Leseprobe
1
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ... 2
1.1
Fragestellung und Ziele der Arbeit ... 2
1.2
Aufbau der Arbeit ... 4
1.3
Form der Arbeit ... 5
2
Johnson und sein Frauenbild ... 6
2.1
Kurze Inhaltszusammenfassung von ,,Mutmassungen über Jakob" ... 6
2.2
Die Gebildete und/oder Politische ... 6
2.3
Die ,,sexuell bewusste" Frau ... 10
2.4
Die Selbstsichere vs. die Schutzsuchende ... 10
2.5
Die Emotionale in ,,Die Mutmassungen über Jakob" ... 14
2.6
Frauen in ,,Mutmassungen über Jakob" im historischen Kontext ... 15
3
Frauenbild in ,,Zwei Ansichten": Krankenschwester D. aus OstBerlin ... 16
3.1
Inhaltszusammenfassung ... 16
3.2
Die Gebildete/Politische ... 16
3.3
Die ,,sexuell bewusste" Frau ... 17
3.4
Die Selbstsichere vs. die Schutzsuchende ... 17
3.5
Die Emotionale ... 18
3.6
Einordnung der Frauenfigur D. in Johnsons Frauengestalten ... 19
4
Christa Wolf und ihr Frauenbild in ,,Der geteilte Himmel" ... 19
4.1
Die Gebildete und/oder Politische ... 20
4.2
Die ,,sexuell Bewusste" ... 21
4.3
Die Selbstsichere vs. Schutzsuchende ... 21
4.4
Die Emotionale ... 22
4.5
Bezüge zu historischen Ereignissen in ,,Der geteilte Himmel" ... 23
5
Chancen und Risiken von historischen und biographischen Bezügen ... 24
6
Fazit ... 27
7
Quellen und Literaturverzeichnis ... 31
7.1
Primärliteratur ... 31
7.2
Forschungsliteratur ... 31
2
1 Einleitung
Frauenbilder und die Stellung der Frau wurden in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert, dann
noch einmal ab den 1960ern, weiterhin über die Zeiten Alice Schwarzers bis hin zu Judith
Butler immer wieder in Medien, Politik und Wissenschaft zum Thema der öffentlichen Debat-
te. Seit der Entwicklung dieser Frauenrechtsbewegungen (sowohl der bürgerlichen als auch
der sozialistischen) in Deutschland und durch das anfängliche Wirken von Personen wie
Helene Lange oder Clara Zetkin sind genderspezifische Themen im Diskurs der Gesellschaft
angelangt und lieferten der ,,Genderforschung" zahlreiche Impulse dahingehend, inwiefern
diese zu überdenken wären und es erforderlich wäre, diese als solche zu analysieren. Dies
geschieht in verschiedensten Disziplinen ganz gleich, ob nun in der Ethnologie, der Kultur-
wissenschaft, der Sprachwissenschaften, den Medienwissenschaften, den Philologien oder
Religionswissenschaften. Es geht um ein Thema, das im Verlauf der Entwicklung der Frauen-
rechtsbewegungen an öffentlichem Interesse und damit auch an Geltung gewann. Auch in der
Literaturwissenschaft nahm die Bedeutung der Analyse von Frauenbildern zu. Aber trotz
reichhaltiger vorhandener Forschung zu diesem Thema, gibt es keine Arbeit zum Thema hier
vorliegender Untersuchung:
1.1 Fragestellung und Ziele der Arbeit
Die vorliegende Arbeit, die im Rahmen des Oberseminars mit dem Titel ,,Ausgewählte Werke
Uwe Johnsons" im Sommersemester 2015 entstanden ist, wird sich ,,Frauenbildern in ausge-
wählten Werken Uwe Johnsons und Christa Wolfs im Vergleich" widmen. Dabei geht es da-
rum, herauszufinden, wie die Darstellung der Frauenbilder in zwei ausgewählten Werken
Uwe Johnsons im Vergleich zum Frauenbild in Christa Wolfs ,,Der geteilte Himmel" aus-
sieht. Von Uwe Johnson werden es die ,,Mutmassungen über Jakob" und ,,Zwei Ansichten"
sein, die näher untersucht werden sollen. Ausgewählt habe ich diese Werke, weil die Biogra-
phien von Uwe Johnson und Christa Wolf einander sehr stark ähneln
1
: Beide kamen zur etwa
gleichen Zeit zur Welt und waren während der nationalsozialistischen Ära Kinder, beide er-
lebten den Zweiten Weltkrieg und waren anschließend in der DDR ansässig, beide waren bis
ans Ende ihrer Lebzeiten als Schreibende tätig. Der wichtige Unterschied liegt jedoch darin,
dass Uwe Johnson 1959 die DDR verließ und Christa Wolf sich bewusst für ein Leben in der
1
Vgl. Grambow, Jürgen/Hanuschek, Sven: Johnson, Uwe, in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraumes. Bd. 6 Huh-Kräf, , hg. v. Wilhelm Kühlmann. Berlin 2009
2
. S. 177-180; vgl.
Behre, Maria: Wolf, Christa. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturrau-
mes, Bd. 12, Vo-Z, hg. v. Wilhelm Kühlmann, Berlin/Boston 2011
2
, S. 515-521.
3
DDR entschied. Das bedeutete, dass Christa Wolfs Bücher sowohl im Westen als auch im
Osten Deutschlands gelesen wurden und Uwe Johnsons Bücher nur im Westen.
2
Auch gab es
unterschiedliche Literaturpolitiken der beiden Teile des damaligen Deutschlands, die das
Schreiben bzw. die Darstellung von Frauenbildern beeinflusst haben könnten. Interessant ist
also auch, dass Christa Wolfs erster Roman ,,Der geteilte Himmel" ,,von der Thematik her an
die Romane von Uwe Johnson denken"
3
lässt obwohl sich die beiden damals gar nicht
kannten
4
. Ebenso ist es interessant, dass in allen drei Werken eine weibliche Figur stark im
Vordergrund steht.
,,In vielen Büchern von DDR-Schriftstellern ist der Verlauf des Wiederaufbaus nach dem Kriege
und den ersten sozialistischen Umgestaltungen ebenso festgehalten wie die aktive Beteiligung der
Frau an den das Bild des Landes verändernden Vorhaben, zugleich aber auch der rückwirkende
Einfluß dieser Wandlungen auf Stellung, Charakter und Geisteshaltung der Frauen selbst."
5
Deshalb lautet die zentrale Frage dieser Arbeit: ,,(Inwiefern) wirkte sich die historische Wirk-
lichkeit nach dem zweiten Weltkrieg auf die Darstellung von Frauen in den Romanen Uwe
Johnsons und Christa Wolfs aus?" Hierzu sollen historisch relevante Aspekte verwoben mit
den einzelnen Stellen aus den Romanen näher analysiert und in Verbindung gebracht werden.
Eine getrennte Darstellung von historischem Kontext und den Frauenbildern in den Romanen
erschien bei diesem Thema als hinderlich, weshalb diese inhaltlich ineinander verflochtene
Form ausgewählt wurde. Mein Forschungsgegenstand ist also eine literaturkritische Analyse
(drei Romane im Vergleich) mit einem thematischen Leitfaden (Frauenbilder in Werken, in
denen die Haupthandlungsorte die ehemalige DDR und die BRD zu Zeiten des geteilten
Deutschlands sind). Zentral für die Analyse sind folgende drei Fragen: a) ,,Wie werden Frau-
en dargestellt?, b) ,,Welches Verhalten zeigen sie als weibliche literarische Figuren in den
jeweiligen Werken?" und c) ,,welche Berufsbilder erfüllen sie?".
Mein Ziel ist es dabei, herauszufinden, was die Besonderheiten des Frauenbildes in diesen
drei Werken aus Zeiten, in denen Deutschland geteilt war, sind, inwiefern sich die Darstellun-
gen zweier verschiedener AutorInnen voneinander unterscheiden und was sich daraus hin-
2
Vgl. Felsner, Kristin: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. In:
Johnson-Studien, Bd. 10, hg. v. Eberhard Fahlke/Ulrich Fries/Sven Hanuschek/Holger Helbig, Göttingen 2010,
S. 15.
3
Durzak, Manfred: Der deutsche Roman der Gegenwart. Entwicklungsvoraussetzungen und Tendenzen. Hein-
rich Böll, Günter Grass, Uwe Johnson, Christa Wolf, Hermann Kant. Stuttgart u.a. 1979
3
, S. 184.
4
Ihre erste Begegnung sei im Februar 1974 gewesen. Vgl. Wolf, Christa: Dankesrede. Begegnungen An Uwe
Johnson erinnern. In: Gansel, Carsten (Hrsg.): Christa Wolf Im Strom der Erinnerung, Göttingen 2014, S. 346.
5
Motyljowa, Tamara: Frauen in der DDR-Literatur. In: Neue Deutsche Literatur, Bd. 27, Heft 10, Berlin 1979,
S. 154.
4
sichtlich des historischen Abrisses über die Epoche, in der diese drei Werke entstanden, ge-
winnen lässt unabhängig vom Geschlecht der AutorInnen selber.
1.2 Aufbau der Arbeit
Auf dem Weg zur Herausarbeitung der Frauenbilder in den ausgewählten Texten wird in Ka-
pitel 2 das Frauenbild in ,,Mutmassungen über Jakob" von Uwe Johnson analysiert und in
Kapitel 3 jenes in ,,Zwei Ansichten" Uwe Johnsons. Auf das Frauenbild im von Christa Wolf
ausgewählten Werk wird anschließend in Kapitel 4 eingegangen. Dabei möchte ich die do-
minierenden Frauenfiguren analysieren und auf je vier Aspekte hin überprüfen, bzw. inwie-
fern diese in den jeweiligen Werken vorkommen und Beispiele hierfür anbringen. Die we-
sentlichen Eigenschaften der a) gebildeten oder/und politischen Frau, b) der sexuell bewuss-
ten, c) der selbstsicheren versus der Schutz suchenden und d) der emotionalen Frau werden
hierbei exzerpiert und verglichen. Bei diesem Aufbau ließ ich mich von der Herangehenswei-
se von Vanessa Tröschs Magisterarbeit mit dem Titel ,,Die Frau in den literarischen Ge-
schlechterbeziehungen Arthur Schnitzlers"
6
inspirieren. In Kapitel 2, 3 und 4 werden also
auch Bezüge zum historischen Kontext und den jeweiligen Entstehungszeiten, auch hinsicht-
lich der Stellung der Frau der damaligen Zeit, hergestellt. In Kapitel 5 wird auf Chancen und
Risiken von historischen und biographischen Bezügen zu jeweiligen Frauenbildern in Roma-
nen von AutorInnen eingegangen, woraufhin in Kapitel 6 ein Fazit gezogen wird. Hinsicht-
lich dessen, dass Uwe Johnson und Christa Wolf sich in ihrem biologischen Geschlecht von-
einander unterscheiden und in dieser Arbeit das Thema ,,weibliches Schreiben" und ,,männli-
ches Schreiben" durchaus seinen Platz gefunden hätte, kann darauf hier in diesem begrenzten
Rahmen dennoch leider nicht weiter eingegangen werden soll hier jedoch Erwähnung fin-
den und als Anregung für potenzielle Vertiefung zu diesem Thema dienen.
7
Der Grund dafür,
weshalb die Johnson-Werke dominieren und ich nur ein Werk Christa Wolfs mit aufnehme,
ist der Titel des von mir besuchten Oberseminars, in dessen Rahmen diese Arbeit entsteht.
6
Vgl. Trösch, Vanessa: Die Frau in den literarischen Geschlechterbeziehungen Arthur Schnitzlers, Essen 2011,
S. 2f.
7
Zur weiteren Vertiefung siehe: Bauer, Christine: Darstellung der Frau in ,,Der geteilte Himmel" UND ,,Kas-
sandra": Wie Christa Wolf ihre Forderungen nach ,,weibliches Schreiben" realisiert. Masterarbeit. Lubbock
1988. URL:
https://repositories.tdl.org/ttu-ir/bitstream/handle/2346/19336/31295000275486.pdf?sequence=1
,
Stand 05.05.2015; vgl. auch: Masanek, Nicole: Männliches und weibliches Schreiben. Zur Konstruktion und
Subversion in der Literatur. In: Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissen-
schaft, Bd. 521 2005, Würzburg 2005; vgl. auch: Legg, Suzanne: Zwischen Echos leben. Christa Wolfs Prosa
im Licht weiblicher Ästhetikdebatten. In: Literatur: Männlichkeit/Weiblichkeit, hg. v. Maria Kal-
veram/Wolfgang Popp, Bd. 5, Essen 1998; vgl. auch: Geiger, Gerlinde: Weiblichkeit in den Schriften von Frau-
en und Männern: Ein Vergleich, S. 97-103. In: Stephan, Inge/Pietzcker, Carl (Hrsg.): Frauensprache Frauenli-
teratur? Für und Wider einer Psychoanalyse literarischer Werke, hg. v. Albrecht Schöne: Akten des VII. Interna-
tionalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985. Kontroversen, alte und neue, Bd. 6, Göttingen 1985.
5
Das Literaturverzeichnis mit sämtlichen verwendeten Titeln der Ausgaben und Schriften
bildet den Abschluss dieser Arbeit. Als Forschungsliteratur wurden als Primärausgaben der
beiden Werken Uwe Johnsons die Suhrkamp-Ausgaben einmal bei Johnsons ,,Mutmassun-
gen" die elfte Ausgabe und bei ,,Zwei Ansichten" die dritte Ausgabe
8
und beim Werk Christa
Wolfs die Deutscher Taschenbuchverlag-Ausgabe in ihrer 28. Ausgabe
9
- herangezogen. Für
den historischen und literaturgeschichtlichen Teil wurden vor allem die Werke Hermann We-
bers ,,Die DDR. 1945-1990" (2012
5
), Michaela Karls (2011) ,,Die Geschichte der Frauenbe-
wegung" (2011) zu Rate gezogen und Edgar Wolfrums: ,,Die DDR: eine Geschichte in Bil-
dern" (2008) genommen. Als Sekundärliteratur zu den Werkausgaben waren Annekathrins
Klaus ,,,,Sie haben ein Gedächtnis wie ein Mann, Mrs. Cresspahl!" Weibliche Hauptfiguren
im Werk Uwe Johnsons" und Kristin Felsners ,,Perspektiven literarischer Geschichtsschrei-
bung: Christa Wolf und Uwe Johnson" sehr hilfreich.
1.3 Form der Arbeit
Zur Form dieser Arbeit ist zum einen anzumerken, dass in dieser Arbeit der deutschen Zitier-
weise mit Fußnoten Folge geleistet wurde. Zum anderen soll auf eine Schreibweise hingewie-
sen werden, die nicht in jeder wissenschaftlichen Arbeit ihren Platz findet, aber auf die hier
auch aufgrund der thematischen Relevanz Acht gegeben wurde: Dabei geht es um die Ver-
wendung des intraverbalen großen ,,I", das bei der Benennung von gemischtgeschlechtlichen
Personengruppen wie beispielsweise AutorInnen für Autorinnen und Autoren verwendet wird.
Diese als orthographisch bisher falsch eingestufte Schreibweise wähle ich dennoch, um zum
einen weibliche Personen erkennbar zu machen und zum zweiten, weil diese Art von politisch
korrekter Schreibweise platzsparender ist.
10
Ebenso sollen AutorInnen und Wissenschaftle-
rInnen mit Vor- und Nachnamen erwähnt werden und nicht wie üblich nur mit dem Nach-
namen. Denn ansonsten könnten erwähnte Personen als ,,Wissenschaftler, Forscher und Auto-
ren in der historischen Tradition als Männer [...]"
11
gedacht werden, welchem hier aufgrund
der thematischen Relevanz entgegengewirkt werden soll.
12
Nur in den Fußnoten wird der
Vorname bei der Kurform nicht erwähnt, wie auch beim Begriff ,,Erzähler" bleibe ich aus
Einfachheit bei der männlichen Form, ohne das weibliche Geschlecht damit auszuschließen.
8
Vgl. Johnson, Uwe: Mutmaßungen über Jakob, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2013
11
, [MüJ]; vgl.
ders.: Zwei Ansichten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2013
3
, [ZA].
9
Vgl. Wolf, Christa: Der geteilte Himmel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014
45
, [DgH].
10
Vgl. Häberlin, Susanna/Schmid, Rachel/Wyss, Eva Lia: Übung macht die Meisterin. Ratschläge für einen
nichtsexistischen Sprachgebrauch, München 1992, S. 104-107.
11
Klaus, Elisabeth: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung der Frauen in den
Massenmedien und im Journalismus. Opladen, Wiesbaden 1998, S. 11.
12
Vgl. Häberlin u.a.: Übung, S. 104-107.
6
2 Johnson und sein Frauenbild
2.1 Kurze Inhaltszusammenfassung von ,,Mutmassungen über Jakob"
,,Das Vorhandensein des weiblichen Elements im erzählerischen Werk Uwe Johnsons ist nicht zu
übersehen: Fast 2000 Seiten hat er allein in seinem Hauptwerk ,,Jahrestage" einer Frau gewid-
met."
13
Aber nicht nur in ,,Die Jahrestage", die zwischen 1970 und 1983 erschienen sind
14
, tritt diese
,,Frau"
15
, der Uwe Johnson vier Bände gewidmet hatte, auf, sondern auch in ,,Mutmassungen
über Jakob", seinem 1959 veröffentlichten Roman. Hier geht es um einen Jakob Abs, der
1928 in Pommern geboren wurde und am Ende des Zweiten Weltkrieges mit seiner Mutter
aufgrund der voranschreitenden Gefahr durch die Rote Armee an den fiktiven Ort ,,Jerichow"
im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern und der damaligen DDR migriert. In Je-
richow werden die beiden Flüchtlingen neben anderen von dem Kunsttischler Heinrich Cre-
sspahl aufgenommen, der mit seiner Tochter Gesine Cresspahl zusammenlebt. Die Handlung
selbst spielt später, hauptsächlich im Spätherbst 1956.
16
Unter sehr vielen Aspekten, die loh-
nenswert wären, analysiert zu werden, sollen nun mögliche Wesensmerkmale der dominanten
Frauenfiguren in ,,Mutmassungen über Jakob" herausgearbeitet werden.
2.2 Die Gebildete und/oder Politische
Bei der Suche nach der gebildeten Frau ist es wichtig, danach zu sehen, wie die Kindheit der
jeweiligen Frauenfiguren aussah. Dazu gehört also der Werdegang an sich, aber auch die
nachhaltige Weiterbeschäftigung mit intellektuellen Inhalten. Man kann sagen, dass in Uwe
Johnson Werk die Figur der Gesine Cresspahl als Prototyp der gebildeten Frau angesehen
werden kann. Über ihre Kindheit lässt sich nicht viel erfahren. Man erfährt als LeserIn, dass
sie als 13-Jährige unter Spionageverdacht war und von sechs Russen zum Revier gebracht
wurde. Vielleicht rührt daher auch das etwas als gestört einschätzbares Verhältnis zu ihrem
Vater, der dagegen auch nichts zu tun wusste.
17
Auf das Verhältnis zu ihrem Vater wird später
noch näher eingegangen. Zu Gesines Werdegang ist noch zu sagen, dass sie studierte was
für eine junge Frau in der DDR zu jener Zeit noch nicht üblich gewesen sei wobei gesagt
werden muss, dass Frauen durchaus die Möglichkeit des Studierens hatten und dies auch in
13
Klaus, Annekatrin: ,,Sie haben ein Gedächtnis wie ein Mann, Mrs. Cresspahl!" Weibliche Hauptfiguren im
Werk Uwe Johnsons, Bd. 3, Johnson-Studien, hg. v. Eberhard Fahlke/Ulrich Fries/Holger Helbig/Norbert Meck-
lenburg, Göttingen 1999, S. 9.
14
Vgl. MüJ, S. 309.
15
Damit ist Gesine Cresspahl gemeint. [Anmerkung der Verfasserin, CG].
16
Vgl. MüJ, S. 7-20.
17
Vgl. ebd., u.a. S. 84.
7
Anspruch nahmen.
18
Weiterhin ist aus Gesines Lebenslauf herauszulesen, dass sie nach ihrem
Weggang aus der DDR als Dolmetscherin bei der NATO arbeitet, wo sie im späteren Hand-
lungsverlauf kündigen wird. Von den Sozialisten versucht Rohlfs sie zuvor für Spionagezwe-
cke zu gewinnen und vom Sozialismus zu überzeugen während sie sich jedoch dafür ent-
scheidet, in den Westen zu ziehen und dort auch zu bleiben. Gesine tritt ganz klar als gebilde-
te Frau auf, die sich für das kapitalistische Ausland entscheidet, von Rohlfs für seine Zwecke
vereinnahmt werden soll, von Jakob und Dr. Jonas Blach geliebt wird, vom Vater vermisst,
und von Mutter Abs nicht unbedingt Unterstützung erfährt, als ihr Vater Cresspahl sich mit
ihr über ihren Wunsch, in den Westen gehen zu wollen, streitet obwohl Frau Abs auch ge-
hen wollte. Die Figur Gesine zeigt auch, dass es möglich war, im DDR-System jene Bildung
zu genießen, die es ermöglicht, sich auch gegen die Ideologie zu entscheiden, in der man auf-
wächst. Dass sie zur Oberschule ging, ist für die Zeit eher untypisch für Frauen in der DDR
gewesen. Dann hat sie studiert, geht ins westlich-kapitalistisch geprägte Ausland, während
mehrere Männerfiguren des Romans sich daran stören. So auch die Figur namens Rohlfs. Als
RezipientIn kann man sich hier fragen, ob er sich als DIE sozialistische Figur im Buch nicht
darüber freuen müsste, dass Gesine nun das sozialistische Gedankengut, das sie ja geprägt hat
und in dem sie erzogen worden ist, in die Welt hinausträgt. Er tut es aber nicht möglicher-
weise aufgrund ihrer nicht gerade als pro-DDR einzuschätzenden Haltung und seines Unver-
ständnisses ihres Verlassens der DDR wegen wo sie doch nach dort vorherrschender Mei-
nung die Früchte ihrer Ausbildung an dem Orte einzubringen habe, von dem sie diese auch
erhielt. Es wird deutlich, dass er sie als Verräterin sieht was im Gesamteindruck das Bild
Gesines keineswegs schwächt. Ein weiterer Punkt ist, dass Johnson eventuell verdeutlichen
wollte, wie überflüssig der Sozialismus zu werden scheint, wenn man selbst Bildung genoss
nicht, weil man zu klug für den Sozialismus würde und dieser nur was für die Dummen wäre.
Sondern vielmehr deshalb, weil man da kann man noch so überzeugt vom Sozialismus sein
dem Luxus des Geldes und des Kapitalismus verfallen könnte.
Weiterhin sind Gesines Gelehrsamkeit und Wissensdurst zu erkennen. Das kann man an
Textstellen erkennen, in denen Dr. Blach zu dessen Person im weiteren Verlauf ergänzende
Informationen geliefert werden , sagt, dass sie ,,an diesem Morgen (...) wieder angefangen"
habe, ,,ihre täglichen zweieinhalb Pfund Zeitung zu kaufen" und dass sie die beiden ,,bis
18
Die Zahl der weiblichen Studierenden stieg erst ab 1960. Zu Gesines Zeit wäre das noch nicht sehr üblich
gewesen. Vgl. hierfür: Statistisches Amt der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen
Republik 1990, 35. Jg., Berlin 1990, S. 341f.; vgl. auch: Schubert, Friedel: Die Frau in der DDR. Ideologie und
konzeptionelle Ausgestaltung ihrer Stellung in Beruf und Familie, in: Forschungstexte Wirtschafts- und Sozial-
wissenschaften, Bd. 4, Opladen 1980, S. 82f.
8
München (...) gelesen" haben.
19
Ebenso kommt an anderer Stelle folgender Hinweis auf Ge-
sines Gelehrsamkeit und Wissensdurst vor: ,,Er [Jakob] erinnerte sich an Gesines Erzählungen
von den Büchereien und der Universität überhaupt"
20
. Ebenso wird erkennbar, dass Gesine
Cresspahl zur Analyse fähig ist und mit einer entwaffnenden Nüchternheit Jonas` Theater der
Emotionen (,,als er wie ein Filmheld vor ihr auftritt"
21
) entgegentritt.
22
Diese Nüchternheit
habe laut Annekatrin Klaus Gesine auf politischer Ebene den rechten Weg gewiesen.
23
Hier erfährt man als LeserIn ebenso über politische Züge Gesines und dass bei Gesine zusätz-
lich zur Bildung auch die politische Aktivität in Erfahrung zu bringen ist. Das ist beispiels-
weise an ihrer Reaktion auf den Vorfall der ,,politischen Physik" und die Niederschlagung der
Aufstände in Ungarn ablesbar, die mit einer direkten Anklage verbunden ist. Das ist auch jene
Stelle, an welcher ersichtlich wird, dass das Handlungsumfeld des Werkes die Zeit der Forde-
rungen nach Reformen im Ostblock ist, als es den ungarischen Volksaufstand gab und die
Zeit der Suezkrise mit einbezieht wobei Gesine eben ihre Position hinsichtlich dieser Ereig-
nisse zeigt.
24
Eine weitere Stelle, an der das Politische an der Gesine-Figur deutlich wird, ist
der Einmarsch der Briten und Franzosen in Ägypten, auf den sie mit Verweigerung und Auf-
regung reagiert was sogar zum Grund für ihre Kündigung wird.
25
Insgesamt liegt ein Unver-
ständnis Gesines gegenüber dem Bestreben vor, Grausamkeiten in Theorien zu verpacken
was vielleicht auch als der Grund dafür gedeutet werden kann, dass sie sich als einzige der
Personen in ,,Mutmassungen über Jakob" bewusst und zugleich ostentativ auf den Weg in den
Westen macht, weil sie relativ früh sah, dass die Sache des Sozialismus in der DDR längst
verraten worden wäre. Mutter Abs hat die DDR zwar auch verlassen und somit ,,mit den Fü-
ßen abgestimmt", wie man das seit Lenin so sagt,
26
aber stand dabei nicht so sehr für die Sa-
che was natürlich auch an den unterschiedlichen Umständen liegen mag. Aber dennoch ist
Gesine in Johnsons Werk spürbar die Einzige, die das Leben in der DDR demonstrativ ab-
lehnt:
,,Schon bevor die Handlung der Mutmassungen einsetzt, hat Gesine eine wichtige Entscheidung
für ihr Leben getroffen: Sie hat die DDR im Krisenjahr 1953 verlassen und im Westen ein neues
19
Vgl. MüJ, S. 124.
20
Ebd., S. 136.
21
Ebd., S. 200.
22
Vgl. Klaus: Weibliche Hauptfiguren, S. 154.
23
Vgl. a.a.O.
24
Vgl. ebd., S. 157; vgl. MüJ, S. 274.
25
Dass sie gekündigt hat, merkt man daran, dass sie einen Englischkurs gibt, wovon Rohlfs in einem Radiopro-
gramm hört. Vgl. Felsner: Perspektiven, S. 258; vgl. MüJ: S: 294, 306-308; vgl. Klaus: Weibliche Hauptfiguren,
S. 157.
26
Vgl. Müller-Marein, Josef: Abstimmung mit den Füßen. In: Die Zeit, 21.06.1961, URL:
www.zeit.de/1961/30/abstimmung-mit-den-fuessen
, Stand: 28.07.2015.
9
Leben begonnen (vgl. MJ, 15). Gesine hat aus der politischen Situation die Konsequenzen gezo-
gen, vor denen Jakob und Jonas, die 1956 vor einer ähnlichen Entscheidung stehen, zurückschre-
cken"
27
,
heißt es in Annekatrin Klaus` Beschreibung. Dass die DDR längst verraten worden wäre, ist
für Gesine an Ereignissen wie jenem des 17. Juni erkennbar. Historisch gesehen ist der 17.
Juni ein Tag eines historisch bedeutsamen Aufstandes, der auch Volksaufstand oder Arbeiter-
aufstand genannt wird. Damit sind jene Ereignisse gemeint, im Zuge derer es um den Tag des
17. Juni 1953 herum zu mehreren Streiks und Demonstrationen gekommen war, um politische
und ökonomische Forderungen zu artikulieren. Diese Welle von Protesten wurde mithilfe der
Roten Armee blutig niedergeschlagen, was natürlich insofern auch als Ironie des Schicksals
verstanden werden kann, als dass die Protestform, die gewählt wurde, eigentlich typisch für
jenes Gedankengut war, das den Staatsgedanken ausmachte. Dass diese Handlung des Volkes
nun unterdrückt wurde und darauf nicht eingegangen wird, wird also von Gesine als literari-
sche Figur aufgegriffen und als Verrat interpretiert was sie als Figur in Johnsons ,,Mutmas-
sungen" auch zu einer politischen Figur macht. Uwe Johnson scheint der Figur Gesine die
Last der Welt auferlegt zu haben: Schuldgefühle auf Grund des Holocaust PLUS politische
Sensibilität. Und unter dieser Last vermochte Gesine sich kaum fortzubewegen. Sie könne
laut Annekatrin Klaus nur dastehen, die Laster der Welt aufzeigen, diese beschreiben und
dann letztendlich aber weiterhin nur damit dastehen.
28
Gesine scheint laut Annekatrins Klau-
sens Interpretation den ,,Engel der Geschichte" Walter Benjamins darzustellen:
Da geht es um einen
,,Engel (...), der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt.
Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen, seine Flügel sind aufgespannt. Der Engel der
Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette
von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trüm-
mer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten
wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Wind weht vom Paradiese her, der sich
in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Die-
ser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmer-
haufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm."
29
27
Felsner: Perspektiven, S. 256.
28
Vgl. Klaus: Weibliche Hauptfiguren, S. 157-159; vgl. Felsner: Perspektiven, S. 256-259; vgl. MüJ, S. 152, 89,
274, 69.
29
Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte, hg. v. Gerard Raulet, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am
Main 2010, S. 133; vgl. hierzu auch: Sakova-Merivee, Aija: Die Ausgrabung der Vergangenheit in ,,Stadt der
Engel oder The Overcoat of Dr. Freud", S. 245-256. In: Gansel, Carsten (Hrsg.): Christa Wolf Im Strom der
Erinnerung, Göttingen 2014, S. 251.
Ende der Leseprobe aus 34 Seiten
- Arbeit zitieren
- Cansu Güler (Autor:in), 2015, Frauenbilder in Uwe Johnsons "Mutmassungen über Jakob" und "Zwei Ansichten" im Vergleich zum Frauenbild in Christa Wolfs "Der geteilte Himmel", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376232
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