Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Geschichte der Sklaverei
2.1. Sklaverei im Altertum
2.2. Sklaverei in der Neuzeit
3. Tierethik und Peter Singer
3.1. Der präferenzutilitaristische Ansatz von Peter Singer
3.2. Die anderen Ansätze in der Tierethik
4. Haltbar oder nicht haltbar?
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Peter Singer gilt seit der Veröffentlichung seines Buches Animal Liberation[1] als Pionier der Tierethik und wichtige Persönlichkeit der Tierrechtsbewegung der letzten vier Jahrzehnte. In seinem Buch Praktische Ethik[2] begründet Singer im Kapitel Gleichheit für Tiere seinen tierethischen Ansatz, unter anderem führt er hier den Begriff des Speziesismus ein. Speziesismus ist eine Bezeichnung, die eine Ungleichbehandlung von anderen Tieren[3] durch den Menschen ausdrückt und durch den Psychologen Richard D. Ryder 1970 konzipiert wurde. Der Speziesismus wird in der Tierethik analog zum Rassismus, der innerhalb der Spezies Mensch die Diskriminierung zwischen den Ethnien bezeichnet, verwendet. Da der Rassismus seit seiner Entstehung eine enge Verbindung zur Sklaverei aufweist, stellt Singer einen Vergleich zwischen dem moralischen Umgang mit Tieren und dem moralischen Umgang mit Sklaven seitens der Gesellschaft auf und stellt weitergehend die Frage:
„Angenommen, dass wir unsere Nahrungsgewohnheiten nicht ändern, wie könnten wir dann jene Sklavenhalter verurteilen, die ihre eigene Lebenswiese nicht ändern mochten?“[4]
Singer stellt fest, dass eine Entscheidung gegen den Konsum von Tierprodukten eine tiefgehende Veränderung des Lebensstils eines Menschen bedeutet und eine Entscheidung gegen den Speziesismus darstellt. Jedoch wiegt für Singer diese Entscheidung leichter als jene, die die Sklavenhalter der Südstaaten der USA Mitte des 19. Jahrhunderts zu treffen hatten, als die Anti-Sklaverei-Bewegung (Abolitionismus) sie zur Freilassung ihrer Sklaven drängte. Die Freilassung der Sklaven bedeutete ebenso eine tiefgehende Veränderung des Lebensstils der Sklavenhalter, woran Singer seinen Vergleich zwischen Tieren und Sklaven anknüpft. Wie haltbar dieser Sklavenhaltervergleich Singers in Bezug auf Tiere ist, soll durch diese Ausarbeitung überprüft werden. Dazu ist eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sklaverei erforderlich, worauf im zweiten Kapitel eingegangen wird. Im dritten Kapitel werden neben dem von Peter Singer auch noch weitere Ansätze der Tierethik vorgestellt. Aus diesen unterschiedlichen Positionen der Tierethik wird im vierten Kapitel die Haltbarkeit des Singer’schen Sklavenvergleichs diskutiert und im fünften Kapitel schließlich konkludiert.
2. Die Geschichte der Sklaverei
Eine Definition der Sklaverei ist in Anbetracht ihrer Geschichte nicht einfach. Unter Sklaverei wird auf profane Weise eine wirtschaftliche Abhängigkeit mit harter, ausbeuterischer Arbeit, körperlicher Unfreiheit und physischer wie psychischer Gewalt verstanden. Um die Institution der Sklaverei besser verstehen zu können, müssen ihre Genese und ihre Auswirkung auf das menschliche Kontinuum genauer betrachtet werden. Aus Gründen der Überschaubarkeit wird die Betrachtung hier in zwei große Zeitfelder aufgeteilt. Das erste Zeitfeld fasst die Prähistorie und das Altertum zusammen – mit einem Fokus auf die Entwicklung der Sklaverei. Das zweite Zeitfeld befasst sich mit der Neuzeit, vorwiegend mit dem amerikanischen Kontinent des 18. und 19. Jahrhunderts und den soziokulturellen Auswirkungen.
2.1. Sklaverei im Altertum
Wie Michael Zeuske in seinem Buch Handbuch für die Geschichte der Sklaverei[5] beschreibt, begann die Sklaverei etwa mit der Sesshaftwerdung des Menschen. Gewalt spielte von Beginn der Sklaverei an eine wichtige Rolle. Aufgrund dieser Verbindung zwischen Sklaverei und Gewalt war bereits in den frühen egalitären Gesellschaften eine familiäre bzw. eine soziale Protektion eine Voraussetzung, um frei sein zu können. Ging diese Protektion verloren, so war der Sklavenstatus gewiss. Hauptsächlich waren Frauen und Kinder betroffen, die je nach Verwandtschaftsgrad innerhalb der eigenen Sippe zu Sklaven werden konnten. Diese Form der Sklaverei wird von Zeuske als Kin-Sklaverei bezeichnet[6], die in allen egalitären Gemeinschaften global auftrat. Andere Wege zum Sklavenstatus führten über Verschleppung bzw. Gefangennahme, die oft aus gewaltsamen Konflikten resultierten und von da an einen Grundpfeiler der Sklaverei bildeten. Diese Menschen wurden über den Kin-Sklavenstatus schnell in die Gemeinschaft aufgenommen. Durch den Sklavenstatus war es moralisch unbedenklich für die Gemeinschaft, SklavInnen bei sakralen Ritualen zu opfern und in manchen Gemeinschaften sogar zu verzehren[7]. Bereits mit Beginn der Antike war eine Ungleichbehandlung und Bestialisierung[8] der SklavInnen in Verbindung mit Gewalt Normalität. Dieser Umgang mit Sklaven wurde hierarchisch und im weiteren historischem Verlauf auch religiös legitimiert. Hinzu kamen noch Schulden als Grund für Versklavung.
Im Laufe der Antike wurde die Sklaverei eine Institution, wie Egon Flaig in seinem Buch Weltgeschichte der Sklaverei[9] berichtet. Die Institutionalisierung gewährte den SklavInnen rudimentäre Rechte. Während es in Athen bereits ab dem 9. Jahrhundert v. u. Z. Rechte für SklavInnen gab, wurden sie in Rom durch die XII-Tafelgesetze während der republikanischen Zeit (um. 450 v. u. Z.) eingeführt. Diese römischen Gesetze wirken sich noch heute auf viele Rechtssysteme der Welt aus. Das Misshandeln und Töten von SklavInnen ohne hinreichende Gründe war dann in Athen und Rom verpönt und verboten. Die Spartaner stellten mit ihren alljährlichen Todesstreifzügen durch das Land der von ihnen versklavten und benachbarten Heloten die große Ausnahme dar. Für die Spartaner bestand hierin ein Ausdruck ihrer Dominanz gegenüber den Heloten. In Athen und Rom hingegen war der Umgang mit SklavInnen eine Charakterfrage für Sklavenhalter.
Aristoteles war der Meinung, dass in der Interaktion mit Sklaven eine tägliche Gelegenheit bestünde, die eigene Tugendhaftigkeit zu bekräftigen. Denn für ihn waren SklavInnen Menschen, deren planende Vernunft defekt war, sodass er die Beziehung zwischen Sklavenhalter und SklavIn als eine natürliche wahrnahm[10]. Flaig sieht darin einen Protorassismus, da man SklavInnen als bewegliche Gegenstände wertete und die Sklaverei für viele Menschen der Antike eine profane Realität darstellte[11]. Aristoteles wollte damit die Sklaverei als naturgegeben rechtfertigen. Denker wie Cicero widersprachen der Auffassung der „natürlichen Sklaverei“ und forderten deshalb eine strikte Einhaltung der Sklavenrechte[12], da er in SklavInnen trotz allem Menschen erkannte.
Im Gegensatz zu den griechischen SklavInnen hatten die SklavInnen in Rom eine zumindest geringe Aussicht auf Freilassung (Manumission) und den daran anschließenden Bürgerstatus. Durch die Ausdehnung des Reiches strömten immer wieder Kriegsgefangene nach Rom, die jedoch mehr ein Nebenprodukt der römischen Kriege waren als deren primäres Ziel und somit eine kontingente SklavInnenzufuhr bedeutete. Den römischen Sklavenhaltern kam es aufgrund dieser kontingenten SkalvInnenzufuhr gelegen, die Freilassung von SklavInnen nicht zu früh vorzunehmen, um durch Erbsklaverei den Nachschub an SklavInnen zu sichern[13]. Die Erbsklaverei war ein Konzept, demgemäß Neugeborene von Sklavinnen automatisch den Sklavenstatus innehatten, unabhängig vom väterlichen Status. Diese Kinder durften durch den Patron verkauft werden, was auf eine konstituierte Ökonomie der Sklaverei hindeuten lässt. Durch die Erbsklaverei und die schwierigen ökonomischen Verhältnisse im Römischen Reich – aus Armut verkauften sich immer mehr Bürger in die Sklaverei – ab dem 3. Jahrhundert, entstand zunehmend eine Sklavenkaste, die das Fundament der Gesellschaftspyramide darstellte[14]. Das spiegelte sich in den Einsatzgebieten der Sklaven wider, da Schwerstarbeiten wie in den Minen und Steinbrüchen oder auf Schiffen ausschließlich nur von Sklaven ausgeführt wurden, die damit im Prinzip zum Tode verurteilt waren. Das Los der Gladiatorensklaven war ambivalenter, da sie in den Arenen um ihr Leben kämpfen mussten, jedoch manche wie Helden gefeiert wurden, ähnlich wie Sportstars heute. Leichter hatten es die SklavenInnen, die die ländlich gelegenen Villen verwalteten und bewirtschafteten oder im häuslichen Bereich tätig waren. Für die letztgenannten ergaben sich dadurch gute Möglichkeiten, durch eine positive Interaktion mit dem Patron ihr Sklavendasein erträglicher zu gestalten bzw. zu gegebener Zeit freigelassen zu werden.
2.2. Sklaverei in der Neuzeit
Der Neuzeit ging das Mittelalter voraus, in dem innerhalb des christlichen Europas die Leibeigenschaft dominierte. Jedoch sorgte die ökonomische Entwicklung der Sklaverei in der Antike bereits im Mittelalter für ein florierendes Geschäft. Für regelmäßigen SklavInnennachschub sorgten Razzienkriege bzw. -streifzüge[15]. Razzien gab es vereinzelt bereits vor dem Mittelalter, zu Beginn der Neuzeit dann regelmäßig in großen Ausmaßen. Durchgeführt wurden diese Razzien vor allem von den slawischen Verbänden im Osten Europas und von muslimischen Verbänden bevorzugt auf dem afrikanischen Kontinent[16]. Wenn Aristoteles den SklavInnen „nur“ die planende Vernunft absprach, betrachteten die Muslime die dunkelhäutige Bevölkerung in Afrika aufgrund ihres Äußeren als niedere Menschen und somit moralisch legitim als SklavInnen[17]. Außerdem wurden dunkelhäutige Afrikaner von Muslimen als unrein angesehen, was zu einer Distanzwahrung gegenüber Schwarzafrikanern führte. Aus dem Protorassismus der Antike wurde ein religiös gerechtfertigter Hautfarbenrassismus, der das Bild der Sklaverei ab der Neuzeit prägte[18]. An dieses Bild schloss die Legitimation des transatlantischen Sklavenhandels an, der, bedingt durch die Eroberung Amerikas und die systematische Kommodifizierung (zur-Ware-Werdung) des menschlichen Körpers im großen Stil, eine neue Qualität der Sklaverei hervorbrachte[19]. Vor der Kommodifizierung durchlief das neue Biokapital folgende Stufen der Versklavung: a) Entsozialisierung; Verlust des sozialen Umfeldes, b) Entpersönlichung; Verlust des Menschseins, c) Entsexualisierung; Sterilisierung der Fortpflanzungsorgane, d) Entzivilisierung; soziale Atomisierung[20]. Während a), b) und d) bereits seit jeher bekannt waren, kam nun c) hinzu. Mit der Entsexaulisierung sollten die Geburten kontrolliert werden. Später, als der Erwerb von SklavInnen aus Afrika verboten wurde, ging man notgedrungen wieder auf die Erbsklaverei zurück.
Auf diese Weise gebrochen und erniedrigt, wurden die SklavInnen ab dem 18. Jahrhundert zunächst auf den karibischen Inseln, dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts vermehrt auf dem ganzen amerikanischen Kontinent an Plantagenbetreiber verkauft. Besonders zu erwähnen sind die PlantagensklavInnen in den Südstaaten der USA. Denn in der Verfassung der USA, die die Freiheit der Menschen betont, wurde die Existenz der Sklaverei nicht erwähnt[21]. Damit konnte im Wesentlichen in den Südstaaten ein paternalistisches System entstehen, wodurch die großen Plantagenbesitzer durch ihre SklavInnen zu großem Vermögen kamen, das ihnen eine bedeutende politische Einflussnahme ermöglichte. Im täglichen Leben wurde die Sklaverei als eine natürliche Sache und von Gott gewollt aufgefasst[22]. Diese Betrachtungsweise der Sklaverei hatte zur Folge, dass SklavInnen nicht den Stand eines Menschen hatten und vor dem Gesetz mit Tieren auf eine Stufe gestellt wurden. Diese Stellung der SklavInnen führte dazu, dass Wissenschaftler geringe bis gar keine moralischen Bedenken hatten, insbesondere medizinische Versuche an den SklavInnen durchzuführen.
SklavInnen in den USA erhielten zwar eine entgeltliche Entlohnung und konnten sich durch eine mit dem Sklavenhalter ausgehandelte Summe freikaufen, allerdings mussten sie danach den Bundesstaat verlassen und wurden gesetzlich nur zu 60% als Menschen und zu 40% als Gegenstand eingestuft. Durch diese Einstufung hatten ehemalige SklavInnen kein politisches Stimmrecht. Darin unterschieden sich die befreiten Sklaven in Amerika von ihren römischen Pendants, die als ehemalige Sklaven Bürger Roms werden konnten und eine dementsprechende Partizipationsmöglichkeit besaßen. Ein anderer wesentlicher Unterschied war, bedingt durch Bestialisierung – „Schwarze“ wurden als Affen bezeichnet – und mangelnde Bildung – es war verboten, SklavInnen lesen und schreiben beizubringen –, dass die Rasse zu einer festen Trennlinie[23] wurde, die den Rassismus in der Gesellschaft verankerte. Ein engerer Verkehr mit SklavInnen war somit moralisch geächtet.
Ein Blick auf den hier vorgestellten Verlauf der Sklaverei verrät, dass Sklaverei stets ein Instrument der Macht, der Ausbeutung, der Erniedrigung und des finanziellen Profits war und jeweils eine feste und unverzichtbare Institution der jeweiligen Gesellschaft darstellte, die von vielen akzeptiert wurde. Zwar gab es immer wieder Kritik an der Sklaverei und auch Aufstände von SklavInnen, allerdings feierte der Abolitionismus erst im Laufe des 19. Jahrhunderts durchdringende Erfolge (z.B. 1808, 1865)[24].
3. Tierethik und Peter Singer
In der Ethik existieren unterschiedliche Moraltheorien. Die bedeutendsten ethischen Modelle sind die deontologische Theorie des kategorischen Imperativs von Immanuel Kant, die konsequenzialistische Theorie des Utilitarismus von Jeremy Bentham und John Stuart Mill, den Altruismus, der durch Albert Schweizer bekannt wurde, sowie der Kontraktualismus, den Thomas Hobbes und John Locke prägten. Ihre geistigen Nachfolger haben sich in den letzten 40 Jahren die Frage gestellt, ob bzw. wie man diese Moraltheorien auf Tiere ausdehnen kann.
3.1. Der präferenzutilitaristische Ansatz von Peter Singer
Die Moraltheorie Peter Singers basiert auf dem konsequenzialistischen Utilitarismus. Konsequenzialismus bedeutet in der Ethik, dass das Ergebnis einer moralischen Handlung zählt. In der Theorie des Utilitarismus (utility, engl. = Nutzen) soll die Konsequenz des moralischen Handelns den größten möglichen Nutzen erzeugen. Dieser größte mögliche Nutzen ist im klassischen Utilitarismus, dem hedonistischen Utilitarismus, das Glück bzw. Wohlergehen (pleasure) der betroffenen Subjekte[25]. Um die Maximierung des Wohlergehens für die maximale Anzahl an Subjekten gewährleisten zu können, ist der Utilitarismus egalitär und bevorzugt kein beteiligtes Subjekt. Für den Präferenzutilitarismus wird die Maximierung des Wohlergehens gewährleistet, wenn Präferenzen (Begünstigung) von Interessen erfüllt werden, wie zum Beispiel nicht zu leiden, oder Freude zu empfinden[26].
[...]
[1] Singer, Peter: Animal Liberation. A new Ethics for our Treatment of Animals, New York 1975
[2] Singer, Peter: Praktische Ethik, Stuttgart³ 2013
[3] Für Singer sind Menschen ebenfalls Tiere.
[4] Singer, Praktische Ethik, S. 109
[5] Zeuske, Michael: Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 2013.
[6] Zeuske, S. 150
[7] Zeuske, S. 214
[8] Mit Bestialisierung ist hier Entmenschlichung gemeint, vgl. S. 6
[9] Flaig, Egon: Weltgeschichte der Sklaverei, München 2009
[10] Flaig, S. 74
[11] Ebd., S. 78
[12] Ebd., S. 76
[13] Im 1. Jahrhundert wurde das Mindestalter der Sklavenfreilassung auf 30 Jahre festgesetzt vgl. Flaig S. 63
[14] Flaig, S. 72
[15] Zeuske, S. 106 ff. Im weiteren Verlauf als Razzien bezeichnet
[16] Ebd. S. 106 ff.
[17] Flaig, S. 128
[18] Ebd. S. 128
[19] Zeuske, S. 144
[20] Flaig, S. 16
[21] Sautter Udo: Sklaverei in Amerika, Darmstadt 2014. S. 60
[22] Sautter, S. 67
[23] Sautter, S. 29
[24] 1808 wurde der afrikanische Sklavenhandel im British Empire verboten, 1865 Verbot der Sklaverei in den USA, Sautter, S. 126
[25] Als Subjekt werden hier im weiteren Verlauf sowohl Menschen als auch andere Tiere zusammenfassend bezeichnet.
[26] Vgl. Singer, S. 36 f.