Berlin und Hamburg in Phrasemen. Urbanität und Identität im deutschen HipHop


Seminararbeit, 2014

39 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


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Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung (2 ­ 3)
2.
Die Hamburger: Fettes Brot (4 ­ 9)
2.1.
,,Nordisch by Nature" (4 ­ 6)
2.2.
,,Hamburg Calling" (6 ­ 9)
3.
Die Berliner: Seeed (und Peter Fox) (9 ­ 14)
3.1.
,,Dickes B" (9 ­ 11)
3.2.
,,Schwarz zu Blau" (11 ­ 14)
4.
Hamburg versus Berlin? ­ Ein Vergleich (14 ­ 15)
5.
Zusammenfassung, Fazit (15 ­ 16)
6.
Literaturverzeichnis
7.
Erklärung über das selbständige Verfassen der Seminararbeit
8.
Anhang

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1.
Einleitung
,,Hart genug sagt man sich und gibt sich selten auf die Schnauze / und wenn wir uns mal
haun, dann 'n Holsten in die Plauze." ­
Diese Zeilen rappt Gaze im Lied ,,Nordisch by Nature" der Hamburger Hip-Hop-
Gruppe Fettes Brot. Die Liedermacher verwenden nicht nur hier eine ganze Reihe von
Phrasemen, was Ehrhardt als nicht selten für den HipHop und als Teil seiner kreativen
sprachlichen ,,Spielwiese" beschreibt (2005: 32). Sprache hat im HipHop natürlich
allein schon wegen des Sprechgesangs eine herausgehobene Bedeutung ­ aber
zusätzlich stellt sie eine Welt für die Angehörigen dieser Subkultur her, bestätigt sie und
ermöglicht es, sich als Akteur in ihr zu positionieren (Klein & Friedrich 2003: 37). In
diesem Zusammenhang ,,wird die diskursive Funktion des Phraseologismengebrauchs
relevant" (Ehrhardt 2005: 37; zu allgemeinen Verwendungsgründen für Phraseme vgl.
Stein 2011: 289). Phraseme beziehen sich nicht nur auf Gegenstände, Situationen oder
Personen, sondern ordnen diese in einen Kontext und Diskurs ein und übermitteln eine
bestimmte Perspektive auf Dinge und Lebenswelten sowie emotionale Bewertungen
(Androutsopoulos 1998: 246f.; Ehrhardt 2005: 38; Ehrhardt 2007: 261; Feilke 2004: 51
f.). Im Rahmen dieser Seminararbeit im Kontext des Seminars ,,Sprachliche 'Fertigteile':
Sprichwörter, Wendungen, Redensarten" interessiert mich vor allem ein Phänomen, das
von den HipHoppern in ihren Liedern u.a. durch Phraseme emotional bewertet,
perspektiviert und kontextualisiert wird: die Zuordnung und Zugehörigkeit zu einem
urbanen Raum, einer großstädtischen Heimat. Wie konstruieren die Künstler ,,ihre"
Großstadt durch den Gebrauch bestimmter Phraseme? Wie grenzen sie sich
möglicherweise so von anderen Regionen ab? Und wie definieren sie sich vielleicht
auch selbst über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Stadt? Welche Phraseme nutzen
sie, um ihre (urbane) Identität kreativ zu unterstreichen? Denn wie Ehrhardt weiter
betont, können Phraseme, nach Androutsopoulos Wortbildungsmittel mit ,,ludischer
Funktion" (1998: 219), entscheidend ,,dazu beitragen, dass ein Text ... als Produkt
kreativer Anstrengung angesehen wird" (2005: 34). Um diesen und weiteren Fragen
nachzugehen werde ich mich auf zwei Bands konzentrieren: die bereits anfangs
erwähnte Hamburger Gruppe Fettes Brot und das Berliner Ensemble Seeed. Zur
Untersuchung der ,,Vertreter" des urbanen Zentrums Berlin werde ich zusätzlich noch
einen Text aus dem Soloprojekt eines Frontmannes und Gründungsmitglieds von Seeed
(LAUT AG 2014), Peter Fox, miteinbeziehen, da dieser meines Erachtens nach einige
weitere interessante Beispiele für Phraseme als Mittel zur Konstruktion einer urbanen
Identität liefert. Zunächst werde ich die Künstler kurz vorstellen, um dann die für mein
Thema relevanten Phraseme in jeweils zwei Texten, die Berlin bzw. Hamburg
gewidmet sind, zu untersuchen. Auf Grundlage dieser beiden Kapitel werde ich mich
dann einem kurzen Vergleich der Konstruktion der jeweiligen Städte durch die beiden

3
Bands zuwenden, um etwaige erschaffene Rivalitäten und Gemeinsamkeiten oder
Unterschiede im Gebrauch von Phrasemen bezüglich der urbanen Identität aufzudecken.
Abschließend werde ich meine Ergebnisse zusammenfassen und versuchen, zu einem
Fazit zu gelangen.
Aufgrund persönlicher musikalischer Vorlieben kenne ich beide Gruppen, vor allem
Seeed, seit einigen Jahren recht gut und habe einen recht breiten Überblick über ihr
musikalisches Schaffen sowie ihre jeweiligen Hintergründe. Ich versuche, diese
Vorkenntnisse soweit angebracht in die Arbeit miteinfließen zu lassen, jedoch möchte
ich dadurch gefärbte Ergebnisse vermeiden, weshalb ich mich auf eine knappe
Vorstellung der Gruppen beschränke und die restliche (Identitäts-) Analyse
ausschließlich auf die Phraseme zu Berlin und Hamburg, die ich in den Texten finde,
reduziere.
Auslassen werde ich Analysen von dialektalen Phrasemen, obwohl gerade in den
Texten von Fettes Brot die Verwendung von norddeutschem Dialekt eventuell
untersuchenswert wäre. Eine wissenschaftliche Einbeziehung dialektaler Phänomene
würde allerdings schlicht den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Da es zu dem von mir gewählten Thema nur wenig Literatur gibt (meine zentralen
Quellen bilden Ehrhardt 2005 und 2007 zur Jugend - bzw. HipHop-Sprache sowie
Sandig 2007 als theoretische Basis der stilistischen Funktionen von Phrasemen, wobei
ich auch hier einzelne Aspekte wie die von ihr vorgestellten Regeln zur Phrasembildung
lediglich im Hinterkopf behalten kann; vgl. hierzu Sandig 2007: 161, 162), stütze ich
mich zusätzlich auf Quellen aus dem Internet. Hier ist neben digitalen Phrasem-
Recherchequellen (die ich aufgrund der Neuartigkeit vieler verwendeter Phraseme
,,klassischen" Phrasemsammlungen vorziehe) wie www.cosmas2.ids-mannheim.de und
www.redensarten-index.de vor allem die Seite www.songtexte.com zu nennen, von der
ich meine gesamten untersuchten Liedtexte beziehe. Alle von mir als Phraseme
bezeichneten Ausdrücke habe ich im Deutschen Referenzkorpus und/oder dem
Redensarten-Index überprüft. Lediglich bei Zweifelsfällen oder der Verwendung
anderer Phrasemsammlungen werde ich im Fließtext nochmals auf die genaue Quelle
verweisen. Weitere Angaben zu den verwendeten Korpora und Phrasemquellen
befinden sich im Literaturverzeichnis. Weiter fehlen bei vielen Internetquellen
vereinzelt genauere Angaben, wie nicht zu erschließende Jahreszahlen oder in einigen
Fällen die Namen von Autoren bzw. Verantwortlichen der Internetseite ­ hier führe ich
dann lediglich den Namen der Organisation an.
Beginnen werde ich nun mit einer kurzen Vorstellung der Hamburger Gruppe Fettes
Brot und der anschließenden Analyse der Konstruktion ,,ihrer" Stadt und ihrer damit
verbundenen Identität in den Phrasemen ihrer Liedtexte.

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2.
Die Hamburger: Fettes Brot
Die HipHop-Gruppe Fettes Brot besteht aus den Rappern Martin Vandreier (,,Doktor
Renz"), Boris Lauterbach (,,König Boris") und Björn Warns (,,Schiffmeister") (LAUT
AG 2014). Alle drei stammen aus unterschiedlichen Stadtteilen bzw. Vorstädten von
Hamburg und gründeten 1992 (damals noch mit einem Mitglied mehr) die Gruppe
(LAUT AG 2014). Ihren Durchbruch feierten sie 1994 mit ,,Nordisch by Nature" bzw.
dem Album ,,Auf einem Auge blöd" ­ seitdem zählen die heute zum Teil über 40-
Jährigen zu den bekanntesten deutschen Hip-Hop-Künstlern (LAUT AG 2014). Ihr
letztes Album ,,3 is ne Party" erschien 2013 (LAUT AG 2014).
2.1.
,,Nordisch by Nature"
Allein die Tatsache, dass in diesem Lied, an dem mehrere Gast-Rapper beteiligt sind,
zwei Strophen in norddeutschem Dialekt und der Teil einer weiteren sogar auf Dänisch
gerappt werden, hebt die Verbundenheit der HipHopper mit ihrer nordischen Heimat
deutlich hervor. Meiner Meinung nach zeugt die Verwendung dieses Dialekts zugleich
von einer Art starkem Zusammengehörigkeitsgefühl der ,,Nordlichter" und schließt
damit verbunden auch von vorneherein quasi all die aus Teilen des Lieds aus, die den
Dialekt nicht verstehen. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, werde ich auf die in den
plattdeutschen Strophen verwendeten Phraseme nicht weiter eingehen. Die ebenfalls
bereits eingangs erwähnten Zeilen sieben und acht aus Strophe zwei (,,Hart genug sagt
man sich und gibt sich selten auf die Schnauze / und wenn wir uns mal haun, dann 'n
Holsten in die Plauze") verwenden zwei Phraseme zur Charakterisierung der
Hamburger: ,,Auf die Schnauze geben" modifiziert in der Negierung und ,,etwas in die
Plauze hauen" modifiziert durch das Ersetzen von ,,etwas" mit ,,Holsten", einer
bekannten Hamburger Biersorte. Ersteres stellt die Hamburger durch die verneinte Form
als eine ruhige Gruppe dar, unter der es selten Schlägereien o.ä. gibt und die, in
Verbindung mit dem zweiten Phrasem, lieber ein Bier trinken gehen, dass sie sich in die
,,Plauze hauen" ­ der Begriff ,,Plauze" stammt laut Duden (Wermke et al. 2000) aus
dem Polnischen und meinte ursprünglich Tiereingeweide. Die Verwendung einer eher
unterneutralen Markierung (Sandig 2007: 160) in beiden Phrasemen unterstreicht
womöglich Bodenständigkeit und auch Jugendnähe der Gruppe. Wie die meisten der in
dieser Arbeit behandelten Phraseme sind auch diese beiden referentiell (im weiteren
Verlauf werde ich nur noch kommunikative und strukturelle Ausnahmen explizit
benennen) und teil-idiomatisch (zur Klassifikation von Phrasemen vgl. Sandig 2007:
159). Unabhängig von Phrasemen fällt im gesamten Lied, wie hier die Erwähnung des
,,Holsten"-Bieres, das Nennen verschiedener Namen, Orte, oder Gerichte auf, die
gemeinhin wohl als ,,typisch" hamburgisch gelten können: z.B. ,,Störtebeker" (Strophe

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eins, Zeile fünf bzw. Strophe fünf, Zeile sechs), ,,Blohm und Voss" (Strophe zwei,
Zeile vier), ,,Lachs" (Strophe zwei, Zeile zwölf), ,,Aal" (Strophe vier, Zeile neun),
,,...die Schiffe, das Meer und den Hafen" (Strophe fünf, Zeile eins), ,,Elbstrand"
(Strophe fünf, Zeile zwei) und ,,Sankt Pauli" (Strophe sechs, Zeile 13). Somit werden
meiner Meinung nach zunächst einmal gewisse Klischees bedient, die Hamburg
betreffen, diese aber in allen Fällen positiv aufgewertet (zum Teil sogar mit ,,Ich
liebe..." wie in Strophe fünf, Zeile eins oder Strophe sechs, Zeile 13). ,,Wichtiger, mien
Jung, merk' das Dir ohne Flachs" (Strophe zwei, Zeile elf) verweist durch das Phrasem
,,ohne Flachs" (Herkunft vermutlich vom ostmitteldeutschen flachsen = (durch)hecheln;
Dudenredaktion 1999) erneut auf eine nach Sandig (2007: 160) unterneutrale und
Bodenständigkeit ausdrückende Markierung und betont weiterhin meiner Meinung nach
leicht augenzwinkernd die Ernsthaftigkeit der Aussagen im Liedtext generell. Ich würde
das Phrasem als strukturell klassifizieren, da es gewissermaßen das Gesagte
dahingehend strukturiert, dass der nachfolgende Teil in jedem Fall ernst gemeint ist.
Der im Lied häufiger verwendete Ausdruck ,,Mien Jung" wurde auch in den
standardsprachlichen Strophen vom Dialekt aufgegriffen und betont wie bereits erwähnt
erneut das Zugehörigkeitsgefühl der Gruppe zu ihrer Stadt und auch der dort
gesprochenen Sprache ­ dieser Ausdruck eignet sich hier besonders gut, da er ­ wie ich
glaube ­ vielen, auch nicht norddeutschen, Rezipienten geläufig ist. In Strophe drei wird
womöglich aus Gründen der Zurschaustellung der Nähe zur ,,internationalen" Sprache
der Jugend (so meine eigene These)
in einer Mischung aus Deutsch und Englisch
gerappt und so vor allem die ,,Feierseligkeit" des Nordens angesprochen. Phraseme wie
,,Wo wird das Tanzbein geschwungen?" (Zeile 23; Antwort: ,,Bei uns Norddeutschen!")
und ,,der Laserdancer MK Bo stiehlt mir aber dann die Show" (Zeile 22), als
Anspielung auf die Tanzkünste des (ebenfalls in Hamburg geborenen; LAUT AG 2014)
Gastrappers ,,Das Bo", unterstützen dies.
Die Zeilen drei und vier in Strophe vier (,,Ich bin ein Hamburger Jung und ich komm
voll in Schwung, wenn ich hüpf und spring und von Hamburg sing") zeigen erneut
direkt die Verbundenheit des Rappers mit seiner Stadt ­ das Phrasem ,,(voll) in
Schwung kommen" spielt auf die Lebensenergie und Freude an, die das Singen über
und Denken an seine Heimat ihm verleihen; die Kombination mit ,,voll" ist nach
Androutsopoulos eine
,,
jugendspezifische syntaktische Struktur" (1998: 236 ff.). ,,Auf
die Schnelle" holt er sich in Zeile sechs dann ,,noch 'ne Fischfrikadelle", wobei die feste
Phrase ,,auf die Schnelle" wohl auf die Spontaneität und das lockere Lebensgefühl der
Hamburger anspielen und die Fischfrikadelle erneut Hamburg-typische Assoziationen
beim Rezipienten hervorrufen soll. Auch die Zuverlässigkeit der Hamburger wird in
Strophe vier durch das als Frage modifizierte Phrasem ,,ein Versprechen halten"
ausgedrückt: ,,Und ihr fragt euch, ob der König das Versprochene hält? Ja, na klar, denn
ich bin Nordisch By Nature!" (Zeile elf und zwölf, ,,König" als Anspielung auf den

6
Rapper der Strophe, König Boris).
In der nächsten Strophe wird etwas konträr zu dieser Charaktereigenschaft die
,,rebellische Seite" der Hamburger betont: ,,Ein Nordlicht wie ich ist nicht erpicht auf
die Einhaltung von Regeln, die irgendein Gericht ausspricht. Nein, er bricht die Norm
und die Gesetze gekonnt" (Zeile sechs bis acht) Unterstützt wird dieser Eindruck durch
die Phraseme ,,nicht erpicht auf etwas sein" (vom ausgestorbenen Verb ,,erpichen", das
im 16.Jahrhundert die Bedeutung ,,mit Pech an etwas kleben" hatte; Kluge 2011: 256),
was hier wohl auch um des Reimes bzw. des Rhythmus` Willen eingefügt wurde, und
,,Normen / Gesetze brechen". Auch der große Geist der Norddeutschen wird in dieser
Strophe durch das Phrasem ,,einen weiten Horizont haben" im kreativen Wortspiel als
Kontrast zur typisch flachen Topografie unterstrichen: ,,Hier gibt es nur Flachland, aber
deshalb einen weiten Horizont" (Zeile neun). Auch Strophe sieben spielt erneut mit
einer Mischung aus Deutsch und Englisch und thematisiert unter anderem Feiern und
Tanzen im Norden. Dazu dient das geflügelte Wort ,,ein Rap im Kornfeld" (Zeile
sieben), das wohl auf Jürgen Drews` Schlager ,,Ein Bett im Kornfeld" anspielen soll
und in der Folge in Zeile acht und neun mit ,,und wenn man nach vorn fällt, weiß man,
der Korn hält, was er verspricht" gereimt wird. Durch dieses Wortspiel mit dem
Polysem Korn
wird aus dem Getreide bzw. der Anspielung auf einen bekannten
Schlager die Beschreibung eines erneut ,,typisch" norddeutschen Getränks und seiner
Wirkung.
Mit Phrasemen geht es weiter: ,,Wasser verspricht sich nicht, denn Wasser kann nicht
sprechen" (Zeile zehn und elf). Das bereits in der Zeile vorher benutzte Phrasem ,,ein
Versprechen halten" wird hier durch das Spiel mit idiomatischer und nicht-
idiomatischer Sprache modifiziert ­ war der Ausdruck in Zeile neun noch idiomatisch
gemeint, bezieht er sich hier nun ganz wörtlich auf das für Hamburg typische Element.
Ähnliches geschieht in Strophe zehn: ,,Pass auf, wenn ich gleich über's Wasser lauf,
nicht absauf" (Zeile acht). Das geflügelte Wort mit biblischen Ursprüngen ,,Übers
Wasser laufen" für Unmögliches schaffen (Redensarten ­ Index o.J.) wird durch die
attestierte Wasserverbundenheit der Norddeutschen einmal wörtlich genommen und
einmal im idiomatischen Sinne (laut Ehrhardt ist genau dieser Aspekt ein zentrales
Beispiel für ,,phraseologische Kreativität"; 2005: 34) genutzt, um zu zeigen, dass die
Menschen im Norden beinahe unmögliche Dinge vollbringen können. In Zeile 18 und
19 der Strophe sieben wird durch das Phrasem ,,den Schnabel halten" eine Art
,,Metakommunikation" (zu metakommunikativen Formen vgl. Ehrhardt 2005: 41)
geschaffen: ,,und halten bestimmt nicht den Schnabel, es sei denn, ihr zieht es raus, das
Mikrofonka..." ­ die norddeutschen Rapper werden keine Ruhe geben, außer, man stellt
ihnen den Strom ab. Ähnlich wird das Phrasem ,,Alle Mann an..." in Strophe neun
(Zeile zwei) verwendet: ,,Alle Mann an die Mikrophone": die Hamburger Gruppe wird
laut weitersingen.

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8
2.2.
,,Hamburg Calling"
Das Lied, das 2008 veröffentlicht wurde (LAUT AG 2014), beginnt direkt in der ersten
Zeile mit einem mit der Stadt Hamburg verknüpften Phrasem: ,,Hamburg Calling ­ Am
Wasser gebaut!" (Strophe eins, Zeile eins). ,,Am Wasser gebaut" tauften Fettes Brot
2005 gleich ein ganzes Album (LAUT AG 2014). Laut Redensarten-Index (o.J.) steht
das Phrasem für ,,rührselig / sentimental sein" bzw. bezeichnet jemanden, der schnell
zu weinen anfängt und stammt aus dem 19. Jahrhundert. Zunächst einmal verstehe ich
das Phrasem hier als relativ wörtliche Anspielung auf Hamburg, den Geburtsort der
Bandmitglieder und gewissermaßen auch der Band, der durch die Lage an Elbe und
Alster ja tatsächlich am Wasser gebaut wurde und so häufig mit diesem Element
verknüpft wird. Somit besteht die kreative Modifikation (zum erfolgreichen Gelingen
einer Modifikation und [jugendsprachlicher] Variation von Phrasemen generell vgl.
Ehrhardt 2005: 39; Ehrhardt 2007: 262; Sandig 2007: 159) meiner Meinung nach hier
erneut darin, dass ein Ausdruck, der normalerweise immer idiomatisch verstanden wird,
hier nicht-idiomatisch gemeint ist (Sandig 2007: 159; Ehrhardt 2005: 34). In Bezug auf
den Album-Titel bezieht sich das Phrasem, möglicherweise ebenfalls nur teil-
idiomatisch zu verstehen, konkreter auf die Gruppenmitglieder, die alle in Hamburg,
also gewissermaßen am Wasser, geboren (idiomatisch ausgedrückt: ,,gebaut") wurden.
Betrachtet man sich Rezensionen zum Album (LAUT AG 2014), die dem Werk eine
gewisse Poplastigkeit und Sentimentalität attestieren, ließe sich eventuell zusätzlich
argumentieren, dass Fettes Brot bewusst mit der Frage spielt, ob der Titel nun wörtlich
oder im Sinne des idiomatischen Phrasems zu verstehen ist. Auch im Lied kann man
sich mit Kenntnis des gesamten Textes fragen, ob die Verwendung des Phrasems am
Anfang nicht womöglich ein Vorausgriff der auf die Stadt Hamburg bezogenen,
düsteren und beinahe dystopischen Resthandlung darstellen soll. Denn mit eher negativ
konnotierten Phrasemen geht es weiter: ,,Wegen uns ist deutscher Hip Hop nicht Pleite
gegangen" (Strophe eins, Zeile sechs). ,,Pleite gehen" im Sinne von ,,zahlungsunfähig
sein" stammt laut Redensarten-Index (o.J.) vom hebräischen Wort für Flucht (,,peleta")
und kam um 1850 in der ,,Berliner Gaunersprache" auf, ist also historisch gesehen sogar
einem Jargon einer anderen Stadt entlehnt. Dieses Phrasem steht hier zur Bekräftigung
des (finanziellen?) Untergangs des deutschen HipHop, an dem man nicht Schuld
gewesen sein will. Wem die Schuld hier gegeben wird, wird nicht näher thematisiert,
jedoch könnte auch diese Zeile (wie der gesamte Text, s.u.) der ziemlich großen Nähe
zur vermuteten Vorlage des Liedes (der Titel ,,London Calling" von The Clash)
geschuldet sein, wo an beinahe gleicher Stelle der Niedergang der ,,Beatlemania"
besungen wird. Im Refrain wird nun anschließend (und mit den fast exakt selben
Worten, die in ,,London Calling" verwendet werden) durch weitere Phraseme ein
dystopisches Hamburg gezeichnet: ,,Die Eiszeit wird kommen, die Sonne ist am
brennen" (Strophe zwei, Zeile eins und zwei). Gerade die Gegenüberstellung dieser
Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Berlin und Hamburg in Phrasemen. Urbanität und Identität im deutschen HipHop
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Sprachliche 'Fertigteile': Sprichwörter, Wendungen, Redensarten
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
39
Katalognummer
V375795
ISBN (eBook)
9783668532120
ISBN (Buch)
9783668532137
Dateigröße
933 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
urbanität, identität, hiphop, rap, deutschrap, phraseme, berlin, hamburg, linguistik, germanistik, soziolinguistik, redensarten, wendungen, sprichwörter, liedtexte, fettes brot, seeed, peter fox
Arbeit zitieren
Katharina Wilhelm (Autor:in), 2014, Berlin und Hamburg in Phrasemen. Urbanität und Identität im deutschen HipHop, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375795

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