Unter dem Ausdruck Neurowissenschaften werden in den folgenden Ausführungen Neurophysiologie, Neuropsychologie und Neurologie sowie deren Teildisziplinen subsummiert. Die Philosophie des Geistes beschäftigt sich als Einzeldisziplin schon seit geraumer Zeit mit den Phänomenen, die diesem Wissenschaftszweig erwachsen. Störungen des Wahrnehmungsfeldes, ‚blind sight’ oder Auswirkungen pathologischer Veränderungen des Gehirns sind inzwischen selbstverständlicher Gegenstand philosophischer Reflexion geworden. Mit diesen Themen gewinnen auch neurowissenschaftliche Experimente mehr und mehr an Relevanz. Diese auch zunehmend interdisziplinäre Arbeit war bisher jedoch hauptsächlich der Wissenschaftsgemeinde zugänglich.
Die kritischen Reaktionen auf die neurowissenschaftliche These von der obsolet gewordenen Willensfreiheit lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe von Einwänden betrifft die empirischen Grundlagen der neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse. Dabei wird insbesondere an der Aussagekraft der in der aktuellen Debatte als maßgeblich herangezogenen Experimente von Benjamin Libet, Peter Haggard und Martin Eimer gezweifelt , wobei hauptsächlich die konzeptionellen Schwächen der Libet-Experimente im Kreuzfeuer der Kritik stehen.
Ein zweiter Einwand richtet sich auch auf die theoretischen Folgerungen der Neurowissenschaften. Diese Kritik entstammt unmittelbar der philosophischen Perspektive und nimmt hauptsächlich die neurowissenschaftliche Konzeption des freien Willens ins Visier. Die Einwände folgen hier den Vorgaben der vor allem im Bereich der Philosophie des Geistes beheimateten Kritik des eliminativen Reduktionismus. In diesen Kontext gehört daher auch die Kritik an der neurowissenschaftlichen Vernachlässigung einer trennscharfen Unterscheidung zwischen Ursachen und Gründen in der Behandlung der Problematik freier Entscheidungen.
Die Argumentationspraxis und die Sprache der Neurowissenschaften sind das Ziel des dritten Kritikpunktes. Neben Argumentationsfehlern werden den Neurowissenschaften in diesem Kontext vor allem begriffliche Reifizierungen und Kategorienverwechslungen vorgehalten. Diese Kritik, die teilweise die erwähnte Reduktionismuskritik unterstützt, bemüht sich nicht zuletzt auch darum zu zeigen, wie es den Neurowissenschaften gelingen kann, mittels begriffspolitischer Züge den Anschein von Unwiderlegbarkeit zu erzeugen und sich gegen Kritik zu immunisieren.
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG
- 2. DAS PSYCHOPHYSISCHE PROBLEM.
- 2.1. SUBSTANZDUALISMUS
- 2.2. LOGISCHER EMIPIRISMUS....
- 2.3. IDENTITÄTSTHEORIE
- 2.4. ELIMINATIVER MATERIALISMUS.........
- 2.5. NICHTREDUKTIVER NATURALISMUS.
- 2.6. ZUSAMMENFASSUNG.
- 3. DIE NEUROWISSENSCHAFTEN – EINE ÜBERSICHT
- 3.1. GESCHICHTE DER NEUROWISSENSCHAFTEN IM 19./20. JAHRHUNDERT ....
- 3.2. DIE BILDGEBENDEN VERFAHREN DER NEUROWISSENSCHAFTEN.
- 3.2.1. STRUKTURELLE BILDGEBENDE VERFAHREN
- 3.2.2. FUNKTIONELLE BILDGEBENDE VERFAHREN
- 3.3. ZUSAMMENFASSUNG.
- 4. NEUROWISSENSCHAFTEN UND PHILOSOPHIE DES GEISTES ..
- 4.1. DIE LIBET-EXPERIMENTE
- 4.2. WILLENSFREIHEIT
- 4.2.1. ANMERKUNGEN: MORAL UND SCHULD
- 4.3. DIE SPRACHE DER NEUROWISSENSCHAFTEN.
- 4.4. BEWUSSTSEIN UND GEHIRN.
- 4.5. ZUSAMMENFASSUNG.
- 5. AUSBLICK
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Magisterarbeit befasst sich mit der Verbindung zwischen Neurowissenschaften und Philosophie des Geistes. Sie analysiert die Auswirkungen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse auf das menschliche Selbstverständnis und insbesondere auf die Frage der Willensfreiheit.
- Die Entwicklung der Neurowissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert
- Das psychophysische Problem und die verschiedenen philosophischen Positionen dazu
- Die Bedeutung neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse für die Philosophie des Geistes
- Die Debatte um die Willensfreiheit im Kontext neurowissenschaftlicher Erkenntnisse
- Die kritische Auseinandersetzung mit der Sprache der Neurowissenschaften
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die Relevanz neurowissenschaftlicher Forschung für das philosophische Verständnis des Geistes dar. Sie beleuchtet die Debatte um die Willensfreiheit, die durch die Veröffentlichungen von Gerhard Roth und Wolf Singer ausgelöst wurde.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem psychophysischen Problem und analysiert verschiedene philosophische Positionen dazu, wie Substanzdualismus, logischer Empirismus, Identitätstheorie, eliminativer Materialismus und nichtreduktiver Naturalismus.
Kapitel drei gibt einen Überblick über die Neurowissenschaften und deren Geschichte. Es werden die wichtigsten bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften vorgestellt, sowohl strukturelle als auch funktionelle.
Kapitel vier untersucht den Einfluss der Neurowissenschaften auf die Philosophie des Geistes. Es werden die Libet-Experimente und deren Relevanz für die Frage der Willensfreiheit analysiert.
Kapitel fünf bietet einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung der Neurowissenschaften und ihre Bedeutung für das philosophische Verständnis des Geistes.
Schlüsselwörter
Neurowissenschaften, Philosophie des Geistes, Willensfreiheit, Psychophysisches Problem, Libet-Experimente, Gehirn, Bewusstsein, Determinismus, Selbstverständnis, Neurophilosophie.
- Arbeit zitieren
- Christian Schipke (Autor:in), 2005, Neurowissenschaften und Philosophie des Geistes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37577