Einflussfaktoren von Sozialisation und geschlechtsspezifische Sozialisation. Definition, Bedeutung, Phasen und Instanzen

Aus soziologischer und pädagogischer Perspektive


Hausarbeit, 2017

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


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1. Einleitung
,,Jede Gesellschaft formt ihre Kinder nach dem Bild ihrer eigenen Kultur. [...] Den Prozess,
durch den solche grundlegenden Kulturelemente den Mitgliedern einer Gesellschaft
vermittelt werden, nennen wir Sozialisation" (Joas 2003: 124). Sozialisation ist die Grundlage
unserer Gesellschaft. Ohne sie könnte unser Zusammenleben nicht funktionieren. Aber
welche Faktoren haben Einfluss darauf, wie ein Mensch sozialisiert wird, wie wird er sozial
handlungsfähig und wo findet soziales Lernen statt? Werden Mädchen und Jungen
unterschiedlich sozialisiert? All diesen Fragen soll in dieser Hausarbeit nachgegangen
werden.
Zu Beginn wird der Sozialisationsbegriff diskutiert, eingegrenzt und für diese Arbeit definiert.
Im Folgenden wird die Bedeutung der Sozialisation zunächst aus soziologischer Perspektive
anhand der Einteilung in Sozialisationsinstanzen und -phasen herausgearbeitet. Im weiteren
Verlauf rücken die Erziehung und die Bedeutung der Sozialisation aus pädagogischer
Perspektive in den Vordergrund, welche vor allem anhand der Sozialisationsinstanz Familie
analysiert wird. Ein Schwerpunkt liegt auf Erziehungszielen und -stilen, wobei insbesondere
die Erkenntnisse von Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Berücksichtigung finden.
Anschließend soll die geschlechtsspezifische Sozialisation thematisiert werden, denn
Sozialisation läuft je nach Geschlecht auf eine spezifische Art und Weise ab (vgl. Joas 2003:
130). Aber wann setzt geschlechtsspezifische Sozialisation ein und wodurch wird einem Kind
bewusst, dass es Mädchen oder Junge ist und was verbindet es damit? Um diese Fragen
wird es im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit gehen. Dabei wird besonders auf die Begriffe
Sex, Gender
und
Doing Gender
eingegangen.
Aufgrund der Ausrichtung des Studiengangs auf den frühkindlichen Bereich werden im
darauffolgenden Punkt Konzepte und Ideen speziell für den Kindergarten als wichtige
Sozialisationsinstanz erörtert, die möglicherweise zu einer geschlechtersensiblen Erziehung
und somit zu einer vielfältigeren geschlechtsspezifischen Sozialisation beitragen können.

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2. Definition
Für den Begriff
Sozialisation
gibt es keine allumfassende und allgemein gültige Definition,
denn in vielen Definitionen werden nicht alle Aspekte von Sozialisation berücksichtigt.
Entscheidend für den Sozialisationsbegriff ist, dass ,,der Schwerpunkt auf der Bedeutung
äußerer
gesellschaftlicher
Faktoren für individuelle Entwicklungs-, Bildungs- oder
Lernprozesse liegt" (Koller 2012: 117f.). Der Begriff Sozialisation wurde erstmals von Émile
Durkheim, einem der Begründer der modernen Soziologie, zu Beginn des 20. Jahrhunderts
herausgearbeitet, wonach das Ziel die Ausbildung des sozialen Wesens im Menschen sei
(vgl. ebd. 125).
In ihrem Studienbuch Pädagogik beschreiben die Autoren Arnim und Ruth Kaiser (2011)
Sozialisation als einen Prozess, ,,bei dem über
Interaktionsbezüge
bestimmte, für soziales
Handeln notwendig erforderte
Verhaltensweisen
bzw.
Einstellungen
erworben werden" (153).
Auch im Lehrbuch der Soziologie wird der Begriff dahingehend erklärt, dass Menschen durch
Sozialisation spezifische Fähigkeiten zum sozialen Handeln entwickeln und dadurch die
spezifischen Merkmale von Individuen geformt werden, ,,weil sie (die Sozialisation, Anm.
D.K.) nicht nur ein Aneignungsprozess ist, sondern auch ein Prozess der Identitätsbildung"
(Joas 2003: 124). Dieter Geulen (1994) verallgemeinert den Begriff als ,,die Gesamtheit der
Lernprozesse im weitesten Sinne, gleichgültig, ob sie bewusst, gewünscht oder geplant sind
und wann und wo sie stattfinden" (102).
Klaus Hurrelmann (2006) nimmt die Definition des Sozialisationsbegriffs wie folgt vor:
,,Sozialisation bezeichnet den Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit, in
produktiver Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen, insbesondere den
körperlichen und psychischen Grundmerkmalen (der ,,inneren Realität") und mit der
sozialen und physikalischen Umwelt (der ,,äußeren Realität")" (7).
Letztlich wird der Sozialisationsbegriff von Helsper (2004) beschrieben als der
,,Gesamtzusammenhang der kognitiven, sprachlichen, emotionalen und motivationalen
Entstehung und lebenslangen Veränderung der Person im Rahmen sozialer, interaktiver und

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gegenständlicher Einflüsse" (80). Helsper versteht Sozialisation auch als einen Prozess, bei
dem sich der Mensch aktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzt.
Zusammenfassend kann man somit sagen, dass mit Sozialisation der Erwerb bestimmter
Verhaltensweisen, Werte und Normen gemeint ist, welche für das Leben des Menschen in
der Gesellschaft notwendig und gleichzeitig wichtig dafür sind, dass dieser seine Umwelt
verstehen und sich aneignen kann, um sein eigenes Leben zu gestalten. Sozialisation wird
als ein lebenslanger Prozess verstanden.
3. Bedeutung von Sozialisation
3.1 Phasen und Instanzen der Sozialisation
Wie oben schon erwähnt, ist Sozialisation ein lebenslanger Entwicklungsprozess. Um diesen
Prozess zu strukturieren, kann er in verschiedene Phasen und Instanzen gegliedert werden.
Besonders
bedeutsam
für
das
Individuum
sind
die
familiäre
Sozialisation
(Primärsozialisation) und die schulische Sozialisation (Sekundärsozialisation). Als frühe
Sozialisationsinstanzen seien außer Familie und Schule vor allem noch Kindergarten und ­
besonders in der Jugend bedeutsam ­ Gleichaltrigengruppen (peer groups) erwähnt (vgl.
Klika/ Schubert 2013: 62).
Phase
Instanz
Alter
Primäre Sozialisation
Familie
Kinder
Sekundäre Sozialisation
Kindergarten, Schule
Schule, peer group
Kinder
Jugendliche
Tertiäre Sozialisation
Beruf
Erwachsene
Quelle: Klika/ Schubert 2013: 62, Tabelle 2

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Die erste Phase wird als
Primäre Sozialisation
bezeichnet. Sie vollzieht sich vor allem in der
Familie, welche für den gesellschaftlichen Nachwuchs seit Jahrhunderten als wichtigster
Vermittler der ,,äußeren Realität" fungiert (vgl. Hurrelmann 2006: 7). Eltern wirken gezielt auf
die Art und Weise der Aneignung und Verarbeitung der Realität ein und haben somit auch
Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Die zentrale Aufgabe der Erziehung,
worauf im Punkt 3.2 noch näher eingegangen werden soll, ist fest in der Familie verankert.
Erziehung
bezeichnet all jene Handlungen, bei denen Menschen versuchen auf die
Persönlichkeitsentwicklung anderer Menschen Einfluss zu nehmen und ist im Gegensatz zu
Sozialisation intentionalisiertes und auf Intention zurechenbares Handeln (vgl. Hurrelmann
2012: 66). In der primären Phase der Sozialisation werden die Grundlagen eines
Wertesystems angelegt und die Weichen für die weitere Entwicklung gelegt, also die
Voraussetzungen für alle späteren soziokulturellen Lernprozesse geschaffen (vgl. Weber
1999: 162).
Die zweite Phase,
Sekundäre Sozialisation
genannt, wird je nach Definition zeitlich
unterschiedlich verortet, teils mit Eintritt der Kleinkinder in den Kindergarten, teils mit
Schulbeginn. Das Ende dieser Phase markiert meist der Abschluss des Jugendalters. Die
Übergänge werden aber als fließend angesehen. Die Kinder lernen in dieser Phase den
sozialen Rollen, welche sie in der Familie bereits erworben haben, gerecht zu werden und
darüber hinausgehenden Erwartungen zu entsprechen. Hurrelmann führt hier beispielsweise
das Ertragen des Aufschubs unmittelbarer Bedürfnisbefriedigungen sowie das Verinnerlichen
institutionell erforderlicher und geregelter Umgangs- und Kooperationsformen an. Sie lernen
gestellte Aufgaben verbindlich zu übernehmen, den eigenen Horizont zu erweitern und zu
objektivieren, auch oder gerade wenn er über den Bereich des subjektiven Erlebens
hinausgeht. Ziel sei das partielle Lösen der engen Bindung an die Mutter und deren
ständiger Betreuung. Eine zentrale Bedeutung im Jugendalter haben Gleichaltrigengruppen.
Sie gelten als besonders wichtig für die Identitätsbildung des Jugendlichen und die
Entwicklung eines selbstbestimmten moralischen Bewusstseins (vgl. ebd. 163f.).
Die
Tertiäre Sozialisation
findet im Erwachsenenalter statt. Sie ist besonders bedeutsam
während der Übergänge im Leben, zum Beispiel bei Heirat, der Geburt von Kindern oder
Pensionierung. Die Auffassung, dass Sozialisation in dieser Phase nur noch bloße
Ergänzung ist und als ein Lernen, welches den Mensch nicht mehr grundlegend verändern
kann, betrachtet wird, ist mittlerweile überholt. Auch im Erwachsenenalter sehen sich
Menschen mit Sozialisationsproblemen konfrontiert. Durch das Eintreten in verschiedenste
Institutionen
und
Organisationen
(zum
Beispiel
Betrieb,
Gemeinde,
Kirche,
Bildungsinstitutionen oder auch die Ehe) trifft man auf jeweils unterschiedliche Kulturen, was

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eine weitere Sozialisation erfordert, in dem man sich die jeweils vorherrschenden Normen
und Werte aneignet. Joas spricht in diesem Zusammenhang auch von
Desozialisation
­ also
wenn verinnerlichte Werte und Normen im Widerspruch zu den neu erlernten stehen und im
Zuge dessen ihre Gültigkeit verlieren. Das Verinnerlichen der neuen Werte bezeichnet Joas
als
Resozialisation
(vgl. Joas 2003: 140ff.).
Erwachsene verfügen im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen ,,bereits über einen höheren
Grad an Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Selbstbestimmung,
Selbstkontrolle und Selbstverantwortung" (vgl. Weber 1999: 164). Es genügen hier folglich
keine fremdbestimmten und extern kontrollierten Sozialisationsprozesse. Vielmehr geschieht
hier Sozialisation eher funktional-beiläufig im alltäglichen Lebenszusammenhang.
Bezugnehmend
auf
Kohli
zählt
Weber
die
verschiedenen
Instanzen
der
Erwachsenensozialisation auf, nämlich die Arbeitswelt, die Konsum- und Freizeitwelt, der
Medienbereich mit seinen vielfältigen Kommunikations- und Informationsmitteln und das
Familienleben sowie Freundesgruppen (vgl. Weber 1999: 168; Hurrelmann 2012: 164). ,,Die
neuen Massenmedien [...] sei(en) inzwischen zum bedeutsamsten und wirksamsten
Umschlagplatz [...] zur allgegenwärtigen Sozialisationsinstanz geworden" (Weber 2012:
168). Auch die berufliche Sozialisation ist in dieser Phase verortet. Sozialisation für einen
bestimmten Arbeitsplatz ,,vermittelt nicht nur jobspezifische Fertigkeiten, sondern auch eine
Reihe von Werten und ein für die spezifische Arbeit geltendes Berufsethos" (Joas 2003:
141).
Hurrelmann (2012) fasst die allgemeinen Aufgaben der Sozialisation noch einmal in seinem
Modell der produktiven Realitätsverarbeitung zusammen. Dabei benennt er zum einen die
Persönlichkeitsentwicklung und meint damit die Entwicklung einmaliger, individuell
spezifischer Merkmale und Eigenschaften eines Menschen, welche im Verlauf des Lebens
entstehen. Menschen passen sich als umweltbezogene und lernfähige Wesen den
Herausforderungen im Lebenslauf an und konstruieren so anhand ,,produktiver
Realitätsverarbeitung" (Hurrelmann 2012: 52) ihre eigene Lebensgeschichte (Biografie). Des
Weiteren führt Hurrelmann die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben als ständige
Anforderung an Sozialisation an. Das impliziere die Annahme, dass ,,ein Mensch dann zu
einem Gesellschaftsmitglied wird, wenn er alle von ihm erwarteten sozialen Anforderungen
erfüllt" (ebd. 53).

6
Wie dies gelingen kann und wie vor allem Eltern besonders in den ersten beiden
Sozialisationsphasen diesen Prozess beeinflussen, soll im nächsten Abschnitt näher
beleuchtet werden.
3.2 Erziehung als Teil der Sozialisation
Erziehung findet in der primären Sozialisation überwiegend in der Familie statt. Sie zielt auf
,,wünschens- und erstrebenswerte Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Einstellungen und
Persönlichkeitseigenschaften (ab), die für ein Kind als wertvoll angesehen werden"
(Hurrelmann
2012:
127).
Ehrlichkeit,
Selbständigkeit
und
Selbstvertrauen,
Verantwortungsbewusstsein, Hilfsbereitschaft und Leistungsfähigkeit werden heutzutage von
Eltern als besonders wichtige Erziehungsziele erachtet, zu deren Verwirklichung ihr
Erziehungsverhalten beitragen soll (vgl. Hurrelmann 2006: 156f.) Die Ausprägungen des
Erziehungsverhaltens werden als
Erziehungsstile
bezeichnet. Sie beinhalten konkret ,,die
beobachtbaren und verhältnismäßig überdauernden tatsächlichen Praktiken der Eltern [...]
mit ihren Kindern umzugehen" (ebd. 157). Je nach der jeweiligen Schwerpunksetzung
bildeten sich verschiedene Erziehungsstile heraus, die ,,jeweils eine prototypische Haltung
widerspiegeln, die im alltäglichen Umgang mit Kindern einer Umsetzung in konkretes
Verhalten bedarf" (Schneewind 2008: 262). Hurrelmann (2006) klassifiziert fünf
Erziehungsstile
unter
dem
Aspekt
von
Chancen
bzw.
Gefahren
für
die
Persönlichkeitsentwicklung des Kindes innerhalb der Familie. Er ordnet diese auf zwei
Dimensionen an: die erste ist die
Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse
(auf einer Skala
von niedrig bis hoch) und die zweite
Einsatz elterlicher Autorität
(ebenfalls auf einer Skala
von niedrig bis hoch):
Der
partizipative Erziehungsstil
erfordert eine harmonische Beziehung zwischen Eltern und
Kindern. Er ist auf beiden Dimensionen ausgewogen und geprägt von Offenheit,
Aufrichtigkeit, gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme sowie von Kompromissen und
einem transparenten Regelsystem, dessen Gestaltung in Absprache von Eltern mit ihren
Kindern aufgestellt wurde.
Beim
autoritären Erziehungsstil
stellt der Erziehende eine absolute Autoritätsperson dar, die
kindlichen Bedürfnisse werden kaum berücksichtigt. Er ist gekennzeichnet durch strenge
Regeln, die allein durch die Eltern aufgestellt werden und deren Einhalten strikt kontrolliert
Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Einflussfaktoren von Sozialisation und geschlechtsspezifische Sozialisation. Definition, Bedeutung, Phasen und Instanzen
Untertitel
Aus soziologischer und pädagogischer Perspektive
Hochschule
Hochschule Koblenz (ehem. FH Koblenz)
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
20
Katalognummer
V376015
ISBN (eBook)
9783668527034
ISBN (Buch)
9783668527041
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Dozenten: "Eine sehr gute, vertiefte und stringente Bearbeitung des Themas!"
Schlagworte
Sozialisation, geschlechtsspezifische Sozialisation, Frühpädagogik
Arbeit zitieren
Doreen Kunz (Autor:in), 2017, Einflussfaktoren von Sozialisation und geschlechtsspezifische Sozialisation. Definition, Bedeutung, Phasen und Instanzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376015

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