „Musikalität der Sprache“ und dem „inneren melodischen Fortströmen der Empfindungen“[4] ausdrückt. Dieses Projizieren des Gedichtes in die musikalische Ebene – das sprachliche Werk wird als Lied, als Komposition empfunden – wird vom Autor nicht näher erläutert. Dennoch halte ich es für interessant, auch diesen Gedanken etwas ausführlicher zu untersuchen und die Urfassung sowie das spätere Gedicht auf die Ursachen dieser „musikalischen“ Wirkungen hin zu analysieren.
2.1 „Musikalität der Sprache“
Bei der Betrachtung der „Musikalität der Sprache“ besitzt die Metrik eine bezeichnende Funktion. In beiden poetischen Werken finden sich Vierzeiler, bei der älteren Fassung in sechs, bei der jüngeren in neun Strophen, sowie durchgehend trochäische Verse, also in Hebung und Senkung alternierende Strophen ohne Auftakt. Die Gedichte beginnen vierhebig und wechseln sich im weiteren Verlauf mit dreihebigen Zeilen ab. Dies erzeugt eine gewisse Regelmäßigkeit. Bei den vier beziehungsweise drei Trochäen ist jeweils der letzte um eine Senkung verkürzt, sodass an den Zeilenübergängen zwei Hebungen aufeinander treffen. Dadurch erhält jede Zeile für sich eine stärkere Trennung von der vorhergehenden und somit auch eine ausdrücklichere Betonung. Dies erzeugt ferner beim Leser das Gefühl, dass jede Zeile des Gedichts wichtig und unentbehrlich ist. Der Eindruck der bereits erwähnten Periodizität wird noch durch den Kreuzreim verstärkt, der besonders dazu beiträgt, dass das poetische Werk an den Liedvers erinnert. ´Der Liedvers ist grundsätzlich alternierend, benutzt hauptsächlich drei- und vierhebige Verse, auch im Wechsel, sowie auftaktige und auftaktlose Verse – ebenfalls abwechselnd`[5]. Diese Kriterien treffen nun genau auf beide Gedichte Goethes zu. Noch näher an die Musik gelangen sie durch ihre Ähnlichkeit mit Merkmalen der Volksliedstrophe, welche meistens vier Verse und überwiegend Kreuzreime aufzeigt. Die Überlegungen zur „Musikalität der Sprache“ abschließend, möchte ich noch auf eine Formulierung in Strophe sechs der jüngeren Fassung hinweisen. Hier fordert das lyrische Ich den vorbeiströmenden Fluss auf, er soll „meinem Sang / Melodien (zuflüstern)“. Das Geräusch des Rauschens – als Wort übrigens ein Mittel der Lautmalerei – stellt zwischen Fluss und Individuum insofern eine Art Verbindung auf musikalischer Ebene her, als dass das lyrische Ich im natürlichen Klang des Flusses Töne, ja Melodien zu erkennen glaubt, die dem eigenen Gesang eine Unterstützung sein können.
2.2 Das „innere melodische Fortströmen der Empfindungen“
Um Schadewaldts Ansicht vom innere melodische Fortströmen der Empfindungen[6] nachzuvollziehen, halte ich es für sinnvoll, die beiden Fassungen des Gedichts direkt im Vergleich zu untersuchen. Die erste Strophe beginnt jeweils mit positiven Eindrücken: „still“ legt sich „Nebelglanz“[7] herab und bewirkt beim lyrischen Ich eine seelische Gelöstheit. Die kleine Veränderung im späteren Gedicht – hier wird nicht das „liebe Tal“, sondern „Busch und Tal“ mit ´Nebel gefüllt`[8] – lässt den Beginn des Verses etwas neutraler erscheinen, die reine Beobachtung tritt mehr in den Vordergrund. In der zweiten Strophe werden nun weiterhin die persönlichen Empfindungen ausgeführt. Das Licht des Mondes, welches auf die Erde herabscheint, wirkt „lindernd [...] / Wie der Liebsten Auge, mild“. Im jüngeren Werk ist es nicht mehr der Blick der Liebsten, sondern der des Freundes. Nun mag man meinen, diese Veränderung bedeute gleichzeitig eine Abschwächung der Empfindung, da die Freundschaft in ihrer Bedeutsamkeit – vor allem auch in der heutigen Zeit der Zweckfreundschaften – im Allgemeinen unter der Liebe stehe. Doch „Freundschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war anders als zuvor und nachher. [...] Freunden und Freundesbeziehungen wurde eine Bedeutung zugemessen, die früher religiösen Zügen vorbehalten war.“[9] Ob die Liebste oder der Freund – der Vergleich des Anblicks des Mondes mit dem Blick, mit der Anwesenheit eines geliebten Menschen, zeigt meinem Eindruck nach einen flüchtigen Moment innerer Zufriedenheit des lyrischen Ichs, der sich jedoch nur auf ein kurzes Innehalten beschränkt, denn in dem „Blick“ liegt lediglich ´Linderung`, keine ´Erlösung`. In den ersten beiden Strophen überwiegen dementsprechend positive, die Seele beruhigende, alles Negative lindernde Gefühle. Mit dem nächsten Vers des Gedichtes von 1776/78 weicht diesem anfänglichen Zustand der Erleichterung jedoch ein scheinbar dunkler werdendes Bild. Dieses wird hervorgerufen durch den Ausdruck „Herz in Brand“, welches „wie ein Gespenst, / An den Fluß gebannt“[10] wird. Es zeigt sich auf diese Weise, dass das lyrische Ich innerlich nicht etwa ruhig und gelöst ist, wie es zunächst den Anschein hatte, sondern viel mehr aufgewühlt und bewegt. Diese Unruhe erklärt es damit, dass sein Herz und auch seine Gedanken (noch immer) an den beständig strömenden, sich verändernden ´Fluss gebannt` sind. Man kann daraus schlussfolgern, dass das lyrische Ich sich zwischen zwei Welten befindet. Auf diesen Punkt soll später noch genauer eingegangen werden. Jene Zwiegespaltenheit setzt sich auch in der vierten Strophe fort, welche – im Gegenteil zur dritten – nun wieder in beiden Fassungen des Gedichts - mit jeweils kleinen Abweichungen voneinander - vorhanden ist. Zunächst besteht die trübe Stimmung weiter, wird sogar noch in negativer Richtung gesteigert, was besonders im früheren Vers hervortritt, denn hier ist von “öder Winternacht“ und „vom Tode“10 die Rede. Die spätere Formulierung fällt dagegen etwas neutraler aus: die Winternacht wird nur noch mit einem Artikel beschrieben und das Überschwellen des Flusses „vom Tode“ ist nur „wütend“, was weniger dramatisch klingt, dafür aber direkt ein Gefühl ausdrückt, was im Rückschluss auch wieder die auf den Fluss übertragenen Empfindungen des lyrischen Ichs darstellt. In derselben Strophe tauchen nun wieder positive, zärtliche Gefühle auf, es gibt eine Art Wiedererwachen, dargestellt durch „Frühlingslebens Pracht“10 beziehungsweise „Frühlingspracht“11. Der folgende Vers knüpft an diese Stimmung an, was schlicht durch die Schlüsselwörter „selig“, „ohne Hass“, „genießt“ und in der späteren Fassung zusätzlich „Freund“ beschrieben wird. Das Werk abschließend überwiegen in der letzten Strophe weder positive, noch negative Gefühle, es wird lediglich das „Labyrinth der Brust“, also das Hin- und Hergerissensein, erwähnt. Damit erscheint dieses Gedicht in sich geschlossen. Die Empfindungen des lyrischen Ichs sind im „melodischen“, das heißt nicht abgerissenen, sondern aufeinander folgenden „Fortströmen“ begriffen.
2.3 Das ´sympathetische Einssein mit der Natur`
In seiner Darlegung spricht Schadewaldt vom „sympathetischen Einssein des menschlichen Innern mit der Natur“. Er stellt die Behauptung auf, dass man zum Verstehen des Gedichtes in diesem Sinne, erkennen müsse, wie Goethe die Vorkommnisse in der Natur zum einen als Naturerscheinungen, zum anderen als „unwillkürliche Symbole für die inneren Kräfte und Formen des Daseins [...]“ beschreibt. Diese geheimnisvollen inneren Kräfte spielen bei Goethes Werken häufig eine Rolle, später ließ er seinen Faust es folgendermaßen ausdrücken: „Daß ich erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält“[13]. Schadewaldt stellt fest, „wie ihm so aus den wesenhaft gefassten Dingen der Wirklichkeit eine eigentliche poetische Bilder-Sprache zuwächst“[14]. Goethe nimmt – anders ausgedrückt - die Erscheinungen der Natur, der Wirklichkeit wahr, nimmt sie in sich auf und bringt sie in mit Symbolen und Metaphern durchsetzten Ausdrücken wieder hervor. Dies lässt sich auch gut an dem von Schadewaldt aufgeführten Beispiel ´Fluss` nachvollziehen, welcher auf der einen Seite „die reale, vor Goethes Gartenhaus dahinströmende Ilm“ beschreibt, auf der anderen Seite „als Symbol der Veränderung, der Vergänglichkeit, des [...] ruhelosen Hingerissenwerdens durch das Schicksal“[15] steht. Weitere Beispiele aus An den Mond, die Schadewaldt zu dieser Position gebracht haben könnten, möchte ich im Folgenden betrachten. Hierbei gehe ich von einer Art Doppeldeutigkeit aus, die den Worten zu eigen sein muss: zum einen wird ein sichtbarer Vorgang beschrieben, zum anderen gibt es eine deponierte Bedeutung, einen übertragenen Sinn hinter den Ausdrücken.
[...]
[1] Goethe und die Tradition. Hrsg. von H. Reiss. ATHENÄUM. Frankfurt a. M. 1972 S. 64
[2] Goethe und die Tradition. Hrsg. von H. Reiss. ATHENÄUM. Frankfurt a. M. 1972 S. 64
[3] Goethe und die Tradition. Hrsg. von H. Reiss. ATHENÄUM. Frankfurt a. M. 1972 S. 65
[4] Ebd.
[5] Vgl. „Abitur Wissen Deutsch“, hrsg. von Hermann Stadler, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1973, 1979, 1983, Überarbeitete Neuausgabe 1999
[6] Anmerkung: zum besseren Nachvollziehen des Verlaufs der Empfindungen, sind entsprechende Ausdrücke von mir kursiv gedruckt hervorgehoben
[7] „An den Mond“. Johann Wolfgang von Goethe
[8] Vgl. „An den Mond“. Johann Wolfgang von Goethe
[9] Goethe für Anfänger. Hrsg. von K. Gómez-Montero und I. Reul. DuMont. Köln 1998 S.53
[10] „An den Mond“. Johann Wolfgang von Goethe 1776 - 1778
[11] „An den Mond“. Johann Wolfgang von Goethe 1788/89
[13] Goethe. Poetische Werke.Aufbau – Verlag Berlin und Weimar 1978 S.8
[14] Goethe und die Tradition. Hrsg. von H. Reiss. ATHENÄUM. Frankfurt a. M. 1972 S. 65
[15] Goethe und die Tradition. Hrsg. von H. Reiss. ATHENÄUM. Frankfurt a. M. 1972 S. 65
- Arbeit zitieren
- Julia Schlichter (Autor:in), 2003, Mond und Sterne in Goethes Lyrik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37481
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