Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Edmondo De Amicis
3. Cuore
3.1 Franti
4. Elogio di Franti
5. Das Mittelalter
5.1 Das Christentum
5.2 Das Mönchtum
6. Das Mechanische im Lebendigen
6.1 Mögliche Komik im Roman
7. Das satanische Lachen
8. Lachen und Weinen
9. Fazit
10. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Roman Cuore von Edmondo De Amicis ist ein in der ganzen Welt, aber vor allem in Italien, sehr geschätztes Werk, weil es reich an moralischen Anregungen auf die Mythen des Risorgimento ist und ein Italien zeigt, welches dabei ist, zusammenzuwachsen und eine Einheit zu bilden. Für viele wurde es zur Bibel des Nationalismus und der bürgerlichen Tugenden. Im Rahmen dieser Hausarbeit geht es jedoch vorrangig um die Figur des Franti, wie er im Roman dargestellt wird, und die Gegendarstellung Umberto Ecos, der ihn in seinem Aufsatz Elogio di Franti zum Thema macht.
Weiterführend wird versucht, sich mit dem Lachen im Allgemeinen auseinanderzusetzen, wobei ein Diskurs ins Mittelalter stattfindet, um die Meinung, das Lachen sei böse, bis in seinen Ursprung zu verfolgen. Des Weiteren werden die Meinungen zweier französischer Autoren gegenübergestellt: Ist das Lachen von Grund auf Böse oder ist es Teil des Menschen und man muss es ganz anders verstehen?
Ebenfalls wird versucht, den physischen Aspekt des Lachens, unter anderem auch des Weinens, zu beleuchten, da dieser meist nicht berücksichtigt wird, jedoch von großer Bedeutung ist, um das Lachen und seine Hintergründe zu verstehen. So wird versucht, erstens den Grund Frantis Lachens klarzustellen und zweitens ein klares Bild zu schaffen, wie man das Lachen eines Menschen zu verstehen hat.
2. Edmondo De Amicis
Edmondo De Amicis war ein berühmter italienischer Autor und Patriot, was man besonders in seinem Roman Cuore erkennen kann. Schon mit 16 Jahren trat er der Accademia militare di Modena bei und nahm 1866 an der Schlacht von Custoza teil, welche die Savoyer gegen die Österreicher verloren. Einige Jahre später wurde er dann Korrespondent für die Zeitung La Nazione, wo er 1870 die Eroberung Roms miterlebte und seine Reisen niederschrieb. In dieser Zeit bereiste De Amicis Südamerika und erlebte die schlechte soziale Lage der Bürger, woraufhin er die nationalen Vorstellungen seines Romans und seines Lebens überdachte und in die sozialistische Partei Italiens eintrat. Nach der Veröffentlichung des Erfolgsromans Cuore befasste De Amicis sich in seinen späteren Werken eher mit den sozialen Problemen der Bürger Italiens, als sich mit nationalistischen Themen auseinanderzusetzen.
3. Cuore
Bei dem Roman Cuore handelt es sich um einen Jugendroman in Form eines Tagebuches. Schauplatz ist eine Grundschule in Turin (1881/1882), worin der 9-jährige Enrico Bottini seine Erfahrungen und Erlebnisse mit Mitschülern und seinem Umfeld beschreibt. Es finden Begegnungen aller sozialen Klassen statt, wobei die Schulklasse als Mikrokosmos der sozialen Lage Italiens gesehen werden kann. Die zehn Kapitel stellen jeweils einen Monat dar, wobei es am Ende jeweils einen racconto mensile gibt, patriotische Erzählungen von Helden aus allen Regionen Italiens, die den Schülern von ihrem Lehrer diktiert werden. Damit wird versucht, ein einheitliches Italien zu präsentieren und den nationalen Zusammenhalt zu stärken. Ebenfalls wichtig sind die Einträge des Vaters und der Mutter Enricos, die versuchen, ihrem Sohn moralische Werte zu vermitteln und die patriotischen Werte der damaligen Gesellschaft verdeutlichen.
Wichtig für die folgenden Untersuchungen sind aber in erster Linie Enrico und seine Mitschüler, die im Laufe der Erzählung näher beschrieben und charakterisiert werden: Garrone zum Beispiel ist großzügig und verteidigt seine Mitschüler, Nobis ist ein hochmütiger Junge aus einer Aristokratenfamilie, Derossi stellt dern intelligenten Klassenbesten dar. Am meisten polarisiert jedoch Franti, welcher von Enrico als bösartig und abschätzig beschrieben wird.
Warum dies der Fall ist, soll im Folgenden erörtert und aufgelöst werden.
3.1 Franti
“Io detesto costui. È malvagio.”[1]
Diese Aussage beschreibt Enrico Bottinis Meinung zu Franti und stellt die Grundlage für die Charakterisierung des Jungen dar. In der Beschreibung seiner Mitschüler fällt über Franti nur ein einziger Satz: “E ha daccanto una faccia tosta e trista, uno che si chiama Franti, che fu già espulso da un'altra Sezione.”[2] Mehr wird über ihn auf den ersten Seiten des Romans nicht berichtet. Im Verlauf der Geschichte erfahren wir jedoch noch einiges über Franti, denn es wird darüber berichtet, dass Franti lacht. Es ist kein freundliches Lachen, sondern ein hinterhältiges, in den unangebrachtesten Situationen. Franti lacht, wenn Reden auf den König vorgelesen werden,[3] wenn er verletzte Arbeiter oder seine weinende Mutter sieht. Er lacht sogar beim Vorbeiziehen eines Regiments, über einen hinkenden Soldaten - “E quell' infame sorrise.”[4]
Weiterhin erfährt der Leser, dass Franti wegen seines Fehlverhaltens für acht Tage von der Schule suspendiert wird, woraufhin seine Mutter mit ihm in die Klasse kommt und den Lehrer darum bittet, ihren Sohn weiter zu unterrichten. Aus dieser Begebenheit erfahren wir, dass seine Mutter krank ist “Io già non vivrò più un pezzo, signor Direttore, ho la morte qui.”[5] und dass sein Vater ebenfalls alles andere als positiv auf seine Suspendierung reagieren würde “l'ho tenuto nascosto, ma Dio ne guardi se suo padre scopre la cosa, lo ammazza”.[6] Aus der Bitte der Mutter heraus lässt sich erkennen, dass die soziale Lage Frantis Familie nicht gut ist, die Mutter ihren Sohn allerdings noch nicht aufgeben möchte und auf seine Besserung hofft.
Die Figur Franti verschwindet wenig später mit dem Satz: “ma Franti dicono che non verrà più perché lo metteranno all'Ergastolo”[7] und so stellt sich die Frage: Warum lacht Franti? Ist er wirklich böse, so wie Enrico ihn beschreibt oder steckt etwas anderes dahinter? Warum verschwindet er so früh von der Bildfläche des Romans Cuore ?
4. Elogio di Franti
Mit der Figur des Franti hat sich auch Umberto Eco in seiner Lobrede, dem Aufsatz Elogio di Franti, auseinandergesetzt.
Er hält fest, dass Franti über all das lacht, was die Gesellschaft ausmacht, über die moralischen Werte, die Enrico beigebracht bekommt hat. Deshalb schließt Enrico, dass Franti schlecht und böse sein muss. Eco sieht dies jedoch anders, seiner Meinung nach lacht Franti nicht, weil er böse ist, sondern scheint nur böse zu sein, weil er lacht.[8] Er sagt, dass jemand, der mit einer solchen Sicherheit lacht, nicht böse sein könne, sondern eine Mission habe.
Quello che Enrico non si domanda è se la cattiveria di chi ride non sia una forma di virtù, la cui grandezza egli non può capire poiché tutto ciò che è riso e cattiveria in Franti altro non è che negazione di un mondo dominato dal cuore, o meglio ancora di un cuore pensato a immagine del mondo in cui Enrico prospera e si ingrassa.[9]
Frantis Lachen sei also nichts anderes als die Verneinung der Welt, in der die beiden Jungen leben. Eco fügt hinzu, dass Franti von Enrico nur als böse angesehen würde, da Enrico seine Meinung von Gut und Böse nach den existierenden Regeln bilde, mit denen er aufgewachsen ist. Somit sei Franti für Enrico böse, da er über seine moralischen Werte lache. Für Eco bedeutet sein Lachen jedoch, dass es eine andere Gesellschaft mit anderen Werten geben könne, der Franti zugehörig sei. “mentre il realtà il ridente […] altro non è che il maieuta di una diversa società possibile.”[10] Enricos Vater macht die moralischen Werte von Cuore immer wieder deutlich und sagt zu seinem Sohn: “Tutti questi giovani pieni di forza e di speranze possono da un giorno all'altro essere chiamati a difendere il nostro paese, e in poche ore essere sfracellati tutti dalle palle e dalla mitraglia.”[11]
Es sind genau diese Werte der Zusammengehörigkeit und Vaterlandsliebe, die in Cuore durch die racconti mensili und die Briefe Enricos Vater ins Extreme gezogen werden, mit deren Hilfe nur ein paar Jahrzehnte später der Faschismus hervorgebracht wurde. Wenn man sich die Geschichte von Cuore weiterdenken würde, wäre es nicht schwer sich vorzustellen, wie Enrico, Derossi und Garrone Mussolini als seine Soldaten zur Macht verhelfen. Diese Vorstellung teilt auch Umberto Eco und sieht das Lachen Frantis, also die Negation einer präfaschistischen Gesellschaft, als einzige positive Botschaft, die man dem Roman entnehmen könne. Er fragt sich, ob die Figur des Franti genau deshalb schon so früh von der Bildfläche verschwand. Wohlmöglich verbannte De Amicis den Jungen in die lebenslange Freiheitsstrafe, bevor die Leser den Hintergrund seines Lachens erkennen konnten?[12]
Abschließend hält Eco fest, dass Franti sich im Gefängnis befindet, dort wo sich die Menschen sammeln, die sich nicht in die Gesellschaft einfügen können oder wollen.
Franti è così rimasto come un abbozzo di Comico possibile: per riuscire egli avrebbe dovuto assumere – ostentando buona fede – i panni di Enrico e scrivere lui stesso il Cuore. Col sogghigno – invece che col singhiozzo – facile. Siccome non ha raccontato, ma è stato raccontato, non ha assunto la funzione di giustiziere comico, ma è rimasto come un'ombra, una tabe, una falla nel cosmo di Enrico, una presenza inspiegabile e non risolta.[13]
5. Das Mittelalter
Der Franzose Jacques Le Goff beschäftigt sich mit der Bedeutung des Lachens im Mittelalter. Wichtig zu erwähnen ist erst einmal, dass das Lachen sich aus vier Bereichen zusammensetzt: Es hängt von Wertvorstellungen, Mentalitäten, Sitten und der Ästhetik ab, was also bedeutet, dass nicht jede Person über das Gleiche lachen wird, je nach seinem sozialen Umfeld und deren Wertvorstellungen wird hier differenziert.[14] Dementsprechend haben sich im Laufe der Zeit die Hintergründe des Lachens verändert und unterscheiden sich auch heute noch zum Beispiel abhängig von der jeweiligen Landessprache. Le Goff erwähnt die Ethik des Aristoteles die besagt, „dass das Lachen das eigentliche Wesen [...] des Menschens sei“[15] und erklärt weiterführend das Motiv des homo risibilis:
„Damit ist nicht der Mensch gemeint, über den man lacht, sondern einer, der die Gabe des Lachens besitzt, der mithin grundsätzlich dadurch zu charakterisieren ist, dass er lacht.“[16]
5.1 Das Christentum
Der Begriff des homo risibilis wurde durch Aristoteles stark geprägt, stellt jedoch einen starken Gegensatz zur christlichen Auffassung des Lachens im Mittelalter dar. Dort wurde nämlich durch den Prediger der griechischen Kirche, Giovanni Crisostomo, die Annahme geprägt, dass Christus in seiner Zeit auf der Erde die gelacht habe[17] und da die Menschen die im Mittelalter lebten, Christus als Vorbild für ihr eigenes Leben nahmen, wäre ihnen das Lachen wohl fremd gewesen.
[...]
[1] De Amicis, Edmondo: Cuore. Libro per i ragazzi. Milano: Fratelli Treves 1910. S .89.
[2] Ebd. S. 69.
[3] Vgl. Ebd. S. 89.
[4] Ebd. S. 107.
[5] Ebd. S. 106.
[6] Ebd. S. 106.
[7] Ebd. S. 159.
[8] Vgl. Eco, Umberto: „Elogio di Franti“, in: Umberto Eco (Hg.), Diario Minimo. Milano: Mondatori 1976 S. 90.
[9] Ebd. S. 90.
[10] Ebd. S. 94.
[11] De Amicis, E.: Cuore. S. 301.
[12] Vgl Eco, U.: Elogio di Franti. S. 95.
[13] Ebd. S. 97.
[14] Vgl. Le Goff, Jacques: Das Lachen im Mittelalter. Zweite Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta 2004. S .15.
[15] Ebd. S .18.
[16] Ebd. S .18.
[17] Vgl. Ebd. S .17.