Diese Publikation setzt sich kritisch mit zentralen Fragen des deutschen Strafrechts auseinander: Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß Paragraph 63 des Strafgesetzbuches ein blinder Fleck oder Graubereich des Rechtssystems? Ist der Fall des für rund sieben Jahre in der Psychiatrie untergebrachten Gustl Mollath als Symptom eines neoliberalen Umgangs mit vermeintlich psychisch kranken Tätern zu verstehen?
Gegenstand der Veröffentlichung sind weiterhin die ab dem Jahr 2015 auf den Weg gebrachten Gesetzesanpassungen auf Bundesebene und in Bayern. Hier betrachtet der Autor, ob die neu geschaffenen Normen zur Verhinderung von Missbrauch im Maßregelvollzug geeignet sind. Zur Beleuchtung dieser Aspekte befasst sich die Arbeit damit, welchen Stellenwert psychiatrische Gutachten in der Unterbringungspraxis einnehmen und wo juristische und ethische Grenzen verlaufen.
Die Untersuchung besitzt neben psychiatrischen und juristischen Aspekten einen in erster Linie kriminologischen Charakter. Nach einer Bestimmung relevanter Begriffe befasst sich der Verfasser mit dem Unterbringungsverfahren sowie der Unterbringungspraxis in Deutschland. Er stellt außerdem die gesetzlichen Neuregelungen auf dem Gebiet der strafrechtlichen Unterbringung vor. Zur Einordung der Abläufe im Fall Mollath hat der Verfasser auf fünf psychiatrische Gutachten sowie gerichtliche Entscheidungen zurückgegriffen. Er analysiert sie hinsichtlich Quellen, Stringenz und gutachterlichen Bewertungen.
Aus dem Inhalt:
-Psychiatrie;
-Strafrecht;
-Gustl Mollath;
-Maßregelvollzug;
-Psychologisches Gutachten
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Einführung in die Thematik
1.2 Gegenstand der Arbeit
1.3 Wissenschaftliche Prägung der Arbeit
1.4 Kriminologische Vorüberlegungen
1.5 Aufbau und Methodik
2 Begriffsbestimmungen
2.1 Maßregeln der Besserung und Sicherung
2.2 Der juristische Krankheitsbegriff - Kriminell oder psychisch krank?
3 Gesetzliche Rahmenbedingungen des Maßregelvollzugs in Deutschland
3.1 Die historische Entwicklung des Maßregelvollzugs
3.2 Bisherige Grundlagen der Bundesgesetzgebung
3.3 Bisherige Voraussetzungen der Unterbringung nach § 63 StGB
3.4 Bisherige Voraussetzungen für die Beendigung der Unterbringung nach § 63 StGB
3.5 Bisherige gesetzliche Grundlagen des Maßregelvollzugs in Bayern
3.6 Die psychiatrische Begutachtung im strafrechtlichen Unterbringungsverfahren
3.6.1 Formen der psychiatrischen Begutachtung
3.6.2 Inhaltliche Anforderungen an Gutachten
3.6.3 Die Prognosebegutachtung im Unterbringungsverfahren
3.6.4 Die Rolle des Gutachters
3.6.5 Rollenkonflikte
3.7 Die quantitative Entwicklung der psychiatrischen Unterbringung in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland
3.8 Kriminologische Erklärungsansätze der veränderten Anordnungspraxis
3.9 Zwischenfazit
4 Der Fall Gustl Mollath
4.1 Die Biographie des Gustl Mollath
4.2 Die juristische Chronologie des Falles
4.3 Die juristische Aufarbeitung der Schwarzgeldvorwürfe
4.4 Qualitätive Inhaltsanalyse psychiatrischer Sachverständigen- gutachten
4.4.1 Gutachten des Dr. Leipziger vom 25. Juli 2005
4.4.2 Gutachten des Dr. Simmerl vom 26. September 2007
4.4.3 Gutachten des Prof. Dr. Kröber vom 27. Juni 2008
4.4.4 Gutachten des Prof. Dr. Pfäfflin vom 12. Februar 2011
4.4.5 Gutachten des Prof. Dr. Nedopil vom 23. Juli 2014
4.4.6 Zusammenfassung der Inhaltsanalyse
4.5 Gesamtbetrachtung der gutachterlichen Stellungnahmen der
psychiatrischen Krankenhäuser
4.5.1 Stellungnahme des BKH Straubing vom 8. Januar 2008
4.5.2 Stellungnahme des BKH Bayreuth vom 3. November 2009
4.5.3 Stellungnahme des BKH Bayreuth vom 15. Januar 2010
4.5.4 Stellungnahme des BKH Bayreuth vom 18. April 2012
4.5.5 Ergänzende Stellungnahme des BKH Bayreuth vom 27. Juli 2012
4.6 Die juristische Wertung der psychiatrischen Aussagen
4.7 Die Richtungsänderung in der Entscheidungsfindung ab 2013
4.8 Problemanalyse
4.8.1 Die Beweisführung - Übergewicht belastender Aussagen der früheren Ehefrau?
4.8.2 Der diagnostische Spielraum des psychiatrischen Sachverständigen - Im Zweifel gegen den Angeklagten?
4.8.3 Die Anknüpfung an frühere Gutachten - Gefahr der Etikettierung?
4.8.4 Gewicht und Objektivität gutachterlicher Stellungnahmen
4.8.5 Die Verhältnismäßigkeit der Verwahrungsdauer - Divergenzen zwischen gesunden und kranken Tätern?
4.8.6 Die späte Berücksichtigung neuer Tatsachen
4.8.7 Mangelnder Rechtschutz für vermeintlich kranke Täter?
5 Gesetzliche Neuregelungen im Maßregelvollzugsrecht
5.1 Die Novellierung des Maßregelvollzugsrechts im Strafgesetzbuch im Jahr 2016
5.1.1 Anhebung der Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB
5.1.2 Absenkung der Kriterien für eine Bewährungsaussetzung gem. § 67 d Abs. 2 StGB
5.1.3 Anhebung der Fortdauerkriterien für weniger schwerwiegende Anordnungsfälle nach sechs bzw. zehn Jahren (§ 67d Abs. 6 StGB)
5.1.4 Erweiterung der strafprozessualen Prüfmechanismen
5.2 Fachliche Kritik
5.3 Die Verabschiedung des Bayerischen Maßregelvollzugsgesetzes
5.4 Fachliche Kritik
5.5 Zusammenfassung
6 Schlussfolgerungen
7 Schlussthesen und Empfehlungen
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anlage
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Vierfeldertafel: Rückfallprognose
Abb. 2: Anzahl Untergebrachter gem. § 63 StGB
Abb. 3: Verweildauer innerhalb der Unterbringung gem. § 63 StGB
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
1.1 Einführung in die Thematik
Als der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Franz Schindler im Juli 2015 erklärte, „Die Dunkelkammer des Rechts wird ein bisschen heller, aber sie wird nicht aufgelöst.“ (Schindler 2015, zit. in: Bayerischer Landtag 2015a, o. S.), ging er damit auf die Verabschiedung des Maßregelvollzugsgesetzes des Freistaates Bayern ein. Fast exakt zwei Jahre zuvor hatte ein eigens eingesetzter Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtages eklatante Defizite der Justiz im Umgang mit dem wegen Schuldunfähigkeit in der forensischen Psychiatrie untergebrachten Gustl Mollath aufgezeigt. Zugleich verwies das Gremium auf den seit Jahren stetig steigenden Anteil von gerichtlichen Einweisungen in den Maßregelvollzug (Bayerischer Landtag 2013, S. 124-126). Mollath war in einem Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Regensburg am 14. August 2014 freigesprochen worden, obgleich ein gewaltsamer Übergriff auf seine frühere Ehefrau als erwiesen galt. Für mehr als sieben erlittene Jahre in geschlossener Unterbringung in verschiedenen psychiatrischen Krankenhäusern wurde ihm durch das Gericht eine staatliche Entschädigung zugesprochen (LG Regensburg 2014a, S. 3 ff.). Infolge der dichten medialen Berichterstattung erlangte er den Status eines Justizopfers, dem es lediglich dank seiner Beharrlichkeit gelungen war, eine gerichtliche Aufhebung der Zwangsunterbringung zu erwirken (o. V. 2014, o. S.).
Der Fall zeigte in nüchterner Deutlichkeit die systemimmanenten Gefahren der auf das Jahr 1933 zurückgehenden Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. Schuhmann 1987, S. 2). Konsequent hatte der vermeintlich psychisch kranke, heute 60-jährige Mollath im Erkenntnisverfahren eine psychiatrische Begutachtung verweigert, so dass in der Folge lediglich anhand seines Verhaltens vor Gericht, der Art und Begehung der angeklagten Straftaten sowie Aussagen von Dritten eine gutachterliche Expertise erstellt werden konnte. Jene sah eine wahnhafte Störung als vorliegend an und empfahl die Unterbringung aufgrund psychischer Schuldunfähigkeit (LG Regensburg 2014a, S. 3 ff.). Während Prozess und Unterbringung hatte der Angeklagte weitreichende Schwarzgeldgeschäfte seiner geschiedenen Ehefrau mit Verwicklungen in höchste gesellschaftliche Sphären offenzulegen versucht und dabei politische Einflussnahme zu seinem Nachteil beklagt (o. V. 2014, o. S.). Mollath gelang es in den folgenden Jahren nur mühsam, die Klassifizierung, psychisch krank und gefährlich zu sein, ins Wanken zu bringen. Eine zeitliche Befristung der Maßregel sah das Gesetz trotz wiederholter Mahnung des Bundesverfassungsgerichts nicht vor (vgl. BVerfG 2010, Az. 2 BvR 660/09, S. 18 ff.). Anders als bei der Anordnung zeitlicher Freiheitsstrafen zeigte der justizielle Umgang mit Gustl Mollath, dass die Dauer der Unterbringung bis zur Novellierung des Gesetzes nicht zwingend in einem ausgewogenen Verhältnis zur Schwere der begangenen Taten stehen musste. Während Bayern die Ausgestaltung des Vollzugs bereits im Jahr 2015 neu ordnete, setzte der Bundesgesetzgeber eine weitreichende Gesetzesanpassung im August 2016 um (Deutscher Bundestag 2016, S. 1 f.). Erstmals könnte das Rechtsinstitut Maßregel damit nach vielen Jahrzehnten eine deutliche Zäsur erfahren.
1.2 Gegenstand der Arbeit
Die vorliegende Masterarbeit setzt sich kritisch mit der zentralen Fragestellung auseinander, ob und inwieweit die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine „Dunkelkammer des Rechts“, also eine Art blinder Fleck oder Graubereich des deutschen Rechtssystems, war und ob der Fall Mollath als Symptom eines krankenden Umgangs mit vermeintlich psychisch kranken Tätern zu verstehen ist. Gegenstand der Arbeit sind weiterhin die ab dem Jahr 2015 auf den Weg gebrachten Gesetzesanpassungen auf Bundesebene und in Bayern. Hieraus ergibt sich die Frage, ob die neu geschaffenen Normen zur Verhinderung von Missbrauch im Maßregelvollzug geeignet sind bzw. welche Lücken es nach wie vor gibt. Zur Beleuchtung dieser Fragen wird sich die Arbeit anhand des Mollath-Verfahrens damit befassen, welchen besonderen Stellenwert psychiatrische Sachverständigengutachten in der Unterbringungspraxis einnehmen und wo juristische und ethische Grenzen des Systems verlaufen.
1.3 Wissenschaftliche Prägung der Arbeit
Die vorliegende Untersuchung besitzt neben psychiatrischen und juristischen Aspekten einen in erster Linie kriminologischen Charakter. Schließlich befasst sich die Kriminologie mit den „Folgen und der Verhinderung von Straftaten sowie mit der Behandlung von Straffälligen“ (Göppinger 2008, S. 1). Analog dazu definiert Schneider die Kriminologie als interdisziplinäre Sozialwissenschaft, die das „Täter- und Opferwerden“ im gesamtgesellschaftlichen Kontext erforscht (Schneider 2014, S. 39). Die von Kaiser beschriebene Stigmatisierungspraxis in Form der „Auslesung“ von Straftätern[1], die als sozial auffällig oder randständig gelten, wird eine wesentliche Gedankenstütze bei der Auseinandersetzung mit dem Beispielfall sein und ist ein wesentlicher Gesichtspunkt der nachfolgend skizzierten Grundannahmen (vgl. Kaiser 1996, S. 277). Albrecht fordert, die Kriminologie müsse sich stärker mit der Entwicklung des Strafrechts und den gesellschaftlichen Funktionen des Kriminaljustizsystems auseinandersetzen, das einem Funktionswandel hin zu einem „Risikostrafrecht“ unterliege (Albrecht 2010, S. 5). Dabei müsse sie sich als kritische Wissenschaft dem „Gedanken der Freiheitssicherung“ verpflichtet fühlen (ebd. S. 6). Abschließend zählt Nedopil die Kriminologie zu den Kernbereichen der in dieser Arbeit näher betrachteten psychiatrischen Begutachtung. Bedeutsame Ansätze liefere die kriminologische Forschung beispielsweise dort, wo psychiatrische Befunde objektiviert und deren Auswirkungen auf die Lebensqualität psychisch gestörter Menschen auf wissenschaftlicher Grundlage ausgewertet würden (vgl. Nedopil/Müller 2012, S. 20).
1.4 Kriminologische Vorüberlegungen
In der Kriminologie existieren vielfältige Theorien zur Erklärung von Kriminalität bzw. abweichendem Verhalten. Dabei stehen sich Ansätze, die Kriminalität als objektivierbares Phänomen einer bestimmten Ursache zuordnen (Ätiologische Ansätze) solchen gegenüber, die kriminelles Verhalten als Folge einer Zuschreibung durch die Strafverfolgungsorgane (Etikettierungsansätze/Labeling Approach) betrachten (Albrecht 2010, S. 28). Eine Strömung der ätiologischen Ansätze, die Biologischen Kriminalitätstheorien, sucht Ursachen für kriminelles Verhalten in der genetischen Disposition. So könne kriminelles Verhalten unter Umständen als Zusammenwirken angeborener biologischer Merkmale und individueller Sozialisation verstanden werden (vgl. Hermann in: Kröber et al. 2009, S. 289 ff.).
Volckart/Grünebaum üben jedoch Kritik an diesem Ansatz. Häufig würden dem Betroffenen biologische Merkmale zugeschrieben, die ihn „jenseits der systemischen Gesamtbetrachtung voreilig in eine diskriminierende Schublade [sortierten]“ (2015, S. 211). Diese Einschätzung bildet die Überleitung zum Etikettierungs- bzw. Labeling-Ansatz, deren Anhänger, wie etwa Tannenbaum und Sack, kriminelles Verhalten nicht nur auf die Unangepasstheit des Individuums, sondern daneben auf Zuschreibungs- und Stigmatisierungsprozesse von Polizei und Justiz zurückführen. Inhaltlich wird der Vorwurf gegen Polizei und Justiz erhoben, insbesondere sozial randständigen Tätern den Stempel des Straftäters gleichsam aufzudrücken und damit zu einer Kriminalisierung bestimmter Personen beizutragen. Anlass zu dieser Annahme waren die von Sack gewonnen Erkenntnisse zur Ubiquität, also zur gesellschaftlichen Gleichverteilung von Kriminalität (vgl. Schwind 2016, S. 161). Die Gefahr der Etikettierung und Stigmatisierung psychisch kranker Täter bzw. fälschlich dafür gehaltener Individuen offenbart sich angesichts einer „verbreiteten Missachtung und Geringschätzung“ von Psychiatriepatienten in besonderer Form, wie Fischer befindet. Entsprechend sei eine gesellschaftliche Tendenz zu beobachten, Einschränkungen in Freiheitsrechte dieser Klientel vor dem Hintergrund einer „Allgemeinlästigkeit“ unreflektiert hinzunehmen (Fischer 2016, S. 568).
Da sich die Kernaspekte der letztgenannten Perspektive mit Beobachtungen im Fall Mollath decken, soll der Etikettierungsansatz als wesentlicher theoretischer Grundgedanke dieser Arbeit dienen und im Folgenden wiederkehrend reflektiert werden.
1.5 Aufbau und Methodik
Zum besseren Verständnis der Thematik erfolgt zunächst eine Bestimmung relevanter Begriffe und die Vorstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Maßregelvollzugs, bevor sich der Verfasser der psychiatrischen Begutachtung im Unterbringungsverfahren und der Entwicklung der Unterbringungspraxis in Deutschland widmet. Die anschließende Analyse des justiziellen Umgangs mit Gustl Mollath und daraus abzuleitende Problemstellungen bilden den Schwerpunkt der Arbeit. Danach werden die gesetzlichen Neuregelungen auf dem Gebiet der strafrechtlichen Unterbringung vorgestellt, um abschließend eine kritische Würdigung verbunden mit einem Ausblick vorzunehmen.
Die Bearbeitung erfolgt vorrangig auf Basis der wissenschaftlichen Literatur. Zur exakten Einordung der Abläufe im Fall Mollath wird der Verfasser daneben auf fünf psychiatrische Sachverständigengutachten sowie gerichtliche Entscheidungen zurückgreifen und sie hinsichtlich Quellen, Stringenz und schließlich gutachterlichen Bewertungen einer qualitativen Analyse unterziehen. Durch die Auswertung soll herausgefunden werden, inwieweit Feststellungen aus Akten möglicherweise lediglich reflektiert wurden und welche neuen diagnostischen bzw. prognostischen Erkenntnisse tatsächlich Einfluss fanden. Insofern handelt es sich um eine primär literaturtheoretische Arbeit mit einem qualitativ-empirischen Anteil. Letzterer bedient sich der qualitativen Inhaltsanalyse, namentlich der Zusammenfassung (Diekmann 2014, S. 608). Hierfür werden die zum Teil umfangreichen Sachverständigengutachten in einzelne Kategorien gegliedert, die in einem nächsten Schritt eine Vergleichsbasis bieten. Der Fall Mollath, bei dem es sich unstrittig um einen Einzelfall handelt, wird mit der bisherigen Praxis der strafrechtlichen Schuldunfähigkeit in Beziehung gesetzt (vgl. Hering/Schmidt in: Baur/Blasius 2014, S 529 f.). Er ist aus Sicht des Verfassers hervorragend geeignet, die kriminologisch relevanten Abläufe der psychiatrischen Unterbringung besser begreifbar zu machen und liefert Ansätze zu einer globalen Betrachtung des Rechtsinstituts Maßregelvollzug.
Eine Besonderheit dieser Arbeit liegt in der freien Zugänglichkeit der justiziellen Quellen, insbesondere sensibler Sachverständigengutachten, gutachterlicher Stellungnahmen und von Gerichtsurteilen bzw. -beschlüssen, für deren Auswertung und Verwendung grundsätzlich Genehmigungen der Betroffenen unentbehrlich wären. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 1997 festgelegt, dass Veröffentlichungen von Urteilen stets anonymisiert und für die Öffentlichkeit neutralisiert zu erfolgen haben (BVerwG 1997, Az. 6 C 3/96). Die für diese Arbeit relevanten Expertisen wurden durch den Strafverteidiger Mollaths, Dr. Gerhard Strate, auf dessen Internetpräsenz veröffentlicht und sind mit Ausnahme weniger Schwärzungen, vollständig und ohne Einschränkungen auswertbar. Der offensive Umgang mit der Korrespondenz des Falles gewährt dem Betrachter somit selten freie und detaillierte Einblicke in den langjährigen gerichtlichen und klinischen Prozess und ermöglicht so eine objektive Sicht auf die zurückliegenden Entscheidungen.
2 Begriffsbestimmungen
2.1 Maßregeln der Besserung und Sicherung
Das deutsche Strafgesetzbuch unterscheidet – im Gegensatz zu sogenannten einspurigen Strafgesetzen – zwischen zwei Rechtsfolgen: der Strafe und der Maßregel der Besserung und Sicherung (Roxin 2006, S. 2). Dabei setzt die Anordnung einer Strafe immer schuldhaftes Handeln voraus und zielt dabei auf die Vorwerfbarkeit, mithin auf die persönliche Verantwortung des Täters, ab (Volckart/Grünebaum 2015, S. 1). So schreibt § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB vor, dass „die Schuld des Täters […] Grundlage für die Zumessung der Strafe“ ist. Eine Bestrafung des schuldunfähigen Rechtsbrechers schließt das Gesetz dagegen aus (vgl. Roxin 2006, S. 92). Während jede Strafe demzufolge eine Vorwerfbarkeit erfordert, kann eine Maßregel der Besserung und Sicherung auch in Fällen der sogenannten Schuldunfähigkeit bzw. verminderter Schuldfähigkeit quasi subsidiär angeordnet werden, sofern der Täter eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt (Roxin 2006, S. 2).
Die sogenannte Zweispurigkeit von Strafen und Maßregeln erlaubt es, immer dann, wenn eine Schuldstrafe nicht ausreichend ist, um den Schutz der Gesellschaft angemessen zu erfüllen, freiheitsentziehende Maßnahmen gegen gefährliche Täter auszusprechen (Volckart/Grünebaum 2015, S. 1). Dies betrifft nicht ausschließlich psychisch kranke (§ 63 StGB), sondern auch alkohol- und betäubungsmittelabhängige Täter, die kriminelle Handlungen im Rauschzustand begangen haben (§ 64 StGB). Letztere werden in sogenannten Entziehungsanstalten untergebracht. Ebenso können Täter mit einem Hang zu gefährlichen Taten im Anschluss an eine Freiheitsstrafe in die Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) überstellt werden und dort – nach verbüßter Strafe – zum Schutz der Allgemeinheit über längere Zeiträume verwahrt bleiben. Rechtstheoretisch erbringt der Schuldlose damit ein „Sonderopfer“ für die Sicherheit der Allgemeinheit (Volckart/Grünebaum 2015, S. 1).
Daneben nennt das Strafgesetzbuch drei weitere Maßregeln, die nicht mit einem Freiheitsentzug verknüpft sind: die Führungsaufsicht, die Entziehung der Fahrerlaubnis und das Berufsverbot (vgl. § 61 StGB).
Streng genommen, ist der Begriff des Strafgesetzbuches somit zu eng gefasst, sieht das Gesetz doch auch Behandlungs- und Sicherungsmaßnahmen jenseits der klassischen Strafe vor. Wie diese Arbeit im Folgenden zu belegen versucht, kann die angeordnete Maßregel vom betroffenen Individuum unter Umständen dennoch als strafähnliche Sanktion begriffen werden (Roxin 2006, S. 2).
Es bleibt demnach festzuhalten, dass jede Maßregel aus spezialpräventiven Gesichtspunkten heraus Anordnung findet, nämlich um künftige Straftaten des einzelnen Täters zu verhindern, die Gesellschaft damit zu schützen und den (Krankheits-)Zustand des Patienten zu verbessern. Mit dem Begriff der Besserung greift der Gesetzgeber einer Beendigung der Unterbringung vor, sofern die Gefahrenprognose des Untergebrachten reduziert bzw. aufgehoben werden kann (Stolpmann 2010, S. 30). Patienten, die infolge tiefgreifender Störungen oder Erkrankungen keine Aussicht auf Besserung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit erkennen lassen, sollen die erforderliche Aufsicht und Pflege innerhalb einer gesicherten Einrichtung erfahren. In letzterem Fall verbleibt im Sinne des Sicherungsgedankens der Maßregel allein das Ziel des Schutzes der Allgemeinheit (vgl. Nedopil/Müller 2012, S. 45).
Trotz der starken Fokussierung auf die Spezialprävention ergeben sich aus der Anordnungspraxis heraus gewisse Aspekte, die geeignet sind, die Allgemeinheit abzuschrecken, mithin also generalpräventiv wirken. Hier sei exemplarisch die Sicherungsverwahrung genannt, die besonders die Gruppe von Sexualstraftätern betrifft und in der öffentlichen Diskussion häufig thematisiert wird (Roxin 2006, S. 97).
Diese Arbeit widmet sich der Maßregel mit dem gravierendsten Eingriff in das Freiheitsrecht des Individuums, der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, verankert in § 63 StGB. Darunter sind besonders gesicherte Einrichtungen zu verstehen, die größtenteils an allgemein-psychiatrische Kliniken angeschlossen sind. Vereinzelt werden hoch gesicherte Maßregelvollzugseinrichtungen auch gesondert, abseits der Allgemeinpsychiatrie, installiert (Göppinger 2008, S. 751). Hax-Schoppenhorst und Schmidt-Quernheim bezeichnen die Forensische Psychiatrie als „Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Strafvollzug“ (2008, S. 21), ist sie zusammenfassend doch eine ärztlich geleitete, strafrechtliche Zwangsmaßnahme (vgl. Stolpmann 2010, S. 29).
2.2 Der juristische Krankheitsbegriff - Kriminell oder psychisch krank?
Im vorhergehenden Abschnitt fand bereits die Begrifflichkeit der psychischen Erkrankung Erwähnung. Der für die Anordnung der Unterbringung im Maßregelvollzug relevante Krankheitsbegriff ist ein juristischer, der sich vom medizinischen Terminus deutlich abgrenzt. Während letzterer Ursachen, Symptome, Krankheitsverlauf und Therapieaspekte beschreibt, vernachlässigt der juristische Krankheitsbegriff die Gesichtspunkte der Krankheitsentstehung und Therapierbarkeit. Er beschränkt sich im Wesentlichen auf die Festlegung des Ausmaßes einer Störung und die damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen. Im Gegensatz zur Weiterentwicklung von Diagnosemanualen, wie etwa dem Diagnoseschema der WHO (ICD) gelten die juristischen Termini über Jahrzehnte aus Gründen der Rechtssicherheit fort (Nedopil/Müller 2012, S. 27). Die Prüfung der Voraussetzungen, ob ein Täter ohne bzw. mit eingeschränkter Schuld gehandelt hat, ist zweistufig aufgebaut (Tondorf/Tondorf 2011, S. 18).
Das Gesetz legt in § 20 StGB zunächst die vier nachfolgend beschriebenen persönlichen Eingangsmerkmale fest, die eine Verminderung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit hervorrufen können (Roxin 2006, S. 886). Diese stellen gewissermaßen ein Konglomerat aus medizinisch-psychiatrischen und juristischen Krankheitsmerkmalen dar. Die spezifische Bezeichnung geht teilweise auf frühere Krankheitsmodelle zurück, so dass die Begriffe heute in Teilen antiquiert wirken. Seit langem fordern Juristen und Gutachter eine dementsprechende Erneuerung der spezifischen Terminologie (Nedopil/Müller 2012, S. 39).
Krankhafte seelische Störung
Unter dieses erste Eingangsmerkmal fallen alle Beeinträchtigungen im Sinne einer Psychose, sowohl angeborene Leiden, als auch durch Krankheiten ausgelöste Symptome, wie beispielsweise Psychosen nach Hirnverletzungen, Epilepsie oder krankhafte Störungen nach Hirnhautentzündungen oder Tumoren. Sogenannte „endogene Psychosen“ mit den beiden Formenkreisen der Schizophrenie und der Zyklothymie werden dem Störungsbegriff genauso zugerechnet wie genetisch bedingte Erkrankungen, wie beispielsweise das Down-Syndrom (Nedopil/Müller 2012, S. 40).
Die tiefgreifende Bewusstseinsstörung
Das Gesetz versteht unter diesem Begriff Veränderungen des Bewusstseins, die bei gesunden Menschen auftreten können. Dazu gehören Abweichungen aufgrund von Erschöpfung oder Übermüdung, aber auch als Folge besonderer Belastungen, wie Angst, Zorn, Hypnose oder eines Alkohol- bzw. Drogenrauschs (ebd., S. 40).
Der Schwachsinn
Unter das Merkmal Schwachsinn werden alle angeborenen Störungen der Intelligenz subsumiert, für die keine nachweisbare Ursache genannt werden kann. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen drei Formen. Während die „Debilität“ der leichteste Grad des Schwachsinns ist und in der Regel einen Sonderschulabschluss ermöglicht, verhindert die „Imbezillität“ eine selbstständige Lebensführung. Als schwerste Form gilt die „Idiotie“, bei der Betroffene zumeist nicht sprachfähig sind und dauerhafter Pflege bedürfen (Roxin 2006, S. 896).
Die schwere andere seelische Abartigkeit
Konkret werden hierunter Störungen erfasst, die nicht von den drei vorgenannten Definitionen abgedeckt sind. Hierunter fallen in erster Linie die Gruppe der Persönlichkeitsstörungen, neurotische Entwicklungen, sexuelle Paraphilien sowie chronischer Substanzmittelmissbrauch (Nedopil/Müller 2012, S. 41). Roxin bejaht das Vorliegen der Kriterien auch bei Tätern mit „abnorm gesteigerter Sexualität (Hypersexualität)“ oder Fällen „hochgradigen Querulantentums“ (Roxin 2006, S. 897). Nedopil/Müller beurteilen den Begriff des vierten Eingangsmerkmals als „unglücklich gewählt“ (2012, S. 41). Häufig würde der exakte Wortlaut von Sachverständigen bewusst nicht explizit wiederholt, sondern nur als „viertes Merkmal“ oder „SASA“ (Anm.: Akronym, das für die Anfangsbuchstaben des Begriffs steht) bezeichnet (ebd.). Rasch/Konrad halten den Terminus der Abartigkeit schlicht für diskriminierend und fachlich falsch, da er auf der Theorie der Degenerationslehre fuße (2013, S. 228).
Ausschließlich dann, wenn ein oder mehrere Kriterien gutachterlich belegt sind, werden in einem zweiten Schritt der Ausprägungsgrad und die Auswirkungen des attestierten Eingangsmerkmals quantifiziert. Es gilt dabei festzustellen, ob der Täter allein aufgrund des diagnostizierten Merkmals unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen (Einsichtsfähigkeit) oder nach dieser Einsicht zu handeln (Steuerungsfähigkeit) (Roxin 2006, S. 886). Einsichtsunfähig ist der Täter, der aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten nicht in der Lage ist, das Unrecht seines Handelns einzusehen. Als vermindert bzw. nicht steuerungsfähig werden Personen bezeichnet, die krankheitsbedingt zu keiner anderen, angepassten Handlungsmöglichkeit im Stande waren (Nedopil/Müller 2012, S. 41). Während schuldunfähige Personen i. S. § 20 StGB nicht bestraft werden können und damit entschuldigt sind, sieht § 21 StGB lediglich die Möglichkeit einer Minderung der Strafe vor (Volckart/Grünebaum 2015, S. 7).
Liegen die beschriebenen Bedingungen vor, gilt der Betroffene als schuldunfähig bzw. vermindert schuldfähig und mithin in der juristischen Bewertung als krank. Werden die Voraussetzungen hingegen verneint, erhält der Täter eine schuldangemessene Strafe und gilt gemeinhin als „kriminell“ (Nedopil/Müller 2012, S. 39).
3 Gesetzliche Rahmenbedingungen des Maßregelvollzugs in Deutschland
3.1 Die historische Entwicklung des Maßregelvollzugs
Betrachtet man die Idee des individuellen Umgangs mit schuldunfähigen Tätern, so kann Aristoteles zu den frühen Vordenkern dieser staatlichen Reaktion gezählt werden. Ein Mensch, der eine gesellschaftlich missbilligte Handlung unter dem Einfluss eines Wahns oder infolge psychischer Desorientierung begangen hat, solle nach seiner Vorstellung keiner Strafe unterliegen. Im 17. Jahrhundert unternahm der Leibarzt des Papstes, Paolo Zacchia, den Vorstoß, bei bestimmten Gerichtsverfahren ärztlichen Rat einzuholen (Nedopil/Müller 2012, S. 20). In seinen 1621 verfassten „Quaestiones medico-legales“ stellte er ein Modell dreier Formen der geistigen Beeinträchtigung vor (ebd.). Die „peynliche Gerichtsordnung“ Karls V. aus dem Jahr 1532 sah für den Geistesgestörten Straffreiheit vor, sofern er „wissentlich seyner Sinne nit het“ (Foerster/Dreßing in: Dreßing/Habermeyer 2015, S. 5).
Im industrialisierten Mitteleuropa des 19. Jahrhunderts stand zunehmend die Frage der „Brauchbarkeit“ des Individuums im gesellschaftlichen Fokus (Kammeier 2010, S. 1). Die staatliche Bürokratie setzte dabei auf eine Trennung geistig kranker Menschen vom Familienverbund und zielte darauf ab, das „krank machende Milieu“ in sogenannte Irrenanstalten zu verbannen, die hierdurch eine deutliche Expansion erlebten (ebd.). Das im Jahr 1871 verabschiedete erste Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches sah dann erstmals im deutschsprachigen Raum die psychische Schuldunfähigkeit (§ 51) wegen „Bewusstlosigkeit“ oder „krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ vor (Nedopil/Müller 2012, S. 24). Allerdings bestand für die Richter keine gesetzliche Handhabe zur Unterbringung eines psychisch kranken und gefährlichen Täters, was zum gesellschaftlichen Unverständnis beitrug (Kammeier 2010, S. 2). Der Schuldunfähige berührte allein den Kompetenzkreis der Polizei, die ihrerseits Personen, welche eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten, in sogenannte „Heil- und Pflegeanstalten“ bzw. „Trinkerheilanstalten“ einweisen konnte (ebd., S. 2). Dies geschah allerdings oft ohne sachverständige Begleitung, so dass Unterbringungen häufig ohne tatsächliche psychiatrische Indikation mit der Begleiterscheinung der zunehmenden Hospitalisierung angeordnet wurden (Kammeier 2010, S. 2).
Erst 1933 wurde im Zuge der Strafrechtsreform auch die verminderte Zurechnungsfähigkeit in § 51 aufgenommen. Im sogenannten Gewohnheitsverbrechergesetz waren damit erstmals die Maßregel der Besserung und Sicherung im Strafgesetz verankert (ebd., S. 6). Als Eingangsmerkmale erwähnte das Gesetz die Kriterien „Bewusstseinsstörung, Geistesschwäche und krankhafte Störung der Geistestätigkeit“ (ebd.). Die Norm, die am 1. Januar 1934 in Kraft trat, trug die unverkennbare Handschrift der Nationalsozialisten, die die Grundlage von Delinquenz im Biologischen suchte (Nedopil/Müller 2012, S. 23). Sie beinhaltete in Teilen eine faschistisch geprägte Tätertypologie und sah u. a. erstmals die Möglichkeit der Zwangskastration „gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher“ vor (Kammeier 2010, S. 8). Mit der Strafschärfung für gefährliche Gewohnheitsverbrecher erhielt das Gesetz eine spezialpräventive Komponente, die sich der Täterpersönlichkeit und nicht mehr primär der Tat widmete. Die Unterbringungsdauer konnte durch das Gesetz unbefristet angeordnet werden. Eine Beendigung der Verwahrung setzte ausschließlich den „positiven Nachweis der Freiheitsfähigkeit“ voraus (ebd., S. 7). Als bedeutsame Neuerungen galten weiterhin die einstweilige Unterbringung sowie die Hinzuziehung eines Arztes als Sachverständigen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen behielt die überwiegende Zahl der Unterbringungsvorschriften auch nach dem Niedergang des Nationalsozialismus zunächst ihre Gültigkeit (vgl. Hax-Schoppenhorst/Schmidt-Quernheim 2008, S. 20).
Für Kammeier markierten die beginnenden 1960er Jahre eine „Phase der Verrechtlichung des Straf- und Maßregelvollzugs“, die sich im Besonderen im Zuge der Strafrechtsreform des Jahres 1975 niederschlug (2010, S. 14). Angelehnt an eine „Behandlungseuphorie“ dieser Zeit stand fortan der Gedanke der Resozialisierung im Mittelpunkt des Gesetzes, wobei der Aspekt Sicherheit im Zusammenwirken mit dem psychisch kranken Täter gewährleistet werden sollte (ebd.). Mit der Reform des Strafrechts wurden die vier Eingangsmerkmale (s. Ziff. 2.2) in ihrer heutigen Fassung in den Gesetzeskanon aufgenommen. Damit wurden erstmalig Beeinträchtigungen als Kriterien aufgenommen, die teilweise lediglich Ausnahmezustände darstellten (Nedopil/Müller 2012, S. 24).
Eine im Jahr 1975 von der Bundesregierung eingesetzte Psychiatrie-Enquete-Kommission (Deutscher Bundestag, 1975) bescheinigte dem Rechtsinstitut Maßregel, es nehme eine „absolute Schlussposition“ im Versorgungsbereich ein (Kammeier 2010, S. 15). Diese Einschätzung sollte den Startschuss für eine Reform der psychiatrischen Anstalten mit baulichen Veränderungen, Vollzug in Wohngruppen und einer Verbesserung der personellen Ausstattung markieren. Der Versuch der Bundesregierung, ein bundeseinheitliches Maßregelvollzugsgesetz vorzustellen, scheiterte am Widerstand der Bundesländer. Gleichwohl verabschiedeten erste Länder an entsprechende Vorschläge angelehnte Landesgesetze. Diese galten teilweise jedoch als verfassungsrechtlich bedenklich und divergierten hinsichtlich Qualitäts- und Versorgungsstandards erheblich (ebd.).
In der DDR existierte das Rechtsinstitut Maßregelvollzug im Strafgesetz im Übrigen nicht. Stattdessen wurden Personen, die nach dem StGB als unterbringungsbedürftig galten, im Bereich der allgemeinen Psychiatrie gemäß dem Einweisungsgesetz (EinweisG) verwahrt, das seinerseits nur unzureichend Schutz vor staatlichem Missbrauch gewährte (Süß 2006, S. 351 f).
Angesichts mehrerer Fälle von Tötungsdelikten zum Nachteil von Kindern in den 1990er Jahren entfachte eine gesellschaftliche Sicherheitsdebatte, der politische Forderungen nach einem strengeren Umgang mit gefährlichen Straftätern unter der Maßgabe „Sicherheit vor Therapie“ folgten (Kammeier 2010, S. 17). Der von Kammeier als „Dominanz der Sicherheit“ titulierte Umgang des Staates mit gefährlichen Tätern wirkte sich kontinuierlich erschwerend auf untergebrachte Maßregelpatienten aus, was exemplarisch in einer unnachgiebigen Lockerungspraxis und einer Verschärfung der Kriterien zur Aussetzung einer Unterbringung zur Bewährung im Jahr 1998 spürbar wurde (ebd.). Die Einrichtungen waren seither mehr denn je von Entscheidungen der Staatsanwaltschaften und Sachverständigen abhängig (Hax-Schoppenhorst/Schmidt-Quernheim 2008, S. 68).
Der Gesetzgeber begegnete der beobachteten Praxis im Jahr 2015 mit einem Referentenentwurf über eine Novellierung der Voraussetzung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, um der kontinuierlich steigenden Anzahl der Untergebrachten „ohne Beleg für einen parallelen Anstieg der Gefährlichkeit“ zu begegnen (BMJV 2015, S. 1). Das Gesetz, auf das unter Ziff. 5 näher eingegangen wird, trat zum 1. August 2016 in Kraft (Bundesgesetzblatt 2016, S. 1611).
3.2 Bisherige Grundlagen der Bundesgesetzgebung
Das Maßregelvollzugsrecht fällt nach Art. 74 I Nr. 1 GG in den Zuständigkeitsbereich des Bundes. Dabei besitzen die Paragraphen 63 (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus), 64 (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) und 67d (Dauer der Unterbringung) StGB sowie 136 bis 138 des Strafvollzugsgesetzes zentralen Stellenwert (Hax-Schoppenhorst/ Schmidt-Quernheim 2008, S. 30).
Im Zuge der Föderalismusreform des Jahres 2006 erfolgte eine Neuverteilung bestimmter Gesetzgebungskompetenzen. So wurde die Zuständigkeit für die Ausgestaltung des Maßregelvollzugs den Bundesländern übertragen. Allerdings verzichtete der Bund bereits im Vorfeld auf eigene Regelungen dieses Bereiches und setzte lediglich die genannten Rahmenvorschriften innerhalb des StVollzG. So schreibt § 136 vor, dass die Behandlung in der Psychiatrie nach ärztlichen Gesichtspunkten zu erfolgen hat und der Untergebrachte solange verwahrt bleiben soll, bis er geheilt bzw. nicht mehr gefährlich ist (ebd.).
Obwohl einzelne Bundesländer bereits ab Beginn der 1980er Jahre eigene Maßregelvollzugsgesetze verabschiedet hatten (bspw. Hessen: 1981), griffen andere – wie etwa Bayern – auf allgemeine Unterbringungsgesetze zurück und zogen erst wesentlich später nach (Volckart/Grünebaum 2015, S. 63). Das Rechtsinstitut ist dementsprechend von bundes- und landesrechtlichen Vorschriften geprägt (Marschner in: Steinböck 2014, S. 50 f.). Dies führte nach Volckart/Grünebaum zu einer „Zersplitterung“ des Maßregelvollzugs in Deutschland (2015, S. 63).
Während die Entscheidung, ob eine Unterbringung erfolgen kann bzw. muss also im Bundesgesetz verankert ist, liegt die Ausgestaltungskompetenz zusammengefasst bei den Ländern. Beide gesetzliche Normen werden im Folgenden näher erläutert.
3.3 Bisherige Voraussetzungen der Unterbringung nach § 63 StGB
Die Anordnung des Vollzugs einer Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus richtet sich nach § 63 StGB, der bis zum 31. Juli 2016 wie folgt lautete:
„Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.“
Dabei schreibt § 62 StGB verpflichtend vor, die Bedeutung der Anlasstat in die Prüfung der Anordnung einzubeziehen, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden. Die Unterbringung muss sich demnach an Art und Intensität des zugrunde liegenden Fehlverhaltens bemessen und soll sich nicht primär am Gefahrenaspekt orientieren (vgl. Volckart/Grünebaum 2015, S. 12). Das erkennende Gericht hat vor der Anordnung einer Maßregel gem. § 63 StGB vier Prüfschritte zu unternehmen:
Stufe 1: Schuldfähigkeit
Liegen eines oder mehrere der unter Ziff. 2.2 erläuterten Eingangsmerkmale der §§ 20 oder 21 StGB vor, ist der Angeklagte als juristisch krank und mithin als schuldunfähig bzw. eingeschränkt schuldfähig zu behandeln (Nedopil/Müller 2012, S. 39).
Stufe 2: Fortbestand der Störung
Besondere Bedeutung kommt der Prüfung zu, ob es sich bei dem in § 63 StGB beschriebenen Umstand um einen krankhaften Zustand von gewisser Dauer handelt, der nicht nur eine vorübergehende Passage darstellt. Kurzphasische Beeinträchtigungen des psychischen Zustands erfüllen die gesetzliche Voraussetzung dagegen nicht (vgl. Schreiber/Rosenau in: Dreßing/Habermeyer 2015, S. 90).
Stufe 3: Zusammenhang zwischen Straftat und Störung
Die Gesetzesnorm setzt weiterhin zwingend voraus, dass die rechtswidrige Tat symptomatisch für die diagnostizierte psychische Störung ist. Zunächst unerheblich ist dabei, ob Anlasstat und zu erwartende Verfehlungen vergleichbar sind (Nedopil/Müller 2012, S. 39). Allerdings schränken Rasch/Konrad relativierend ein, dass von einem Symptomcharakter auch dann gesprochen werden kann, wenn sich ein nachvollziehbarer Zusammenhang nicht eindeutig darstellen lässt (Rasch/Konrad 2015, S. 255).
Stufe 4: Erheblichkeit zu erwartender Straftaten
An die letzte Stelle der Prüfung tritt die Einschätzung der Gefahrenprognose. Wenngleich der Gesetzestext „erhebliche“ zu erwartende Taten fordert, ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH die Erheblichkeitsschwelle fließend. So können auch Taten „mittlerer Kriminalität“ nach „eingehender Gesamtwürdigung der Bedeutung [...] sowie der vom Täter ausgehenden Gefahr“ eine Anordnung des § 63 StGB rechtfertigen (BGH 2001, 3 StR 455/00, S. 5). Erneute Taten müssen wahrscheinlich sein und wiederum im symptomatischen Kontext der Erkrankung stehen. Daraus muss sich eine Gefährdung der Allgemeinheit ableiten lassen (Nedopil/Müller 2012, S. 39).
Liegen dringende Gründe dafür vor, dass die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB zu erwarten ist, so kann ein Täter nach § 126 a StPO bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung einstweilig untergebracht werden, sofern der Schutz der öffentlichen Sicherheit eine entsprechende Maßnahme erfordert. Daneben ist eine Unterbringung zum Zwecke der Untersuchung und ärztlichen Beobachtung des Beschuldigten in § 81 StPO normiert, sofern sie verhältnismäßig erscheint. Ihre Dauer ist auf längstens sechs Wochen befristet.
Der Vollzug der Unterbringung muss zum Schutz der Allgemeinheit durch bauliche Sicherungsmaßnahmen und unter Anwendung spezifischer therapeutischer Bemühungen erfolgen (ebd.). Die Unterbringung wird zeitlich unbestimmt angeordnet, ist also unbefristet. Diese Besonderheit innerhalb des Strafrechts liegt darin begründet, dass sich die Behandlungsdauer und damit der Zeitraum des Schutzes der Allgemeinheit vor dem Täter zum Zeitpunkt der Anordnung nicht vorhersagen lässt (Hax-Schoppenhorst/Schmidt-Quernheim 2008, S. 30). Die Frage der Behandlungsbedürftigkeit des Individuums ist dagegen nicht Gegenstand der juristischen Prüfung. In dieser Frage überwiegt der Sicherungsgedanke der Maßregel (Rasch/Konrad 2015, S. 255).
Wie Volckart/Grünebaum unterstreichen, gilt für die Anordnung einer psychiatrischen Unterbringung der Zweifelssatz „in dubio pro reo“. Demnach ist die lediglich wahrscheinliche Annahme des Gerichts, der Tatbegehung liege eine krankhafte seelische Störung zugrunde, für eine Unterbringung nicht ausreichend (2015, S. 9). Eine ärztliche Fehldiagnose im Sinne eines „sicher“ statt „wahrscheinlich“ führe „leicht“ zu einem Fehlurteil (ebd.). Dies unterstreichen auch Müller-Isbarner/Eucker, indem sie feststellen, der „Symptomcharakter der Tat“ werde in der Praxis „schlicht ungeprüft unterstellt“ (2012, S. 39).
3.4 Bisherige Voraussetzungen für die Beendigung der Unterbringung nach § 63 StGB
Die Erforderlichkeit der psychiatrischen Unterbringung muss von der Strafvollstreckungskammer des für die Einrichtung zuständigen Landgerichts gemäß § 67d Abs. 2 StGB regelmäßig überprüft werden. Die Beendigung kann durch Aussetzung zur Bewährung sowie durch Erledigung wegen Wegfalls der Grundlage der Unterbringung erfolgen. Laut § 67 e StGB gilt eine Prüffrist von einem Jahr. In der Regel sind gemäß § 463 StPO gutachterliche Stellungnahmen der behandelnden Kliniken ausreichend (Volckart/Grünebaum 2015, S. 362). Für diese legte der Freistaat Bayern mit einer sogenannten Handreichung zuletzt am 20. Dezember 2014 Richtlinien und Mindeststandards fest. Eine gesetzliche Definition formaler Kriterien existiert allerdings nicht. Neben dem Behandlungsverlauf soll insbesondere die Gefahrenprognose dargestellt werden (BayStMJ, 2014, S. 3). Ergänzend zur beschriebenen Prüfroutine legte § 463 Abs. 4 StPO bisher die Begutachtung des Untergebrachten durch einen psychiatrischen Sachverständigen im Abstand von fünf Jahren fest. Zur Entscheidung über die Aussetzung hat der Gutachter in der Regel folgende Fragestellungen der Strafvollstreckungskammer zu bearbeiten:
1. Ist zu erwarten, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird?
2. Welche Gefährlichkeit ist in der Tat zutage getreten?
3. Besteht diese Gefahr fort? (Nedopil/Müller 2012, S. 56)
In der früheren Fassung des Gesetzes bestimmte § 463 Abs. 4 StPO die Beauftragung eines externen, anstaltsfremden Sachverständigen zur Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen (Volckart/Grünebaum 2015, S. 362). Der Gutachter durfte dabei nicht mit dem Untergebrachten befasst bzw. in derselben Einrichtung tätig gewesen sein (ebd.). Eine Aussetzung erfolgte bis 31. Juli 2016[2] dann, wenn außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr zu erwarten waren (§ 67 d Abs. 2 StGB). Seit der Gesetzesnovellierung gilt eine Konkretisierung der rechtswidrigen Taten, auf die der Verfasser unter Ziff. 5 näher eingehen wird.
Als zweite Form der Beendigung kommt die Erledigung der Unterbringung ohne Eintritt einer Bewährung in Betracht, wenn die Voraussetzungen gemäß § 67 d Abs. 6 StGB nicht oder nicht mehr vorliegen. Auch für diese entsprechende Fragestellung ist ein Sachverständiger hinzuzuziehen. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob die Entscheidung der Einweisung von Anfang an fehlerhaft war oder die rechtlichen Voraussetzungen durch klinische Maßnahmen zwischenzeitlich entfallen sind (vgl. Nedopil/Müller 2012, S. 57).
In beiden Fällen der Aufhebung der Unterbringung tritt gemäß § 67 d Abs. II und VI StGB grundsätzlich die Maßregel der Führungsaufsicht ein, die dem Probanden eine Resozialisierung bei gleichzeitiger Kontrolle der Lebensführung ermöglichen soll (Nedopil/Müller 2012, S. 57). Verglichen mit schuldfähigen Tätern, bei denen das Gesetz im Zuge einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht gleichzeitig Führungsaufsicht vorsieht, kann sich diese Festlegung als gewisser Nachteil für Maßregelvollzugspatienten erweisen (vgl. Volckart/Grünebaum 2015, S. 372).
Wird dem Untergebrachten dagegen gutachterlich keine Minderung des Gefahrenpotentials bzw. eine mangelnde Verbesserung des Störungszustandes attestiert, ist eine unbefristete Unterbringung regelmäßig vorstellbar.
Fischer bemerkt zusammenfassend eine stetige rechtspolitische Erschwerung der Aussetzung von Unterbringungen. Erst durch die aktuelle Diskussion von Einzelfällen, namentlich des Falles Mollath, sei ein Wandel der öffentlichen Wahrnehmung erreicht worden. So werde für die Gesellschaft begreifbar, dass der Therapiebedarf eines Betroffenen allein bzw. die „allgemeine Gefahr“ künftiger Taten „geringen Gewichts“, einen langjährigen Eingriff in das Freiheitsrecht des Individuums nicht rechtfertigten (Fischer 2016, S. 568).
3.5 Bisherige gesetzliche Grundlagen des Maßregelvollzugs in Bayern
Der Vollzug der Unterbringung nach § 63 StGB richtete sich in Bayern bis zum Jahr 2015 nach dem 1992 verabschiedeten Bayerischen Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG) – maßgeblich nach Art. 28 – und wurde innerhalb des Gesetzes lediglich „punktuell“ geregelt (Bayerischer Landtag 2015b, S. 1). Die Norm beschränkte sich größtenteils auf die Aspekte „Zwangsunterbringung“ und „Zwangsbehandlung“ und trug für Weig den Charakter eines „Polizeigesetzes“ (Weig in: Müller/Hajak 2004, S. 46). Es fasste die Bedürfnisse der Akutpsychiatrie mit denen der strafrechtlich Untergebrachten in einem Gesetz zusammen und regelte den Vollzug in den Artikeln 12 bis 23 BayUnterbrG (Marschner in: Steinböck 2014, S. 50 f.). Im Laufe des festzustellenden Wandels der psychiatrischen Unterbringung wurden fortschreitend Lücken des Gesetzes offenbar, was sich im Besonderen in der Urteilspraxis des Bundesverfassungsgerichts niederschlug. So war die Regelung über die Zwangsbehandlung von Patienten (Art. 13 BayUnterbrG) spätestens seit dem Urteil von 2011 (BVerfG 2011, Az. 2 BvR 882/09) nicht mehr verfassungskonform, sofern der Untergebrachte ärztliche Eingriffe zu erdulden hatte, die der behandelnde Arzt als „unaufschiebbar“ beurteilte (Zimmermann 2015, S. 210). Die Fixierung in Form der Fesselung von psychiatrisch Verwahrten fand im Gesetz nicht dezidiert Erwähnung, sondern die Maßnahme wurde unter dem Begriff des „Unmittelbaren Zwangs“ in Art. 19 subsumiert (ebd., S. 234). Daneben wichen die Vorschriften der Art. 22 und 23 BayUnterbrG über Vollzugslockerungen von der Praxis der Rechtsprechung ab, soweit sie lediglich die Möglichkeit des Urlaubs bis zu zwei Wochen sowie begleitete Ausgänge und Außenarbeiten umfassten. Konkrete Bestimmungen zu den Sicherungsmaßnahmen, Festlegungen zum Taschengeld oder über die Gestaltung der Freizeit waren ebenso wenig enthalten wie eine Regelung der Entlassungsvorbereitung oder der Patientenrechte. Andere Länder, wie Niedersachen (Nds. MVollzG, 1982) oder Nordrhein-Westfalen (MRVG, 1999), wiesen seit Längerem entsprechende Gesetzesnormen auf. In der bayerischen Praxis wurde sich bislang dagegen regelmäßig mit „Hilfskonstruktionen“ beholfen (Marschner in: Steinböck 2014, S. 55).
Zusammengefasst erfüllte das Landesgesetz wesentliche Kriterien des Leitgedankens der Unterbringung psychisch Kranker nicht oder nur unzureichend. Vielmehr war die Charakteristik des Gesetzes vom Sicherheitsbedürfnis des Staates getragen, ohne dem Aspekt der Resozialisierung und der Entlassungsvorbereitung psychisch kranker Täter mit den verfassungsmäßig gebotenen Anforderungen zu begegnen, was für Marschner den Effekt der Hospitalisierung begünstigte (ebd., S. 64).
3.6 Die psychiatrische Begutachtung im strafrechtlichen Unterbringungsverfahren
Da sich die vorliegende Arbeit zentral mit dem Fall der strafrechtlichen Unterbringung beschäftigt, ist von entscheidender Frage, worin Zweck und Bedeutung der Sachverständigenbegutachtung liegen, welche Komplexe darin rechtlich definiert sind und ggf. welche Facetten keiner engen rechtlichen Bestimmung unterliegen. Im Besonderen soll die Frage beantwortet werden, welchen Stellenwert ein Gutachten im Strafverfahren und der anschließenden Vollstreckung einnimmt und welche Kriterien bei der Erstellung zwingend eingehalten werden müssen.
3.6.1 Formen der psychiatrischen Begutachtung
Im Bereich des Strafrechts existieren eine Reihe verschiedener Zielrichtungen psychiatrischer Sachverständigenbegutachtungen. Zu den wesentlichen Fragestellungen zählen die Schuldfähigkeitsbegutachtung (§§ 20, 21 StGB), die Reifebeurteilung gem. §§ 3 und 105 JGG, die Glaubhaftigkeitseinschätzung von Zeugen und die Prognosebeurteilung bei psychiatrisch Verwahrten (§§ 63, 64 und 67d StGB) (Nedopil/Müller 2012, S. 37). Weiterhin kann sich bei nach § 63 StGB Untergebrachten auch die Frage nach der Geschäftsfähigkeit i. S. § 104 BGB und der Einsetzung eines Betreuers stellen. Eine Betreuung wird gerichtlich angeordnet, wenn eine Person aufgrund einer psychischen Krankheit oder beispielsweise einer geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten zu regeln (§ 1896 BGB). Die Rechtsgrundlage der Begutachtung findet sich dabei im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).
3.6.2 Inhaltliche Anforderungen an Gutachten
Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe am BGH – bestehend aus Juristen, psychiatrischen Sachverständigen und Psychologen – erarbeitete, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung im Jahr 2006 Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten. Wenngleich die Empfehlungen nicht bindend waren, ging die Arbeitsgruppe davon aus, dass die Ergebnisse in der BGH-Rechtsprechung Berücksichtigung finden (Boetticher et al. 2007, S. 1). Die Experten unterteilten die Standards in formelle und inhaltliche Mindestanforderungen. Einige Empfehlungen lauteten:
Der Sachverständige soll Ort, Zeit und Umfang der Untersuchung dokumentieren und zwischen interpretierenden und kommentierenden Äußerungen eindeutig trennen. Weiterhin soll eine „Trennung von gesichertem Wissen und subjektiver Meinung oder Vermutung des Gutachters“ erfolgen. Unsicherheiten und Konfliktstellungen sollen kenntlichgemacht werden (vgl. Boetticher et al. 2007, S. 1). Die Expertise soll in einer klaren und übersichtlichen Gliederung vorgenommen werden, die es dem Leser ermöglicht, den Inhalt des Gutachtens zu erfassen. Inhaltlich legte die Arbeitsgruppe fest, dass die angewandten Untersuchungsmethoden vollständig benannt werden sollen und Diagnosen auf die Diagnosesysteme ICD-10 bzw. DSM-IV-TR zu stützen sind. Ferner soll eine detaillierte Darstellung von Funktionsbeeinträchtigungen erfolgen, die zu einer Einschränkung der Schuldfähigkeit führen. Zudem sollen alternative Beurteilungsmöglichkeiten Platz finden. Bezüglich der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit wird eine detaillierte Analyse der Tatumstände gefordert. Gegen eine erhebliche Beeinträchtigung spreche beispielsweise „planmäßiges Vorgehen bei der Tat“ und die „Möglichkeit anderen Verhaltens unter vergleichbaren Umständen“ (ebd., S. 7 f.).
3.6.3 Die Prognosebegutachtung im Unterbringungsverfahren
In den vergangenen Jahrzehnten etablierten sich drei Prognosekonzepte, die auf unterschiedliche Grundlagen zur Voraussage einer Entwicklung im Rahmen der Gutachtenerstellung zurückgreifen.
Die idiografische Herangehensweise bemisst die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Fehlverhaltens anhand spezifischer individueller Verhaltensmuster (Nedopil/Müller 2012, S. 348). Da eine individuelle Beobachtung jedoch mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist, kommt häufiger das nomotheistische, oft auch als statistisches Konzept bezeichnet, zur Anwendung (ebd.). Dieses bezieht empirische Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien auf individuelle Faktoren des betreffenden Einzelfalls (Göppinger 2008, S. 233).
Die dritte Prognosemethode wird als idiographische oder auch klinische Prognose bezeichnet (Gretenkord in: Rettenberger/von Franqué 2013, S. 20). Im Mittelpunkt dieses Konzepts steht die Theorie- und Hypothesenprüfung und die Bewertung von unveränderbaren und flexiblen individuellen Risikofaktoren, die zur Bildung der Straffälligkeit führten (vgl. Nedopil/Müller 2012, S. 348). Von besonderer Bedeutung sind die Auseinandersetzung mit den Umständen der Anlasstat/en, der prä- und postdeliktischen Persönlichkeit und dem sozialen Empfangsraum. Vor diesem Hintergrund entwickelten Nedopil, Dahle und weitere Forscher an dieses Modell angelehnte Kriterienkataloge, die bei Prognosebegutachtungen Anwendung finden (vgl. Göppinger 2008, S. 235). Hierzu zählen Manuale wie PCL-R, VRAG oder HCR-20[3], wobei letzteres in der Regel zur Prognose bei psychisch kranken Gewalttätern eingesetzt wird (Nedopil/Müller 2012, S. 353).
Für Gretenkord ist der „ideale Sachverständige“ sowohl in der statistischen wie in der idiographischen Methode versiert (Gretenkord in: Rettenberger/von Franqué 2013, S. 33). Zugleich verweist er auf die Unverzichtbarkeit von Prognoseinstrumenten, wenngleich fälschliche Vorhersagen nicht gänzlich vermeidbar seien. Dabei unterscheidet er zwischen dem „Prognoseirrtum“ und dem „Prognosefehler“. Während der Irrtum trotz Berücksichtigung aller Risikofaktoren zu einer falschen Prognose führe, sei bei Prognosefehlern auf die Nichtbeachtung der Standards zu schließen (ebd.).
Im Laufe des Jahres 2005 legte die unter Ziff. 3.6.2 erwähnte Arbeitsgruppe auch Mindestanforderungen für Prognosegutachten im Strafvollzug fest (Boetticher et al. 2006, S. 537 f.). Diese decken sich in weiten Teilen mit den Empfehlungen für die Schuldfähigkeitsbegutachtung. Ergänzend ist die Festlegung hervorzuheben, dass für die Prognoseaussage lediglich standardisierte Prognoseinstrumente verwendet werden sollen. Eine allein auf die statistische Wahrscheinlichkeit gestützte Prognose sei keinesfalls zulässig. Dies bezieht sich auf das Problem der sogenannte Basisrate, welche statistische Rückfallhäufigkeiten bzw. -quoten für diverse Deliktsbereiche beziffert (Nedopil/Müller 2012, S. 350). Vielmehr müsse eine Gesamtwürdigung der Person des zu Begutachtenden vorgenommen werden. Daneben sei zu berücksichtigen, in welchem Zusammenhang Anlassdelikt und Delinquenz stünden. Schließlich müsse der Gutachtenauftrag explizit die Frage enthalten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten sei und welche Art und Schwere von Straftaten der Sachverständige erwarte (Nedopil/Müller 2012, S. 350). Die Rechtsprechung fordert ergänzend zu den Ausführungen der Arbeitsgruppe, dass ein Gutachten aus sich heraus verständlich, nachvollziehbar und transparent sein muss (Volckart/Grünebaum 2015, S. 366). Für Göppinger sind in eine Prognose stets die individuellen Bedingungen des Falles einzubeziehen, um somit eine „Individualisierung von Standards“ zu ermöglichen. Nur so könne sich der Zielkonflikt der Aufgabe auflösen (vgl. 2008, S. 246). Volckart/Grünebaum stellen Folgendes heraus: Fehlt es dem Gutachter an nachprüfbaren Anknüpfungstatsachen, so muss er einräumen, dass er keine eindeutige Prognose erstellen kann (2015, S. 366).
Einigkeit besteht darüber, dass die Erhebung einer psychiatrischen Diagnose zwingend mit der persönlichen Exploration des Betroffenen einhergehen muss. Die alleinige Beobachtung im Rahmen der Hauptverhandlung eignet sich nur sehr eingeschränkt als Erkenntnisgrundlage, da die Kulisse per se ein verzerrtes Bild des zu Begutachtenden zeichnet und somit als „Störfaktor“ zu betrachten ist (Tondorf/Tondorf 2011, S. 229). Im Falle der Verweigerung durch den Probanden ist der Umfang verlässlicher Informationen sehr gering. Liegt die Motivation der Verweigerung in einem Informationsdefizit bzw. in Ängsten des Betroffenen begründet, kann es sich empfehlen, ein Vorgespräch mit dem Verteidiger zu führen oder aber in einer ersten Teilexploration lediglich biographische Aspekte anzusprechen, ohne den Tatvorwurf selbst zu thematisieren (vgl. Dreßing/Foerster in: Dreßing/Habermeyer 2015, S. 19).
Die Verlässlichkeit der gutachterlichen Prognoseerstellung für Untergebrachte bzw. Inhaftierte ist seit Langem Gegenstand einer kontroversen Debatte (vgl. Nedopil/Müller 2012, S. 346). Unter einer Prognose ist grundsätzlich die Voraussage einer künftigen Entwicklung zu verstehen (Göppinger 2008, S. 227). Dabei ist eine sichere Aussage eines bestimmten Verlaufs auch für den versiertesten Sachverständigen schier unmöglich (Gretenkord in: Rettenberger/von Franqué 2013, S. 19). Die Prognoseforschung unterscheidet zwischen zwei Gruppen: die Probanden, auf die erwartetes Verhalten zutrifft, obwohl dies nicht vorhergesagt wurde – die sogenannten „falsch Negativen“ – und Personen, die das erwartete Verhalten trotz Vorhersage nicht zeigen, – die „falsch Positiven“ (Nedopil/Müller 2012, S. 349). Nedopil beziffert die Zahl derer, die im Maßregelvollzug untergebracht blieben, als umso höher, je niedriger die Basisrate für die spezifische Rückfälligkeit ausfalle. Konkret nennt er in diesem Kontext den Wert von 60 % für „falsch Positive“, das heißt fälschlich als gefährlich klassifizierte Probanden (2012, S. 351). Anhand der vorhandenen empirischen Methoden sei es nicht möglich, „eindeutige Aussagen zum Ausmaß psychischer Beeinträchtigungen“ zu treffen (ebd., S. 41). Schreiber und Rosenau sprechen von einer „intuitiven Prognose“, die auch von der „individuellen Werthaltung des Beurteilers“ geprägt sei (2015, S. 124). Es fehle an „objektivierbaren Beurteilungskriterien“ (ebd.). Für Albrecht liegt die Schwachstelle der Kriminalprognose in der methodologischen Verknüpfung rechtlicher Standards und empirischer Erkenntnisse, deren Aussagekraft für den individuellen Einzelfall ungeeignet sei (Albrecht 2003, S. 97 ff.).
Abb. 1: Vierfeldertafel: Rückfallprognose
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Nedopil/Müller 2012, S. 350, modifiziert).
Nachdem ein besonderes Augenmerk auf der Prognose der künftigen Gefährlichkeit liegt, wäre eine vergleichsweise enge juristische Definition bzw. Eingrenzung dieses Begriffs zu erwarten. Allerdings behelfen sich Gesetz und Rechtsprechung damit, den Grad einer vom Täter ausgehenden Gefahr aus einer „juristischen Beurteilung einer aus Tatsachen abgeleiteten kriminalprognostischen Wahrscheinlichkeitsaussage“ zu bestimmen (Volckart/Grünebaum 2014, S. 8).
Für Pollähne liegt die spezifische Problematik der Prognose im Unterbringungsverfahren in einer Überbetonung der Tataspekte. Der Schluss, dass eine „schwere Tat“ aus statistischen Erkenntnissen heraus auch zwingend von einem „gefährlichen Täter“ begangen werden muss, greife zu kurz, wenn individuelle Faktoren eine untergeordnete Rolle spielten bzw. nicht bekannt seien. Hieraus resultiere eine „prognostische Beweislastumkehr“ (2006 S. 234).
Zusammenfassend belegen die gewonnenen Erkenntnisse Unsicherheiten der Prognosebegutachtung, die sich durch unsachgemäße Anwendung von Prognoseinstrumenten noch verstärken können. Offenkundig werden nicht selten fehlerhafte Prognoseaussagen zu Lasten von Untergebrachten getroffen. Die schier unlösbare Aufgabe des Sachverständigen besteht darin, jedwedes Risiko vorherzusagen. König konstatiert, die Festlegung, ob die Rückfälligkeit eines Täter als hoch oder niedrig zu bewerten ist, bliebe immer eine „politische, juristische und ethische Frage“, die rein statistisch nicht zu beantworten sei (König in: Recht und Psychologie 2/2010, S. 72).
3.6.4 Die Rolle des Gutachters
Der psychiatrische Sachverständige fungiert im Strafverfahren als „Helfer“ des Richters, indem er sein versiertes Fachwissen in die Verhandlung einbringt (vgl. Rasch/Konrad 2013, S. 19). Er soll dabei nicht nur fachlich beraten, sondern auch zu einer „Humanisierung des Strafverfahrens“ beitragen (ebd.). Gemäß § 75 StPO ist er grundsätzlich verpflichtet, ein Gutachten zu erstatten. Dabei hat er die Pflichten eines Zeugen (§ 72 StPO) mit der Folge, dass alle Inhalte der Exploration vor Gericht Erwähnung finden müssen. Dies wirkt sich insbesondere dann ungünstig aus, wenn im Zuge der Begutachtung ein Vertrauensverhältnis entstanden ist (Nedopil in: Müller/Hajak 2004, S. 39). Der zu Begutachtende kann nach § 74 StPO den beauftragten Sachverständigen ablehnen. Die Neubestellung eines anderen Gutachters liegt jedoch ausschließlich im Ermessen des Gerichts (Rasch/Konrad 2013, S. 19). Durch Verweigerung einer Exploration kann der Angeklagte nicht die Beauftragung eines anderen Sachverständigen erzwingen, dem er möglicherweise mehr Vertrauen schenkt. In diesem Falle kann das Gutachten lediglich auf die Beobachtung während der Hauptverhandlung gestützt werden (vgl. BGH 1998, 1 StR 588/97). Rasch/Konrad verweisen hierbei auf die Möglichkeit der Abstimmung der Beteiligten bei der Auswahl des Sachverständigen (2013, S. 23). Unter Würdigung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs wird ein Gutachten zunächst schriftlich erstattet. Anschließend hat der Sachverständige vor Gericht mündlich Stellung zu nehmen (Tondorf/Tondorf 2011, S. 56).
Die Vergütung von psychiatrischen Sachverständigen richtet sich nach § 9 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG). Anlage 1 der Norm ordnet den psychiatrischen Sachverständigen bei der Befassung mit Schuldfähigkeits- bzw. Prognosegutachten der Honorargruppe M 3 zu und sieht derzeit einen Stundensatz von 100,00 € vor.
Der Deutsche Richterbund (DRB) beklagt in seiner Stellungnahme von Juni 2015 die Schwierigkeit des Mangels an psychiatrischen Gutachtern. So sei die Anzahl „befähigter, erfahrener und zuverlässiger“ Sachverständiger „beschränkt“ und es müssten entsprechende Vorlaufzeiten berücksichtigt werden (DRB 2015, S. 6). Ebenso beklagen Tondorf/Tondorf die Überlastung und Überforderung teilweise unzureichend qualifizierter Gutachter (Tondorf/Tondorf 2011, S. 11).
3.6.5 Rollenkonflikte
Rasch/Konrad verweisen darauf, dass die „Grundeinstellung der Gutachter“ häufig bekannt sei und das Gericht diesen Umstand teilweise nutze, um die Richtung des Verfahrens damit zu beeinflussen (2013, S. 23). Wenngleich der Sachverständige lediglich beratend tätig werden solle, tendierten einige Richter dazu, „den Sachverständigen als formale Sicherungsmaßnahme zu benutzen, die das Urteil stützen kann“ (Rasch/Konrad 2013, S. 31). Ein zusätzlicher Rollenkonflikt ergibt sich laut Nedopil dann, wenn Gutachtern durch das Gericht Fragen gestellt würden, die sie anhand ihres empirischen Wissensschatzes nicht beantworten könnten. Hier werde der Sachverständige dazu gedrängt, die „beruflichen Wissens- und Wertegrenzen zu überschreiten“ (Nedopil in: Müller/Hajak 2004, S. 39). Ethisch nicht unproblematisch gestalte sich zudem der bereits genannte Aspekt der Beziehung Arzt-Patient, die sich bei einer Begutachtung einstellen könne. Während der Proband bei einem Psychiater Verständnis, Zuwendung und vor allem eine Schweigepflicht voraussetzt, sieht er sich mit der rechtlichen Wirklichkeit konfrontiert. In der gerichtlich angeordneten Exploration nimmt der Gutachter eine abweichende Rolle ein. Er verfügt über kein Schweigerecht und sein Hauptaugenmerk gilt der Aufklärung der Fragen des Gerichts. Nicht das Wohl des Patienten, sondern die gesetzliche Aufgabenerfüllung des Sachverständigen würde somit fokussiert (Nedopil in: Müller/Hajak 2004, S. 39). Daneben kann ein zusätzliches Spannungsfeld in der öffentlichen Wahrnehmung von psychiatrischen Gutachtern liegen. Die zunehmende öffentliche „Schelte“ befeure das Sicherheitsdenken dieser Fachschaft (vgl. ebd., S. 28). Auf diese Problematik verwies im Fall Mollath auch der Sachverständige Prof. Pfäfflin und verweigerte eine erneute Begutachtung des Untergebrachten. Hierzu wird auf Kapitel 4, S. 66, verwiesen.
Zusammenfassend ist das Wirken des Sachverständigen von nicht unproblematischen Wert- und Rollenkonflikten geprägt, die sich im Besonderen in juristisch- und medizinisch nicht eindeutigen Fällen als erhebliche Spannungsfelder erweisen können.
[...]
[1] Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.
[2] Letzter Tag der Gültigkeit der alten Gesetzesfassung.
[3] Psychopathy Checklist Revised (PCL-R) nach Hare, Violence Risk Assessment Guide (VRAG) nach Harris et al., Historical, Clinical and Risk Variables (HCR-20) nach Webster et al.
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- Asbjörn Wappler (Author), 2017, Der Fall Gustl Mollath. Der Umgang des Staates mit (vermeintlich) psychisch kranken Tätern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375580
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