Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition Frauenbewegung
3. Frauen in der Nachkriegszeit
3.1. Die Neue Frauenbewegung
3.2. Berufstätige Frauen in Westdeutschland
3.3. Frauen in der DDR
3.3.1. Berufstätige Frauen in Ostdeutschland
3.4. Vergleich der Frauenbewegung in West- und Ostdeutschland
4. Die Frauenbewegung heute
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der heutigen, digital–vernetzten Zeit jagt eine soziale Bewegung die nächste. Black Lives Matter, Occupy Wall Street oder aber die Umweltbewegung: All dies waren jüngste Proteste, die Nachrichten dominierten, Menschen zusammenbrachten und auf der ganzen Welt bewegten. Doch wie ist es mit der Frauenbewegung, die früher so präsent war und als eine der wichtigsten Menschenrechtsbewegungen gilt? Ist diese noch aktuell und existent oder wurden proteststiftende Probleme behoben, die ein erneutes Aufkeimen der Frauenbewegung hinfällig macht?
Frauen haben in fast allen Ländern der Welt ein Stimmrecht, dürfen arbeiten und bedürfen keiner männlichen Erlaubnis für das Treffen wichtiger Lebensentscheidungen. Doch ein aktuelles Ereignis heizt die Diskussion um die Frauenbewegung wieder an. Der internationale „Women’s March“ rückt die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung der Frau wieder in den Fokus. Millionen Menschen auf der ganzen Welt marschierten gemeinsam für Frauenrechte, Selbstbestimmung über den eigenen Körper und gegen Sexismus, der noch immer in unserer Gesellschaft besteht und von den wenigsten kritisch hinterfragt wird. Demnach müssen Frauenwahlrecht und das Recht auf Arbeit und Selbstbestimmung doch offensichtlich nicht ausreichend genügen. Missstände sind auch heute noch real und derart gravierend, dass sie Menschen millionenfach auf die Straße treiben und protestieren lassen.
Die Frauenbewegung ist eine der ältesten Menschenrechtsbewegungen, die Frauen seit Jahrhunderten weltweit beschäftigt. Neben England und den USA hat auch die Frauenbewegung in Deutschland eine jahrelange bewegte Geschichte. Entgegen anderer Länder jedoch ist die deutsche Neue Frauenbewegung gekennzeichnet durch die Teilung Deutschlands und die unterschiedlichen Entwicklungen, Ergebnisse und Probleme der Frauenbewegung in Ost- und Westdeutschland. Beide Frauenbewegungen, welche sich letztendlich nach der Wende zu einer zusammenfügten, hatten jeweils sowohl einen gesellschaftlichen, als auch einen politischen Einfluss und haben das Denken der Gesellschaft über das Bild der Frau maßgeblich verändert.
2. Definition Frauenbewegung
Sucht man in Lexika nach dem Schlagwort „Frauenbewegung“, bemerkt man schnell, dass sich die Definitionen in Umfang und Tiefe unterscheiden. Viele definieren die Frauenbewegung als eine einfache weltweite soziale Menschenbewegung, die sich mit ihrer Arbeit für die Rechte und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Gesellschaft und Politik einsetzt und ein gesteigertes Bewusstsein für die Stellung der Frau in der Gesellschaft fördern will. Die Methode, wie die Arbeit der Frauenrechtler gestaltet und vorangetrieben wird, wird nicht definiert. Wirft man jedoch einen Blick in den Duden, so wird der eigentliche Kampfgeist, welcher die erste als auch die Neue Frauenbewegung ausmacht, deutlicher. Der Duden definiert die Frauenbewegung wie folgt: „[Die Frauenbewegung ist] eine organisierte Form des Kampfes um die Gleichberechtigung der Frau.“[1]
3. Frauen in der Nachkriegszeit
Das Ende des zweiten Weltkrieges bedeutete nicht zwangsläufig eine sofortige Verbesserung der Lebensumstände der Überlebenden. Für viele Frauen begann nach Beendigung des Krieges erst eine weitere schwere Lebensphase. Da der Krieg viele gefallene und vermisste Ehemänner einforderte, wurden die hinterbliebenen Frauen zum Familienoberhaupt und Alleinversorger; Rollen, die in der patriarchalischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert traditionell von Männern erfüllt wurden. Die Frauen waren nun alleinverantwortlich für die Erziehung, Versorgung und Nahrungsbeschaffung der Familie und mussten die Last dieser Aufgaben ohne weitere Unterstützung schultern[2]. Zusätzlich zu dieser familiären Belastung forderte auch der Wiederaufbau der zerrütteten Wirtschaft und Städte die Hilfe der Frauen ein, ohne die ein Wiederaufbau nicht zuletzt durch die Dezimierung der Bevölkerung, kaum denkbar gewesen wäre. Diese Frauen, oftmals in der Geschichte betitelt als „Trümmerfrauen“, waren derart eingespannt in die Aufgaben des Erhalts der Familie und den gesellschaftlichen Verpflichtungen, dass eine Neu–Formierung der Frauenbewegung, wie sie im Dritten Reich oder aber auch in der Weimarer Republik bestand, weder denkbar noch umsetzbar war und erst einmal weit hinter anderen Prioritäten der Frauen eingeordnet wurde.
Erst Ende 1945 bildeten sich sowohl in West– als auch in Ostdeutschland vereinzelt neue Frauenverbände, die meist als Nachfolger derer bezeichnet werden können, die 1933 bestanden, da sie sich in Form und Agenda größtenteils glichen. Eine erneute Formierung der Gruppierungen war jedoch abhängig von der Zustimmung der Besatzungsmächte der Besatzungszonen Deutschlands, da die Überzeugungen der Frauen in den Verbänden mit denen der Besatzungsmächte konformgehen mussten, um dem Erhalt der nationalsozialistischen Ideologie des Dritten Reiches entgegenzuwirken.
In den darauffolgenden Jahren wuchs die Zahl der Frauenverbände in den Besatzungszonen der Alliierten. Als Dachverband der verschiedenen Interessengruppen innerhalb der Verbände, setzte sich 1949 im Westen Deutschlands der „Deutsche Frauenring e. V.“ ein.
Mit dessen Hilfe und der Unterstützung weiterer kleiner Frauenverbände gelang es der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert 1949, einen Gleichberechtigungsgrundsatz im Grundgesetz festzulegen. Im Art. 3, Abs. 2 des Grundgesetzes hieß es statt „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“, wie es noch aus der Verfassung der Weimarer Republik stammte, nun „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Elisabeth Selbert wird durch diese Pionierarbeit für die Frauenbewegung auch eine von vier „Müttern des Grundgesetzes“ genannt. Mit dieser Grundsatzfestlegung war nun auch eine gesetzliche Grundlage für die Frauenbewegung geschaffen und die Arbeit der Frauen der Nachkriegszeit als auch der Neuen Frauenbewegung konzentrierte sich nicht zuletzt auf die tatsächliche gesellschaftliche Umsetzung dieses Grundgesetzeintrages.
Ebenso mithilfe des deutschen Frauenrings, im Folgenden als DFR abgekürzt, wurde 1950 offiziell ein Frauenreferat im Bundesministerium gebildet, welches sich aktiv mit Frauenbelangen und –fragen beschäftigte und erstmalig ein erneutes Bilden der Frauenbewegung in der Gesellschaft auch staatlich zur Kenntnis nahm[3].
Auch heute ist der DFR noch aktiv, wenn er auch nicht mehr die gleiche gesellschaftliche Bedeutung für die Frauenbewegung innehält, wie es noch in der Nachkriegszeit war. Der deutsche Frauenring veröffentlicht die monatlich erscheinende Zeitschrift „Informationen für die Frau“, welche sich öffentlich-politischen Fragen widmet und eine vollkommene Gleichberechtigung fordert.
Die Ziele des DFR haben sich trotz einiger Erfolge in den vergangenen Jahren nur wenig verändert. Immer noch steht das Erreichen der vollkommenen Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Gesellschaft im Vordergrund. Doch mit der zunehmenden Selbstverständlichkeit der Frauenberufstätigkeit sind auch neue Herausforderungen aufgekommen. So sind jetzt auch die Bemühungen um eine gleiche Entlohnung der berufstätigen Geschlechter in die Agenda aufgenommen worden, und eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird angestrebt[4].
Der DFR ist als Dachverband seit den 1950er Jahre stark angewachsen und umfasst heute 47 Mitgliedsverbände, vier von denen selbst Dachverbände bzw. Arbeitsgemeinschaften sind und 80 Organisationen beinhalten. Mit rund 11 Millionen Mitgliedern ist er einer der größten Verbände in Deutschland[5].
Trotz des Grundgesetzeintrags, der eine Gleichberechtigung von Mann und Frau vorsieht, wurde in den 1950er Jahre eine Mütterberufstätigkeit lediglich toleriert, aber durch keine staatlichen Einrichtungen oder Fördermittel gefördert und unterstützt. Ein etwaiges Ausbauen von Kindergärten und –horten fand nicht statt, sodass die Mutter als berufstätige Frau nicht in ihrer Berufstätigkeit unterstützt wurde und sich zusätzlich um eine Unterbringung des Kindes kümmern musste. Bis Mitte der 1960er Jahre hatte Westdeutschland jedoch mit einem akuten Fachkräftemangel zu kämpfen, welcher letztendlich nur durch die Einstellung von Frauen bzw. Müttern und Gastarbeitern gestillt werden konnte. Allgemein sah der Staat inoffiziell ein „Drei-Phasen-Modell“ vor, welches eine Kombination von Frauen im Beruf und in der Familie plante und sowohl das Arbeitsleben als auch das Familienleben in drei Phasen nach dem „Familienzyklus“ aufteilte: Die erste Phase betrachtete ledige, kinderlose Frauen als vollwertig im Beruf und in der Arbeitswelt integriert. Mit der „aktiven Mutterschaft“ begann die zweite Phase des Modells. Die nunmehr verheiratete Frau befand sich nach der Geburt des ersten Kindes in der Phase der „aktiven Mutterschaft“. Sie zog sich gänzlich aus dem Beruf zurück, um sich vollständig dem Kind und dessen Erziehung zu widmen. Idealerweise bekam die Frau drei Kinder, welche im Abstand von zwei Jahren geboren wurden, sodass mit Mitte 45 ein vollständiger Wiedereinstieg ins Berufsleben und somit die dritte Phase eintreten konnte.
Dieses Modell war in der Praxis allerdings nicht umsetzbar und daher unrealistisch. Nach einer Befragung von Frauen in Westdeutschland war diese Lebensplanung ein Ideal für 49 % der Frauen, welche sich eine berufliche Auszeit wünschten, um sich als daheimbleibende Mutter gänzlich um die Kinder zu kümmern. Damals wie heute bedeutete eine derartige Pause vom Berufsleben über mehrere Jahre oftmals ein vollständiger Ausstieg aus der Berufswelt, ohne Möglichkeit, in einer vergleichbaren früheren Position in den ehemaligen Beruf wieder einzusteigen[6].
3.1. Die Neue Frauenbewegung
Die Neue Frauenbewegung wird als zweite Phase bzw. Welle der Frauenbewegung in Deutschland angesehen. Die erste Phase der Frauenbewegung, die ihre Anfänge in der Weimarer Republik fand und bis zur Durchsetzung des Dritten Reichs aktiv war, fand ihr Ende mit dem Verbot von Frauenvereinigungen des Hitler-Regimes. Durch die Strapazen der Nachkriegszeit war eine organisierte Neu-Bildung der Frauenbewegung aufgeschoben. Erst mit dem Nachkriegsboom, besser gesagt dem „Wirtschaftswunder“ der 1950er Jahre bis Ende der 1960er Jahre, gab es wieder genug Luft und Freiraum für die Frauenrechtler, um eine Wiederbelebung und somit die nächste Phase der Frauenbewegung in Deutschland einzuleiten. Die Neue Frauenbewegung wehrte sich dabei gegen die traditionellen Organisationsformen und lehnte einen allgemeinen Dachverband ab, da sie allen Gruppierungen die gleiche Macht zusprach.
Die Neue Frauenbewegung, wie diese Welle genannt wird, geht auf die prominente Studentenbewegung von 1967/67 zurück und nahm sich in ihrer Organisation und Struktur den amerikanischen Feminismus, der bereits einige Jahre vorher aktiv war und eine bedeutende Rolle spielte, als Vorbild. Da die Neue Frauenbewegung der Studentenbewegung entspringt, erfolgte zunächst eine Identifizierung mit der herrschenden 68er-Bewegung, ehe diese aus ebenjener erfolgte[7].
Die Neue Frauenbewegung sieht sich in ihrer Form als eine „Frauenbefreiungsgruppe“ mit dem primären Ziel der gänzlichen Abschaffung der in der Gesellschaft vollzogenen Frauenunterdrückung. Kleinere Teilziele der Neuen Frauenbewegung beinhalten die tatsächliche und konsequentere Durchsetzung des Gleichberechtigungsprinzips, wie es im Grundgesetz festgelegt ist und u.a. auch die Erwirkung von gleichem Lohn für gleiche Arbeit mit gleichen Ausbildungs- und Aufstiegschancen; kurzum: Eine Gleichberechtigung ausgeweitet auf die Arbeitswelt.
Wichtiger als diese strukturellen Teilziele aber war die Selbsterfahrung. Die Kontrolle und alleinige Entscheidungsgewalt über den eigenen Körper, die ökonomische Unabhängigkeit vom Mann, das Aufzeigen von Alternativen zu der erprobten heterosexuellen Kleinfamilie, die Zerstörung geschlechterspezifischer Rollenverteilungen und letztendlich die Abschaffung immer noch währender repressiver Gesetze und der männlichen Autorität über die Frau[8].
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund, kurz SDS, gewann ab 1968 an Bedeutung und setzte sich zwar vermeintlich in seinen Tätigkeiten für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein, dennoch empfanden viele weibliche Mitglieder des SDS immer noch ein sexistisches und rollentypisches Verhalten der männlichen Genossen gegenüber den Studentinnen. Trotz der revolutionären Grundstimmung innerhalb des SDS und dem Willen des Brechens mit den herkömmlichen Wegen hob sich dieser nur wenig von den alten, tradierten Ansichten bezüglich der Frau der damaligen Gesellschaft ab.
Viele Frauen des SDS kritisierten die Männer als „Replik gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse“, da eine völlige Verdrängung der Frauenproblematik stattfand und keine Bereitschaft zur Ursachenbehebung durch Männer vorzufinden war. Dies führte zur alleinigen Arbeit der Frauen an den bestehenden Konflikten ohne den SDS, da etwaige Bemühungen der Zusammenarbeit scheiterten. Die Entscheidung zum Alleingang der SDS-Frauen zog viel Spott der männlichen Genossen mit sich, auch wenn dieser vorerst nur temporär angelegt war, bis die SDS-Männer die bestehende Problematik anerkennen und ihrerseits Hilfe zur Beseitigung leisten[9].
Aus diesem Grund etablierte sich im Januar 1968 aus dem SDS heraus der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“, welcher von sieben weiblichen SDS-Mitgliedern ins Leben gerufen wurde. Bei der kurz darauf stattgefundenen SDS-Konferenz in Hannover erfolgte die Rechtfertigung dieser Neu-Gruppierung, die scharfe Kritik vom SDS erhielt. Ebenso lasen die Gründerinnen des „Aktionsrates zur Befreiung der Frau“ eine eigenverfasste Resolution gegen das dargestellte repressive Verhalten der Männer vor, die die Abspaltung vom SDS überhaupt eingeleitet hatte.
Im September 1968 erfolgte die 23. SDS-Tagung in Frankfurt, bei der es zum bekannten Tomatenwurf kam. Helke Sander, Mitglied des SDS, hielt eine Rede, in der sie die Männer und deren Ignoranz und mangelnde Hilfsbereitschaft anprangerte und die isolierte Arbeit der Frauen im Befreiungsrat rechtfertigte. Sie schloss mit den Worten: „(...) wenn ihr zu dieser Diskussion, die inhaltlich geführt werden muss, nicht bereit seid, dann müssen wir (...) feststellen, dass der SDS nichts weiter ist als ein aufgeblasener konterrevolutionärer Hefeteig.[10] “ Nach Äußerung dieser Worte flogen aus Frustration mehrere Tomaten aus dem Publikum, die den vorsitzenden Genossen gegolten hatten. Der Tomatenwurf wurde inszeniert als ein Denkanstoß an die Männer, die über die weiblichen Belange hinwegsahen und diese nicht ernst nahmen. Jedoch wurde diese ungeplante Aktion auch innerhalb der Frauen im SDS kontrovers angesehen und diskutiert, da es dieser an Professionalität mangelte. Nach der Rede und dem Vorfall folgten am gleichen Tag noch der Bruch der Frauen mit dem SDS und der Bildung von „Weiberräten“ in ganz Deutschland[11].
Mit dem sich verändernden politischen Bewusstsein und der sexuellen Enttabuisierung fand ein immenser Anstieg von neuen Frauengruppen ab 1968 statt. Die Ausbreitung der Frauengruppen vereinigte sich 1971 mit der gemeinsamen Aktion des „Selbstbezichtigungsprozesses“ gegen den § 218 mit dem bekannten Slogan „Ich habe abgetrieben“ und „Mein Bauch gehört mir“, der öffentlich für eine Selbstbestimmung über den eigenen Körper kämpfte. Im Frühjahr 1971 sammelte Alice Schwarzer, eine der bekanntesten Feministinnen Deutschlands, hunderte Unterschriften von Frauen, die trotz Verbot einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen hatten. 374 dieser Frauen, darunter auch neun Prominente, erschienen in der Stern-Ausgabe vom 6. Juni 1971, obwohl Abtreibung als schwere Straftat galt.
Eine Reform des Paragraphen wurde durch die Massendemonstration erzwungen, da es innerhalb von zwei Monaten nach Erscheinen des Sterns zu insgesamt 3000
Selbstanzeigen und 86100 Solidaritätsunterschriften kam.
Die darauffolgende Reform bestand aus einer Fristenlösung, die einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate zulässig machte. Dieser Erfolg war jedoch nur temporär, da er wenig später wieder gekippt wurde.
Dieser öffentliche Auftritt der Frauenbewegung war der Beginn einer breiteren Frauenbewegung. Der Selbstbezichtigungsprozess diente der Neuen Frauenbewegung als zentrales, bindendes Element in ihrem weiteren Formierungsprozess[12].
Im März 1972 fand der erste Bundesfrauenkongress in Frankfurt mit 400 Frauen aus 35 Gruppen in 20 Städten statt. An dessen Ende wurde erstmals offiziell deklariert: „Wir haben eine deutsche Frauenbewegung.“[13] Mit diesen Öffentlichkeitsarbeiten waren die Frauenunterdrückung und –rechte nun ein öffentlich diskutiertes Thema, und die Bewegung gegen den § 218 war bis dato die zahlenmäßig bedeutsamste Bewegung in Westdeutschland[14]. Die freie Wahl über die persönliche Lebensform war dabei die wichtigste Folge der Neuen Frauenbewegung.
Ende der 1970er Jahre besaß Deutschland das größte Netz von Frauenzentren in ganz Europa und auch, wenn sich die Frauengruppen in politischen Ansichten und Interessen oftmals sehr voneinander unterschieden, galt für alle dennoch die gleiche feministische Sichtweise.
Herrad Schenk differenziert die Entwicklung der Neuen Frauenbewegung in ihrem Buch zwischen zwei voneinander abgrenzbaren Phasen. Zum einen gibt es die Anfangsphase, welche in den Jahren von ca. 1971 bis 1974/1975 anzusetzen ist. Die Anfangsphase ist besonders gekennzeichnet durch die feministische Kampagne gegen den § 218: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (...)“ und dem Absplittern und der Herausbildung verschiedenster Gruppierungen innerhalb der Neuen Frauenbewegung. Die zweite Phase beginnt dementsprechend ab 1975. Bestimmt war diese Phase von einem breiten Mitgliederzuwachs der Gruppierungen. In dieser Zeit gewannen auch sogenannte „Selbsterfahrungsgruppen“, die die Phase dominierten, an Bedeutung. Frauenbuchläden und Kinderläden wurden gegründet und waren das Symbol jener Zeit. Diese von Frauen gegründeten und geführten Läden boten einen Rückzugsort für Frauen vor männlichen Autoritäten[15] und galten als das Zentrum der Frauenbewegung seit 1977.
Eine „Verwischung“ der Neuen Frauenbewegung fand in den 1980er Jahren statt. Die Arbeit von vielen Frauen konzentrierte sich zunehmend in Parteien und Verbänden. 1979 wurde der Arbeitsstab „Frauenpolitik“ initiiert, welcher sich der Koordinierung frauenpolitischer Fragen und Belange innerhalb der Bundesregierung widmete. 1986 wurde eine ganze Abteilung Frauenpolitik eingeführt, unter der insgesamt acht Referate mit 33 Mitarbeitern arbeiteten. 1993 folgte dann das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die alles oben genannte einschloss und miteinander vereinte. In allen anderen bestehenden Ministerien gibt es nunmehr eingesetzte Arbeitseinheiten für Fragen, die in der jeweiligen Zuständigkeit des Ministeriums agieren und sich Frauenbelangen im Rahmen ihrer Thematik annehmen[16].
3.2. Berufstätige Frauen in Westdeutschland
Wie auch heute noch waren berufstätige Frauen in Westdeutschland vorwiegend im Dienstleistungssektor vorzufinden. 1975 waren 61 % aller berufstätigen Frauen verheiratet und Mütter, sodass das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie aufkam. Zwar wurde die Bildung der Frauen im Laufe der vergangenen Jahre verbessert, dennoch besetzten sie meist nur die unteren Ebenen der beruflichen Hierarchie. Auch auf allen beruflichen Qualifikationsstufen verdienten Frauen weit weniger als ihre gleichqualifizierten Kollegen und sahen geringeren Einstellungs- und Aufstiegschancen entgegen[17].
[...]
[1] „Frauenbewegung“ auf Duden Online
[2] Wörner-Heil, 1983. Seite 1
[3] Nave-Herz, 1997. Seite 48f
[4] Deutscher Frauenring e. V.; 2017.
[5] Nave-Herz, 1997. Seite 53
[6] Schenk, 1992. Seite 78f
[7] Nave-Herz, 1997. Seite 53
[8] Schenk, 1992. Seite 102
[9] Notz, 2006. Seite 30
[10] Sander, 1988. Seite 13
[11] Nave-Herz, 1997. Seite 54ff
[12] Notz, 2006. Seite 41
[13] Schenk, 1992. Seite 87
[14] Schwarzer, 1989. Seite 32
[15] Schenk, 1992. Seite 84
[16] Nave-Herz, 1997. Seite 78ff
[17] ebd., Seite 77f
- Arbeit zitieren
- Saskia Hieb (Autor:in), 2017, Die Frauenbewegung in Deutschland. Von der Nachkriegszeit bis heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375161
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