Einleitung
Als die Londoner Daily Mail am 16. Juli 1900 über das „Massaker von Peking“ berichtete, schienen sich die schwärzesten Befürchtungen bewahrheitet zu haben. Hunderte Ausländer sollten laut Zeitungsberichten von aufständischen Chinesen im Pekinger Gesandtschaftsviertel niedergemetzelt worden sein. Zwar erwiesen sich diese Meldungen letztendlich als falsch, zeigten aber die Hysterie, die Europa wegen des Boxeraufstandes erfasst hatte.1 Seit der Besetzung von Jiaozhou2 durch das Deutsche Kaiserreich 1897 begann verstärkt der Wettlauf der Großmächte um „einen Platz an der Sonne“ im riesigen Reich der Mitte. Das Land, durch wirtschaftliche und politische Krisen erschüttert, war unfähig seinen allmählichen Ausverkauf aufzuhalten. Der Hass auf die Ausländer wuchs nicht nur am Hof der Kaiserinwitwe Cixi, sondern auch in der Bevölkerung, die sich in ihren traditionellen Lebenswelten beeinträchtigt fühlte. Daraus entwickelte sich die Bewegung der Yihetuan, auch Boxer genannt, die radikal gegen konvertierte Chinesen und später gegen die Ausländer vorgingen. Die ostasiatischen Unruhen mit der Ermordung des deutschen Gesandten Freiherr von Ketteler am 19. Juni 1900 versetzten Kaiser Wilhelm II. in solche Aufregung, wie ihn der damalige Staatssekretär von Bülow nie zuvor gesehen hatte.3 Durch seine in die Geschichte eingegangene „Hunnenrede“, im Überschwang der Gefühle gehalten, rief er die Soldaten dazu auf, die Chinesen zu morden und niederzumetzeln. Zwar erreichten die deutschen Truppen Peking erst nach der Befreiung der Gesandtschaften – was den Kaiser überaus enttäuschte – sie gingen aber trotzdem mit vollem Eifer daran, seine Befehle auszuführen. Ein Jahr später fanden die ganzen Wirren ihren Abschluss mit einem Vertrag, der China ungeheuerlich finanziell belastete, und einer Sühnemission nach Deutschland, in der eine persönliche Entschuldigung des Prinzens Chun vorgebracht wurde. Damit war dem Wunsch nach Vergeltung des Deutschen Reiches für den Boxeraufstand Genüge getan.
Gliederung
1 Einleitung
2 China am Vorabend des Boxeraufstandes
2.1 „scramble for concesssions“ – das Deutsche Kaiserreich in China
2.2 Ursachen für die Entstehung der Yihequan
2.3 Hintergründe der Boxerbewegung
3 Der „Boxerkrieg“ und das Deutsche Kaiserreiche
3.1 Die Ereignisse in China
3.2 „ Pardon wird nicht gegeben“ - Kaiser Wilhelm II. und die ostasiatischen Wirren
3.3 Der „Weltmarschall“ Waldersee
4 Der Friedensschluss
5 Bilanz
6 Literaturnachweis
6.1 Quellen
6.2 Literatur
1 Einleitung
Als die Londoner Daily Mail am 16. Juli 1900 über das „Massaker von Peking“ berichtete, schienen sich die schwärzesten Befürchtungen bewahrheitet zu haben. Hunderte Ausländer sollten laut Zeitungsberichten von aufständischen Chinesen im Pekinger Gesandtschaftsviertel niedergemetzelt worden sein. Zwar erwiesen sich diese Meldungen letztendlich als falsch, zeigten aber die Hysterie, die Europa wegen des Boxeraufstandes erfasst hatte.[1]
Seit der Besetzung von Jiaozhou[2] durch das Deutsche Kaiserreich 1897 begann verstärkt der Wettlauf der Großmächte um „einen Platz an der Sonne“ im riesigen Reich der Mitte. Das Land, durch wirtschaftliche und politische Krisen erschüttert, war unfähig seinen allmählichen Ausverkauf aufzuhalten. Der Hass auf die Ausländer wuchs nicht nur am Hof der Kaiserinwitwe Cixi, sondern auch in der Bevölkerung, die sich in ihren traditionellen Lebenswelten beeinträchtigt fühlte. Daraus entwickelte sich die Bewegung der Yihetuan, auch Boxer genannt, die radikal gegen konvertierte Chinesen und später gegen die Ausländer vorgingen.
Die ostasiatischen Unruhen mit der Ermordung des deutschen Gesandten Freiherr von Ketteler am 19. Juni 1900 versetzten Kaiser Wilhelm II. in solche Aufregung, wie ihn der damalige Staatssekretär von Bülow nie zuvor gesehen hatte.[3] Durch seine in die Geschichte eingegangene „Hunnenrede“, im Überschwang der Gefühle gehalten, rief er die Soldaten dazu auf, die Chinesen zu morden und niederzumetzeln. Zwar erreichten die deutschen Truppen Peking erst nach der Befreiung der Gesandtschaften – was den Kaiser überaus enttäuschte – sie gingen aber trotzdem mit vollem Eifer daran, seine Befehle auszuführen. Ein Jahr später fanden die ganzen Wirren ihren Abschluss mit einem Vertrag, der China ungeheuerlich finanziell belastete, und einer Sühnemission nach Deutschland, in der eine persönliche Entschuldigung des Prinzens Chun vorgebracht wurde. Damit war dem Wunsch nach Vergeltung des Deutschen Reiches für den Boxeraufstand Genüge getan.
Die vorliegende Hausarbeit hat sich zur Aufgabe gestellt, den Zusammenhang zwischen dem Deutschen Reich und dem Aufstand in China näher zu beleuchten. Dabei werden auch die Gründe für die Entstehung der Yihetuan untersucht und der Frage nachgegangen, welche Rolle die deutsche „Musterkolonie“ Kiautschou spielte. Weitere Gesichtspunkte sind nachfolgend aufgeführt: Wie reagierte das Deutsche Kaiserreich auf die Unruhen in China? Wie wirkten sich die Ereignisse in Ostasien auf die deutsche Innenpolitik aus und wie wurde die stürmische Rede von Kaiser Wilhelm aufgenommen? Welche Folgen hatte der Aufstand für China und Deutschland?
Um sich diesen Fragen zu nähern, erfolgt anfangs eine Untersuchung der Situation Chinas am Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei rückt das Verhältnis China mit den westlichen Mächten sowie die deutsche Kolonie Kiautschou in den Vordergrund. Anschließend werden weitere für die Bildung der Yihetuan verantwortliche Faktoren genauer betrachtet. Darauf folgt eine kurze Einführung in die Ursprünge und die Ideologie der Boxerbewegung.
Zum näheren Verständnis der Reaktionen in Deutschland werden die Ereignisse in China knapp zusammengefasst, bevor die „Hunnenrede“ Wilhelms II. in den Vordergrund rückt. Neben einer kurzen Erläuterung der Rede und ihrer Umstände wird die Reaktion des Reichstages untersucht. Anschließend folgt die Diskussion um den Oberbefehlshaber Waldersee und sein Wirken in China. Zum Abschluss werden die Friedensverhandlungen und die „Sühnemission“ nach Deutschland kurz dargestellt, ehe der Versuch einer Bilanz über die Geschehnisse in China in den Jahren 1900/01 erfolgt.
Besondere Berücksichtigung bei der Erstellung der Hausarbeit fanden die Werke von Lanxin Xiang[4] mit einer wissenschaftlich sehr fundierten Arbeit über die Ursprünge des Boxeraufstandes, Immanuel Hsü[5] sowie Diana Preston,[6] die in ihrem Werk detailliert das Leben während der Belagerung schildert. Daneben bot der Katalog zur Ausstellung „Tsingtau - Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897 – 1914“[7], die 1998 im Deutsches Historisches Museum in Berlin stattfand, einen aufschlussreichen Blick in das Leben und die Probleme der deutschen Kolonie in Ostasien. Als Quellen wurden für die Hausarbeit u.a. die Akten des Auswärtigen Amtes[8] sowie die stenographischen Reichstagsprotokolle[9] hinzugezogen.
2 China am Vorabend des Boxeraufstandes
Um die Jahrhundertwende stand China am Rande einer Katastrophe. Die Mandschu-Regierung, nominell von Peking durch die Kaiserinwitwe Cixi regiert, schien gelähmt durch Korruption, machtlos und unfähig, den Verfall aufzuhalten. Die „Hundert-Tage-Reform“ (11. Juni – 21. September 1898) durch den jungen Kaiser Kuang Hsü war gescheitert, das Heer besaß weder moderne Waffen noch eine zentrale Kommandostruktur.[10] Nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg 1894/95 fielen die letzten Hemmungen der westlichen Mächte, die China maßlose Pachtverträge und Konzessionen abrangen. Seit 1895 war China Schauplatz der Konflikte zwischen den Großmächten, frei nach dem von den Amerikanern ausgerufenen Motto der Politik der „open door“[11]. Dabei ging es um die Beteiligung an der wirtschaftlichen Erschließung und Ausbeutung des riesigen Reiches, aber auch um Angelegenheiten des nationalen Prestiges und um die Zukunftssicherung.[12]
Durch die deutsche Besetzung Jiaozhous in Schantung war das gegeben, was zwar „nicht den einzigen, aber den hauptsächlichen Grund“ des Boxeraufstandes und seine Unterstützung durch die zentralen Behörden darstellte.[13]
2.1 „scramble for concessions“ – das Deutsche Kaiserreich in China
„Wir wollen niemanden in den Schatten stellen[14], aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne“[15], stellte der Reichskanzler Fürst Bülow 1897 im Reichstag fest. Mit der Okkupation der Bucht von Jiaozhou am 14. November desselben Jahres stand das Deutsche Reich am Beginn der "Weltpolitik" der Wilhelmin’schen Ära.[16]
Unter dem Vorwand der Ermordung zweier deutscher Missionare landete die kaiserliche Marine am 14. November 1897 in der Bucht am Gelben Meer. Knappe fünf Monate später, am 6. März 1898, musste das Mandschuregime den so genannten Kiautschou - Vertrag unterschreiben, in dem China die Bucht und das umliegende Gebiet von 515 Quadratkilometern (nicht die Stadt selbst) für 99 Jahre an das Deutsche Reich verpachtete. Zusätzlich wurde die Provinz Schantung in eine deutsche Einflusszone umgewandelt, in der die Deutschen eine Vorzugsbehandlung gegenüber den anderen europäischen Mächten genossen.[17] Der 50 km breite Streifen entlang der Grenze des Pachtgebietes wurde als neutrale Zone angesehen. Deutschland erhielt das Recht, Truppen nach Belieben durch die Zone marschieren zu lassen, alle Maßnahmen Chinas mussten mit der deutschen Regierung abgestimmt werden. Eine weitere wichtige Festlegung des Vertrages beinhaltete die Genehmigung zum Bau zweier Eisenbahnlinien, die beide zur Provinzhauptstadt Jinan führen sollten.[18]
Zweck des überseeischen Stützpunktes war die kommerzielle Erschließung des Hinterlandes und/oder ein Beitrag zur Logistik maritimer Machtentfaltung. Um Jiaozhou längerfristig zu legitimieren, musste der wirtschaftliche Ausbau vorangetrieben werden. Unter Beteiligung verschiedener deutscher Unternehmen, dominiert von der Deutsch-Asiatischen Bank, wurde das gemeinsame kapitalkräftige Schantung - Syndikat gebildet. Dem vom Syndikat gebildeten Unternehmen der „Schantung - Eisenbahngesellschaft“ wurde die Konzession zum Bau und Betrieb der Bahnstrecke nach Jinan übertragen – ein Fehlschlag wie sich später herausstellte.[19]
Am 27. April 1898 wurde aufgrund einer kaiserlichen Verordnung das Pachtgebiet zum Schutzgebiet erklärt, zuvor wurde es verwaltungsmäßig dem Reichsmarineamt zugeordnet. Darin unterschied sich Jiaozhou von allen anderen deutschen Kolonien. An der Spitze der zivilen und militärischen Verwaltung standen Gouverneure, die Marineoffiziere waren. Als Beratungsorgane des Gouverneurs fungierten drei Vertreter der deutschen Zivilgemeinde.
Mit preußischer Gründlichkeit wurde aus dem kleinen Fischerort die durch deutsche Architektur geprägte Stadt Tsingtao mit sauberen Straßen und gutem Bier. Deutsche Schilder wiesen die chinesischen Bauern an, die Gesetze der neuen Herrn zu befolgen. Zwar erlebten Stadt und Hafen eine wirtschaftliche Blüte, doch widersetzten sich die Bauern der Zerstörung ihrer traditionellen Lebensweise. Brutale Strafexpeditionen der Deutschen in aufrührerische Dörfer verstärkten den Widerwillen in der Bevölkerung, so dass der Keim für die ersten Boxer 1898 gelegt war.[20]
[...]
[1] Preston,, Diana: Rebellion in Peking. München 2001. S. 7.
[2] Die von China empfohlene „Pinyin“ – Umschrift für den chinesischen Ortsnamen lautet „Jiaozhou“. Zuvor war „Kiautschou“ (anfangs auch Kiautschau) die langjährig, amtlich gebräuchliche Schreibweise in der deutschen Literatur. Die Bucht von Jiaozhou, in der die deutsche Kolonie lag, ist nach dem Ort Jiaozhou, dem Hauptort der Präfektur Jiao’ao, benannt. Das ursprüngliche Fischerdorf Qingdao (ursprünglich Tsingtau) entwickelte sich unter deutscher Kolonialherrschaft zu einer Stadt, wo die Verwaltungsbehörden der Kolonie untergebracht waren. Vgl., Stichler, S. 109.
[3] Stockhammern, Franz v. (Hrsg.): Bernhard Fürst von Bülow Denkwürdigkeiten. Vom Staatssekretariat bis zur Marokkokrise. Bd. I. Berlin 1930/31. S. 358.
[4] Xiang, Lanxin: The origins of the Boxer war. A mulitnational study. New York 2003.
[5] Hsü, Immnauel C. Y.: The Rise of Modern China. New York, London, Toronto 1975.
[6] Preston,, Diana: Rebellion in Peking. München 2001.
[7] Hinz, Hans-Martin; Lind, Christoph (Hrsg.): Tsingtau : ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897 - 1914. Berlin 1998. (http://www.dhm.de/ausstellungen/tsingtau/katalog/auf1.htm 24.08.2004)
[8] Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914, Hg. im Auftrag des Auswärtigen Amtes J. Lepsius u.a. Bd. 16. Berlin 1924.
[9] Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 8.- 9. Legislaturperiode, Berlin 1898 ff.
[10] Massie, Robert K.: Die Schalen des Zorns. Großbritannien, Deutschland und das Heraufziehen des Ersten Weltkrieges. Frankfurt am Main 1993. S. 288.
[11] Der US-Außenminister John Hay formulierte 1899/1900 seine Positionen, die besagten, dass keine Diskriminierung in den eigenen Interessensphären und im eigenen Pachtgebiet gegen Handel treibende Angehörige eines dritten Landes erfolgt. Ebenso sollten der Meistbegünstigte respektiert und Chinas „territoriale Integrität“ gewährleistet werden. Vertragszölle sollten unter der unparteiischen Aufsicht der Seezollbehörde einheitlich angewendet werden. Vgl. Osterhammel, S. 207.
[12] Osterhammel, Jürgen: China und die Weltgemeinschaft. Vom 18. Jahrhundert bis in unsere heutige Zeit. München 1989. S. 202.
[13] Fleming, S. 28.
[14] Osterhammel, S. 207.
[15] Stenographische Berichte des Reichstages, 9. Legislaturperiode, Bd. 1, 1897/98, S. 60.
[16] Mommsen, Wolfgang J.: Kolonialherrschaft und Imperialismus: Ein Blick zurück. In: Tsingtau / Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897 – 1914. http://www.dhm.de/ausstellungen/tsingtau/katalog/auf1_22.htm 10.08.04)
[17] Fesser, Gerd: "Pardon wird nicht gegeben! Die "Hunnenrede" Kaiser Wilhelms II. am 27. Juli 1900 eröffnete einen blutigen Rachefeldzug des deutschen Militärs in China. In: Die Zeit, 2000. (http://www.zeit.de/2000/31/200031_hunnen.html 10.02.04)
[18] Stichler, S. 111.
[19] Mommsen, Wolfgang J.: Großmachtstellung und Weltpolitik : die Außenpolitik des Deutschen Reiches 1870 bis 1914. Frankfurt a. M. 1993. S. 150 f.
[20] Massie, S. 290.
- Arbeit zitieren
- Corinna Schulz (Autor:in), 2004, Das Deutsche Kaiserreich und der Boxeraufstand in China 1900, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37534