Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Autor und Zeit
2.1 Historische Kontexteinbettung
2.2 Charakterisierung der Protagonisten
3. Penthesilea
3.1 als Amazone
3.2 als Königin
3.3 als Liebende
3.4 Schmerz, Gefühl und Wahnsinn als Wesensmerkmale
4. Katharsis
4.1 Ambivalenz der Gesetzesordnung
4.2 Die Funktion der absoluten Liebe
4.3 Der Tod als Doppelschluss
5. Schluss
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Goethe gilt als der deutsche Schriftsteller überhaupt. Sein Platz an der Spitze ist unangefochten und sein Name auf der ganzen Welt bekannt - ein Mann mit sehr viel Talent und großem Einfluss. Seine Werke gelten als die wertvollsten Deutschlands und dass er sich durch seine Literatur Unsterblichkeit verschafft, wussten schon zu Lebzeiten viele, nicht zuletzt er selbst. Für seine literarischen Werke erhielte Goethe in seinem Leben viel Ruhm und Ehre. Heinrich von Kleist war ein polarisierender Schriftsteller, dessen Werk „Penthesilea“ gerade sein Zeitgenosse und Helios Goethe mit Abscheu begegnete. Kleist war viel daran gelegen, dass seine Werke Johann Wolfgang von Goethe gefallen, aber erfahren durfte Kleist nur kühle Ablehnung.
Wenn also die Koryphäe deutscher Literatur ein Werk so inbrünstig ablehnt, stellt sich die Frage, was an Kleists Stück, den Goethe ja durchaus als Genie benannte, so grässliche Empfindungen bei seinen Rezipienten auslösen kann?
Außerdem ist der Tod ein ständiger Begleiter in Kleists Literatur, aber gerade in „Penthesilea“ scheint er sein Grausamstes zu zeigen, passiert er doch nicht aus Hass, sondern aus Liebe. Trotzdem ist es nicht das Ziel meiner Arbeit das Augenmerk auf die Ermordung Achills durch Penthesilea zu richten, sondern herauszufinden wieso, obwohl der Tod doch eigentlich das bittere Ende und den nicht-heroischen Untergang der Helden bedeutet, der Ausgang des Stückes vollkommen befriedigend ist und sich kein treffenderes Ende vorstellen lässt?
Um davon überzeugt zu sein, dass der Tod das Richtige für die Heldenfigur der Penthesilea ist, gilt es zuvor ihre Person und ihre sozialen Rollen genauer zu betrachten. Eine besondere Faszination geht von Penthesilea auch aus, weil Kleist ihr Wesen mit seinem Innersten beschrieb und er sein eigenes Leben wie das Leben der Titelgeberin in einem Selbstmord enden lässt. Beide Seelen erfahren Demütigungen sowie Kränkung und sind, jeglichem gesellschaftlichen Prestige und allen Bemühungen zum Trotze, nicht in der Lage ihr Glück auf Erden zu finden.
Weil, wie der Dichter selbst angibt, in „Penthesilea“ Heinrich von Kleist zu finden ist, möchte ich der Frage auf den Grund gehen, ob sich des Autors „ innerstes Wesen “ auch im Ausgang des Stücks wiederfinden lässt und auf Kleists noch bevorstehenden Suizid deutet.
2. Autor und Zeit
1808 erschien Penthesilea erstmalig als „Organisches Fragment“ im Heft 1, der von Heinrich von Kleist selbst herausgebrachten Zeitschrift „Phöbus“ in Dresden. Das „Organische Fragment“ enthielt die ersten acht Auftritte. Die vollständige Bücherausgabe erfolgte noch im selben Jahr durch den Verlag Cotta in Tübingen, doch eine Uraufführung fand erst am 25.04.1876, also 65 Jahre nach Kleists Tod, in bearbeiteter Fassung am Königlichen Schauspielhaus in Berlin statt1.
Die Arbeit an seinem Trauerspiel begann Kleist wahrscheinlich im August 1806 in Königsberg und führte sie auch während einer Gefangenschaft in einer französischen Burg 1807 fort, ehe er das Stück in Dresden fertigstellte. Die Auskünfte über seine Arbeit am Drama sind ebenso spärlich, wie die Auskunft darüber, warum Kleist den Stoff der Amazonen aufgriff. Mit seinem Stück überschritt Heinrich von Kleist die ästhetischen Grenzen seiner Zeit und verletzte moralische Tabus. Dass er sich dessen bewusst war, geht aus einem Brief Kleists an Goethe hervor, in dem er schrieb man müsse „ die Pr ä missen, als m ö glich, zugeben [...] und nachher nicht erschrecken, wenn die Folgerung gezogen wird. “ 2 Wie viele Zeitgenossen reagierte allerdings auch Goethe mit Ablehnung auf das „Organische Fragment“. Heinrich von Kleists enge Vertraute Marie von Kleist erkennt einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit des Autos und der Thematik seines Werks und reagiert auf das Drama mit besonderem Einfühlungsvermögen.3 In einem Brief an Marie schrieb er: „ Es ist wahr, mein innerstes Wesen liegt darin, und Sie haben es wie eine Seherin aufgefasst: der ganze Schmutz zugleich und Glanz meiner Seele. “ 4 Diese Aussage ließe psychologische und psychoanalytische Deutungen des Dramas zu, sie verweist aber vor allem auf einen engen Zusammenhang zwischen Kleists „ innerem Wesen “ und den gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Strukturen in seiner Lebenswelt und den damit verbundenen Problemen. Kleists Gegenwart ist von Krieg und Militär gezeichnet und wie die französische Revolution und die dadurch veränderten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, prägen diese Erfahrungen sein gesamtes Leben. In Frankfurt an der Oder kommt Heinrich von
Kleist im Oktober 1777 als fünftes Kind seines Vaters, Joachim Friedrich von Kleist, der Chef einer Kompanie in der Garnisonstadt war, zur Welt. Er war das dritte Kind der zweiten Ehefrau seines Vaters, dessen erste Ehefrau bei der Geburt ihres zweiten Kindes, Ulrike, mit nur 19 Jahren verstarb. Obwohl Kleists Mutter deutlich jünger war als sein Vater, wurde Heinrich von Kleist mit 15 Jahren bereits Vollweise, nachdem er zuvor im Alter von elf Jahren seinen Vater verlor. Seine große Halbschwester Ulrike wurde damit zur wichtigsten Bezugsperson Kleists. Die Familie Kleist entstammte einem pommerschen Adelsgeschlecht, [...] „ das seit dem 15. Jahrhundert viele Offiziere im Dienst der preu ß ischen Armee hervorgebracht hat “.5 Nach dem Tod seines Vaters bot sich für den damals erst 14 Jährigen eine staatliche Anstellung beim Militär, um eine standesgemäße Sicherung des Einkommens der Familie Kleist zu erhalten. 1792 wurde Heinrich von Kleist in ein Garderegiment Potsdams, das dem König direkt unterstand, aufgenommen und wurde ein knappes halbes Jahr später im Krieg Österreichs und Preußen gegen Frankreich eingesetzt. Dadurch erlebte Kleist den Krieg früh in seinem noch jungen Leben. Nach insgesamt sieben Jahren beim Militär quittierte er schließlich seinen Dienst und befreite sich aus seinem Rollenkonflikt zwischen „Mensch“ und „Offizier“ sein (ebd.). Durch die Beendigung seines Berufs beim Militär beginnen 1799 Kleists Sorgen um ein ausreichendes Einkommen zur Existenzsicherung. Zur etwa selben Zeit wird Napoleon Alleinherrscher Frankreichs, dessen Kriege die gesamte politische Ordnung und gesellschaftlichen Verhältnisse in ganz Europa sowie Kleists Denken, Dichten und sein weiteres Leben beeinflussen und verändern.
Losgelöst von der aufgezwungenen Fremdbestimmtheit beim Militär, sucht Kleist die Selbstbestimmung und findet in der wissenschaftlichen Bildung des Verstandes einen Weg dazu. Er erkennt für sich, dass sein Glück durch seinen Verstand und seiner Tugend erreicht werden kann und nicht von äußeren Faktoren abhängig ist. Diese Definition von Glück legt er in seinem Aufsatz, den sicheren Weg des Gl ü cks zu finden 1799 dar. In einem Brief an Ulrike erläutert er, Glück brauche einen „Lebensplan“, um „ Gedanken, Empfindungen und Handlungen “ für die Erreichung eines Ziels zusammen zu bringen6.
In seiner Beziehung mit Wilhelmine von Zenge lässt sich Kleists Denken in traditionellen Geschlechterrollen sowie die Überforderung durch die zu hoch angesetzten Glücksansprüche erkennen. Dieses Denken ist nicht aus seinem nahen Familienumfeld heraus entstanden, da seine ältere Halbschwester und Bezugsperson Ulrike von Kleist geradezu „männliche“ Eigenschaften und Selbstständigkeit aufweist. Ebenso widerspricht es Kleists heimlich ausgelebten homoerotischen Neigungen, empfindet er für Ernst von Pfuel „ m ä dchenhafte Gef ü hle “ 7. Dieses ambivalente Verhältnis zwischen Besitzanspruch und dem Bedürfnis der Hingabe birgt sich auch in seiner „Penthesilea“.
Ebenso ambivalent ist Kleists Verhältnis zum Staat. Während er auf der einen Seite Verwaltungsbeamter, wenn auch widerwillig, auf familiären Druck berufend und um sein Lebenseinkommen zu sichern, ist, übt er in einem Brief an Adolphine von Werdeck Kritik am System des aufgeklärten Absolutismus, der den einzelnen Menschen lediglich „[...] als R ä dchen in einer Maschinerie brauchen kann: “ 8
„ Die armen lechzenden Herzen! Sch ö nes und Gro ß es m ö chten sie tun, aber niemand bedarf ihrer, alles geschieht jetzt ohne ihr Zutun. “ 9
Als Heinrich von Kleist 1802 in der Schweiz Bauer werden möchte, zerbricht seine Beziehung zu Wilhelmine von Zenge schließlich gänzlich. Im darauffolgenden Jahr befindet er sich in einer heftigen Krise und beschließt in den französischen Kriegsdienst zu treten, um an der Front zu sterben. Durch die Vermittlung von Freunden nimmt Kleist erneut eine Verwaltungsstelle und soll an einer Modernisierung des Finanzwesens Preußens mitwirken, doch sein Wunsch durch seine literarischen Werke seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, entfremden ihn weiter von seinem Beruf in der Verwaltung. Nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon 1806 beschließt Kleist nun endgültig seinem Wunsch als freier Schriftsteller nachzugehen und wählt Dresden als neue Heimat. Dort wird das literarisch-kulturelle Leben im Wesentlichen nicht vom Krieg beeinflusst. In diesem Jahr beginnt er die Arbeit zur „Penthesilea“. 1807 wird er auf einer Reise nach Berlin auf Verdacht der Spionage für ein halbes Jahr gefangen genommen, unterbricht das Schreiben jedoch nicht. Nach seiner Gefangenschaft kehrt Kleist nach Dresden zurück und die darauffolgenden zwei Jahre sind die wohl produktivsten des Schriftstellers. Obwohl Kleist in die literarisch- gebildeten Kreise der Gesellschaft aufgenommen wird, scheitern seine Pläne einen eigenen Verlag zu gründen. 1808/1809 erscheint die Zeitschrift „Phöbus“, die er zusammen mit Müller herausbringt und Ausschnitte sowie Fragmente seiner Werke veröffentlicht. Seine Erfolgserwartungen und Wünsche werden von Misserfolgen und Enttäuschungen überschattet. Nicht nur „Penthesilea“ erntet viel Kritik gefolgt von ästhetischer Ablehnung, auch das 1808 in Weimar aufgeführte Lustspiel „der zerbrochene Krug“ wird zum Misserfolg. Die Herausgabe seiner Zeitschrift muss Kleist aus finanziellen Gründen einstellen.
1809 plant Kleist eine politische Zeitschrift „Germania“ herauszubringen für die er politisches Essays schreibt. Dies zeigt, dass ihn die politischen Verhältnisse und Napoleons Mobilmachung auch während seiner Zeit in Dresden weiter beschäftigen. Napoleons Sieg gegen Österreich zerstört seine politischen Hoffnungen auf Österreich und damit ebenso die Geburt der „Germania“.
Seine letzten zwei Lebensjahre wohnt Kleist erneut in Berlin und arbeitet dort, hauptsächlich aus finanziellen Gründen, an der Tageszeitung „Berliner Abendblätter“, die Polizeinachrichten beinhaltet und kurz auf großes Interesse der Öffentlichkeit stößt, ehe sie durch einen Konflikt ausgelöst, durch beigefügte Aufsätze und kürzere literarische Texte, nicht mehr veröffentlicht werden kann.
Die Ambivalenz zwischen Kleist und dem Staat wird 1811 in seinem letzten Drama „Prinz Friedrich von Homburg“ erneut unterstrichen. Sein Werk erinnert an den Glanz Preußens und seinen Aufstieg nach einer Schlacht 1665. Der Heldenfigur seines Dramas fügt er jedoch den Preußischen Hof ablehnende Charakterzüge wie Verträumtheit, persönlich motivierten Ehrgeiz und Todesfurcht hinzu, die letztlich zu einem Verbot der Aufführung führten.
Die Aufhebung des inneren Konflikts in Kleist zum Staat und eine Versöhnung zwischen dem Individuum und dem Gesetz bleiben in seinem Leben unerreicht. Am 21.11.1811 begibt Heinrich von Kleist mit einer schwer an Krebs erkrankten Freundin, Henriette Vogel, Selbstmord. Dieser wurde von ihm bereits im Vorhinein genausten geplant und schließlich inszeniert. An Marie von Kleist schrieb er zuvor einen Brief, in dem er ihr seinen Entschluss Suizid zu begehen dadurch erklärt, dass seine Seele „ so wund “ sei und „ alles, was ich unternehme, zugrunde geht “ .10
Der Bezug zwischen dem Autor und seiner Lebenswelt ist deshalb so entscheidend, da sein Werk nicht nur, wie es im Brief zu Marie heißt, „ sein innerstes Wesen “ wiederspiegelt, sondern auch die Auseinandersetzung mit den in Europa vollziehenden gesellschaftlichen Umbrüchen. Kleist sowie seine Protagonistin Penthesilea hinterfragen die Legitimation politischer Systeme und die Unterwerfung durch ihre Gesetze, die es aussichtslos erscheinen lassen, die Wünsche des Individuums befriedigen zu können. Beide finden zu Lebzeiten keine Versöhnung mit der Institution.
[...]
1 Kleist, Heinrich von: „Penthesilea“; Anaconda Verlag GmbH; Köln; 2011.
2 Kleist an Goethe am 24.02.1808; abgedruckt in: SW II; S. 805 f.; vgl. Sembdner, Helmut (Hrsg.): „Heinrich von Kleists Lebensspüren“; erw. Neuausgabe; Frankfurt a.M.; 1977; Nr. 204.
3 Kleist, Heinrich von: „Penthesilea“; Lektüreschlüssel; Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG; Stuttgart; 2012; S. 54-65.
4 Kleist an Marie von Kleist im Spätherbst 1808; in: SW II; S. 797.
5 Kleist, Heinrich von: „Penthesilea“; Lektüreschlüssel; Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG; Stuttgart; 2012; S. 54-65.
6 Kleists an Ulrike von Kleist; Mai 1799; in: SW II; S. 486.
7 Kleist an Ernst von Pfuel; 07.01.1805; in: SW II; S. 749.
8 Kleist, Heinrich von: „Penthesilea“; Lektüreschlüssel; Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG; Stuttgart; 2012; S. 54-65.
9 Kleist an Adolphine von Werdeck; November 1801; in: SW II; S. 700.
10 Kleist an Marie von Kleist; 17.11.1811; in: SW II; S. 878.