Das konstruktive Misstrauensvotum


Seminararbeit, 2005

24 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Das konstruktive Misstrauensvotum im geschichtlichen Kontext
2.1 Entwicklung bis 1918: Die Suche nach parlamentarischer Verantwortlichkeit
2.2 Die Weimarer Verfassungspraxis vor dem Hintergrund einer tubulenten Epoche
2.3 Unter dem Bonner Grundgesetz: Die heutige Ausgestaltung der parlamentarischen Verantwortlichkeit

3. Das konstruktive Mistrauensvotum in der politischen Praxis der Bundesrepublik Deutschland
3.1 - Das Verfahren der Bundestagsauflösung von 1972
3.2 - Das Verfahren der Bundestagsauflösung von 1982

4. Das Mittel des konstruktiven Misstrauensvotums als Stabilität Verleihendes Merkmal des Grundgesetztes der Bundesrepublik Deutschland?

5. Fazit

6. Literaturangaben

1. Einleitung

Nach den schlimmen Erfahrungen des zweiten Weltkriegs war es nicht nur der Wunsch der alliierten Siegermächte Europa eine möglichst lange Zeit des Friedens, des Wohlstands und der Sicherheit zu garantieren. Deutschland, mit seinen Weltmachtansprüchen, sollte ein für allemal entmachtet, kontrolliert und „umerzogen“ werden. Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass sich dieses Deutschland zu einen der reichsten und sichersten Länder der Erde entwickelt.

Vor allem aber weist die Bundesrepublik eine enorme Regierungsstabilität auf, die ganz im Gegensatz zu den Erfahrungen der Weimarer Republik steht.

Als Grund für die recht chaotischen Verhältnisse der Weimarer Republik glaubten die Autoren des Grundgesetzes den Art. 54 WRV erkannt zu haben, der es dem Reichstag erlaubte jedem Reichsminister, sowie dem Reichskanzler ihr Vertrauen zu entziehen, woraufhin dieser zurücktreten musste. Bei der Grundgesetzformulierung war es deswegen die Absicht des Parlamentarischen Rates dies zumindest soweit zu unterbinden, dass gleichzeitig ein Nachfolger gewählt werden musste.

Zum zentralen Thema der vorliegenden Arbeit gehört die Entstehungsgeschichte des Art. 67 GG und die mit ihm verbundenen Zielvorstellungen. Vor allem soll geprüft werden, welchen Einfluss es auf die Stabilität der deutschen Demokratie ausübt und, ob es als Instrument zur Vorbeugung, Abwendung bzw. Bewältigung einer Regierungskrise eingesetzt werden kann.

Als Quellen zur Beantwortung dieser Fragestellungen sind zunächst die etwas allgemeiner gehaltenen Werke „Grundzüge des politischen Systems Deutschlands“ von Kurt Sontheimer und Wilhelm Bleek, sowie „Kanzler, Krisen, Koalitionen“ von Arnulf Baring und Gregor Schöllgen herangezogen worden, um einen Überblick über die geschichtliche Gesamtsituation zu bekommen.

Da Art. 67 GG seine historischen Wurzeln in der WRV hat, war auch eine geschichtliche Untersuchung der Vorgänge und Praktiken dieser Zeit notwendig. Hier empfiehlt sich besonders das Werk „Vertrauenserfordernis, Misstrauensvotum und parlamentarisches Regierungssystem“ von Edmund Brandt, eine wissenschaftlich sehr präzise Arbeit, die durch logischen Aufbau, hohe Empirie und schlüssige Thesen hervorsticht.

Des Weiteren mussten die betroffenen Artikel des GG selbst näher betrachtet und interpretiert werden. Dazu eignet sich vor allem die Studie „Grundgesetz – Kommentar“, herausgegeben von Dr. Michael Sachs, in der alle Artikel des GG von vielen verschiedenen Professoren nicht nur in ihrer grundlegenden Bedeutung, sondern auch im geschichtlichen Kontext und ihren intendierten Zielvorstellungen systematisch vorgestellt werden.

Um die wirklich kontroversen Fragen zumindest einigermaßen zufrieden stellend beantworten zu können, musste schließlich Literatur herangeführt werden, die tiefer in die Materie greift. Hier wären die „Schriften zum öffentlichen Recht“, vor allem Band 225: „Bestellung und Abberufung der Regierungschefs und ihre funktionale Bedeutung für das parlamentarische Regierungssystem“ von Dr. Michael R. Lippert, sowie das Werk Dieter C. Umbachs: „Parlamentsauflösung in Deutschland“ zu nennen.

Was den Forschungsstand betrifft, so wurde das Thema des konstruktiven Misstrauensvotums, ähnlich wie die allgemeinen Kritiken an dem GG, vor allem in den ersten Jahren nach seinem Inkrafttreten 1949 behandelt. Somit ist ein Großteil der Literatur mittlerweile 40-50 Jahre alt, manche der Thesen, die praktisch als nicht durchführbar galten, sind realisiert worden, und neue Probleme, an die die Autoren des GG eventuell gar nicht gedacht haben, sind in Erscheinung getreten.

So offenbarte das Verfahren gemäß Art. 67, sowohl bei dem gescheiterten Versuch 1972, als auch zehn Jahre später bei seiner erfolgreichen Anwendung, rechtlich graue Zonen, und warf Fragen auf, die vom GG nicht beantwortet werden. Diese Lücken versuchte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 16. Februar 1983 zu schließen, doch ließ es darin auch genügend Spielraum für weitere Diskussionen und offene Fragen.

Aufgebaut ist die Arbeit in drei Kapitel. Zunächst werden in einem verfassungsgeschichtlichen Abschnitt Entstehungsgeschichte, Bedeutung und Ziele des konstruktiven Misstrauensvotums gemäß Art. 67 GG skizziert, wobei die mit dem destruktiven Misstrauensvotum gemäß Art. 54 WRV in der Weimarer Republik gemachten Erfahrungen von zentraler Bedeutung sind.

Im dritten Abschnitt werden die Ereignisse von 1972 und 1982, und die dort entfachten Problemstellungen näher erläutert. Eines davon wäre z.B., ob man einem konstruktivem Misstrauensvotum (Art. 67 GG) mit dem Stellen der Vertrauensfrage (Art. 68 GG) zuvorkommen kann. Auch die Rechtfertigungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil von 1983 warfen weitere Fragen auf, die bis heute für kontroverse Diskussionen sorgen.

In Kapitel vier soll schließlich die Frage nach dem eigentlichen Nutzen der praktischen Durchführung des Art. 67 GG geklärt werden, denn es zeigt sich, dass die mit diesem Gesetz verbundenen Intentionen des parlamentarischen Rats nur bedingt erfüllt wurden. Es ist die zentrale Frage dieser Arbeit, ob das konstruktive Misstrauensvotum Deutschland mehr nutzen oder schaden könne, die hier schließlich versucht wird zu beantworten.

2. Das konstruktive Misstrauensvotum im geschichtlichen Kontext

2.1 Entwicklung bis 1918: Die Suche nach parlamentarischer Verantwortlichkeit

Ein wesentliches Merkmal jedes parlamentarischen Regierungssystems ist die Abhängigkeit der Regierung vom Parlament. Es gibt mehrere Möglichkeiten diese Abhängigkeit konkret zu gestalten. Eine von ihnen stellt Art. 67 GG dar, das Instrument des konstruktiven Misstrauensvotums. Seine heutige Form ist ohne Vorbilder in der europäischen Verfassungsgeschichte und liegt eher in der Geschichte Deutschlands selbst begründet. (vgl. Sachs, S. 1167)

Das politische Denken, die politische Kultur, als „Inbegriff für die in einer Gesellschaft vorhandenen bzw. vorherrschenden Einstellungen, Glaubenshaltungen und Verhaltensweisen der Bürger in Bezug auf das politische System, in dem sie leben“ (Sontheimer/Bleek, S. 175) konnte sich in Deutschland nicht so gut in Richtung eines echten Demokratieverständnisses entwickeln, wie das z.B. in Großbritannien der Fall war. Eine Untersuchung, ob es an der späten Reichsgründung, oder möglicherweise der etatistischen Tradition lag, die den Staat als „Instrument zur Sicherung und Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (Sontheimer/Bleek, S. 181) ansieht, und dementsprechend „Zucht, Pflicht und Gehorsam stets höher einschätzt als Freiheit, Individualität und Opposition“ (ebd.), würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Doch sind es genau diese Werte und Normen, die eine Demokratie definieren, und während sie sich in anderen Ländern im Verlaufe von Jahrhunderten nach und nach etablierten (Großbritannien), oder revolutionär herbeigeführt wurden (Frankreich), blieb diese Entwicklung in Deutschland aus. (vgl. auch Sontheimer/Bleek, S. 12 ff.)

So gab es bis zu der Reichsgründung im Jahre 1871 „so gut wie keine Ansätze, geschweige denn verwirklichte Vorstellungen einer Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments“ (Brandt, S. 15). Das erste Misstrauensvotum eines deutschen Parlaments sprach die Nationalversammlung am 18. Mai 1849 dem Reichsministerium aus, doch aufgrund des provisorischen Charakters der Reichsregierung und mangelnder Kompetenzen gegenüber den Einzelstaaten blieb es ebenso erfolglos, wie der Versuch den Reichsverweser selbst zu stürzen. (vgl. Brandt, S. 17 f.; vgl. auch: Umbach, S. 210 ff.)

Auch die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 änderte nur wenig an der politischen Praxis. Allein der Kaiser konnte den Reichskanzler ernennen und entlassen (Art. 15 Abs. 1 RV). Mit der Zustimmung des Reichskanzlers trug dieser dann die Verantwortung für die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers (Art. 17 Satz 2 RV). Der Reichstag hatte weiterhin keine Möglichkeit diese Verantwortung zu erzwingen, um letztendlich sogar den Kanzler stürzen zu können.

Diese Ernennungsfunktion war ein Akt des freien kaiserlichen Willens und damit ein „Beispiel einer obrigkeitlich-monarchischen konstitutionellen Berufung“ (Lippert, S. 216). Damit war der Reichstag nicht viel mehr als ein „demokratischer Zusatz“ des monarchischen Reiches (ebd.). Initiativanträge seitens der Parteien, endlose Debatten führender Politiker sowie publizistische Vorstöße einiger Staatstheoretiker zugunsten einer Parlamentarisierung des Kaiserreichs fanden bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges keine praktische Bedeutung. (vgl. auch Brandt, S. 22 ff.)

Einen interessanten Gesetzesentwurf legte 1909 Georg Jellinek vor.

Darin versuchte er die Verantwortlichkeit des Reichkanzlers in der Weise zu normieren, „dass er das ihm übertragene Amt der Verfassung und den Gesetzen entsprechend gewissenhaft wahrnehme und sich des Vertrauens, das sein Amt erfordert, würdig zeige“ (zitiert nach: Brandt, S. 24). Damit das nicht nur eine Bitte bleibt, sollte der Reichstag die Befugnis erhalten, „auf Antrag von hundert Mitgliedern mir einer Zweidrittelmehrheit seiner gesetzlichen Mitgliederzahl zu beschließen, dass der Reichskanzler durch seine Amtsführung das Vertrauen verwirkt habe“ (ebd.)

Dies wäre das erste Mittel in den Händen des Reichstags gewesen, das ihm erlaubt hätte, die „negative Politik“ (Weber, S.1088) positiv mitgestalten zu können, oder zumindest einen gewissen Druck auf den Reichskanzler auszuüben. Doch die Meinungen blieben weiterhin geteilt, der Gesetzentwurf erlangte keine praktische Bedeutung. (vgl. Brandt, S. 26)

Der Ausbruch des Krieges stellte die Diskussion um die Stärkung des Parlaments vorläufig in den Hintergrund, doch ab 1917 trat der Wunsch nach einer Einführung des parlamentarischen Regierungssystems immer offener zu Tage. Die Verschlechterung der militärischen Lage, sowie die ungeheuren Anstrengungen der Kriegsführung haben im deutschen Volk mehr und mehr den Wunsch geweckt, an der Lenkung der Geschicke durch stärkere Regierungsbeteiligung mitzuwirken. Die Parteien traten erstmalig in den Vordergrund und die Reichtagsfraktionen bildeten nach dem Rücktritt des Grafen Hertling im Herbst 1918 ein Koalitionskabinett mit Prinz Max von Baden an der Spitze. Dieser sollte dann von dem Ausschuss zum Reichskanzler gewählt werden; Dem Kaiser bliebe nur die Anerkennung des gebildeten Willens des Reichtags. (vgl. Lippert, S. 218 ff. und Brandt, S. 30 f.)

Am 28.10.1918 wurde „das tatsächlich bereits maßgebliche parlamentarische Regierungssystem verfassungsrechtlich fixiert“ (Lippert, S. 219), doch gelangte es nicht mehr zur Anwendung. Die innenpolitische Lage spitzte sich immer weiter zu, am 9.11.1918 verkündete der Reichskanzler eigenmächtig die Abdankung des Kaisers, noch am selben Tag wurde die Republik ausgerufen. „Aus dem militärischen und konstitutionellen Zusammenbruch des Kaiserreichs ging schließlich die erste parlamentarische Demokratie hervor“ (Weber-Fas, S. 2).

2.2 Die Weimarer Verfassung vor dem Hintergrund einer turbulenten Epoche

Die Weimarer Verfassung hat das parlamentarische Regierungssystem, wie es vor der Revolution formuliert wurde, ausdrücklich übernommen. Danach regierte der Reichspräsident eng mit dem Parlament zusammen, das durch die Reichsregierung und ihre Minister vertreten wurde. Diese bedurften des Vertrauens des Reichtags und mussten auf dessen Verlangen zurücktreten. (vgl. Lippert, S.220, vgl. auch: Umbach, S. 260 ff.)

Diese Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments war in Art. 54 WRV verankert. Die Bestimmung lautete:

„Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichtags. Jeder von ihnen muss zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluss sein Vertrauen entzieht.“

Dieser Artikel ist in engem Zusammenhang mit Art. 53 zu lesen, der die Regierung in ihrem Bestand vom Reichspräsidenten abhängig machte:

„Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.“

[...]

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Details

Titel
Das konstruktive Misstrauensvotum
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Sozialwissenschaftl. Institut)
Veranstaltung
Seminar: Das politische System der BRD und das europäische Mehrebenensystem
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V37596
ISBN (eBook)
9783638368896
ISBN (Buch)
9783638687379
Dateigröße
562 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Misstrauensvotum, Seminar, System, Mehrebenensystem
Arbeit zitieren
Petia Trojca (Autor:in), 2005, Das konstruktive Misstrauensvotum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37596

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