Die Europäische Zentralbank autonom und neutral in ihrem Handeln?


Hausarbeit, 2005

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung: Die EZB als unabhängiger Hüter der Währung?

2. Die Unabhängigkeit der EZB
2.1. Die Bedeutung von Unabhängigkeit für die EZB
2.2. Die Indikatoren der Unabhängigkeit/Autonomie der EZB
2.3. Einflussmöglichkeiten auf die EZB
2.3.1. Institutionelle Einflussnahme
2.3.2. Personelle Einflussnahme
2.3.3. Die operative Autonomie
2.4. Wer hat Interesse an einer Einflussnahme auf die EZB?
2.4.1. Möglichkeiten der Einflussnahme auf EZB-Entscheidungen am Beispiel Lohnpolitik
2.4.2. Die Unabhängigkeit der EZB wird durch personelle Entscheidungen unterminiert
2.5. Autonomie auf Kosten eines Legitimitätsdefizits?

3. Fazit: Ist die EZB autonom und neutral, oder nicht? – Eine Frage des Maßstabes

1. Einleitung: Die EZB als unabhängiger Hüter der Währung?

25. November 2004: Die Europäische Zentralbank (EZB) wird nach Einschätzung von Analysten ihren Leitzins noch länger als bisher erwartet auf dem niedrigen Niveau von 2,00 Prozent halten. Da der Höhenflug des Euro und die weiterhin hohen Ölpreise einen stärkeren Aufschwung im Euro-Raum wahrscheinlich verhinderten, müsse die Zentralbank noch länger nicht mit höheren Zinsen gegen zu starken Preisanstieg vorgehen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. November 2004).

Diese und andere von der EZB getroffenen Entscheidungen haben unmittelbar spürbare Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben. Mit der Leitzinspolitik reguliert die Zentralbank den Geldwert und somit die Preise – dies erfährt dann jeder am eigenen Geldbeutel.

Die Entscheidung der EZB bezüglich einer Erhöhung oder Senkung des Leitzinses sollte allein von wirtschaftlichen Fakten abhängig sein, sie sollte ihre institutionelle Neutralität wahren. Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, ob es nicht Möglichkeiten einer Einflussnahme auf die Entscheidungen der EZB gibt und bestimmte gesellschaftliche Gruppen damit ihre Interessen eigennützig verfolgen können.

Ist die EZB also vollkommen autonom bzw. neutral in ihren Entscheidungen oder sieht sie sich doch bestimmten Einflüssen gegenüber, die die Politik der EZB steuern?

Um diese Frage diskutieren zu können, muss zunächst geklärt werden, an Hand welcher Indikatoren die Unabhängigkeit einer Zentralbank festgemacht wird. Des Weiteren soll bestimmt werden, wer ein Interesse daran haben könnte, die Politik der EZB zu beeinflussen und wie möglicherweise Einfluss genommen werden kann.

Hat die EZB Vorkehrungen zur Wahrung ihrer Autonomie getroffen? Kann die Zentralbank als Teil des ökonomischen Systems sich überhaupt dessen Bewegungen entziehen und autonom agieren oder unterliegt sie nicht doch gewissen ökonomischen Zwängen? Sollte sich die Annahme der Autonomie der Zentralbank bewahrheiten, stellt sich folglich das Problem der Legitimierung der EZB.

An Hand der Bearbeitung dieses Problemfeldes soll geklärt werden, ob die EZB autonom ist oder sich doch einer Einflussnahme gegenübersieht.

2. Die Unabhängigkeit der EZB

In wissenschaftlichen Diskursen bzw. sonstigen öffentlichen Debatten über die Rolle von Zentralbanken nimmt das Thema der Unabhängigkeit von nationalen Zentralbanken entweder einen sehr hohen Stellenwert ein oder wird als Selbstverständlichkeit ignoriert.

Indikatoren der Unabhängigkeit einer Zentralbank sind die institutionelle Beschaffenheit einer Zentralbank, die personelle Zusammensetzung und Auswahl des Direktoriums sowie das freie operative Handeln (vgl. Mankiw 2000: 652). Die Ausprägung der genannten Indikatoren innerhalb der EZB und mögliche Anfälligkeiten für eine Einflussnahme von Außen sollen im Mittelpunkt der Ausführungen stehen.

2.1. Die Bedeutung von Unabhängigkeit für die EZB

Grundsätzlich wird mit einer unabhängigen Zentralbank die Existenz großer währungspolitischer Kompetenzen verbunden, die es einer externen Institution ermöglichen sollen ein Gleichgewicht im Widerstreit zwischen Wirtschafts- und Geldpolitik des Staates herzustellen. Die Abgabe währungspolitischer Kompetenzen an unabhängige Zentralbanken, in diesem Fall der supranational agierenden EZB, bedeutet demnach immer einen Transfer von Macht (vgl. Wagener 2001: 14).

Diese Machtübertragung eines staatlichen Hoheitsträgers der Exekutive auf eine staatliche Institution, sei sie national ausgeprägt oder supranational eingebunden, lässt an der Genauigkeit der Bezeichnung „Unabhängigkeit“ im Zusammenhang mit Zentralbanken zweifeln. Besonders anschaulich ist dies an der EZB zu zeigen, die Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) im Verbund der Europäischen Union ist.

Eine exakte Bezeichnung für das Wirken der EZB ist nicht die Unabhängigkeit, sondern der Begriff der Autonomie. Die Freiheit von der Einflussnahme anderer im eigenen Handeln gibt dem Spektrum der Möglichkeiten der Zentralbank und ihren Machtbefugnissen einen eindeutigeren Charakter. Das Machtspektrum wird am Grad der Handlungsautonomie ersichtlich, das die EZB besitzt. Bezugspunkt ist dabei der Handlungsspielraum bzw. nach Luhmann der Selektionsspielraum, der vom Grad der Fremdbestimmung abhängt – je höher der Grad der Fremdbestimmung für die EZB, desto beschränkter ist ihr Selektionsspielraum (vgl. Stichweh 2000: 208f).

2.2. Die Indikatoren der Unabhängigkeit und Autonomie der EZB

Wie bereits erläutert gilt eine Zentralbank als autonom, wenn gewisse Voraussetzungen vorliegen, die eine Einordnung erleichtern. Für die EZB bedeutet dies auf der institutionellen Ebene, dass einzig unabhängige nationale Zentralbanken mit ihr zusammenarbeiten können, die Bestandteil des ESZB sind.

Personell soll die Beschränkung auf eine einmalige Amtsperiode des Direktoriums von fünf bis acht Jahren die Bildung von „Seilschaften“ verhindern. Dieser Punkt wird im weiteren Verlauf noch ausführlicher behandelt.

Operativ gilt das Prinzip der Offenmarktpolitik, die mit Hilfe des internationalen Devisenhandels die Stabilität des Preissystems sichern soll, eine der Hauptaufgaben der EZB. Der EZB wird dabei eine große Handlungsfreiheit in der Erfüllung ihrer primären Aufgabe gegeben, eine Konfliktsituation, wie sich im folgenden Punkt erkennen lässt.

Auf den ersten Blick scheint die EZB alle Kriterien der Unabhängigkeit zu erfüllen, was jedoch wie erwähnt noch keinen Rückschluss auf die wahre Handlungsautonomie ermöglicht.

2.3. Einflussmöglichkeiten auf die EZB

Wie jede autonome Institution sieht sich die EZB einer Vielzahl von Bestrebungen ausgesetzt, die auf eine Beschneidung ihres Handlungsspielraums abzielen. Diese Bestrebungen können auf dem Geist der Gewaltenteilung basieren und der Verhinderung einer übermächtigen Institution auf Ebene der Europäischen Union dienen. Es können dabei auch einfach nationalstaatliche Interessen im Vordergrund stehen, die den größeren Nutzen aus einer Schwächung der EZB ziehen. Auf die Interessenlagen europäischer Großkonzerne soll im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden, da ein klarer Identitätsunterschied in der Interessenausprägung zu Nationalstaaten nicht immer feststellbar ist.

Bezogen auf die in Abschnitt 2.2. aufgeführten Indikatoren bieten sich verschiedene Varianten der Autonomie Schranken zu setzen oder Einfluss auf Entscheidungen der EZB zu nehmen.

2.3.1. Institutionelle Einflussnahme

Ein direkter institutioneller Einfluss kann über eine Verregelung der Entscheidungsabläufe, generelle Zentralbankstatuten oder sonstige Normierungen geschehen. Beispiele dafür sind Bestellungs- oder Abberufungsverfahren für bankinterne Entscheidungsträger, das Mitspracherecht bankfremder Akteure und jede Form der Kontrolle des Handelns (vgl. Wagener 2001: 21f).

Indirekte Einflussmöglichkeiten sind informelle Machtkonstellationen, die von der Androhung von Konsequenzen für Entscheidungsträger bei „falschen“ Entwicklungen bis zur gezielten Beeinflussung und Steuerung der öffentlichen Meinung reichen.

2.3.2. Personelle Einflussnahme

Eine Stärkung der EZB kann über die Beteiligung verschiedener Instanzen mit heterogenen Interessen bei der Auswahl ihres Personals erfolgen, einhergehend mit einer Staffelung der Berufungszeitpunkte. Begleitet werden könnte dieser Prozess mit der Einführung eines Mindestalters bei Amtsantritt und dem Verbot der Ausführung politischer Ämter während oder nach der Amtsperiode (vgl. Wagener 2001: 75).

Schwachstelle des bisherigen Berufungsverfahrens für die Besetzung des EZB-Direktoriums ist die mächtige Rolle der endgültigen Entscheidungsinstanz – die Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten.

Die Zusammensetzung des Direktoriums wird von den Präsidenten der nationalen Zentralbanken aller Mitgliedsstaaten der EU (Erweiterter Rat) vorgeschlagen, dem sich eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und der Zentralbankpräsidenten der „Euro-Länder“ (EZB-Rat) anschließt.

Die endgültige Entscheidung über einen Kandidaten fällt aber, wie angesprochen, auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Besetzung des Direktoriums.

Natürlich spielen dabei nationale und wirtschaftspolitische Interessen eine große Rolle, die sich an Hand der Arbeit des EZB- Präsidenten ablesen lassen. Indikatoren dafür sind nicht nur Prestigeentscheidungen für ein Land, sondern auch die Wirtschaftsideologie, welche auf nationalstaatlicher Ebene den Vorzug genießt.

Im Rahmen der Vortragsreihe „Forum Constitutionis Europae“ (Walter Hallstein – Institut für Europäisches Verfassungsrecht an der Humboldt Universität Berlin) erläuterte Prof. Dr. Dr. Oppermann die angesprochene Problematik bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland: „[...] Dabei geht es nicht um Macht- oder Prestigefragen, sondern um die die dauerhafte Sicherung eines legitimen Maßes von Einfluss auf die Rechtsetzung und Entscheidungspraxis der EU [...].“ (Oppermann 2002: 56).

Prof. Oppermann spielt in seinem Zitat auf die seiner Meinung nach „chronische Unterbesetzung“ Deutschlands in Entscheidungsgremien der EU an, die es im Sinne der Legitimität zu ändern gilt. In welcher Weise Legitimität gesichert werden soll, ist für jeden Nationalstaat einzeln betrachtet eine Auslegungssache, da alle Mitglieder ihren sichernden Einfluss geltend machen möchten.

Bezogen auf die Wahl des EZB-Direktoriums und seiner Kompetenzen in Währungsfragen und somit der Wirtschaftsentwicklung, wird die Tragweite der Personalfindung im Kontext der Autonomie deutlich.

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Europäische Zentralbank autonom und neutral in ihrem Handeln?
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Aktuelle Themen der Organisations- und Wirtschaftssoziologie: Soziologische Beiträge zum Verständnis ökonomischer Strukturen und Prozesse
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V37615
ISBN (eBook)
9783638369060
ISBN (Buch)
9783638762120
Dateigröße
450 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische, Zentralbank, Handeln, Aktuelle, Themen, Organisations-, Wirtschaftssoziologie, Soziologische, Beiträge, Verständnis, Strukturen, Prozesse
Arbeit zitieren
Gero Birke (Autor:in), 2005, Die Europäische Zentralbank autonom und neutral in ihrem Handeln?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37615

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