In welchem Verhältnis steht die Psychoanalyse zu den etablierten Wissenschaften? Heute herrscht in der Wissenschaftsphilosophie keine Einigkeit über die Frage, ob es überhaupt ein Kriterium oder eine Methode gibt, anhand derer man alle wissenschaftlichen Unterfangen von den nicht-wissenschaftlichen abgrenzen kann. Diese scheinbare Ratlosigkeit bedeutet aber nicht, dass eine Disziplin, die den Anspruch hat, eine Wissenschaft zu sein, diesen Status geschenkt bekommen kann. Die Wissenschaften genießen eine besondere Stellung und Anerkennung in der Gesellschaft, die sie rechtfertigen müssen. Nicht zuletzt deshalb gehört zu fast allen Disziplinen eine sie begründende Hintergrundphilosophie. Diese verankert die konkrete Forschung und Lehre einer Disziplin in einem bestimmten Verständnis davon, was ihr Gegenstandsbereich ist, zu welchem Zweck und mit welchen Methoden sie sich ihm zuwendet und in welchem Verhältnis sie zu den anderen Disziplinen steht.
Darum beschäftige ich mich in meiner Arbeit vor allem mit dem Selbstverständnis der Psychoanalyse. Es wurden viele Versuche unternommen sie zu begründen. Freud selbst nahm an, mit der Psychoanalyse eine neue Naturwissenschaft geschaffen zu haben, und auch viele seiner Nachfolger vertraten diese Ansicht. Dazu im Gegensatz steht die These, dass die Psychoanalyse eine hermeneutisch verfahrende Wissenschaft sei. So ist das Habermas'sche Diktum vom szientistischen Selbstmissverständnis berühmt geworden, dem zufolge Freud selbst die Psychoanalyse als Naturwissenschaft missverstanden habe. Auch gibt es eine Fülle an Positionen, denen zufolge die Psychoanalyse entweder unter beide oder unter keine der beiden Kategorien fällt. Ein dominantes Paradigma scheint es jedoch nicht zu geben. Diskussionswürdig sind daher nicht nur einzelne Ansätze, sondern auch die Tatsache, dass es unter den Vertretern der Psychoanalyse zu keiner Einigung kommt.
Meine Arbeit gliedert sich wie folgt:
Zunächst skizziere ich die Grundlagen des psychoanalytischen Programms (#1). Anschließend thematisiere ich die Kritik von Karl Popper, und die Notwendigkeit sich mit wissenschaftstheoretischen Verortungen und Begründungen auseinanderzusetzen (#2). Daraufhin gehe ich dazu über die naturwissenschaftliche (#3), sowie die hermeneutische (#4) Begründungsstrategie zu diskutieren. Zuletzt widme ich einen kurzen Abschnitt dem Multiparadigmatismus in der Psychoanalyse (#5).
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1 Grundlagen der Psychoanalyse
- 1.1 Drei Dimensionen der Psychoanalyse
- 1.2 Metapsychologie
- 1.3 Klinische Theorie und Praxis
- 1.4 Grundlagen psychoanalytischer Tätigkeit
- 2 Psychoanalyse und Falsifikationismus
- 2.1 Poppers Abgrenzungskriterium und Kritik an der Psychoanalyse
- 2.2 Wissenschaftstheorie in der Nachfolge Poppers
- 2.3 Begründungen der Psychoanalyse
- 3 Psychoanalyse und die Naturwissenschaften
- 3.1 Freuds Selbstverständnis
- 3.2 Hartmanns 'Grundlagen'
- 3.3 Rapaports Untersuchung
- 3.4 Probleme der naturwissenschaftlichen Auffassung
- 4 Psychoanalyse und Hermeneutik
- 4.1 Einführung in die Hermeneutik
- 4.2 Hermeneutik, Verstehen und Erklären
- 4.3 Psychoanalyse als hermeneutische Wissenschaft (Habermas)
- 4.4 Kritik der rein hermeneutischen Begründung
- 5 Multiparadigmatismus und Intentionalität
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Bachelorarbeit befasst sich mit der wissenschaftlichen Begründung der Psychoanalyse. Sie analysiert, in welchem Verhältnis die Psychoanalyse zu den etablierten Wissenschaften steht und welche Argumente für ihre Begründungsstrategien sprechen.
- Die Kritik von Karl Popper und sein Falsifikationsprinzip
- Die naturwissenschaftliche Begründung der Psychoanalyse nach Freud und seinen Nachfolgern
- Die hermeneutische Sichtweise auf die Psychoanalyse, insbesondere die Interpretation von Habermas
- Die Herausforderung des Multiparadigmatismus und die Frage nach der Intentionalität
- Die verschiedenen Dimensionen der Psychoanalyse: Forschungsmethodik, Psychotherapie und Theorie
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Arbeit stellt die Kontroverse um die Psychoanalyse in der Gesellschaft und in der Wissenschaft dar und führt die zentrale Fragestellung nach der wissenschaftlichen Begründung des psychoanalytischen Programms ein.
- Kapitel 1: Grundlagen der Psychoanalyse: Dieses Kapitel skizziert die Grundprinzipien der Psychoanalyse und beleuchtet die drei zentralen Dimensionen: Forschungsmethodik, Psychotherapie und Theorie. Es werden die metapsychologischen Ausführungen Freuds zu den psychischen Instanzen 'Über-Ich', 'Es' und 'Libido' sowie die Bedeutung des Lustprinzips erörtert.
- Kapitel 2: Psychoanalyse und Falsifikationismus: Dieses Kapitel widmet sich der Kritik von Karl Popper an der Psychoanalyse, die er aufgrund ihrer vermeintlichen Unfalsifizierbarkeit als unwissenschaftlich einstuft. Es werden verschiedene wissenschaftstheoretische Ansätze im Kontext der Diskussion um Falsifikationismus und Psychoanalyse beleuchtet.
- Kapitel 3: Psychoanalyse und die Naturwissenschaften: Dieses Kapitel behandelt die naturwissenschaftliche Begründung der Psychoanalyse. Es analysiert Freuds eigene Sichtweise auf die Psychoanalyse als eine neue Naturwissenschaft und untersucht die Ansätze von Hartmann und Rapaport. Es werden auch kritische Punkte der naturwissenschaftlichen Perspektive auf die Psychoanalyse erörtert.
- Kapitel 4: Psychoanalyse und Hermeneutik: Dieses Kapitel erkundet die hermeneutische Perspektive auf die Psychoanalyse. Es führt in die Hermeneutik ein und beleuchtet die Verbindung zwischen Verstehen und Erklären. Besonderes Augenmerk liegt auf Habermas' Interpretation der Psychoanalyse als hermeneutische Wissenschaft.
- Kapitel 5: Multiparadigmatismus und Intentionalität: Dieses Kapitel widmet sich dem Multiparadigmatismus in der Psychoanalyse und den Herausforderungen, die sich aus der Vielfalt der Begründungsansätze ergeben. Es diskutiert die Frage nach der Intentionalität und den unterschiedlichen Interpretationen des menschlichen Geistes.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Psychoanalyse, Falsifikationismus, Wissenschaftstheorie, Naturwissenschaft, Hermeneutik, Multiparadigmatismus, Intentionalität, Freud, Popper, Hartmann, Rapaport, Habermas, Metapsychologie, Klinische Theorie, Forschungsmethodik, Psychotherapie.
- Arbeit zitieren
- Stanislaw Wirok-Stoletow (Autor:in), 2017, Psychoanalyse und die Wissenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376738