Wortbildung im spanischen Substandard . Die Sprache von Jugendlichen in den Filmen "Hola, estás sola?" und "Barrio"

Eine Untersuchung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

41 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Sprachlicher Substandard
1.1 Terminologische Annäherung: Standard vs. Substandard
1.2 Substandard im Spanischen

2. Jugendsprache
2.1 Soziopsychologische Voraussetzungen und Funktionen der Jugendsprache
2.2 Jugendsprache als Element des Substandards
2.3 Besonderheiten der Jugendsprache im Spanischen
2.4 Wortbildung in der spanischen Jugendsprache

3. Korpusanalyse zur Wortbildung in der spanischen Jugendsprache
3.1 Beschreibung des Textkorpus: Die Filme Barrio von Fernando León de Aranoa und Hola, ¿estás sola? von Icíar Bollaín
3.2 Untersuchungsmethode
3.3 Ergebnisse

Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

Anhang

Einleitung

„¿Qué pasa, tío, has visto la peli?”, überschreibt Javier G. Vilatella seinen „Guía básica para hablar con un joven en España“[1], der im Februar 2004 als einer der Leitartikel der sowohl von Lehrenden als auch von Lernenden der spanischen Sprache vielfach genutzten Zeitschrift Ecos erschien. Dass es neben der Standardsprache vor allem die von spanischen Jugendlichen gesprochene Varietät ist, die für eine problemlose Kommunikation mit den Altersgenossen von Bedeutung sein könnte, hat mittlerweile auch die fremdsprachendidaktische Diskussion hervorgehoben.[2] Jugendsprache wird somit auch zum didaktisch relevanten Thema erklärt, wobei das Interesse hier mit Sicherheit in erster Linie im Verständnis und in der Anwendung und Einübung lexikalischer Besonderheiten und Strukturen besteht. Auch die wissenschaftliche Analyse von Jugendsprache hat sich lange Zeit auf die Erstellung von Wortlisten und Lexeminventaren beschränkt und übergreifende Fragestellungen nicht in den Blick genommen. Vor allem das Verhältnis der Sprache von Jugendlichen zur Standardvarietät einerseits und zur Umgangssprache bzw. zum sprachlichen Substandard andererseits erscheint für die Untersuchung von Jugendsprache jedoch von äußerst großer Bedeutung. Diesem Verhältnis nachzugehen und Berührungspunkte zwischen Jugendsprache einerseits und der Varietät des Substandards andererseits, sowohl allgemein als auch auf einzelsprachlicher Ebene, aufzuzeigen, ist das Ziel dieser Arbeit. Da die Wortbildung in der Forschungsliteratur immer wieder als für die jugendsprachliche Varietätenkonstitution bedeutender Prozess benannt wird, sollen die Verfahren der Wortbildung in der spanischen Jugendsprache auch den Schwerpunkt dieser Arbeit darstellen. Dabei soll jedoch eine durchaus kritische Auseinandersetzung mit dieser Konzentration auf morphologische Verfahren angestrebt werden, welche durch die eigene Untersuchung der Sprache von Jugendlichen in zwei spanischen Filmen gestützt werden soll.

Um zunächst eine terminologische und definitorische Klärung des Substandardbegriffs anzustreben, wird im ersten Kapitel zunächst die allgemeine Diskussion um die Abgrenzung der Standardsprache vom Substandard in groben Zügen referiert, um im Anschluss die Besonderheiten der spanischen Varietät des Substandards aufzuzeigen. Auch das zweite Kapitel wendet sich zunächst auf allgemeiner Ebene der Jugendsprache zu, wobei als erstes die soziopsychologischen Voraussetzungen und Funktionen der Sprache von Jugendlichen geklärt werden sollen, um dann zu erörtern, inwieweit Jugendsprache als ein Bestandteil des sprachlichen Substandards aufzufassen ist. Im Anschluss sollen erneut die Besonderheiten der spanischen Sprache aufgezeigt werden: Neben den allgemeinen Ausführungen zur spanischen Jugendsprache soll hier, wie bereits erwähnt, der Schwerpunkt auf die spezifischen Verfahren der Wortbildung gelegt werden. Im dritten und letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit soll anhand einer Korpusanalyse zur Sprache von Jugendlichen in den Filmen Hola, ¿estás sola? und Barrio überprüft werden, inwieweit sich die zuvor zusammengefassten Erkenntnisse der linguistischen Forschung auch hier wiederfinden lassen. Hierzu wird zunächst der Textkorpus näher beschrieben, wobei sowohl auf die Eignung des Mediums Film im allgemeinen als auch die Relevanz der ausgewählten Filme im besonderen eingegangen werden soll. Im Anschluss hieran soll die Untersuchungsmethode kurz skizziert werden, um dann die Ergebnisse der Analyse vorzustellen. Den Schluss der Arbeit bildet die Diskussion der Ergebnisse in den Schlussbemerkungen, die den Blick auch auf offene Probleme und Fragen der Linguistik in bezug auf die Erforschung von Jugendsprache richten sollen.

1. Sprachlicher Substandard

1.1 Terminologische Annäherung: Standard vs. Substandard

Ebenso wie der Begriff des Standards erscheint auch der hiervon abgeleitete Begriff des Substandards als sprachwissenschaftliche Konstruktion, wobei die Verwendung beider Begriffe häufig nicht unbedingt mit deren reflektierter Klärung verbunden ist.[3] Die Beschreibung des Substandards ist stark an die jeweilige Tradition der Einzelphilologie gebunden, wobei sich diese meist aus der jeweils verschiedenen sprachgeschichtlichen Normierungsentwicklung ergibt. Holtus und Radtke machen daher darauf aufmerksam, dass Phänomene des Non- oder Substandards[4] in unterschiedlichen Philologien meist auch mit jeweils unterschiedlichen terminologischen Instrumentarien belegt worden sind, so dass eine übersprachliche Vergleichbarkeit von Untersuchungen erschwert wird.[5] Am Beispiel der Romanischen Philologie zeigen sie, dass hier selbst innerhalb der Einzelphilologie die Substandardforschung vollkommen unterschiedlichen Fragestellungen nachgeht: Während einerseits auf sprachgeschichtlicher Ebene der Frage nachgegangen wird, inwieweit Vulgär-, Spontan- oder Sprechlatein sich von der als klassisch angesehenen Schriftsprache unterscheidet, steht auf der anderen Seite aber auch die Analyse und Interpretation von standardfernen Varietäten im Zentrum der Diskussion, die in der entsprechenden Nomenklatur auch als ‚Umgangssprache’, ‚Volkssprache’ oder ‚Argot’ bezeichnet werden. Versucht wird hier, die Analyse von Sprache auszudehnen auf diejenigen Bereiche, „die als abweichend vom anerkannten, soziolinguistisch determinierten Standard bewertet werden.“[6] Substandard wird damit eng gekoppelt an die jeweilige Normausprägung einer Sprache[7], wobei sich der Normbegriff in der Sprachwissenschaft als ebenso problematisch und mehrdeutig erweist: „‚Norme’ est un des termes les plus ambigus et les plus polysémiques des sciences du langage.“[8] Zu bemerken ist jedoch, dass der Entwicklung, Etablierung und Durchsetzung von Sprachnormen in der Sprachwissenschaft zumeist wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde als dem entgegengesetzten Pol, der standardfernen Sprache. Eine Sprachgeschichte des Substandards kann somit nur auf die Randbemerkungen in Abhandlungen zur Normierungsgeschichte der jeweiligen Sprache rekurrieren. Während die frühe Substandardforschung die Sprache häufig „mit einem ‚normierenden Blick’“[9], der die Abweichungen von der jeweiligen Norm als Fehler kennzeichnete, betrachtete, wird heute versucht, möglichst wertfrei und neutral Tendenzen und Entwicklungslinien der Sprachentwicklung aufzuzeigen, die außerhalb einer Standardsprache existieren, und deren Strukturen und Funktionen zu beschreiben.[10] Die solchermaßen betriebene Erforschung von Sprache nimmt hierbei Abweichungen vom Standard in den Blick, die sich auf alle drei diasystematischen Grunddimensionen von Sprache (Diatopik, Diastratik, Diaphasik) beziehen können.[11] Kritisch zu bemerken bleibt hier jedoch, dass ein solchermaßen „strukturalistisches Varietätenmodell mit einer strikten Grenzziehung zwischen einzelnen Varietäten [...] der Dynamik und Komplexität konkreten Sprachgebrauchs nicht gerecht [wird].“[12] Neuland plädiert daher – Berruto folgend - dafür, die einzelnen Varietäten „als (konventionell bestimmte, nicht gut abgegrenzte) Verdichtungspunkte in einem Kontinuum zu verstehen.“[13]

Anne Cammenga-Waller entwickelt in ihrer Untersuchung einen Katalog von Definitionsmerkmalen, der über die Zugehörigkeit eines sprachlichen Zeichens zum Substandard entscheiden soll. Dieser Definition zufolge gehören lexikalische Zeichen dem Substandard an, wenn mindestens zwei der folgenden Merkmale für das entsprechende Zeichen zutreffen:

- es ist nicht kodifiziert
- es wird vorwiegend in unteren Gesellschaftsschichten verwendet
- es hat keinen Anspruch auf Traditionalität
- es wird / würde von staatlichen Bildungsinstanzen sanktioniert
- es hat im Bereich einer historischen Einzelsprache keine überregionale Gültigkeit
- es findet nur in bestimmten Kommunikationssituationen Anwendung.[14]

Über diese sehr allgemeine Definition hinaus wurde von Jörn Albrecht eine weitere Differenzierung zwischen primärem und sekundärem Substandard vorgeschlagen[15]: Während zum primären Substandard diejenigen Elemente gezählt werden, „die zu einem bestimmten Zeitpunkt der Sprachgeschichte von den normierenden Instanzen aus der Schriftsprache verbannt und von diesem Zeitpunkt an vorrangig in der Sprechsprache tradiert wurden“[16], entsteht der sekundäre Substandard erst durch einen mehr oder weniger expliziten Rekurs auf den Standard, so dass er sich folglich erst herausbilden kann, nachdem innerhalb der jeweiligen Sprache eine Norm etabliert wurde.[17] Zum primären Substandard werden vor allem Varietätselemente der zuvor bereits genannten drei Grunddimensionen der Sprache, Elemente der diatopischen, diastratischen und diaphasischen Variation, gezählt. Im Unterschied hierzu handelt es sich bei den Bestandteilen des sekundären Substandards um Sprachmaterial, das seinen Ursprung im Standard selbst hat und dessen „Substandardcharakter sekundär aufgrund bestimmter semantisch-syntaktischer ‚Abweichungen’ zustande kommt.“[18] Nach dieser theoretischen und abstrakten Klärung der varietätenlinguistischen Problematik des Substandards sollen die folgenden Ausführungen diesen Bereich der Sprachwissenschaft insofern konkretisieren, als sie sich zur Aufgabe machen, die einzelsprachlichen Besonderheiten, die Formen und Spezifika des Substandards im Spanischen, aufzuzeigen.

1.2 Substandard im Spanischen

Schon die Benennung des sprachlichen Substandards im Spanischen erweist sich als so vielfältig, dass eine eindeutige Klassifikation der Termini kaum möglich erscheint: Jerga, jerigonza, argot, caló, germanía, jácara und jacarandina werden in der Fachliteratur nur als die geläufigsten Ausdrücke zitiert, die um ein Vielfaches an selteneren Bezeichnungen ergänzt werden könnten.[19] Die mangelnde Systematik der Terminologie entspricht der widersprüchlichen Diskussion innerhalb der hispanistischen Sprachwissenschaft, die mit dem Gegenstand des außerhalb der sprachlichen Norm angesiedelten Sprachgebrauchs jeweils sehr unterschiedlich umgeht. Im Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL) findet der Substandard des Spanischen Eingang in den Artikel zu den sprachspezifischen Sondersprachen, wodurch vor allem die Nähe des Substandards zu gesellschaftlichen Randgruppen betont wird.[20] Von großer Bedeutung ist darüber hinaus auch die kommunikative Einbettung: Redeweisen des Substandards werden als abhängig von spezifischen Kommunikationsbedürfnissen und Sprechsituationen gedeutet, wobei vor allem die spezielle Lexik Eingang in wissenschaftliche Untersuchungen gefunden hat.[21] Im spanischen Substandard kann – im Unterschied beispielsweise zum Französischen – keine Systemvariation im Vergleich zur Standardform festgestellt werden.[22] Allerdings erscheint eine normgerechte Erfassung des sprachlichen Substandards kaum möglich: Vor allem in den Bereichen der Phonetik und Orthographie lässt sich eine formale Verbindlichkeit kaum erreichen. Darüber hinaus erschweren die Kurzlebigkeit und der häufig lediglich regionale Gebrauch der Formen die systematische Beschreibung substandardlicher Ausdrucksformen.

Insgesamt lässt sich jedoch sagen, dass der sprachliche Substandard im Spanischen vor allem Charakteristika der gesprochenen (im Unterschied zur geschriebenen) Sprache aufweist. So scheint der vermehrte Gebrauch von Substantiven und die weitaus geringere Frequenz von Adjektiven, Verben und Adverbien im Vergleich zur Standardsprache ein Strukturmerkmal des Substandards zu sein.[23] Betz macht darüber hinaus den „verblümten Ausdruck“[24] als für die Kommunikation im Substandard typischen geltend und weist auf die vielen möglichen Formen hin, die diese Art der Verblümung annehmen kann, die hier nicht im einzelnen zitiert werden sollen. Andererseits scheint aber auch gerade der unverblümte Ausdruck, die Tabuübertretung, vor allem auf den Ebenen der Sexualität, der Fäkalsprache und der Religion, als Kennzeichen substandardlicher Rede. Inwiefern einige der hier für den spanischen Substandard geltend gemachten Charakteristika auch oder in besonderem Maße für die linguistische Analyse der Sprache von Jugendlichen von Bedeutung ist, soll das folgende Kapitel zeigen, in dem jedoch zunächst die Grundlagen der Jugendsprachforschung skizziert werden sollen.

2. Jugendsprache

Die Untersuchung von Jugendsprache setzt die Beschäftigung mit dem Phänomen ‚Jugend’ als solchem voraus. Jugend muss hierbei als kulturelles Konstrukt verstanden werden, das jeweils in Abhängigkeit von den sozialhistorischen Rahmenbedingungen entsteht und sich fortlaufend weiterentwickelt. Dabei treten Sprache und Gesellschaft bzw. kulturelles Umfeld in ein bedeutsames Verhältnis: Einerseits ist es die gesellschaftliche Situation, die dem Sprachwandel seine Möglichkeiten und Bedingungen vorschreibt; andererseits aber wird die sozialhistorische Situation auch in der Sprache abgebildet, so dass sie selbst zum Indikator für kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen wird:

„Jugend als kulturelles Phänomen erweitert hingegen den Blick auf die gesellschaftlich-historischen Kontexte, innerhalb derer sich auch das Verhältnis der Generationen je neu konstituiert. Sozialhistorische und kulturgeschichtliche Darstellungen legen nahe, dass Jugend ein historisch und gesellschaftlich relatives Phänomen ist, dessen Definition und Charakterisierung auch stets etwas über die jeweiligen kulturellen Kontexte selbst aussagt. Jugend bildet eine Projektionsfläche gesellschaftlicher Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen; Jugend bildet mithin auch einen Indikator gesellschaftlicher Zustände und vor allem Konflikte.“[25]

Wichtig erscheint, dass Jugend somit nicht als „natürliche Kategorie“, sondern als „gesellschaftlich definierte und institutionalisierte Gruppe“[26] gelten muss.

In bezug auf die den Jugendlichen eigene Form des sprachlichen Ausdrucks soll zunächst auf die von Cheshire getroffene Unterscheidung zwischen Age-Exclusive Features und Age-Preferential Features aufmerksam gemacht werden.[27] Hinter dieser Differenzierung steht der Gedanke, dass es im Verlaufe des Spracherwerbs bzw. der Sprachentwicklung sowohl Phänomene gibt, die lediglich in einer bestimmten Lebens- bzw. Entwicklungsphase auftreten und damit exklusiv dieser Periode zuzuordnen sind (Age-Exclusive Features), dass andererseits aber auch bestimmte Formen oder Ausdrücke zwar in mehreren Lebensphasen vorkommen, jedoch als besonders charakteristisch für eine definierte Lebensspanne gelten, weil sie in dieser gehäuft auftreten (Age-Preferential Features).

Wissenschaftler, die sich mit dem Phänomen der Jugendsprache befassen, sehen sich mit der Schwierigkeit einer eindeutigen Definition ihres Gegenstandes konfrontiert. Zunächst muss betont werden, dass die Bezeichnung Jugend sprache aus linguistischer Sicht in die Irre führt: „Die Jugendsprache ist keine Sprache im linguistischen Sinne, sondern eine diaphasische Varietät mit bestimmten Besonderheiten, die von Jugendlichen geschaffen wurde.“[28] Auch Remmert macht darauf aufmerksam, dass die Zuordnungsversuche in Untersuchungen zur Jugendsprache äußerst unterschiedliche Formen annehmen können. Sie reichen „über Jugendsprache als altersspezifische Varietät, generationsspezifische Varietät, bis hin zu Soziolekt, Generationssoziolekt, transitorischer Soziolekt und Sondersprache.“[29] Die Autorin kommt schließlich zu folgender Beschreibung des Gegenstandes Jugendsprache:

„Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei Jugendsprache um ein vielschichtiges Konglomerat von diastratischen, diaphasischen und diatopischen Varietäten handelt, dessen Ursprung überwiegend in der gesprochenen Sprache zu suchen ist. Die Beschreibung von Jugendsprache setzt somit die Berücksichtigung multipler sozialer Faktoren, wie ethnischer Herkunft, Gruppenzugehörigkeit, sozialer Schicht, Schulbildung, Alter, Geschlecht usw. voraus. Diese Variablen verdeutlichen, dass Jugendsprache als eine durchaus inhomogene Varietät betrachtet werden muss.“[30]

Auch wenn Jugendsprache sich grundsätzlich durch Inhomogenität auszeichnet und als ein Konglomerat verschiedener Varietäten beschrieben werden kann[31], so muss dennoch betont werden, dass das Phänomen Jugendsprache an sich als ein internationales zu gelten hat. Zimmermann erkennt in der Jugendsprache insofern einen sprach- und kulturübergreifenden Forschungsgegenstand, „als dieser Prozess [der Verdichtung und Ausweitung des Phänomens, J.R.] in den großen Städten der industrialisierten Länder zwar mit einer im Detail festzustellenden Verzögerung, aber doch global gesehen einer frappierenden Gleichzeitigkeit und Wucht in den Sprachgemeinschaften entstand.“[32] Insofern erscheint es durchaus sinnvoll, von einer globalen Dimension der Jugendsprache auszugehen und diese in kontrastiven Studien immer wieder auf ihre Bedeutung hin zu überprüfen.[33]

Im Anschluss an Zimmermann / Müller-Schlomka[34] sollen an dieser Stelle die wesentlichen Charakteristika der Jugendsprache benannt werden:

- Jugendsprache ist, wie bereits ausgeführt, keine Sprache im linguistischen Sinne, sondern vielmehr eine diaphasische Varietät.
- Die Verfahren dieser Varietät betreffen alle sprachlichen Ebenen (Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik, Semantik, Pragmatik etc.). Bisherige Forschungen haben sich häufig auf die Erfassung der jugendsprachlichen Lexik konzentriert und entwerfen so ein einseitiges und verzerrtes Bild dieser Varietät.
- Jugendsprache ist als Sonderform der oralen Varietät einzuordnen, da sie meist in Situationen mündlicher Kommunikation jugendkultureller Art entsteht.
- Hervorzuheben ist der stark ludische Charakter der Jugendsprache.
- Jugendsprache trägt als ein Mittel unter anderen zur Schaffung und Ausbildung von Identität bei. Sie beinhaltet die intentionale Identifizierung mit dem Jungsein als kultureller Kategorie und hat damit als „mehr oder weniger bewusst adoptierte Varietät“[35] zu gelten.
- Als diaphasische Varietät umfasst die Jugendsprache weitere Binnendifferenzierungen (z.B. diatopische und diastratische Variationen).
- Als Schöpfer der Jugendsprache und damit Initiatoren des Sprachwandels gelten bisher vorwiegend männliche Jugendliche, wobei die Autoren zu bedenken geben, dass diese Feststellung im Rahmen der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen vermutlich zu relativieren, in jedem Fall aber genau zu überprüfen sei.
- Jugendsprache trägt zum Sprachwandel bei. Dabei sind vor allem die große Dynamik (bedingt durch die Entwicklungstatsache bzw. den kontinuierlichen Generationenwechsel) und der ludische Charakter des Sprachwandels charakteristisch für die Jugendsprache.

[...]


[1] Vilatella (2004): 20.

[2] Vgl. v.a. Weitzdorfer (1989) und Zimmermann (1993b).

[3] Vgl. Holtus / Radtke (1990): VII und Cammenga-Waller (2002): 21.

[4] Der Begriff Nonstandard wurde zeitweise dem Begriff des Substandards vorgezogen, weil letzterer eine Abwertung oder Diffamierung der jeweiligen Sprecher zu beinhalten schien. Im Zuge der stärkeren Differenzierung des Substandards in der Sprachwissenschaft wurden Non- und Substandard jedoch auch inhaltlich voneinander getrennt. Auf die in diesem Zusammenhang bedeutende Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Substandard wird weiter unten näher eingegangen.

[5] Vgl. Holtus / Radtke (1990): VIII.

[6] Ebd.

[7] Zur Entstehung und Bedeutung von Sprachnormen in diesem Zusammenhang vgl. Cammenga-Waller (2002): 9-15.

[8] Helgorsky (1982): 1.

[9] Cammenga-Waller (2002): 21.

[10] Vgl. ebd. Schafroth beschreibt die neuere Substandardforschung als eine Disziplin, die unmittelbar aus den Forschungen zur gesprochenen Sprache entstand und die ihren „Schwerpunkt auf diastratische und diaphasische Variation sowie auf soziolinguistische Fragestellungen“ legt. Schafroth (1993): 32.

[11] Auffällig erscheint hierbei wiederum, dass die unterschiedlichen Philologien auch hier verschiedene Schwerpunkte setzen: Während z.B. die französische Tradition stark an einer normativen Sicht festhält, wurde in der Germanistik vor allem die diatopische Variation in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt, so dass der Substandard zumeist im Varietätenspektrum zwischen Dialekt und Standardsprache angesiedelt wurde. Vgl. Cammenga-Waller (2002): 22f.

[12] Neuland (2003a): 137.

[13] Berruto (1987): 265 zitiert nach Neuland (2003a): 137.

[14] Cammenga-Waller (2002): 23.

[15] Vgl. Albrecht (1990): 66ff.

[16] Cammenga-Waller (2002): 24.

[17] Vgl. ebd.

[18] Albrecht (1990): 121.

[19] Vgl. Betz (1992): 329.

[20] Vgl. Betz (1992): 328f.

[21] Als spezielle lexikalische Phänomene des Substandards werden häufig vor allem „Vulgarismen und (obszöne) Interjektionen“ zitiert. Ebd.

[22] Vgl. Berschin (1980).

[23] Vgl. Ezquerra (1976), zitiert nach Betz (1992): 331.

[24] Betz (1992): 331.

[25] Neuland (2003c): 7. Vgl. auch Neuland (2003b): 10f. und Hollingshead (1949): 6f. (zitiert nach Bühler-Niederberger (2003): 11), der die soziologische Dimension des Jugendalters in den Blick nimmt: „Soziologisch gesehen ist die Jugend die Periode im Leben eines Menschen, in welcher die Gesellschaft, in der er lebt, ihn [...] nicht mehr als ein Kind ansieht, ihm aber den vollen Status, die Rollen und Funktionen des Erwachsenen noch nicht zuerkennt. Hinsichtlich des Verhaltens ist sie definiert durch die Rollen, die der junge Mensch kraft seines Status in der Gesellschaft spielen soll und darf, zu spielen genötigt oder verhindert ist. Sie ist nicht durch einen besonderen Zeitpunkt bestimmt, etwa die körperliche Pubertät, sondern nach Form, Inhalt, Dauer und Abschnitt im Lebenslauf von verschiedenen Kulturen und Gesellschaften verschieden eingegrenzt.“

[26] Bühler-Niederberger (2003): 11.

[27] Vgl. Cheshire (1987): 761. Zu diesem und anderen Modellvorschlägen vgl. auch Androutsopoulos (1998a):26ff. und (1998b):2ff.

[28] Zimmermann / Müller-Schlomka (2000): 41. Im folgenden wird der Terminus Jugendsprache vorbehaltlich dieser Bemerkungen aus Gründen der Vereinfachung dennoch verwendet.

[29] Remmert (2002): 202f. Auch Radtke macht auf das „definitorische Dilemma“ von Jugendsprache aufmerksam. Er findet eine Übereinstimmung der meisten Definitionen nur in zwei Merkmalen: „zum einen werden alle Zuordnungen vom Gruppenbezug abhängig gemacht, zum anderen wird die Jugendsprache als primär lexikalisch markiert angesehen [...].“ Radtke (1990): 136f.

[30] Remmert (2002): 203. Zu den unterschiedlichen Faktoren, die auf Jugendsprache einwirken vgl. auch die schematische Zusammenstellung von Neuland (2003a): 138.

[31] Henne beschreibt Jugendsprache auch als „fortwährendes Ausweich- und Überholmanöver“, das die Standardsprache voraussetzt, sie durchaus systematisch abwandelt, dennoch aber in sich nichts weniger als ‚systematisch’ sei und damit eher als „spielerisches Sekundärgefüge“ zu gelten habe. Henne (1986): 208.

[32] Zimmermann (2003): 170.

[33] Vgl. hierzu die Untersuchungen von Zimmermann (1993 und 2003).

[34] Vgl. Zimmermann / Müller-Schlomka (2000): 41ff.

[35] Zimmermann / Müller-Schlomka (2000): 42.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Wortbildung im spanischen Substandard . Die Sprache von Jugendlichen in den Filmen "Hola, estás sola?" und "Barrio"
Untertitel
Eine Untersuchung
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Romanistik)
Veranstaltung
Wortbildung des Spanischen
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
41
Katalognummer
V37502
ISBN (eBook)
9783638368254
ISBN (Buch)
9783638676922
Dateigröße
1092 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Untersuchung, Wortbildung, Substandard, Beispiel, Analyse, Sprache, Jugendlichen, Filmen, Hola, Icíar, Bollaín, Barrio, Fernando, León, Aranoa, Wortbildung, Spanischen
Arbeit zitieren
Johanna Rott (Autor:in), 2004, Wortbildung im spanischen Substandard . Die Sprache von Jugendlichen in den Filmen "Hola, estás sola?" und "Barrio", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37502

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