Die Institutionalisierung der Ehe im Mittelalter


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

31 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Fragestellung
1.2 Methode
1.3 Quellen
1.4 Aufbau

2 Hauptteil
2.1 Definitionen
2.1.1 Ehe
2.2 Urkirche und Kirchenväter bis zum Hochmittelalter
2.2.1 Urkirche
2.2.2 Spätantike
2.2.3 Frühmittelalter
2.3 Nichtchristliche Sitten
2.4 Institutionalisierung im Hochmittelalter
2.4.1 Gregorianische Reformen
2.4.2 Burchard von Worms
2.4.3 Ivo von Chartres
2.4.4 Hugo von Sankt Viktor
2.4.5 Gratian
2.5 Tatsächliche Praxis
2.5.1 Die weltlichen Herrscher
2.5.2 Die Kleriker
2.5.3 Das einfache Volk
2.6 Spätmittelalter und frühe Neuzeit

3 Evaluationen
3.1 Mann/Frau
3.2 Anthropologie

4 Schlussbemerkung

1 Einführung

1.1 Fragestellung

Die Frage nach der Institutionalisierung der Ehe im Mittelalter stößt auf eine äußerst komplexe politisch, sozial, anthropologisch und psychologisch verwobene Melange, die in einer Hausarbeit dieses Umfangs nur bedingt beantwortet werden kann. Die gregorianischen Reformen sowie die Umbrüche des 11. und 12. Jahrhunderts lassen sich als erste Annäherung konstatieren, in der sich eine gewichtige Prägung christlicher Vorstellungen im kollektiven europäischen Bewusstsein durchsetzte. An jenen Rahmendaten will sich diese Arbeit orientieren, darüber hinaus aber auch den anthropologischen Fragen der Ehe näher kommen. Welche Bedeutung nämlich die Ehe für das menschliche Miteinander hatte, und wer und wie Interesse an einer Kontrolle der Ehe hatte. All jene Fragen lassen sich nur annähernd beantworten, gibt es doch weder ein einheitliches Mittelalter oder gar DEN Menschen des Mittelalters.

1.2 Methode

Als Student neuerer und neuster Geschichte steht man bei solch einem umfassenden, um nicht zu sagen dem zentralsten Thema menschlichen Miteinanders vor einer unüberschaubaren Anzahl von Quellen und Forschungsmeinungen. Der Versuch, das 11. Jahrhundert oder die gregorianischen Kirchenreformen als isoliertes Phänomen zu untersuchen, scheitert bereits beim groben Durchblättern der Literatur. Es fallen zahlreiche Vorstellungen und Gegenvorstellungen in einen Zeitrahmen von mehreren Jahrhunderten. Gewisse, im 11. Jahrhundert geforderte Wesensmerkmale der christlichen Ehe lassen sich bereits dreihundert Jahre vorher finden, genau so wie sich dreihundert Jahre später immer noch nicht finden lassen. Dementsprechend soll in dieser Arbeit eher eine deduktive Untersuchungsmethode stattfinden: Ein grober allgemeiner Überblick wird angestrebt, um das besondere Ereignis der Reformen des 11. Jahrhunderts einordnen zu können.

1.3 Quellen

Im Rahmen der historischen Fähigkeiten des Autors sowie des zeitlich und räumlich beschränkten Umfanges dieser Hausarbeit wurde ausschließlich mit Sekundärquellen gearbeitet. Diese enthalten neben moderner Forschungsliteratur bewusst auch zahlreiche Monographien des 20. Jahrhunderts, um einen Überblick über die Wandlung der Forschungsmeinungen zu bekommen. Aufgrund der Primärquellensituation rekonstruieren die Historiker das Eheverständnis des Mittelalters nahezu ausschließlich aus juristischen und theologischen Quellen, was eine bestimmte Gefahr der „Eindimensionalität“ birgt.[1] Soziale oder gar mikrohistorische Primärquellen sind entsprechend rar, so dass das vorhandene Quellenmaterial eher das widerspiegelt, was die theologischen oder jurisdikalen Vorstellungen der Verfasser waren, nicht aber unbedingt, wie diese Vorstellungen in die Praxis umgesetzt wurden. Hinzu kommt, dass das moderne europäische Eheverständnis sich aus der Grundlage jenes des Mittelalters speist und daher nicht klar und nüchtern getrennt werden kann. Monogames Miteinander wird, obwohl anthropologisch nicht zwingend, in den meisten Fällen für die menschliche Partnerschaft vorausgesetzt.[2] Auch der Bereich der Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau zeigt, dass eine nüchterne und unvoreingenommene Untersuchung in den meisten Fällen sich schwierig gestaltet. Eben deshalb, weil es sich um kontinuierliches Phänomen handelt, mit dem der Mensch des Mittelalters genau so zu tun hatte, wie derjenige des 20. oder 21. Jahrhunderts.

1.4 Aufbau

Nach der Einleitung bemüht sich der erste Abschnitt des Hauptteils um eine grundsätzliche Annäherung an das christliche Verständnis der Ehe. Dabei ist es unumgänglich mit den ältesten christlichen Quellen anzufangen und jene Rezeptionen und Überarbeitungen über die Spätantike bis ins Hochmittealter zu verfolgen. Die entsprechenden Vorstellungen oder Traktate der im Nachhinein zu Kirchenvätern erklärten Theologen und deren Interpretationen sollen grob bis zum 11. Jahrhundert verfolgt werden. Gleiches gilt für die nichtchristlichen Vorstellungen, also die Eheauffassungen der Römer, Germanen oder aber auch der Gallier oder Westgoten. Eine detaillierte Unterscheidung entsprechend regionaler Besonderheiten kann im Rahmen dieser Arbeit leider nicht erfolgen. Gemeinsam münden beide Untersuchungen dann in den Reformen und Institutionalisierungen im 11. und 12. Jahrhundert, wo jene Unterscheidung bereits nicht mehr in dem Maße möglich ist und von einer weltlich-geistlichen Vermischung gesprochen werden kann. Dort werden die entscheidenden Schriften der Theologen vorgestellt sowie ein Versuch, die tatsächliche Umsetzung in die Praxis zu rekonstruieren. Ein kurzer Überblick über den weiteren Verlauf des Eheverständnisses im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit soll den Hauptteil beenden. Im Abschnitt Evaluationen sollen zwei Thematiken, die für dieses Thema von besonderer Bedeutung sind, grob analysiert werden: das Verhältnis von Mann und Frau und das anthropologische Verständnis der Ehe, insbesondere der Sexualität. In den Schlussbemerkungen sollen die Ergebnisse zusammengefasst werden und etwaige Fragen für die zukünftige Forschung gestellt werden.

2 Hauptteil

2.1 Definitionen

1: Gerade im Rahmen dieser Arbeit sind aufgrund der variablen Streuung zeitliche, räumliche oder institutionelle Begrifflichkeiten des Mittelalters nur mehr als grob zu verstehen. Es handelt sich bewusst um eine Annäherung, um ein unüberschaubares Thema für einen ersten Überblick handhabbar zu machen. Wird vom 8. oder 11. oder 13. Jahrhundert gesprochen ist das tatsächliche Säkulum nicht gemeint, sondern nur der ungefähre Bezugsrahmen. Regional soll aufgrund der Nähe und der Fülle der Quellen primär der zentraleuropäisch-christliche Lebensraum untersucht werden, wiewohl allein eine Definition jenes Lebensraumes mehr als eine Hausarbeit verlangen würde. Gerade die christliche Literatur und besonders die Schriften der Kirchenväter zeigen aber immerhin, dass jene, egal ob der Verfasser aus Sizilien, Frankreich oder dem Heiligen Römischen Reich entstammte, Einfluss auf die anderen Regionen ausübte: allein die Bedeutung seiner Schrift und die Rezeption war entscheidend. Ein Kirchenrecht als Ganzes hat es bis zum Hochmittelalter nie gegeben, so dass eher von den am meisten rezipierten Quellen gesprochen werden muss.[3]
2: Aus moderner Sicht erscheinen viele der Vorstellungen, die die Sexualität betreffen, zweifelhaft und müssten korrekterweise in Anführungszeichen geschrieben werden. Worte wie Unzucht oder fleischliches Begehren nehmen aber solch einen zentralen Anteil an, dass dies bewusst unterlassen wird, um darauf analysierend in den Evaluationen einzugehen.
3: Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, werden in den Abschnitten über die Kirchentheologen jene, nach einmaliger Nennung des vollständigen Namens, verkürzt wiedergegeben. Statt zehnmal Burchhard von Worms zu schreiben, soll in Folge schlicht von Burchhard gesprochen werden.

2.1.1 Ehe

Während die rechtliche Definition der Ehe heutzutage schriftlich fixiert und gesichert ist, war eben jene Definition über den gesamten Zeitraum des Mittelalters unklar und zentraler Bestandteil der Diskussionen. Spirituelle, didaktische sowie epistemologische Fragestellungen begleiteten dieses Thema. Der Begriff der Ehe lässt sich immerhin unzweifelhaft vom althochdeutschen „ehwa“ ableiten, was soviel wie Recht, Gebrauch oder Ehre bedeutet und ganz offensichtlich auf den juristisch verbindenden sowie sozial bedeutsamen Aspekt jener Vereinigung hinweist.[4] Die Ehe selbst hängt also immer unmittelbar von der jeweiligen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ab oder bildet diese.[5]

2.2 Urkirche und Kirchenväter bis zum Hochmittelalter

2.2.1 Urkirche

Die Grundlagen der christlichen Ehevorstellung stammen aus den Apostelworten Jesu, den Briefen und Schreiben des Paulus sowie der im Verlauf der Jahrhunderte gesammelten Stellungnahmen der Kirchenväter.[6] Der Großteil des alten und neuen Testamentes selbst offerierte wenig Verbindliches zum Thema Ehe.[7] Dies ist wohl der wichtigste Grund, warum die Diskussion darüber innerhalb des Christentums jahrhundertlang geführt worden sind. Im ersten Buch des alten Testamentes wird zumindest die Stellung der Frau als inferior offensichtlich. Ebenso wie die Vorstellung, dass „beide Leiber dazu bestimmt sind, sich miteinander zu vermischen. Sie werden wieder ein Leib.“[8]

Daneben aber zeigt sich eine jüdische Ehevorstellung, die auch bei anderen Völkern Bestand hatte. Hier war die Ehe primär zur Erhaltung der Sippe des Mannes notwendig und konnte grundsätzlich nur von Seiten des Mannes nicht nur wegen Kinderlosigkeit, sondern auch wegen Missfallen, Unverträglichkeit oder Ehebruch gelöst werden (Dtn 24,1).[9] Vor allen Dingen für Paulus war die Minderwertigkeit der Frauen bedeutsam, die Funktion der Ehe bestand seiner Meinung nach darin, die Ungleichheit zu institutionalisieren.[10]

Neutestamentlich sind die Worte des Matthäus-Evangeliums von entscheidender Bedeutung: „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen.“[11] Die Ehe also als Gleichnis für den Bund des Menschen mit Gott belegen zahlreiche Bibeltextstellen.[12]

Die Enthaltung der Unzucht und der leidenschaftlichen Begierden waren für Paulus das Wesensmerkmal der Ehe, worin sich der Christ vom Heiden unterschied.[13] Ein ethischer Rigorismus war zumindest formal die Folge, der ein Ideal der Ehelosigkeit in wünschenswerten Betracht zog.[14] Der häufig zitierte „Leib als Tempel des heiligen Geistes“ legt darüber hinaus erste Ansätze der Spiritualität der Ehe nahe.[15] Erste Verbote und Bestimmungen verbanden sich mit den oben gemachten Äußerungen. Paulus verbot die Heirat zwischen Christen und Ungetauften und seine Nachfolger kämpften verbissen um die Unauflöslichkeit der Ehe, was sie gegen jüdisches und römisches Recht durchzusetzen suchten.[16]

2.2.2 Spätantike

Im Laufe der nächsten Jahrhunderte, in denen das Christentum sich seine politische und soziale Vorrangstellung in der römischen Antike erarbeiten musste, standen weitere gewichtige Aussagen der Kirchenväter als Grundlage für die nachfolgende Rezeption im Vordergrund. Auch die Clemensbriefe aus der Mitte des 2. Jahrhunderts verteufelten die Begierden als Ursünden des Lebens und wiederholten die Paulusvorstellung, dass nur eine angemessene Lebensweise den Unterschied zwischen Christen und Häretikern ausmache. Auf die Spitze brachte jene Forderungen das Thomasevangelium der Apokyrphen: „Werdet Vorübergehende!“, so die klare Absage an Ehe und Sexualität.[17]

Tertullian (160-222) wehrte sich ebenso wie Paulus gegen die Unzucht der Ehe und bekämpfte in seinen Schriften Zweitehen und Hurerei.[18] Der Ehesegen in der römischen Liturgie war aufgrund der Minderwertigkeit der Frau weiterhin nur für jene notwendig.[19] Trotz seiner Neigung zur Askese bewertete Tertullian die monogame Ehe positiv und stimmt laut Niebergall ein „erstes Loblied auf die Ehe“.[20] Dieses Loblied sollte eher relativ im Vergleich zu noch strikteren Theoretikern verstanden werden. Wer wie Tertullian vor zu vielen Geburten warnt, „weil es schon genügend Sünden auf der Erde gibt, die auf offenkundigen Leichtsinn hindeuten“, offenbart nicht unbedingt eine lobende Vorstellung.[21]

Definitorisch übernahm das Christentum von den Römern und den Juden die Vorstellung der Ehe als Vertrag; der Nupturientenkonsens begründete die coniunctio. Ambrosius (239-297) definierte ihn in seiner Schrift „De insitutione virginis“ mit weitreichendem Einfluss als pactio-coniugalis, was der späteren kantonistischen Vorstellung der desponsation canonica entsprach.[22]

Bei Augustinus (354-430) trat im Gegensatz zum alten Testament dezidiert ein Verwandtschaftsgebot hinzu, „damit sich die christliche Liebe weiter unter den Menschen ausbreite“.[23] Auch von seinen weiteren Ansichten „konnten sich die nachfolgenden Generationen nur schwer trennen. Er bestimmte über tausend Jahre das christliche Eheverständnis“.[24] In jenem war Geschlechtlichkeit animalisch und nicht spezifisch menschlich. Der Zweck der Ehe war die Zeugung von Nachkommen und diese war infolge der Erbsünde eine zutiefst geschädigte Sache. Die eheliche Begegnung war in der Theorie gut, doch jede konkrete Geschlechtsbewegung war als materiell und damit als schlecht anzusehen.[25]

So lässt sich in der Spätantike eine deutlichere und stärkere Hinwendung zur Askese, so wie sie Paulus gefordert hatte, feststellen. Nicht nur die Heiligung der Ehelosigkeit, sondern auch die Rühmung des Heilighaltens der Ehe im apologetischen Sinne traten deutlich zu Tage: rein geistige Liebe oder die Ehe mit einer Jungfrau ohne sexuellen Kontakt galten als erstrebenswert, vor allen Dingen für Kleriker selbst.[26] Auf dem Konzil von Elvira (300-306) erörterte man den ersten Versuch, den Priestern allen Verkehr mit ihren Frauen zu verbieten.[27]

Die Sexualität aber war in jener Zeit nicht in dem Maße zu verstehen, wie dies heute der Fall ist. Christen wie Römer kannten kein Wort für Sexualität und in den sieben Todsünden des Christentums taucht dieses Wort nicht auf. Luxuria kann als Pendant verstanden werden und meint Schwelgerei, Zügellosigkeit und weltliche Üppigkeit.[28]

2.2.3 Frühmittelalter

Das theologische Denken des Frühmittelalters erwuchs aus der Liturgie, die besonders fruchtbar in Bezug auf Taufe, Eucharistie oder Buße war. Für die Ehe aber existierte immer noch keine verbindliche Liturgie, dementsprechend sie gefunden respektive erfunden werden musste.[29]

Ab dem 6. Jahrhundert setzte sich zumindest theoretisch die Vorstellung durch, dass jedwede Trennung eine Ehe nicht möglich sei und als Ehebruch gehandhabt werden musste.[30] Jene Vorstellungen wurden in mittelalterlichen Dekreten, Rechtsbüchern oder auch Bußbüchern, die ihre Heimat in Irland hatten, aufgeschrieben und weitergegeben. Gerade jene Bußbücher lassen als entsprechende Praxisdokumente Rückschlüsse auf das jeweilige Verhalten zu, ebenso wie auf das, was als sündhaft angesehen wurde.[31]

Ein entscheidender Kirchenvater, Papst Gregor I. (540-604), vertrat dabei weitestgehend die augustinschen Auffassungen: „Wer so weit ging, beim ehelichen Vollzug Vergnügen zu empfinden, war bereits beschmutzt.“[32]

Als Folge des augustinschen Verwandtschaftsverbotes beschäftigte die Kirchenväter die Frage nach dem Grade. Gregor I. beschied, dass Ehen im 3. Grad rechtens seien, doch nur 10 Jahre später erlaubte Papst Zacharias die Verbindung erst ab dem vierten Grad. Die Verwandtschaft im Übrigen weitete sich über das Blutsverhältnis aus: Schwägerinnen und Schwager gelten ebenso als „echte“ Verwandte wie Taufpaten oder -patinnen.[33] Jener Papst Zacharias antwortete 747 auf 27 Fragen Pippin des Jüngeren, die zum größten Teil Probleme der Ehedisziplin betrafen und 774 stellte die Überarbeitung der Collection Dionysio-Hadriana, die in Rom Karl dem Großen übergeben wurde , einen ersten offiziellen Corpus des ehelichen Kirchenrechts dar. Ab 779 spricht die Forschung davon, dass es zumindest theoretisch „überall Regeln und Gesetze zur Einhaltung der Ehe“ gab.[34]

Bereits 755 hatte sich auf der Synode von Verneuil eine neue Gesellschaftsordnung angebahnt. Die Bestimmung der Öffentlichkeit der Heirat sowie die Diktate einer moralischen Ordnung rüstete die Bischöfe und Kleriker mit entsprechenden Anweisungen aus; eine ganze Literatur von didaktischen Traktaten, vor allen Dingen für Laien, war die Folge.

796 empfahl Bischof Paulinus Aquilejus auf dem Konzil von Friaul den Priestern eine sorgfältige Voruntersuchung, inquisitio, bei der Nachbarn, Dorfälteste und Verwandte bezüglich der moralischen sowie ehelichen Rechtschaffenheit befragt wurden, und die fortan einen zentralen Stellenwert des Eheabkommens einnehmen sollte.[35] Den Eheritus an der Schwelle des Gotteshauses, in facie ecclesiae, abzuhalten wurde wünschenswert. Der Priester trat dabei aus der Tür der Kirche, um die Trauung zu vollziehen und zog erst danach mit der Versammlung in die Kirche ein, um die Messe zu feiern. Jene Priestereinsägung wurde im Laufe der Jahre zum Rechtsgegenstand. Die manifestatio consensus nuptialis per verba de praesenti überragte von seiner Bedeutung her die Brautmesse oder die anderen Segnungen deutlich.[36] Besonders die pseudoisidorischen Fälschungen (entstanden 830-850), die nach Forschungsmeinung am ehesten den Thomasakten der Apokyrphen entnommen sind, bildeten eine gewichtige Grundlage für diese und andere Forderungen jener Zeit. Daher erklärt sich auch, die bereits seit dem vierten Jahrhundert zumindest gewünschte und teilweise auch praktizierte öffentliche Ehe, die auch Leo der Grosse (400-461) in seinem Dekret collectio hibernensis forderte.[37]

Jene Forderungen nach öffentlichem Ehevollzug waren also nicht neu, nur deren Häufigkeit und Deutlichkeit nahm zu. Dies läßt aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Praxis zu, denn bis zum Konzil von Trient, mehr als 700 Jahre später als die pseudoisidorischen Dekrete, waren clandestine Ehen anerkannt und rechtsgültig.[38]

Als Zwischenergebnis auf dem Weg zum kirchlichem Charakter der Ehe und somit der kirchlichen Jurisdiktion sind die wiederholten Forderungen sowie die Vorstellung, dass die Ehe nicht Sache der Familie, sondern des Staates oder der Kirche ist, festzuhalten. Vor allen Dingen Papst Nikolaus I. (820-867) stellte ganz bewusst im Gegensatz zur Ostkirche die primäre Bedeutung des consensus nuptialis heraus; die kirchliche Einsegnung wird sekundär.[39] Auch wenn dieser Punkt, so Esymol, von der Forschung überschätzt worden ist,[40] läßt sich zumindest theoretisch anhand der theologischen Schriften diese Rangfolge belegen. Auch die Bedeutung des Eheringes, der zunächst nur der Frau angezogen wurde als Sinnbild des ehemännlichen Schutzes, geht auf Papst Nikolaus´ Schriften zurück. Da der Ring kein Anfang und Ende hat, symbolisierte er das empfangende Einvernehmen der Frau durch den Mann.[41]

Doch nicht allein die innerkirchlichen Diskussionen bestimmten den Fortgang des Eheverständnisses. Die Kombination weltlicher und geistlicher Herrschaft und deren gegenseitige Versicherungen ermöglichten im Frühmittelalter die Entstehung von Dekreten und canones. Mit der Karolingerherrschaftsfestsetzung (740-760) begannen die Herrscher, von der Kirche vollständige Sammlungen an Gesetzen zur Ehe einzufordern.[42]

Die 817 von Ludwig dem Frommen eingeleiteten Gesellschaftsreformen, deren Memorandum 829 in Paris geschrieben wurde, definierten 10 Leitsätze zur Ehe, die sich aus den Vorstellungen der damaligen Kleriker sowie der bekannten Schriften zusammensetzte. Inhaltlich zeigten sich dabei keine großen Veränderungen: Die Ehe war von Gott eingerichtet, des Nachkommenszweck und nicht der Lust wegen. Sex während der Schwangerschaft sowie während der Menstruation war ebenso zu vermeiden wie innerverwandtschaftlicher Verkehr. Verheiratete Männer durften weder Konkubine noch Kebsfrau haben, Unverheiratete hingegen schon. Beim Erzbischof Hinkmar von Reims (845-882) erkennt man im 9. Jahrhundert auch schon deutliche Bezüge zur Sakramentalität der Ehe. Der Rechtskenner, „der die mystische Verbindung der Leiber als sinnbildliches Zeichen für die Beziehung Christi mit der Kirche“ sah, gab der späteren Entwicklung deutlich Vorschub.[43]

[...]


[1] Esmyol, A.: Geliebte oder Ehefrau?, Konkubinen im frühen Mittelalter, Köln [u.a.] 2002, S.5.

[2] Moderne anthropologische Belege zur Fortpflanzungsbiologie und Partnerschaftsverhalten der Spezies Homo sapiens in: Grupe [u.a.] (Hg.): Anthropologie, Ein einführendes Lehrbuch, Berlin [u.a.] 2005.

[3] Kuhn, A. (Hg.): Lustgarten und Dämonenpein, Konzepte von Weiblichkeit in Mittelalter und früher Neuzeit, Dortmund 1997, S.3.

[4] Schott, C.: Germanisches und Deutsches Recht, in: Stichwort Ehe, in: Lexikon des Mittelalters Band: 3, Codex Wintoniensis bis Erziehungs- und Bildungswesen, Stuttgart, Weimar 1999, Sp.1629.

[5] Müller-Lindenlauf, H.G.: Germanische und spätrömisch-christliche Eheauffassung in fränkischen Volksrechten und Kapitularien, Diss., Freiburg 1969, S.6-7.

[6] Ebd.: S.68.

[7] Niebergall, A.: Ehe und Eheschließung in der Bibel und in der Geschichte der alten Kirche, Marburg 1985, S.234.

[8] Duby, G.: Ritter, Frau und Priester, die Ehe im feudalen Frankreich, Frankfurt am Main 1985, S.29.

[9] Molinski, W.: Theologie der Ehe in der Geschichte, Aschaffenburg 1976, S.13-15.

[10] Duby, G.: Ritter, Frau und Priester, S.31.

[11] Knoch, W.: Stichwort Ehe, in: Lexikon des Mittelalters Band: 3, Sp.1617.

[12] Molinski, W.: Theologie der Ehe in der Geschichte, S.16.

[13] Niebergall, A.: Ehe und Eheschließung in der Bibel und in der Geschichte der alten Kirche, S.58.

[14] Ebd.: S.97.

[15] Molinski, W.: Theologie der Ehe in der Geschichte, S.38.

[16] Müller-Lindenlauf, H.G.: Germanische und spätrömisch-christliche Eheauffassung in fränkischen Volksrechten und Kapitularien, S.71-72.

[17] Niebergall, A.: Ehe und Eheschließung in der Bibel und in der Geschichte der alten Kirche, S.117-126.

[18] Ritzer, K.: Formen, Riten und religiöses Brauchtum der Eheschließung in den christlichen Kirchen des ersten Jahrtausends, 2. Aufl., Münster, Westfalen 1981, S.32-33.

[19] Ebd.: S.177.

[20] Niebergall, A.: Ehe und Eheschließung in der Bibel und in der Geschichte der alten Kirche, S.146-147.

[21] Straub, E.: Das zerbrechliche Glück, Liebe und Ehe im Wandel der Zeit, Berlin 2005, S.65.

[22] Leisching, P.: Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen Eherechts, I nnsbruck 1978, S.9-15.

[23] Hoecke, W. v.: Love and marriage in the twelfth century, Leuven 1981, S.49.

[24] Molinski, W.: Theologie der Ehe in der Geschichte, S.74.

[25] Ebd.: S.75-76.

[26] Niebergall, A.: Ehe und Eheschließung in der Bibel und in der Geschichte der alten Kirche, S.103-104.

[27] Molinski, W.: Theologie der Ehe in der Geschichte, S.63.

[28] Straub, E.: Das zerbrechliche Glück, S.77.

[29] Duby, G.: Ritter, Frau und Priester, S.38.

[30] Hoecke, W. v.: Love and marriage in the twelfth century, S.27.

[31] Ebd.: S.21-22.

[32] Duby, G.: Die Frau ohne Stimme, Liebe und Ehe im Mittelalter, Frankfurt am Main 1993, S.17.

[33] Goody, J.: Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa, Berlin 1986, S.48-49.

[34] Toubert, P.: Die karolingischen Einflüsse, in: Klapisch-Zuber, C. (Hg.): Geschichte der Familie, Band: 2, Mittelalter, Essen 2005, S.114.

[35] Ebd.: S.115-117.

[36] Ritzer, K.: Formen, Riten und religiöses Brauchtum der Eheschließung in den christlichen Kirchen des ersten Jahrtausends, S.317-318.

[37] Ebd.: S.327-330.

[38] Müller-Lindenlauf, H.G.: Germanische und spätrömisch-christliche Eheauffassung in fränkischen Volksrechten und Kapitularien, S.129.

[39] Ritzer, K.: Formen, Riten und religiöses Brauchtum der Eheschließung in den christlichen Kirchen des ersten Jahrtausends, S.331.

[40] Esmyol, A.: Geliebte oder Ehefrau?, S.253.

[41] Leisching, P.: Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen Eherechts, S.68.

[42] Toubert, P.: Die karolingischen Einflüsse, S.113.

[43] Duby, G.: Ritter, Frau und Priester, S.36-42.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Institutionalisierung der Ehe im Mittelalter
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
31
Katalognummer
V378497
ISBN (eBook)
9783668557147
ISBN (Buch)
9783668557154
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gregorianische reform, ehe, hochzeit, mittelalter, 11. jahrhundert, 12. jahrhundert
Arbeit zitieren
Marco Gerhards (Autor:in), 2009, Die Institutionalisierung der Ehe im Mittelalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/378497

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