Inklusion an Schulen. Theorie und wissenschaftliche Beobachtung


Hausarbeit, 2016

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Methode
2.1 Fragestellungen
2.2 Beobachtungsdesign
2.2.1 Vorüberlegungen zur Durchführung und Entwicklung
2.2.2 Übertragung auf die eigene Beobachtung

3 Beobachtung
3.1 Allgemeine Beobachtungen zur Klasse
3.2 Beobachtungen zur Fragestellung 1 – Kooperationsform im inklusiven Unterricht
3.3 Beobachtungen zur Fragestellung 2–Individuelles Fördern im inklusiven Unterricht
3.4 Beobachtungen zur Fragestellung 3 – Klassenklima im inklusiven Unterricht

4 Diskussion
4.1 Methodische Einschränkungen
4.2 Diskussion der Beobachtungsergebnisse

5 Schlussfolgerungen für die zukünftige Unterrichtspraxis

6 Literaturverzeichnis

Anhang – Beobachtungsprotokoll

1 Einleitung

Spätestens seit der Unterzeichnung des Übereinkommens über Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2006, ist Inklusion zu einem zentralen und ebenso schwer umsetzbaren Thema des deutschsprachigen Bildungswesens geworden. Dies hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass der Begriff „Inklusion“ in den letzten Jahren zu einer Art Reizwort avanciert ist. Nicht nur Politiker, sondern auch Wissenschaftler, Lehrkräfte und Eltern diskutieren darüber was Inklusion eigentlich bedeutet und wie sie am sinnvollsten umzusetzen ist (Böttges & Krath, 2015, S. 14). In diesem Zusammenhang geraten vor allem die Lehrkräfte immer stärker in das Blickfeld der Betrachtung. Sie sind zukünftig mit der Herausforderung konfrontiert auf verschiedenste Leistungsniveaus, Qualifikationen, Motive und kulturelle Hintergründe zu reagieren. Viele Bundesländer fordern daher ein Umdenken in der Lehrerausbildung: Lehrkräfte sollen neben förderdiagnostischen Kompetenzen vor allem den Umgang mit Heterogenität erlenen sowie Lehr- und Lernprozesse individuell gestalten (ebd., S. 15). Interessanterweise zeigen Studien zum Thema Inklusion jedoch auf, dass sich inklusiver Unterricht nicht grundlegend vom Unterricht in herkömmlichen Schulen unterscheidet (u.a. Davis & Florian, 2004). Vielmehr erfordert die steigende Heterogenität inklusiver Lerngruppen ein stärkeres Bewusstsein für die Verschiedenartigkeit sowie die intensive Anwendung bereits bekannter Konzepte guten Unterrichts (Werning & Avci-Werning, 2015, S. 72). Differenzierung, Individualisierung, Methodenwechsel, individuelle Förderung, kooperatives Lernen usw. sind nur einige bereits bekannte Schlagwörter guten Unterrichts, die in diesem Zusammenhang angeführt werden können. Ziel der vorliegenden Ausarbeitung soll es daher sein, mit Hilfe der Methode der wissenschaftlichen Beobachtung, einigen dieser Konzepte im Kontext inklusiver Settings auf den Grund zu gehen. Hierbei soll der Fokus der Beobachtung auf der individuellen Förderung als auch auf dem lernförderlichen Klassenklima in inklusiven Förderarrangements liegen. Beide Konzepte sind nicht nur im Allgemeinen, sondern auch im speziell-inklusiven Feld zentrale didaktische Forderungen, die häufig angeführt werden.

Gang der Untersuchung/Ausarbeitung:

In der vorliegenden Ausarbeitung möchte ich zunächst auf die Methode der Beobachtung eingehen. Hierzu möchte ich in Anlehnung an Greve and Wentura (1997) in Kapitel 2 die Anforderungen an eine wissenschaftliche Beobachtung anführen und diese in den Folgekapiteln in Bezug auf die von mir aufgeworfenen Fragestellungen (Kapitel 2.1) als auch meinem Beobachtungsdesign spezifizieren (Kapitel 2.2). Im Anschluss daran möchte ich in Kapitel 3 auf meine Beobachtung vom 13. Januar in einer Inklusions-Schule eingehen, um dann in Kapitel 4 die gewonnenen Erkenntnisse zu diskutieren. Die Schlussfolgerungen für meine spätere Unterrichtspraxis als Lehrerin sollen meine Arbeit abrunden.

2 Methode

Nach Greve und Wentura (1997, S. 13) wird eine Beobachtung erst dann zu einer wissenschaftlichen Methode, wenn sie folgenden Anforderungen Rechnung trägt:

1. Eine wissenschaftliche Beobachtung hat die Absicht, bestimmte, vorab definierte Hypothesen bzw. Fragestellungen zu überprüfen und zu beantworten.
2. Es werden bestimmte zu beobachtende Aspekte des Verhaltens selektiert.
3. Es wird beabsichtigt die erhobenen Daten der Beobachtung auszuwerten.
4. Die wissenschaftliche Beobachtung ist wiederholbar und nachvollziehbar, da sie – wie auch Jahoda, Deutsch & Cook schon 1966 argumentierten – einer Prüfung und Kontrolle „der Gültigkeit, Zuverlässigkeit und Genauigkeit unterworfen“ werden kann (S. 77).

Die mit den vier Punkten zum Ausdruck gebrachten Standards einer wissenschaftlichen Beobachtung sollen im Weiteren genauer beleuchtet und spezifiziert werden. Beginnen möchte ich mit den von mir aufgeworfenen Fragestellungen der wissenschaftlichen Beobachtung (Kapitel 2.1), die ich im Anschluss um Erläuterungen des von mir gewählten Beobachtungsdesigns ergänzen möchte (Kapitel 2.2). Eine Konkretisierung der mit meinen Fragestellungen einhergehenden Konzepte und Konstrukte, möchte ich in Kapitel 2.2.2 über die Entwicklung von beobachtbaren Indikatoren vornehmen.

2.1 Fragestellungen

Nach Friend und Cook (2010) können sechs verschiedene Formen der Kooperation zwischen der Regelschullehrkraft und der Sonderschullehrkraft (siehe auch Kapitel 2.2.1) unterschieden werden (S. 115). Da jede Form der Kooperation bestimmte Vor- und Nachteile aufweist und den Handlungsspielraum der im Unterricht eingesetzten Lehrkräfte erweitern oder eingrenzen kann, war es zunächst eines meiner Anliegen, die vorherrschende Kooperationsform zu identifizieren. Dieser Schritt ist aus meiner Sicht sinnvoll, um weitere zu untersuchende Fragestellungen vor dem Hintergrund der Handlungsmöglichkeiten der unterrichtenden Lehrkräfte zu analysieren. Folgendes Beispiel soll dies illustrieren: Interessiert man sich beispielsweise für die Interaktionsdichte zwischen den Schülerinnen und Schülern, ist bei der Kooperationsform „Parallel teaching“ folgendes zu beachten: Da die Klasse beim „Parallel teaching“ in zwei Hälften eingeteilt und jede Hälfte von je einer Lehrperson unterrichtet wird, kann eine Interaktion zwischen den Schülerinnen und Schülern nur innerhalb ihrer zugeteilten „Hälfte“ ermittelt werden. Eine übergreifende Erfassung der Interaktionsdichte zwischen den Schülerinnen und Schülern scheidet damit weitestgehend aus und sollte im Rahmen einer Beobachtung zur Interaktionsdichte oder ähnlichen Fragestellungen überdacht werden. Meine erste Fragestellung lautet daher: Welche Form der Kooperation liegt zwischen den Lehrkräften vor?

Eine zweite Fragestellung, die sich für mich im Kontext inklusiven Unterrichtens ergeben hat, war, ob und inwieweit tatsächlich eine individuelle Förderung aller Lernenden in einer heterogenen Lerngruppe gegeben und möglich ist. Nach Werning und Avci-Werning (2015) ergeben sich, vor allem für den Unterricht in heterogenen Lerngruppen, zahlreiche Anforderungen, die sich nicht zuletzt aus den unterschiedlichen Wissensständen, Motiven und Lernstrategien der Schülerinnen und Schüler ergeben. Allen Lernenden sollte daher die Wahl zwischen verschiedenen Lerngegenständen und Arbeitsformen ermöglicht werden, ohne dass die Gemeinsamkeiten aller Schülerinnen und Schüler vernachlässigt werden (ebd., S. 86). Guter inklusiver Unterricht ist ihrer Ansicht nach daher nur über Konzepte wie Differenzierung und Individualisierung und damit indirekt über die Förderung aller im Klassenraum zu bewerkstelligen (S. 84). Auch Ela Eckert (2004), die lange Zeit in Schweden, einem der Siegerländer der Pisa-Studie, als Lehrerin tätig war, stellt die Bedeutung individueller Förderung als eines der Kriterien guten Unterrichts heraus. Für sie heißt individuelles Fördern , „jeder Schülerin und jedem Schüler die Chance zu geben, ihr bzw. sein motorisches, intellektuelles, emotionales und soziales Potential umfassend zu entwickeln und sie bzw. ihn dabei durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen“ (S. 97). Diese Definition unterscheidet sich nicht wesentlich von den Forderungen, die häufig an inklusive Schulen gestellt werden und hebt somit die Bedeutung einer individuellen Förderung hervor. Im Rahmen meiner Beobachtung habe ich mich an den Indikatoren individueller Förderung von Ela Eckert orientiert (siehe Kapitel 2.2.2).

Ein häufig in Veröffentlichungen zum inklusiven Klassenmanagement benanntes, jedoch ebenso selten spezifiziertes Konzept, scheint das lernförderliche Klassenklima zu sein. Höchst und Masyk (2013) sehen das sozial befriedigende Klassenklima beispielsweise nicht nur als eine wichtige, sondern vor allem dauerhafte Aufgabe inklusiver Schulen an (S. 34). Darüber hinaus verweisen weitere Autoren auf die Bedeutung eines gesunden Klassenklimas für andere inklusive Konzepte, wie beispielsweise das kooperative Lernen (Johnson & Johnson, 2005, S. 297). Inwieweit vor allem inklusive Schulen und die in ihnen tätigen Lehrkräfte Rahmenbedingungen zum Aufbau eines gesunden Klassenklimas schaffen, wird meines Eindrucks nach jedoch selten empirisch in inklusiven Settings untersucht. Weitaus häufiger lassen sich hingegen Studien zum Schulklima ausmachen, die sich mit der Bereitstellung übergreifender Bildungsangebote, der Einbeziehung der Eltern sowie der Schaffung eines Teamklimas zwischen den Lehrkräften auseinandersetzten (u.a. Dyson et al., 2002). Eine dritte Fragestellung die mich daher im Rahmen meiner Beobachtung interessiert hat, war, ob bzw. inwieweit ein lernförderliches Klassenklima im beobachteten inklusiven Unterricht vorliegt. Ein lernförderliches Klassenklima soll hier im Sinne von Hilbert Meyer (2004) verstanden werden als „eine Unterrichtsatmosphäre, die gekennzeichnet ist durch: gegenseitigen Respekt, verlässlich eingehaltene Regeln, gemeinsam geteilte Verantwortung, Gerechtigkeit des Lehrers gegenüber jedem Einzelnen und dem Lernverband insgesamt und Fürsorge des Lehrers für die Schüler und der Schüler untereinander“ (S. 47). Fokussiert wird folglich die Unterrichts- und nicht die Schulebene. Da ich im Kontext meiner Recherche auf keine Indikatoren gestoßen bin, die spezifisch für die Erforschung eines Klassenklimas in inklusiven Schulen entwickelt wurden, habe ich für meine Beobachtung die Indikatoren von Meyer (2004) herangezogen. Diese werden in Kapitel 2.2.2 beschrieben.

2.2 Beobachtungsdesign

2.2.1 Vorüberlegungen zur Durchführung und Entwicklung

Eine häufig in Lehrbüchern vorzufindende Systematisierung der verschiedenen Formen der Beobachtung orientiert sich an den folgenden Dimensionen (Helsper & Böhme, 2013, S. 113):

- „Partizipationsgrad des Beobachters“ (teilnehmende vs. nicht-teilnehmende Beobachtung)
- „Sichtbarkeit des Beobachters“ (offene vs. verdeckte Beobachtung)
- „Standardisierungsgrad der Beobachtung“ (systematische vs. unsystematische Beobachtung)
- „Art der Beobachtungssituation“ (natürliche vs. künstliche Beobachtung).

Fragt man in diesem Zusammenhang speziell nach den überwiegend in der Klassen- und Unterrichtsforschung angewendeten Verfahren, so trifft man in der Regel auf eine teilnehmende, offene und systematische Beobachtungen im Feld (natürlich) (ebd.). Das heißt, die Beobachtung erfolgt während des Unterrichts und der Beobachter ist selbst Bestandteil der sozialen Unterrichtssituation. Ebenso häufig wird in der Literatur auf die besondere Rolle des Beobachters verwiesen, der nicht zuletzt aufgrund seiner begrenzten Wahrnehmungskapazität selbst zur Fehlerquelle der durchgeführten Beobachtung werden kann. Milde- bzw. Großzügigkeitseffekte aufgrund des Vergleichs mit einem unangemessenen Referenzmaßstabes, Beurteilungstendenzen zur Mitte oder aber auch Zusammenhangsfehler wie der Halo-Effekt, sind dabei nur einige mögliche Fehlerquellen, die dem Beobachter aufgrund seiner selektiven Wahrnehmung unterlaufen können (für einen Überblick: Faßnacht, 1995). Böhm-Kasper und Weishaupt (2013) argumentieren daher, dass die Selektion der wahrzunehmenden Verhaltensweisen vor dem Hintergrund des Beobachtungsziels sowie Beobachtungsplans systematisch erfolgen, und nicht alleine dem Beobachter während der Beobachtungssituation überlassen werden sollte (S. 113). Ebenso schafft eine vorherige Selektion des zu beobachtenden Verhaltens Transparenz, sodass die Auswertung systematisch und ggf. durch Dritte wiederholt bzw. repliziert werden kann. Aus diesem Grund ist es den Autoren zufolge wichtig, sich auf bestimmte, vorab definierte und operationalisierte Aspekte des Verhaltens zu beschränken (siehe Punkt 2, Kapitel 2). Es reicht beispielsweise nicht aus im Beobachtungsprotokoll festzuhalten, dass inklusiver Unterricht vorliegt oder nicht. Vielmehr muss das zu untersuchende Verhalten vorab anhand konkreter, möglichst präzise definierter Verhaltensweisen (Indikatoren) beschrieben und festgelegt werden (s.a. Raab et al., 2009, S. 128). Jede wissenschaftliche Beobachtung sollte daher mit einer umfassenden Recherche einhergehen, deren Endergebnis ein Bündel an möglichen Indikatoren darstellen sollte, die dabei helfen das zu beobachtende Verhalten während der Beobachtung genau zu identifizieren. Im Kontext der Frage nach inklusiven Unterricht bietet es sich daher an, nach spezifischen Aspekten zu fragen, die inklusiven Unterricht ausmachen und die sich mit Hilfe von beobachtbaren Indikatoren operationalisieren und damit „greifbar“ machen lassen. Ein bestimmter Aspekt inklusiven Unterrichts, der im Rahmen einer Beobachtung beleuchtet werden soll, könnte beispielsweise die Aufmerksamkeit besonders lernstarker Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts betreffen. Mögliche Indikatoren wären dann je nach Beobachtungssetting z.B. „Augenkontakt wird zur Lehrkraft gehalten“, „Lenkt sich selbst und andere Mitschüler nicht durch Gespräche ab“ und „Kann die Unterrichtsinhalte am Ende der Stunde wiedergeben“.

In diesem Zusammenhang ist es nach Raab et al. (2009, S. 128f) zudem sinnvoll – wie bei jeder empirischen Forschung – Messvorschriften zu definieren, die dazu dienen das zu beobachtende Verhalten genau und nach einem bestimmten Schema festzuhalten. Diese Schemata helfen nicht nur die gesammelten Daten auszuwerten (siehe Punkt 3, Kapitel 2), sondern ermöglichen auch eine Analyse, die wissenschaftlichen Gütekriterien genügt (siehe Punkt 4, Kapitel 2). In der Literatur lassen sich im Wesentlichen drei Arten von Beobachtungsschemata unterscheiden, wobei vor allem Letzteres häufig Anwendung findet (Böhm-Kasper und Weishaupt, 2013, S. 113):

- Zeichen Systeme verlangen vom Beobachter das Auftreten eines oder mehrerer vorher definierter Verhaltensweisen/Aspekte zu registrieren und aufzuzeichnen.

- Kategorien Systeme verlangen vom Beobachter auftretende Ereignisse oder Verhaltensweisen in vorab definierte Kategorien zu klassifizieren. Die Kategorien sollten nicht zu umfangreich sein, um den Beobachter nicht zu überfordern.

- Schätz-Skalen (Rating-Skalen) verlangen vom Beobachter eine Beurteilung des Ausprägungsgrades eines beobachteten Verhaltens auf einer Skala durch Zuordnung einer Zahl oder einer verbalen Abstufung (z.B. stark-mittel-schwach). Eine Skala mit vielen Abstufungen bringen mehr Verhaltensunterschiede zum Ausdruck, erfordern jedoch eine sehr differenzierte Wahrnehmungsleistung des Beobachters. Eine Skala mit wenigen Abstufungen ermöglichen i.d.R. eine leichtere Einordnung der beobachteten Verhaltensausprägung, führen jedoch nicht selten zu gleichen Zuordnungen einer Verhaltensausprägung verschiedener Personen, die sich in Wirklichkeit in ihrem Verhalten klar unterscheiden.

Nachdem ich nun die Anforderungen an eine wissenschaftliche Beobachtung nach Greve und Wentura (1997) spezifiziert und damit die von beiden Autoren genannten Punkte 1-4 thematisiert habe (siehe Kapitel 2), möchte ich diese im Folgenden auf meine Beobachtung übertragen.

2.2.2 Übertragung auf die eigene Beobachtung

Bei der von mir am 13. Januar 2016 in der auf Inklusion spezialisierten Schule X in Hessen durchgeführten Untersuchung handelt es sich um eine teilnehmende, offene und systematische Beobachtung im Feld. Entsprechend der im letzten Kapitel angeführten Möglichkeiten eine wissenschaftliche Beobachtung umzusetzen, habe ich ausgewählte Fragestellungen herangezogen (siehe Kapitel 2.1) und diese unter möglichst wissenschaftlichen Gesichtspunkten eingegrenzt sowie operationalisiert. Im Folgenden möchte ich meine in Kapitel 2.1 aufgeworfenen Fragestellungen abermals aufgreifen und sie hinsichtlich des gewählten Beobachtungsschemas spezifizieren. Die von mir gewählten Indikatoren (konkreten Verhaltensweisen), die das zu beobachtende Verhalten konkretisieren sollen, werde ich hierzu getrennt, je Fragestellung, anführen.

Fragestellung 1: Kooperationsform im inklusiven Unterricht

Um die Kooperationsform zwischen den Lehrkräften zu identifizieren, habe ich ein Kategorien-System mit entsprechenden Indikatoren angelegt, die dabei helfen sollten das beobachtete Verhalten zu klassifizieren. Wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich, lassen sich sechs verschiedene Kooperationsformen unterscheiden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Kooperationsformen im inklusiven Unterricht nach Friend & Cook (2010, S. 115; Vgl. auch Werning & Avci-Werning, 2015, S. 117f)

Im ersten Schritt meiner Beobachtung sollte mir diese Auflistung der Kooperationsformen helfen, die in der beobachteten Klasse vorherrschende Form zu identifizieren. Wie bereits in Kapitel 2.1 geschildert, kann die vorherrschende Kooperationsform Einfluss auf die Analyse meiner weiteren Fragestellungen nehmen.

Fragestellung 2: Individuelles Fördern im inklusiven Unterricht

Nach Ela Eckert (2004) ist ein hohes Niveau individueller Förderpraxis an folgenden von mir ausgewählten Indikatoren zu erkennen:

- Es gibt nach Thema, Interessensschwerpunkten und Leistungsvermögen unterschiedliche Lehrbücher, Lernmaterialien und Arbeitshilfen

- Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten erhalten zusätzlich Hilfe
- Alle Schülerinnen und Schüler werden angehalten, ihren individuellen Lernfortschritt zu reflektieren (Metakognition)
- Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf haben einen Lernstanddiagnose erhalten und ein Förderplan ist entwickelt
- Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit nach Rücksprache mit der Lehrkraft aus Routineaufgaben auszuklinken und an eigenen Schwerpunkten zu arbeiten
- Allen Schülerinnen und Schülern ist vertraut, dass es unterschiedliche Leistungsvermögen gibt
- Schülerinnen und Schülern mit affektiven und motorischen Problemen können eine „Auszeit“ nehmen und z.B. in eine im Klassenraum befindliche Konzentrationsinsel gehen
- Die Lehrkraft macht jeder Schülerin und jedem Schüler die für ihn geltenden Leistungserwartungen transparent und hilft ihnen, sie nachzuvollziehen

Da es sich bei den von Ela Eckert (2004) aufgestellten Indikatoren zur individuelle Förderung um relativ breite Verhaltensausschnitte handelt, habe ich eine fünftstufige und damit eher feingliedrige Skala gewählt sowie jeden Indikator mit einer „Notizspalte“ versehen, um mögliche Verhaltensausprägungen genauer zu begründen (siehe Anhang).

Fragestellung 3: Klassenklima im inklusiven Unterricht

Meyer (2004) zufolge lassen sich eine Reihe von Indikatoren unterscheiden, die aufzeigen, dass ein lernförderliches Klassenklima vorliegt. Im Rahmen meiner Beobachtung habe ich mich an diesen, von Meyer aufgestellten Indikatoren, orientiert. Diese lauten (S. 49):

- Die Lehrkraft geht respektvoll mit den Schülerinnen und Schülern um
- Kein(e) Schüler(in) wird wegen geringer Leistung diskriminiert
- Die Schülerinnen und Schüler nehmen beim Lernen Rücksicht aufeinander und helfen einander
- Es gibt kein aggressives Verhalten einzelner Schülerinnen und Schüler gegeneinander (z.B. keine Beschimpfungen, Sprache frei von Beleidigungen usw.)
- Es gibt keine Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Schülerinnen und Schüler
- Es gibt nur wenig bis keine Rivalitäten und Machtkämpfe in der Lerngruppe
- Es gibt klar definierte Klassenämter
- Die Schülerinnen und Schüler halten Regeln ein
- Hin und wieder wird gelacht

Da es sich, wie bereits bei den von Ela Eckert (2004) aufgestellten Indikatoren um relativ breite, zu beobachtende Verhaltensausschnitte handelt, habe ich auch in diesem Fall eine fünfstufige Skala herangezogen, die ich ebenfalls um eine „Notizspalte“ ergänzt habe (siehe Anhang).

3 Beobachtung

Im Folgenden möchte ich die zentralen Aspekte meiner Beobachtung vom 13. Januar 2016 in der Schule X schildern. Ich werde mich hierbei vor allem an den in Kapitel 2.2.2 aufgestellten Indikatoren orientieren und die gewonnenen Erkenntnisse sinnvoll zusammenfassen. Eine differenzierte und tabellarische Auflistung der Indikatoren, inklusive eingesetzter Skalen, ist darüber hinaus dem Anhang zu entnehmen.

3.1 Allgemeine Beobachtungen zur Klasse

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten 1

3.2 Beobachtungen zur Fragestellung 1 – Kooperationsform im inklusiven Unterricht

In der beobachteten Klasse wurde in der Kooperationsform „one-teach-one-assist“ unterrichtet, d.h. eine Lehrkraft leitete offiziell den Unterricht, während eine andere Lehrkraft einzelne Schülerinnen und Schüler unterstützte oder ad hoc einzelne Gruppenarbeiten individuell betreute. Im Rahmen der Beobachtung konnte ich jedoch auch feststellen, dass das Hierarchiegefälle zwischen den beiden Lehrkräften nicht besonders hoch ist. Beide Lehrkräfte betreuten die Lernenden in ähnlicher Art und Weise und lediglich der Unterrichtseinstieg machte deutlich, dass die Regelschullehrerin primär für die Klasse verantwortlich war. Allerdings fand an dem Beobachtungstag Projektunterricht statt, sodass dieser Eindruck vermutlich auch auf den geringen lehrerzentrierten Unterricht zurückzuführen ist. Darüber hinaus wirkte die Regelschullehrerin eher unstrukturiert und die Arbeitsaufträge wurden relativ unsystematisch und wenig anleitend durch sie vergeben. Diese Beobachtung sowie die mit der Projektarbeitsmethode verbundene, eher schülerzentrierte Vorgehensweise, bestärkten meinen Eindruck einer eher gleichberechtigten Betreuung der Lernenden von Seiten der Lehrkräfte.

3.3 Beobachtungen zur Fragestellung 2–Individuelles Fördern im inklusiven Unterricht

Eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler im Sinne der von Ela Eckert (2004) aufgestellten Indikatoren, konnte ich zum Teil feststellen. Die Schülerinnen und Schüler konnten zunächst frei wählen, wie sie ihre Projektaufgabe visuell (z.B. Erstellen einer Power Point Präsentation vs. Plakat vs. Video) und darstellerisch (Präsentation mit Karteikarten vs. Rollenspiel etc.) umsetzten möchten. Zudem wurden die Lernenden nach Aussage der Regelschullehrerin zum Teil darin unterstützt, eine für ihren Leistungsstand passende Form der Aufgabenbearbeitung zu wählen. So wurde beispielsweise eine Arbeitsgruppe aufgrund ihrer Rechtschreibschwäche dazu angehalten eine Power Point Präsentation zu erstellen, um zur Aufgabenbearbeitung das integrierte Rechtschreibprogramm zu nutzen. Durch diese Vorgehensweise bildeten sich überwiegend leistungshomogene Lerngruppen.

Lernmaterialien, wie Wörterbücher und Konjugationstabellen waren in ausreichender Stückzahl im Klassenraum vorhanden. Allerdings konnte ich nicht beobachten, dass diese bei den Arbeitsgruppen zum Einsatz kamen oder dass auf deren Verwendungsmöglichkeit durch die Lehrkräfte verwiesen wurde. Weitere Zusatzmaterialen, die im direkten Zusammenhang mit dem Projektthema standen und verschiedene Interessens- oder Leistungsschwerpunkte berücksichtigt hätten, konnte ich nicht ausmachen.

Meiner Beobachtung nach wurde vor allem eine Lerngruppe, die aus leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler bestand, bei der Aufgabenbearbeitung unterstützt und gefördert. Inwieweit sich jedoch leistungsstarke Lernende beispielsweise unter Rücksprache mit der Lehrkraft aus Routineaufgaben ausklinken und an eigenen Schwerpunkten arbeiten konnten, wurde während der Beobachtung nicht deutlich. So war zum Beispiel eine Arbeitsgruppe schon zu Beginn der Stunde fertig mit ihrer Aufgabe und saß meines Eindrucks nach lange Zeit unbeschäftigt herum. Auf Rückfragen meinerseits, ob leistungsstärkere oder schnell arbeitende Lernende eigene Aufgaben verfolgen können, verwies mich die Lehrkraft auf den täglich in der 5. Stunde stattfindenden Perle Unterricht (Persönliches Lernen). Im Rahmen dieses Unterrichts, können die Schülerinnen und Schüler frei entscheiden, an was sie gerne arbeiten möchten. Gerne hätte ich auch diese Unterrichtsform beobachtet um zu überprüfen, ob die Lernenden, vor allem die leistungsstärkeren, diesen Unterricht für sich sinnvoll nutzen.

Während meiner Beobachtung ist mir das Raummanagement eher negativ aufgefallen. Ela Eckert (2004) zufolge ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler mit motorischen oder affektiven Problemen bei Bedarf eine „Auszeit“ während des Unterrichts nehmen können (z.B. auf Konzentrationsinseln im Klassenraum). Wie bereits Eingangs geschildert, ist der Klassenraum technisch sehr gut ausgestattet, jedoch relativ klein. Klar definierte Rückzugsmöglichkeiten sind aus diesem Grund nicht im Klassenraum vorhanden. Am Beobachtungstag standen die Tische zudem in U-Form und die Arbeitsgruppen saßen relativ eng beieinander. Ein ruhiges Arbeiten der Lernenden war meiner Beobachtung nach nicht durchgängig möglich. Allerdings konnte ich auch beobachten, wie die „Förderschullehrerin“ zwischenzeitig mit einer der Arbeitsgruppen vor die Tür ging. Ich vermute, dass sie den Flur vor dem Klassenraum als ruhigen Ort nutzen wollte, um die bisherigen Arbeitsergebnisse mit den Lernenden zu besprechen.

Insgesamt war es für mich schwer zu erkennen, ob die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf eine Lernstanddiagnose erhalten haben und ob ein ausdifferenzierter Förderplan vorhanden ist. Im Kontext einer gelungenen individuellen Förderung ist für Ela Eckert (2004) zudem wichtig, dass die Lehrkraft den Lernenden ihre Leistungserwartung transparent macht und sie darin unterstützt sie nachzuvollziehen. Zwar konnte ich beobachten, wie die Regelschullehrkraft einigen Lernenden deutlich machte, was sie noch bearbeiten müssen um die Aufgabe zu erfüllen, eine klare und transparente Arbeitsanweisung zu Beginn der Unterrichtsstunde hat jedoch nicht stattgefunden.

[...]


[1] Der einfachhalthalber wird im Folgenden von Regelschullehrkraft und Förderschullehrkraft gesprochen.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Inklusion an Schulen. Theorie und wissenschaftliche Beobachtung
Hochschule
Universität Kassel  (Psychologie)
Veranstaltung
Unterrichten und Lernen in inklusiven Förderarrangements
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
26
Katalognummer
V376887
ISBN (eBook)
9783668542662
ISBN (Buch)
9783668542679
Dateigröße
630 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inklusion, Beobachtung
Arbeit zitieren
Sabrina Müller (Autor:in), 2016, Inklusion an Schulen. Theorie und wissenschaftliche Beobachtung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376887

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