Der Lead-Absatz - Die Nachricht in der Nachricht


Hausarbeit, 2004

12 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Der erste Eindruck

2. Die Funktionen des Lead-Absatzes

3. Der Aufbau einer Nachricht
3.1 Die ,W-Fragen’ im Lead-Absatz
3.2 Die Formen des Lead-Absatzes

4. Die Nachteile einer hierarchischen Gliederung

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Der erste Eindruck

„Beim Ausnehmen eines Kabeljaus für das Abendessen hat eine norwegische Familie eine leicht zerdrückte Cola-Dose ans Tageslicht befördert.“ (Deutsche Presseagentur 2004a: Kabeljau) Mit diesem Satz beginnt eine der etwa 750 Meldungen[1], die der Basisdienst der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am 20. Februar 2004 gesendet hat. An diesem Tag haben Hunderte für das Ressort „Vermischtes“ zuständige Redakteure diesen Satz an ihren Computerbildschirmen überflogen und oftmals in nur wenigen Augenblicken entschieden, ob sie die Meldung verwenden wollen oder nicht.

Die ersten ein bis drei Sätze, die den so genannten Lead-Absatz bilden, sind entscheidend für Erfolg oder Misserfolg eines Nachrichtentextes. Der Lead-Absatz bestimmt über die Abdruckchancen eines Artikels. Doch wie muss der Einstieg eines Agenturtextes beschaffen sein, damit Zeitungsredakteure ihn beachten und auswählen? Die folgende Arbeit soll einen Überblick über die wichtigsten Merkmale eines guten Lead-Absatzes geben. Anhand von Beispielen werden Aufbau und Funktion analysiert. Zum Schluss wird aufgezeigt, welche Gefahren die Konzentration auf den Lead-Absatz birgt.

Der Begriff Lead wird in der Fachliteratur und im Sprachgebrauch der Journalisten unterschiedlich verwendet. Mal ist der erste Satz, mal der erste Absatz einer Agenturnachricht gemeint. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird hier der erste Satz als Lead-Satz bezeichnet und die ersten zwei oder drei Sätze einer Meldung als Lead-Absatz. Siegfried Weischenberg bezeichnet den Lead-Absatz als (Nachrichten-) Vorspann (vgl. Weischenberg 2001: 109ff.). Dieses Synonym wird verwendet, wenn Weischenbergs Ausführungen wiedergegeben werden.

Wenn im Folgenden die Kunden der Nachrichtenagenturen erwähnt werden, dann wird exemplarisch von Zeitungsredaktionen und deren Lesern die Rede sein. Die dabei getroffenen Aussagen lassen sich zu großen Teilen jedoch auch auf andere Kunden der Nachrichtenagenturen wie Rundfunk, Fernsehen oder Internet und deren Hörer, Zuschauer und Leser übertragen.

2. Die Funktionen des Lead-Absatzes

Wir leben in einer so genannten Informationsgesellschaft, in der Informationen im Überfluss produziert werden – dank digitaler Übertragungstechnik nahezu unabhängig von Zeit und Raum. Auffassungsmöglichkeit und Zeit des Einzelnen sind jedoch begrenzt. Niemand kann alle verfügbaren Informationen aufnehmen. Wer wirklich jede Zeile seiner Tageszeitung lesen will, ist mindestens einen halben Tag lang beschäftigt. Das Internet quillt über vor Informationen, ein Großteil davon ist überflüssig, viele Quellen sind fragwürdig. Alle paar Minuten werden im Fernsehen und im Radio die aktuellsten „News“ verkündet.

In diesem Wirrwarr bietet es einen ungemeinen Vorteil, schnell erkennen zu können, was wichtig ist und was unwichtig, was interessant ist und was langweilig. Sortierleistungen werden immer wichtiger. Und hier kommt der Lead-Absatz ins Spiel. Wenn die ersten Sätze einer Nachricht den journalistischen „Handwerksregeln“ entsprechend geschrieben sind, bieten sie in zweifacher Hinsicht Orientierung im Informationsdschungel. Zum einen kann der Zeitungsleser schnell erkennen, welche Artikel ihn interessieren. Bricht er die Lektüre eines Artikels vorzeitig ab, hat er doch bereits das Wichtigste erfahren. Zum anderen entscheidet der Redakteur, der mit dem Material einer oder mehrerer Nachrichtenagenturen überschwemmt wird, anhand der Lead-Absätze, welche Agenturmeldungen er verwendet.

Siegfried Weischenberg zufolge verbringt ein Nachrichtenredakteur einen großen Teil seiner Arbeitszeit mit dem Sichten von Agenturmaterial (vgl. Weischenberg 1995: 203f.). Er müsse eine Auswahl treffen, da seiner Redaktion erheblich mehr Material angeboten werde, als sie veröffentlichen könne (vgl. Weischenberg 1988: 17). Weischenberg vermutet, der Selektionsdruck, der bei Journalisten Frust und Stress auslöse, sei nach der Elektronisierung der Medienredaktionen eher noch größer geworden (vgl. Weischenberg 1995: 204). „Die Auswahl, welche die Journalistinnen und Journalisten treffen, wird von zwei zentralen Nachrichtenfaktoren bestimmt: Bedeutung [...], Publikums-Interesse [...].“(Weischenberg 2001: 26)

Da kein Redakteur die Zeit hat, jede eingehende Agenturmeldung von Anfang bis Ende zu lesen, kommt ihm der typische Nachrichtenaufbau entgegen. Weil der Kern der Nachricht gleich in den ersten Zeilen zu finden ist, genügt es, die ersten ein bis drei Sätze einer Meldung zu lesen, um eine Vorauswahl treffen zu können.

Häufig wird das Schema der ,umgekehrten Pyramide’ zur Hilfe genommen, um den hierarchischen Aufbau einer Nachricht zu erklären (vgl. Zschunke 1994: 178f.). Die wichtigsten Informationen stehen demnach ganz oben im Lead-Absatz und bilden den Pyramidensockel, in den folgenden Absätzen verjüngt sich die Pyramide, Bedeutungsschwere und Neuigkeitswert der Zusatzinformationen nehmen immer mehr ab (à Kapitel 3). Dadurch könne der Redakteur den Artikel leicht auf die ihm zur Verfügung stehende Länge kürzen, ohne die zentralen Informationen zu entfernen (vgl. Zschunke 1994: 179f.). Selbst wenn der Redakteur nur den Lead-Absatz stehen ließe und die Nachricht so zu einer Kurzmeldung zusammenschrumpfte, blieben alle wesentlichen Informationen erhalten.

Peter Zschunke behauptet, für die Nachrichtenagenturen habe der Lead-Satz die größte Bedeutung (vgl. Zschunke 1994: 177f.). Er entscheide über Erfolg oder Misserfolg. Ein guter Lead-Satz erhöhe die Abdruckchancen einer Meldung, ein schlecht geschriebener Lead-Satz schränke sie erheblich ein, unabhängig davon wie der Rest des Textes geschrieben sei. Besonders unter Zeitdruck wähle ein Redakteur die Meldung aus, deren erster Satz informativer, präziser und packender formuliert sei als der der Konkurrenz. Bei agenturinternen Zeitungsauswertungen werde deshalb häufig der attraktivere Lead-Absatz der Konkurrenz als Grund für eine geringere Abdruckhöhe angeführt.

Siegfried Weischenberg hat die Funktionen eines Lead-Absatzes, von ihm als (Nachrichten-)Vorspann bezeichnet, folgendermaßen zusammengefasst: Er solle „Leseanreiz sein, eine erste Orientierung über ein Ereignis oder einen Sachverhalt anbieten und die wesentlichen Informationen [...] zusammenfassen.“ (Weischenberg 2001: 109)

3. Der Aufbau einer Nachricht

Der Aufbau von Meldungen und Berichten folgt im Allgemeinen einem festen Prinzip, das Siegfried Weischenberg und andere Autoren mit der Metapher der ,umgekehrten Pyramide’ erklären (vgl. Weischenberg 2001: 79f.). Das Wichtige gehöre an den Anfang, Einzelheiten und allgemeine Informationen würden erst im Anschluss mitgeteilt. Im Gegensatz zu literarischen Texten, die beginnend mit der Einführung erst langsam zum Höhepunkt führten, gehöre der Höhepunkt bei Nachrichten an den Anfang. Wolf Schneider und Paul-Josef Raue schreiben dazu: „Die Nachricht ist nicht chronologisch, sondern hierarchisch aufgebaut: Die Elemente der Information werden in der Reihenfolge ihrer Bedeutung aufgeführt.“ (Schneider/Raue 1998: 62f.) Der erste Satz „springt dem Leser oder Hörer mit der Hauptsache ins Gesicht“ (Schneider/Raue 1998: 66).

Das viel zitierte Beispiel aus der Vossischen Zeitung vom 28. Juni 1914, das über das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand berichtet, zeigt, zu welchen Missverständnissen eine chronologische Schreibweise führen kann:

„Sarajewo, 28. Juni (Telegramm unseres Korrespondenten).

Als der Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin, die Herzogin von Hohenberg, sich heute vormittag zum Empfang in das hiesige Rathaus begaben, wurde gegen das erzherzogliche Automobil eine Bombe geschleudert, die jedoch explodierte, als das Automobil des Thronfolgers die Stelle bereits passiert hatte.“ (zitiert nach La Roche 1985, S. 62)

Der Leser dieser Zeilen muss annehmen, der Erzherzog und seine Gattin hätten das Attentat überlebt. Erst acht Sätze später ist zu erfahren, dass das prominente Ehepaar kurz darauf erschossen wurde. In diesem Fall wäre eine hierarchische Gliederung die eindeutig bessere Variante gewesen. Die Nachricht hätte zum Beispiel folgendermaßen beginnen können:

„Der österreichische Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, und seine Frau sind am Sonntag in Sarajewo von einem serbischen Nationalisten erschossen worden.“ (eigene Formulierung)

3.1 Die ,W-Fragen’ im Lead-Absatz

Die wichtigsten Informationen einer hierarchisch gegliederten Nachricht müssen im Lead-Absatz stehen. Siegfried Weischenberg empfiehlt für längere Nachrichten (Berichte) einen Einstieg mit maximal drei bis vier Sätzen, für kurze Nachrichten (Meldungen) einen mit nur einem Satz, dem Lead-Satz (vgl. Weischenberg 2001: 109). In diesen Sätzen sollten möglichst viele der so genannten ,W-Fragen’ beantwortet werden (vgl. Weischenberg 2001: 110). Das seien ,Wer?’, ,Was?’, ,Wann?’, ,Wo?’, ,Wie?’, ,Warum?’ und vor allem bei Nachrichtenagenturen ,Welche Quelle?’. Die Antworten auf diese Fragen könnten in ihrer Reihenfolge variieren, auch müssten nicht immer alle Fragen beantwortet werden.

Schneider und Raue benennen eine Faustregel für die Verwendung der ,W-Fragen’ (vgl. Schneider/Raue 1998: 65). Demnach müssten die Fragen ,Wer?’, ,Was?’, ,Wann?’ und ,Wo?’ zwingend beantwortet werden. Bei fehlendem Augenschein sei auch die Quelle wichtig. Die Antworten auf die Fragen ,Wie?’ und ,Warum?’ seien hingegen nur erwünscht, aber nicht zwingend notwendig. Peter Zschunke schreibt dazu: „Bezugsgröße ist hierbei aber nicht mehr allein der Lead-Satz, sondern der gesamte erste Absatz.“ (Zschunke 1994: 180) In der Möglichkeit, einen Teil der Schlüsselinformationen aus dem Lead-Satz zu nehmen, sieht er eine Erweiterung des Gestaltungsspielraums. „Der Nachrichtenkern kann also weitgehend von vermeintlichen Pflichtinformationen freigelegt werden.“ (Zschunke 1994: 180) Am ehesten könnten die Antworten auf die Fragen ,Wann?’, ,Wie?’, ,Warum?’ und ,Welche Quelle?’ nach hinten verlagert werden.

Im folgenden Beispiel, einer Zusammenfassung, die die dpa im Anschluss an eine Vielzahl von Meldungen zum Verkehrsunfall von Daniel Küblböck geschickt hat, sind die Fragen ,Wer?’, ,Was?’ und ,Wann?’ im Lead-Satz beantwortet worden. Die Ortsmarke gibt eine Antwort auf die Frage ,Wo?’.

„Pfarrkirchen (dpa) – Medienstar Daniel Küblböck („Deutschland sucht den Superstar“) ist ohne Führerschein Auto gefahren und hat am Dienstag einen Lastwagen gerammt.“ (Deutsche Presse-Agentur 2004b: Küblböck)

Auch der zweite Satz des Lead-Absatzes geht auf die Fragen ,Was?’ und ,Wo?’ ein:

„Der 18-Jährige wurde verletzt ins Klinikum Passau in Niederbayern gebracht.“ (Deutsche Presse-Agentur 2004b: Küblböck)

Die Quellen, Küblböcks Vater und sein Fahrlehrer, werden im weiteren Verlauf des Textes zitiert. In vorangegangenen dpa-Meldungen wurde vor allem die Passauer Polizei als Quelle genannt. Die Fragen ,Wie?’ und ,Warum?’ werden erst im Anschluss an den Lead-Absatz bearbeitet, indem der Unfallhergang geschildert wird.

[...]


[1] „dpa-Basisdienst [...] Gesendet werden rund 750 Meldungen und Berichte täglich.“ [http://www.dpa.de/de/produkte/wort/basisdienst.html, gefunden am 23.02.2004, 15 Uhr]

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Der Lead-Absatz - Die Nachricht in der Nachricht
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Agenturjournalismus
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
12
Katalognummer
V37694
ISBN (eBook)
9783638369664
ISBN (Buch)
9783638762182
Dateigröße
381 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lead-Absatz, Nachricht, Agenturjournalismus
Arbeit zitieren
Ulrike Wronski (Autor:in), 2004, Der Lead-Absatz - Die Nachricht in der Nachricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37694

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