Das Problem der Selbsttötung in der Philosophie von Platon bis Kant


Ausarbeitung, 2017

69 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung...5
2 Der Suizid in der Philosophie von Platon bis Kant ­ Darstellung...7
2.1 Platon...7
2.2 Aristoteles...9
2.3 Lucius Annaeus Seneca...11
2.4 Aurelius Augustinus...13
2.5 Thomas von Aquin...16
2.6 David Hume...17
2.7 Immanuel Kant...21
2.7.1 Ethikvorlesung...21
2.7.2 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten...24
2.7.3 Kritik der praktischen Vernunft...25
2.7.4 Die Metaphysik der Sitten...26
2.7.5 Aus anderen Schriften...29
3 Auswertung...32
3.1 Kommentierende Zusammenfassung...32
3.2 Der Suizid als ethisches Problem...44
3.2.1 Argumente gegen die Erlaubtheit der Selbsttötung...44
3.2.2 Andere ethische Probleme...55
3.3 Weitere Aspekte...56
4 Schluss...58
5 Literaturverzeichnis...61
5.1 Primärliteratur...61
5.2 Sekundärliteratur...62

1 Einleitung
Die meisten bekannteren Philosophen haben sich mit dem Thema der Selbsttö-
tung nur am Rande beschäftigt. Zudem gehört die heutige Literatur zu diesem The-
ma meist zur Psychologie oder Psychiatrie. Werden dort Philosophen erwähnt, dann
im allgemeinen nur kurz und, nicht zuletzt dadurch, oft verfälscht: Beispielsweise
wird mit Platon und Kant häufig ein (schlichtes) Suizidverbot in Verbindung ge-
bracht, über Rousseau wird dagegen gesagt, er verteidige die Selbsttötung. Tatsäch-
lich ist die Sicht der genannten Philosophen differenzierter ­ und unklarer.
Im Folgenden sollen die Ansichten einiger Philosophen über die Selbsttötung
dargestellt werden. Statt nun einen umfassenden Überblick über die Geschichte der
Philosophie des Suizids zu geben, sollen ausgewählte Autoren ausführlich betrachtet
und vor allem zitiert werden. Mit Platon, Aristoteles, Seneca, Augustinus und
Thomas von Aquin werden die für das Thema vielleicht wichtigsten Autoren der An-
tike und des Mittelalters behandelt; von den neuzeitlichen Philosophen werden die
Überlegungen Humes (als eines wichtigen Vertreters der Opposition gegen die da-
mals vorherrschende Verurteilung des Suizids) und Kants dargestellt.
Zunächst aber zu den Ausdrücken Selbstmord, Freitod, Selbsttötung und Suizid:
Entgegen der Intuition ist es nicht einfach, zu entscheiden, welches Wort oder wel-
che Wörter in einer (philosophischen) Arbeit über das Sich-selbst-Töten verwendet
werden soll(t)en. Zwar ist Selbstmord das zumindest in der Umgangssprache ge-
bräuchlichste Wort; in diesem Begriff aber klingt eine moralische (Vor-)Verurteilung
an. Freitod ist ebenfalls nicht neutral, der Zusammenhang von Freiheit und Selbsttö-
tung zudem kompliziert. Selbsttötung und Suizid scheinen als wertneutrale Begriffe
unproblematisch. Zu bedenken ist aber, dass Suizid nicht einfach mit Selbsttötung,
sondern auch mit Selbstmord zu übersetzen ist
und dass Suizid steril wirkt, ebenso
Selbsttötung, letzteres gilt zudem als amtssprachlich
1
. Nicht zu Unrecht schreibt Jas-
pers, ,,Psychiater sagen ,Suicid` und rücken durch Benennen einer Rubrik die Hand-
lung in die Sphäre reiner Objektivität, die den Abgrund verhüllt"
2
. Eine eventuell
beabsichtigte in moralischer Hinsicht neutrale Verwendung ist also nicht unbedingt
neutral, sondern sie kann auch beispielsweise psychiatrisierend wirken. Auch der je-
weilige Kontext müsste mitbetrachtet werden (einen Suizidenten Selbstmörder zu
1
Duden 1995: VI 3073
2
Jaspers 1932: 300; nur der Begriff ,,Selbstmord" fordere ,,unausweichlich, die Furchtbarkeit der
Frage zugleich mit der Objektivität des Faktums gegenwärtig zu behalten" (Jaspers 1932: 301).
5

nennen, kann wertend (verunglimpfend?) sein, im philosophischen Gespräch mag
aber im Sinne Jaspers Selbstmord (teilweise) angebracht sein; und: was lange Zeit
die moralische Verurteilung intendierte, hilft heute vielleicht, das Problem aus dem
psychiatrischen Bereich herauszulösen und eben philosophisch zu betrachten).
Dieses begriffliche Problem kann hier nicht weiter erörtert werden. Wesentlicher
als eine ,,,richtige` Terminologie"
3
ist wahrscheinlich das Wissen darum bzw. darauf
aufmerksam zu machen, dass hier ein Problem vorliegt. Für eine ausführlichere Dis-
kussion der Begriffsfrage siehe Ostwald 2017.
Zur Zitierweise: Wie allgemein üblich sind Ergänzungen bzw. Streichungen in-
nerhalb von Zitaten durch eckige Klammern gekennzeichnet, ergänzte, veränderte
oder gestrichene Endungen ebenso. Primärquellen werden mit dem Namen des Au-
tors sowie dem abgekürzten Titel des Werkes oder der Bandnummer, Sekundärlitera-
tur mit dem Namen des Autors, gefolgt von der Jahreszahl zitiert.
3
Holderegger 1979: 36; Holderegger hat sich in seinem Buch dafür entschieden, ,,im empirisch-
phänomenologischen Teil der Arbeit [...] den Ausdruck ,Suizid`, im normativen Bereich [...]
,Selbsttötung`" zu verwenden (Holderegger 1979: 36).
6

2 Der Suizid in der Philosophie von Platon bis Kant ­
Darstellung
In diesem Kapitel sollen die Gedanken von Platon, Aristoteles und Seneca, Au-
gustinus und Thomas von Aquin, sowie von Hume und Kant ausführlich
4
dargestellt
werden. Die jeweiligen Gedanken über die Selbsttötung, nicht deren Interpretation,
steht dabei im Vordergrund.
2.1 Platon
Die Kernstellen zum Thema befinden sich im Phaidon und in den Gesetzen. Pla-
tons Phaidon gemäß lässt Sokrates kurz vor seinem Tod Euenos ausrichten, ,,er solle
wohlleben und, wenn er klug wäre, mir nachkommen. Ich gehe aber, wie ihr seht,
heute, denn die Athener befehlen es."
5
Platon schreibt weiter, dass ein Philosoph
,,dem Sterbenden zu folgen wünsche"
6
. ,,Nur Gewalt wird er sich doch nicht selbst
antun; denn dies, sagen sie, sei nicht recht."
7
Zwar könne er, Sokrates, ,,nur vom Hö-
rensagen davon reden;"
8
es möge ,,unvernünftig zu sein scheinen", dass die Selbsttö-
tung ,,allein unter allen Dingen schlechthin"
9
,,nicht recht"
10
sein soll, obwohl doch
manchen ,,besser wäre zu sterben" ­ es aber ,,diesen Menschen nicht erlaubt sein
solle, sich selbst wohlzutun, sondern sie einen anderen Wohltäter erwarten sollen";
11
aber das Selbsttötungsverbot hätte ,,doch auch wieder einigen Grund."
12
Er führt zu-
erst, Lehren der Orphik bzw. der Pythagoreer aufgreifend
13
, an, ,,daß wir Menschen
4
Bei Seneca werden allerdings neben dem (berühmten) 70. Brief nur einige wenige weitere Stel-
len berücksichtigt.
5
Platon: Phaidon 61b. Platon wird, wenn nicht anders angegeben, nach der Werkausgabe von
Eigler zitiert.
6
Platon: Phaidon 61d
7
Platon: Phaidon 61c
8
Platon: Phaidon 61d
9
Platon: Phaidon 62ab
10
Platon: Phaidon 61c
11
Platon: Phaidon 62a
12
Platon: Phaidon 62d
13
Ohne Befehl Gottes dürfe, so Pythagoras, der Wachtposten des Lebens nicht verlassen werden
(Geiger 1888: 5). Laut den Pythagoreern (6. Jhdt. v.u.Z.) sind die ,,die Seelen in die Leiber ge -
bannt zur Strafe; der Selbstmord macht nicht frei vom ,Kreis der Zeugung`; wer nicht im Leibe
aushält, bis die Gottheit ihn erlöst, verfällt noch mehrerem und größerem Jammer" (Burckhardt
1962: 393, vgl. Burckhardt 1962: 383). Der Pythogoreer Euxitheus spricht von härtesten
Strafen, die demjenigen im Jenseits drohen, der seine Seele aus dem Kerker des Leibes befreie
(außer im Greisenalter: dann dürfe man, das Einverständnis der Götter voraussetzend, eigen -
mächtig aus dem Leben scheiden; Geiger 1888: 5f). Auch mit dem orphischen Seelenwande-
7

wie in einer Feste sind und man sich aus dieser nicht selbst losmachen und davon-
gehen dürfe".
14
Ein weiteres Argument besteht darin, dass der Mensch nicht sich
selbst, sondern den Göttern gehöre: ,,die Götter [sind] unsere Hüter und wir Men-
schen eine von den Herden der Götter"
15
. Sokrates fährt an Kebes gewendet fort:
,,Also auch du würdest gewiß, wenn ein Stück aus deiner Herde sich selbst tötete,
ohne daß du angedeutet hättest, daß du wolltest, es solle sterben, diesem zürnen und,
wenn du noch eine Strafe wüßtest, es bestrafen? ­ Ganz gewiß, sagte er [Kebes]. ­
Auf diese Weise nun wäre es also wohl nicht unvernünftig, daß man nicht eher sich
selbst töten dürfe, bis der Gott irgendeine Notwendigkeit dazu verfügt hat wie die
jetzt uns gewordene"
16
, gemeint ist die in Sokrates' Todesurteil bestehende.
Hier stellt sich natürlich die Frage, was unter ,,irgendeine Notwendigkeit"
16
fal-
len mag. Im Falle Sokrates' liegt die Notwendigkeit offenbar im Gerichtsurteil. Das
Trinken des Giftes scheint also kein verwerflicher Suizid zu sein. Und nach Platons
Gesetzen kann eine Selbsttötung legitim sein, wenn einem Menschen ,,ein über die
Maßen qualvolles unentrinnbares Unglück [...] ereilte" oder er von einer ,,ausweglo-
sen Schmach bedrückt wird", nicht aber, wenn es sich um ,,Schlaffheit und unmänn-
liche Feigheit"
17
handelt.
Einen weiteren Grund, der den Suizid Platons Ansicht nach rechtfertigt, be-
schreibt er im Kapitel über den Tempelraub: Ist jemand vom ,,Wahnsinnsstachel"
befallen, Tempelraub begehen zu wollen, so suche er bei Göttern und tugendhaften
Männern Hilfe; ,,und wenn du das tust und deine Krankheit läßt nach, dann wohl
dir! Wenn aber nicht, so betrachte den Tod für schöner und scheide aus dem
Leben!"
18
Für denjenigen, der sich ohne einen der genannten Gründe ,,selbst tötet und
gewaltsam das ihm vom Schicksal bestimmte Lebenslos verkürzt", sieht Platon
Strafen vor: In den Gesetzen heißt es, dass die Grabstätten der Suizidenten ,,im
Grenzgebiet [...] an unbebauten und namenlosen Plätzen" liegen sollen; die Toten
rungsglauben verträgt sich die Selbsttötung nicht, sie stellt (zudem) einen Eingriff des Men-
schen in göttliches Eigentum dar (vgl. Burckhardt 1962: 383 oder Geiger 1888: 5).
14
Platon: Phaidon 62b; in der Übersetzung Rufeners: ,,[...] daß wir Menschen hier gewissermaßen
auf einem Wachtposten stehen und daß wir uns nicht selbst davon ablösen oder weglaufen dür -
fen [...]" (Platon: Dialoge 340).
15
Platon: Phaidon 62bc
16
Platon: Phaidon 62bc
17
Platon: Gesetze 873c
18
Platon: Gesetze 854 bc
8

sollen Einzelgräber erhalten, die nicht durch ,,Säulen oder Namen" bezeichnet wer-
den.
19
Schließlich sei noch auf eine Textstelle in Gorgias hingewiesen, in der kritisiert
wird, ,,nur zu leben, solange es irgend geht": ,,Also Bester, sieh zu, ob nicht das Edle
und Gute etwas ganz anderes ist als das Erhalten und Erhaltenwerden, und ob nicht
ein Mann, der es wahrhaft ist, eben dieses, nur zu leben, solange es irgend geht, muß
dahingestellt sein lassen und keineswegs am Leben hängen, sondern dieses Gott
überlassend [...] nur auf das Nächste sehen, auf welche Weise er während der Zeit,
die er nun zu leben hat, am besten leben möge".
20
Sokrates hat natürlich eigentlich Suizid begangen: er war es, der das Gift getrun-
ken hat, die Tatherrschaft lag bei ihm. Dass, bei einer Weigerung, die Todesstrafe
wahrscheinlich in anderer Weise ausgeführt worden wäre, ändert daran nichts. Dar-
über hinaus hätte er fliehen können. Es dürfte schwierig sein, diese Tat definitorisch
als Nichtsuizid aufzufassen.
21
2.2 Aristoteles
Aristoteles schreibt in seiner Nikomachischen Ethik, dass das Gesetz und die
,,rechte Vernunft"
22
es verbieten, sich selbst zu töten.
23
Der Suizid könne nicht als tapfer gelten, ,,auch wenn einer dadurch der Not ent-
kommen will, was viele tun"
24
. Auch Aristoteles verbindet Suizid mit Feigheit:
,,Wenn man aber stirbt, um der Armut oder einer unglücklichen Liebe oder einem
Schmerz zu entgehen, so verrät das nicht den mutigen, sondern den feigen Mann. Es
ist Weichlichkeit, die Widerwärtigkeiten zu fliehen"
25
. Aristoteles zitiert den Dichter
Agathon: ,,Der schlechte Mann verzagt im Kampfe mit der Not/ Und wünscht zu
sterben."
26
19
Platon: Gesetze 873d
20
Platon: Gorgias 512 de
21
Zum Thema Sokrates und Suizid s. z.B.: Frey 1978, Frey 1980, Nitobé 1985: 143, Warren
2001.
22
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1138a 11 (Bien)
23
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1138a 6-12 (Bien)
24
Aristoteles: Eudemische Ethik 1229b 40ff (Dirlmeier)
25
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1116a 13ff (Bien)
26
Aristoteles: Eudemische Ethik 1230a 2f (Dirlmeier)
9

Zur Psychologie des Suizids schreibt Aristoteles, dass schlechte Menschen ,,mit
sich selbst im Zwiespalt [liegen], und ihre sinnliche Gier steht nach anderen Dingen
als ihr vernünftiger Wille [...]. Sie ziehen dem, was sie selbst als gut ansehen, das
Lustbringende, das ihnen schädlich ist, vor. Andere wieder scheuen aus Feigheit und
Trägheit, das zu tun, was nach ihrer eigenen Überzeugung das Beste für sie wäre.
Die aber in ihrer Schlechtigkeit viele schwere Verbrechen begangen haben, hassen
und fliehen das Leben und enden durch Selbstmord."
27
Der schlechte bzw. böse Mensch ist ,,nicht einmal gegen sich selbst freund-
schaftlich gesinnt [...], weil er nichts Liebenswertes an sich hat".
28
Doch lässt sich
gegen den Sterbewunsch bzw. die Gefahr, sterben zu wollen, angehen: ,,Wenn dem-
nach solch ein Zustand überaus unglücklich ist, so muß man mit dem Aufgebot sei-
ner ganzen Kraft das Laster fliehen und die Tugend zu erwerben suchen. Dann wird
man mit sich selbst in Freundschaft leben und auch eines anderen Freund werden"
29
.
Aristoteles unterstellt also, dass der Suizident nur nicht die gesamte Kraft aufge-
wandt hat, bzw. er feige ist.
Demgegenüber ist der ,,Mann der Tugend [...] mit sich selbst in Übereinstim-
mung und begehrt seiner ganzen Seele nach ein und dasselbe, und darum wünscht er
auch sich selbst Gutes [...] und setzt es ins Werk [...] und zwar um seiner selbst wil-
len, nämlich zugunsten seines denkenden Teils, der ja das eigentliche Selbst des
Menschen ist"
30
. Dazu gehört auch, dass er will, ,,daß er lebe und erhalten bleibe,
[...] und besonders wünscht er dies demjenigen Teil, mit dem er denkt: denn für den
Tugendhaften ist sein Sein ein Gut"
31
.
Da es ­ nach Aristoteles ­ nicht möglich ist, gegen sich selbst Unrecht zu tun
32
,
die Selbstentleibung aus Zorn (zum Beispiel) aber ein Unrecht ist
33
, fragt Aristoteles,
wem hier eigentlich Unrecht getan wird. Seine Antwort ist: dem Gemeinwesen.
34
,,Darum straft ihn auch die Obrigkeit und haftet dem Selbstmörder, als einem Men-
schen, der sich am gemeinen Wesen versündigt hat, einen Makel an"
35
.
27
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1166b 6ff (Bien)
28
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1166b 25ff (Bien)
29
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1166b 25ff (Bien)
30
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1166a 12ff (Bien)
31
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1116a 17ff (Bien)
32
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1138a 15ff (Bien)
33
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1138a 10ff (Bien)
34
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1138a 12 (Bien)
35
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1138a 13ff (Bien)
10

Ein gewisses Maß an Verständnis zeigt Aristoteles aber an anderer Stelle: ,,Gar
manches nämlich von dem was sich im Leben ereignet, ist von solcher Art, daß die
Menschen das Leben preisgeben, zum Beispiel Krankheit, übermäßige Qual, Stur-
mesnot. Dies bedeutet, daß es, wenn uns jemand die Wahl freistellte, von vorne her-
ein wählenswert wäre ­ zumindest im Hinblick auf diese Nöte ­ überhaupt nicht ge-
boren zu sein."
36
Verurteilt Aristoteles die Selbsttötung auch streng, so gibt es doch Situationen, in
denen der eigene Tod nicht nur in Kauf genommen werden darf, sondern sogar
muss: die Flucht im Krieg beispielsweise ist ,,schimpflich", dem Tapferen, dem
Bürger als Teil des Bürgerheeres (im Gegensatz zu dem Soldaten / Söldner
37
) ist
,,der Tod [...] lieber als eine solche Rettung"
38
, ,,ein Heer von Polisbürgern hält seine
Stellung bis zum Tode"
39
, ,,Soldaten werden feige, wenn die Gefahr überhand
nimmt"
40
.
2.3 Lucius Annaeus Seneca
Der wichtigste Text Senecas zum Thema Suizid ist sein relativ bekannter 70.
Brief an Lucilius ,,Über den freiwilligen Tod".
41
Darin bezeichnet er den Tod als eine
,,Grenze, die allen Menschen gesetzt ist", die fälschlicherweise oft als ,,Klippe"
empfunden werde, aber vielmehr ,,ein Hafen ist [... ], zuweilen erstrebenswert,
niemals zu verschmähen". ,,Das Leben ist nicht wert, immer festgehalten zu werden;
denn nicht das Leben an sich ist ein Gut sondern nur das sittlich reine Leben. Daher
lebt der Weise nicht, so lange er kann, sondern so lange die Pflicht es fordert [...].
Tritt ihm viel Belästigendes und seine Gemütsruhe Störendes entgegen, dann wirft
er die Fessel von sich, und er tut das nicht bloß in der äußersten Not, sondern sobald
das Schicksal anfängt ihm verdächtig zu werden, geht er gewissenhaft mit sich zu
Rate, ob er sofort ein Ende machen soll."
42
Aber es wäre ,,Torheit [...], aus Furcht
vor dem Tode zu sterben"
43
, beispielsweise wenn der sichere Tod bevorsteht; es gilt
dann, dass man ,,schwerlich ein schlechthin allgemeines Urteil darüber abgeben
36
Aristoteles: Eudemische Ethik 1215b 18ff (Dirlmeier)
37
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1116b 15 (Dirlmeier)
38
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1116b 15ff (Bien)
39
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1116b 15ff (Dirlmeier)
40
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1116b 15f (Bien)
41
Seneca III 263-271. Seneca wird nach der Übersetzung von Apelt zitiert.
42
Seneca III 264; weiter heißt es: ,,Früher oder später zu sterben ist nicht von Belang; von Belang
ist allein, ob du tadellos oder schimpflich stirbst. Tadellos aber sterben heißt der Gefahr ent-
gehen, schlecht zu leben." (Seneca III 265)
43
Seneca III 265
11

[kann], ob man, durch äußere Gewalt mit dem Tode bedroht, sich selbst im voraus
den Tod geben oder ihn erwarten soll." Ich bin es, der die ,,Todesart" ­ sofern mög-
lich ­ wählen kann und soll: ,,zudem ist ja das längere Leben nicht unbedingt auch
das bessere, während der längere Tod unbedingt der schlimmere ist".
44
Seneca wundert sich geradezu, dass sich ,,Vertreter der Philosophie [finden], die
ein gewaltsames Lebensende für unerlaubt erklären und es für Sünde halten, sein ei-
gener Mörder zu werden": ,,wer so spricht, sieht nicht, daß er der Freiheit den Weg
versperrt. Wie hätte das ewige Gesetz besser verfahren können als so, daß es uns
einen Eingang ins Leben gab, der Ausgänge aber viele."
45
Jedem wird also anheim-
gestellt, sich zu töten: ,,Dies ist das einzige, das uns keinen Grund gibt, über das Le-
ben zu klagen: es hält niemanden fest. Es ist ein Trost für uns Menschen, daß nie-
mand unglücklich ist außer durch eigene Schuld. Gefällt dir's, so lebe; gefällt dir's
nicht, so kannst du wieder hingehen, woher du gekommen";
46
konkreter schreibt er:
,,ein Messerchen
47
genügt, den Weg zu bahnen zu jener hochherrlichen Freiheit, ein
einziger Stich sichert uns die sorgenlose Ruhe"
48
. Seneca führt dies noch weiter aus
und zeigt, bzw. behauptet, dass in jeder Situation ein Weg zu finden sei, ,,sich zum
alleinigen Herrn über seinen Tod [...] zu machen"; ,,zum Tode" gebe es ,,kein
Hemmnis [...] als den Willen", ,,auch der schmutzigste Tod ist der saubersten
Knechtschaft vorzuziehen".
49
Ähnliches zum Thema Tod und Sterben schreibt Seneca an sehr vielen weiteren
Stellen, so z. B.: ,,,Schlimm ist es in Not zu leben, aber in Not zu leben nötigt
nichts.` [...] Viele Wege zur Freiheit, kurz und gangbar, eröffnen sich allerseits. Dan-
ken wir Gott, daß niemand an das Leben gefesselt ist"
50
. Aber: ,,Selbst wenn die Ver-
nunft uns rät, mit uns ein Ende zu machen, so dürfen wir doch nicht aufs Gerate-
wohl zum Angriff vorstürmen. Der tapfere und weise Mann soll nicht in hastiger
44
Seneca III 266; ,,für das Leben muß jeder auch Rücksicht nehmen auf die Billigung anderer,
den Tod bestimme er ganz nach eigener Wahl [...] Dein Augenmerk sei allein darauf gerichtet,
dich so schnell als möglich der Gewalt des Schicksals zu entziehen". (Seneca III 267)
45
Seneca III 267
46
Seneca III 267f
47
Seneca selbst suizidierte sich ­ nach Tacitus' Annalen ­ mit einem ,,kleinen Messer" (Kom. in
Seneca (Rosenbach) IV 13).
48
Seneca III 268
49
Dazu führt er das Beispiel eines Germanen an, der sich suizidierte, um dem ,,Tierkampf" zu
entgehen; dieser ,,trat [...] angeblich zur Befriedigung eines Bedürfnisses aus: es gab für ihn
sonst keinen Ort, wohin er ohne Begleiter sich hätte entfernen können. Dort stieß er sich die zur
Beseitigung des Unrates mit einem Schwamm versehene Holzstange tief in die Kehle hinein
und gab infolge dieser Versperrung des Schlundes den Geist auf. Das hieß dem Tode Hohn an -
tun. Recht so." (Seneca III 269)
50
Seneca III 37
12

Flucht [...] aus dem Leben scheiden"; das ,,leidenschaftliche Verlangen, zu sterben"
solle gemieden werden.
51
Man solle heiteren und ruhigen Sinnes den Tod erwarten,
nicht ihn heftig begehren (aus Geistesverwirrtheit oder Überreiztheit, Zorn).
52
Es sei zu überlegen, ob man ,,die äußerste Altersgrenze [...] meiden und das
Ende nicht" abwarten solle: ,,es kommt sehr viel darauf an, ob man das Leben ver-
längert oder das Sterben. Aber wenn der Körper den Dienst versagt, was sollte dann
den Leidenden davon abhalten der Seele ihre Freiheit zu geben? Und unter Umstän-
den müßte man sich noch eher dazu entschließen als es sein muß, um nicht, wenn es
sein muß, unfähig dazu zu sein."
53
Aber: ,,Schmerz soll niemals Veranlassung für mich werden, Hand an mich zu
legen: so zu sterben ist nichts anderes als sich besiegen lassen"; erst unbesiegbarer
Schmerz rechtfertige die Selbsttötung.
54
2.4 Aurelius Augustinus
Augustinus urteilt kategorisch: Es ist ,,ohne Frage [...,] wer sich selbst umbringt,
ein Mörder"
55
, er begeht eine ,,abscheuliche Untat und ein verdammliches Verbre-
chen"
56
. Sein wichtigstes Argument ist das fünfte Gebot (,,Du sollst nicht töten"
57
).
Das Tötungsverbot beziehe sich auf alle Menschen (und ausschließlich auf Men-
schen), also ,,sowohl auf den andern als auch auf dich selbst. Denn wer sich tötet, tö-
tet auch einen Menschen."
58
. Außerdem gebe es in der heiligen Schrift ,,nirgendwo
eine göttliche Anweisung oder Erlaubnis [...] uns selbst das Leben zu nehmen"
59
.
51
Seneca III 93f
52
Seneca III 113
53
Seneca III 210, vgl. Seneca III 211.
54
Seneca III 211. ,,Das Schicksal spart nicht mit Schlägen und Verwundungen gegen uns: laßt es
uns dulden." (I 18) Von den zahlreichen weiteren Textstellen über Tod und ,Freitod` seien fol-
gende genannt: Seneca III 1, 7-9, 37, 88-94, 98-100, 111-115, 129-131, 187f, 207 (diese Liste
ist nicht annähernd vollständig; in seinen Werken finden sich viele weitere Bemerkungen zum
Thema).
55
Augustinus: Vom Gottesstaat Band 1, S. 31 = I 17; vgl. Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 40 = I
21.
56
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 44 = I 25
57
Die Einheitsübersetzung von 1980 schreibt: ,,Du sollst nicht morden." (2. Moses 20, 13 = 5.
Moses 5, 17, aber Jakobus 2, 11 mit ,,töten" statt ,,morden"), die Elberfelder von 1905 übersetzt
hingegen an den gleichen Stellen: ,,Du sollst nicht töten." Ebenso Luther 1545: ,,DV solt nicht
tödten." (Bibel 1545, 1905 bzw. 1980/2017)
58
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 39 = I 20; für eine ausführlichere Begründung s. Augustinus:
Vom Gottesstaat 1, 37-39 = I 20.
59
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 37 = I 21
13

Der Suizid entspreche (oft) einem ,,selbstvollzogene[n] Strafgericht".
60
Augustinus lässt (fast) keine Ausnahme zu. Zum Beispiel verurteilt er Lucretia,
die sich nach einer Vergewaltigung das Leben genommen hat; war sie unschuldig, so
hat sie sich lediglich aus ,,schwächlichem Schamgefühl"
61
getötet, und dann hat
,,diese vielgepriesene Lucretia [...] die unschuldige, keusche, vergewaltigte
Lucretia" getötet
62
: weder ,,die Heiligkeit des Leibes", noch die ,,des Geistes" kann
verloren gehen, wenn ,,wider Willen und durch fremden Frevel Gewalt" angetan
wird
63
; und war sie schuldig, so hätte sie Buße tun können
64
.
So ist es auch verboten sich zu töten, um eigene spätere Sünden zu verhüten:
,,Wäre es ferner nicht besser, etwas Sträfliches zu begehen, was durch Buße wieder
getilgt werden kann, als eine Übeltat, bei der es keine Möglichkeit heilsamer Buße
mehr gibt?"
65
, der Suizid lasse ,,keinen Raum für heilsame Reue"
66
.
Eine Selbsttötung ist i.a. ein Zeichen für einen ,,schwachen Geist"; Theombro-
tus, der sich nach der Lektüre Platons suizidierte, ,,um so aus diesem Leben in das
geglaubte bessere auszuwandern", ohne dass ihn ein Unglück bedrängte, habe zwar
eine gewisse Seelengröße bewiesen, doch war ,,diese Tat mehr groß als gut".
67
Weiterhin ist es auch nicht erlaubt, sich zu töten, um nicht Feinden in die Hände
zu fallen; Augustinus lobt Marcus Regulus dafür, dass er ,,lieber die ärgsten Qualen
an seinem Leibe" erduldet habe, ,,als durch freiwilligen Tod all der Pein ein Ende
machen" zu wollen
68
; Gefangenschaft und Knechtschaft
69
, Notzucht
70
seien zu erdul-
den. Christen, ,,die den wahren Gott verehren und nach dem himmlischen Vaterland
verlangen" werden vor dem Suizid, ,,vor dieser Übeltat zurückschrecken, wenn gött-
liche Fügung sie zur Prüfung oder Läuterung zeitweise der Gewalt der Feinde über-
liefert"
71
.
Der einzige Fall, in dem die Selbsttötung erlaubt ist, liegt vor, wenn Gott sie be-
fiehlt: ,,wer also um das Verbot, sich zu töten, weiß, mag es dennoch tun, wenn der
60
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 37 = I 19
61
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 37 = I 19
62
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 35 = I 19
63
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 33f = I 18
64
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 36 = I 19
65
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 45 = I 25
66
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 31 = I 17
67
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 40 = I 22
68
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 42 = I 24
69
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 43 = I 24
70
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 37 = I 19
71
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 44 = I 24
14

es befohlen hat, dessen Befehle niemand verachten darf, aber er sehe wohl zu, ob
dieser Befehl auch keinen Zweifeln ausgesetzt ist."
72
Augustinus fasst seine im Gottesstaat vorgetragene Sicht zusammen: ,,Das aber
sagen, das versichern wir, daran halten wir mit aller Entschiedenheit fest, dass nie-
mand freiwillig den Tod suchen darf, um zeitlicher Pein zu entgehen, er würde sonst
der ewigen anheimfallen. Niemand darf es auch wegen fremder Sünde, damit er, den
fremde nicht beflecken konnte, nicht in schwerste eigene Sünde falle; niemand we-
gen eigener vergangener Sünden, derentwegen er es nur noch nötiger hat, am Leben
zu bleiben, um sie durch Buße zu tilgen; niemand darf's aus Verlangen nach einem
besseren Leben, das er sich nach dem Tode erhofft, denn die am eigenen Tode
Schuldigen erwartet kein besseres Leben."
73
In seiner Schrift Der freie Wille betrachtet Augustinus den Suizid als Irrtum: Tat-
sächlich sei das ,,Sein an sich" ein ,,großes Gut": ,,sowohl die Glücklichen als auch
die Elenden wollen" es,
74
nur dass der Elende nicht elend sein will.
75
,,Wenn du dir
das gut überlegt hast, wirst du sehen, daß du um so elender bist, je weniger du dem
Höchsten nahekommst, und dass du das Nichtsein nur so lange für besser als das
Elendsein hältst, als du noch nicht das Höchste siehst; und du wirst erkennen, dass
du deshalb sein willst, weil du das Sein von Jenem hast, Der das Höchste ist."
76
Der Suizident verlangt eigentlich nach Ruhe: ,,Das ganze Verlangen des Todes-
willen zielt also nicht dahin, daß der Gestorbene nicht ist, sondern daß er ruht".
77
,,Ruhe ist kein Nichts, im Gegenteil: die Ruhe ist ein vollkommeneres Sein als die
Unruhe."
78
Darüber hinaus könne ,,niemand in rechter Weise wählen, nicht zu sein", denn
,,Nichtsein [...] ist nicht etwas, sondern ist einfach nichts, und das kann man keine
Entscheidung nennen, wenn ihr Gegenstand nicht existiert."
79
,,Wer sich für das
Nichtsein entscheidet, ist überführt, daß er tatsächlich nichts wählt, auch wenn er es
nicht zugeben will."
80
72
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 46 = I 26
73
Augustinus: Vom Gottesstaat 1, 46f = I 26
74
Augustinus: Der freie Wille 135 = III 20
75
Vgl. Augustinus: Der freie Wille 133 = III 18.
76
Augustinus: Der freie Wille 135 = III 20
77
Augustinus: Der freie Wille 138 = III 23
78
Augustinus: Der freie Wille 138 = III 23
79
Augustinus: Der freie Wille 136 = III 22
80
Augustinus: Der freie Wille 137 = III 22
15

2.5 Thomas von Aquin
Thomas von Aquins Stellung zum Suizid ist eindeutig: ,,Sich selbst zu töten ist
ganz und gar unerlaubt"
81
; er verweist auf das fünfte Gebot
57
und zitiert dazu Augus-
tinus
58
: ,,Also weder einen anderen noch sich selbst. Denn nichts anderes als einen
Menschen tötet, wer sich selbst tötet"
82
. Die Selbsttötung ist die ,,gefährlichste Sün-
de, weil keine Zeit bleibt, sie durch Buße zu sühnen"
83
.
Sie ist ein dreifaches Verbrechen:
[1]
gegen sich selbst;
[2]
gegen die Gesellschaft;
[3]
gegen Gott.
Zu [1]: Jedes Wesen liebe sich selbst von Natur aus
84
, und ,,daher kommt es, daß
jedes Wesen von Natur aus sich selbst im Sein zu erhalten sucht"
85
. Der Suizid ist
daher ,,gegen den Naturtrieb", ,,gegen das Naturgesetz", ,,und gegen die Liebe, mit
der jeder sich selbst lieben muß". Also ist er ,,immer schwer sündhaft"
86
.
Zu [2]: ,,Jeder Mensch [...] ist Teil der Gemeinschaft; deshalb gehört er mit dem,
was er ist, der Gemeinschaft". Somit sei der Suizid ein Unrecht gegenüber der Ge-
meinschaft, wie Thomas unter ausdrücklichem Bezug auf Aristoteles
34
schreibt.
87
Zu [3]: Da Gott dem Menschen das Leben geschenkt hat und dieser ihm unter-
worfen ist, sündigt er gegen Gott, wenn er sich tötet. ,,Gott allein also steht die Ent -
scheidung zu über Leben und Tod, nach Dt [5. Moses] 32, 39: ,Ich bin es, der tötet
und der lebendig macht`."
88
Der Suizid ist eine Entscheidung ,,über eine Sache, die
ihm [dem Menschen] nicht übertragen ist".
89
Der Märtyrer wird dagegen gerechtfertigt: ,,Es ist Tapferkeit, wenn einer, um des
Gutes der Tugend willen und um die Sünde zu vermeiden, nicht davor zurück-
schreckt, den Tod von der Hand eines anderen zu empfangen". Die Selbsttötung, um
81
Thomas von Aquin: Summa 164
82
Thomas von Aquin: Summa 164
83
Thomas von Aquin: Summa 167
84
Thomas von Aquin: Summa 164
85
Thomas von Aquin: Summa 164f
86
Thomas von Aquin: Summa 165
87
Thomas von Aquin: Summa 165
88
Thomas von Aquin: Summa 165
89
Thomas von Aquin: Summa 165
16

Qualen zu entgehen, ist dagegen ,,Schwäche"
90
und ebenso wenig erlaubt, wie sich
selbst ,,wegen einer begangenen Sünde" zu töten.
91
Auch darf sich eine Frau, um
nicht vergewaltigt zu werden, nicht töten. ,,Denn sie darf gegen sich selbst kein
solch schweres Verbrechen begehen, wie es der Selbstmord ist, um ein fremdes Ver-
brechen zu verhüten."
92
Auch der, der sich tötet, um zu verhindern, später eine Sünde zu begehen, macht
sich schuldig: ,,Denn es ist nicht sicher, ob einer in der Zukunft der Sünde zustimmt;
denn Gott ist mächtig genug, den Menschen in jeder ihn überraschenden Versuchung
vor der Sünde zu bewahren"
93
.
2.6 David Hume
Hume hat dem Problem der Selbsttötung einen eigenen Essay gewidmet, On
Suicide
94
, der aber erst 1777 posthum erschien.
Zu Beginn schreibt er, dass nur die Philosophie ein ,,unübertreffliche[s] Gegen-
gift [...] gegen Aberglauben und falsche Religion" sei. Cicero zitierend, äußert er,
dass der ,,abergläubische Mensch [...] in jeder Lage, in jedem Lebensereignis er-
bärmlich"
95
sei: ,,Ich möchte hinzufügen, daß er, obwohl allein der Tod seinem
Elend ein Ende setzen kann, es nicht wagt, zu dieser Zufluchtsstätte zu fliehen, son-
dern immer noch ein elendes Dasein aus der leeren Furcht heraus verlängert, daß er
seinen Schöpfer durch den Gebrauch einer Macht beleidige, die dieses wohltätige
Wesen ihm verliehen hat."
96
Hume möchte ,,den Menschen in seine angeborene Frei-
heit wieder einsetzen" und ihm die durch Ängstlichkeit und Aberglaube geraubte
,,Gewalt über sein Leben" wiedergeben. Er will zeigen, dass der Suizid ,,frei von je-
dem Vorwurf der Schuld und des Tadels sein mag".
97
90
Thomas von Aquin: Summa 168
91
Thomas von Aquin: Summa 167
92
Thomas von Aquin: Summa 167
93
Thomas von Aquin: Summa 168
94
Die hier benutzte deutsche Übersetzung von 1984 trägt den Titel ,,Über Selbstmord" (ebenso
wie die von Paulsen aus dem Jahr 1905, abgedruckt in Szittya 1925: 11-23), es findet sich aber
auch: ,,Traktat über den Freitod" (Hume 1777/2006) oder ,,Über den Freitod" (Hume
1777/2009).
95
Hume: Selbstmord 89
96
Und weiter: ,,Die Gaben Gottes und der Natur werden uns von diesem grausamen Feind fortge-
rafft, und obgleich uns ein einziger Schritt aus dem Reich des Schmerzes und der Sorge heraus-
führen würde, ketten uns seine Drohungen an ein verhaßtes Dasein, zu dem er selbst in erster
Linie beiträgt, es so erbärmlich zu machen." (Hume: Selbstmord 90)
97
Hume: Selbstmord 90
17
Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Das Problem der Selbsttötung in der Philosophie von Platon bis Kant
Autor
Jahr
2017
Seiten
69
Katalognummer
V375638
ISBN (eBook)
9783668527515
ISBN (Buch)
9783668527522
Dateigröße
770 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
selbsttötung, philosophie, platon, kant, selbstmord, suizid, freitod, Hume, Thomas von Aquin, augustinus, seneca, Aristoteles, Ethik
Arbeit zitieren
Jens Ostwald (Autor:in), 2017, Das Problem der Selbsttötung in der Philosophie von Platon bis Kant, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375638

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