Die Skateboardingszene der DDR. Protestform gegen den leistungsorientierten sozialistischen Einheitssport


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Sozialistisches Menschenbild: Die sozialistische Persönlichkeit

3. Körperkultur und Sport in der DDR
3.1. Beitrag des Sports zur Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit
3.2. Sportsystem
3.2.1. Massensport vs. Leistungssport
3.2.2. Kinder- und Jugendsport

4. Skateboarding in der DDR: informeller Sport als Jugendkultur
4.1. Historische Entwicklung
4.2. Lebensstil und Ausdrucksformen
4.3. Reaktionen staatlicher Organe

5. Fazit

1. Einleitung

„Du machst einfach Sachen, die nur für dich sind und bist eigentlich glücklich damit. In dem Moment wo du skatest - also war auch im Osten so - haste ne gewisse Freiheit für dich gehabt. Hast einfach abgeschaltet, also brauchtest nichts. […] Du konnt´st es auch für dich alleine machen, also konntest dein Board nehmen und konntest - sag ick ma - die Straßen runter fahren und warst zufrieden. Hattest dieses Dauergrinsen.“

Spätestens seit dem fiktiven Dokumentarfilm „This ain´t california“ ist vielen Menschen bekannt, dass es das amerikanische Phänomen des Skatens auch in der DDR gegeben hat. Der Film zeigt in einer Mischung aus Originalaufnahmen und schauspielerisch nachgestellten Szenen, wie sich aufgrund dieser Sportart eine ostdeutsche Skaterszene herausgebildet hat.

Auch der obige Ausspruch einer der Akteure der Ostberliner Skaterszene zeigt auf, dass das Skateboard die DDR erreichte und Jugendliche in seinen Bann zog. Deutlich wird über seine Worte, dass das Skaten und die mit ihr verknüpfte Szene symbolische Funktion für die Jugendlichen hatte. Abseits gesellschaftlicher Normvorstellungen des Kollektivlebens, war es der Versuch Freiheit über individuelle Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen. In der körperlichen Tätigkeit der Sportausübung, in der Freizeitgestaltung, in der Kleidung- und Musikwahl und in der Wahl der gemeinsamen Treffpunkte. Alles Bereiche in die das DDR- Regime, durch starken Eingriff in die Lebensgestaltung seiner Bürger, versuchte die Gestaltungshoheit nach sozialistischen Wertemaßstäben zu gewinnen. Besonders der Bereich des Sports war im Osten ein auffällig durchstrukturiertes Ordnungssystem, in dem es fernab der kontrollierten Sportverbände eigentlich keine Möglichkeiten gab Sport zu treiben. Noch dazu galt das Thema Sport als messbarer Erfolgsfaktor im „Wettkampf der Systeme“ zwischen Ost und West und war daher außenpolitisch von besonderer Bedeutung. Wenn sich nun junge Menschen der DDR diesen formellen Strukturen entziehen und beginnen informell Sport zu treiben, kann dies sicher als Besonderheit und als Protest gegen diese Strukturen gelten.

Deshalb soll in dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, inwiefern das Skateboarden in der DDR als informeller selbstbestimmter Sport als Protestform gegen den leistungsorientierten sozialistischen Einheitssport aufgefasst werden kann. Dabei soll zuallererst Verständnis für die der DDR zugrunde liegende Ideologie hinsichtlich des sozialistischen Menschenbildes geschaffen werden, um anschließend die Rolle des Sports darin aufzuzeigen. Dem folgt die Beschreibung der Strukturierung des DDR-Sportsystems, wobei das Leistungssportsystem und die Nachwuchsförderung von Kindern und Jugendlichen besonders hervorzuheben sind. In einem eigenen Kapitel wird die Skateboardszene der DDR vorgestellt und die Reaktion der staatlichen Organe auf diese Jugendkultur erläutert. Alles mündet in einem Fazit darüber, welchen protestierenden Charakter eine informelle Sportart in der DDR annehmen konnte.

2. Sozialistisches Menschenbild: Die sozialistische Persönlichkeit

Die SED, als zentralistischer Machtapparat des DDR-Staatssystems, hatte sich die Bildung einer sozialistischen Volksgemeinschaft zum Ziel gesetzt. In dieser Volksgemeinschaft zeichnete sich „die sozialistische Persönlichkeit […] besonders dadurch aus, dass er oder sie über vielseitiges Wissen und Können verfügte, arbeitsam war, ein ausgeprägtes sozialistisches Bewusstsein besaß, sich stets diszipliniert und nach sozialistischen Maßstäben moralisch1 verhielt, kulturell und sportlich interessiert und aktiv war und insgesamt eine positive, optimistische Lebensauffassung vertrat.“2

Die sozialistische Persönlichkeit unterscheide sich durch vier Eigenschaften von anderen Persönlichkeitstypen: „Bewußtheits- und Selbstständigkeitsaspekt“ in der Aneignung und Mitgestaltung sozialistischer Ziele, „Kenntnis- und Fähigkeitsaspekt“ in beruflichen Fähigkeiten und einer fundierten Beherrschung des Marxismus-Leninismus, „weltanschaulich-ideologischer Aspekt“ im Sinne der sozialistischen Ideologie und einem „Individualitätsaspekt“ in der individuellen Ausformung des klassenmäßigen Verhaltens auf Basis angeborener Besonderheiten.3

Um eine „Front der sozialistischen Einheitlichkeit“ zu schaffen, sollte in der Ordnungsstruktur von Kollektiven die Ideologie verinnerlicht und weitergetragen werden. Letzten Endes hatten alle Bürger im sozialistischen DDR-Kollektiv und damit dem Aufbau des Sozialismus aufzugehen. Jeder sollte sich an seinem Lern-und Arbeitsplatz diesem Ziel verpflichtet fühlen.4

Hierbei war das Selbstverständnis der SED, als „bewusster und organisierter Vortrupp der Arbeiterklasse“, die Führung und Erziehung der Massen zur „allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeit“ zu übernehmen. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte die Aufgabe der Durchsetzung und Verbreitung der „sozialistischen Idee“. Eine politische Haltung die dieser Idee angepasst war, garantierte die Zubilligung von weiteren Handlungsspielräumen in der Lebenswirklichkeit der Bürger.

Mit der sogenannten „Ära Honecker“ in den 70er Jahren brach das Modell einer „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ an. Diese zeichnete sich durch sozialen Wohlstand und ein angestrebtes höheres kulturelles Lebensniveau auf Grundlage des Wirtschaftswachstums aus. Mit diesem innovativem Kurs der Wirtschaftsmodernisierung und der Bereitstellung sozialer Leistungen, sollte dem Fortschritts- und Konsumwunsch der Bürger genüge getan werden um den Lebensstandard zu erhöhen.5

Das kollektivistische Lebensmodell, da von individueller Zwecksetzung und Interessen befreit, bot für spannungshungrige Jugendliche keinen besonderen Anreiz, sondern gähnende Langeweile und einen als trostlos empfundenen Alltag. Die Freizeitmöglichkeiten waren begrenzt und von der Ideologie durchdrungen. Denn auch hier versuchte die DDR den Bürgern ihre Doktrin des sozialistischen Menschen anzuerziehen.6 Welchen Beitrag der Sport in seiner Freizeit- und Leistungsfunktion zur Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit leisten sollte, wird im Folgenden erläutert.

3. Körperkultur und Sport in der DDR

Die sozialistische Körperkultur galt als Teil der sozialistischen Gesellschaft und zeichnete sich durch den „nichtantagonistische[n] Klasseninhalt, Massencharakter, Leistungsfähigkeit, Wissenschaftlichkeit, Komplexität und Organisiertheit.“7 aus.

Sport könne hierbei als das Leistungssystem der Körperkultur angesehen werden, denn dieser Begriff kennzeichne das Streben nach körperlicher Leistung auf der Grundlage von Normen und Regeln im Training und in Wettkämpfen.8

3.1 Beitrag des Sports zur Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit

Die Verfassung der DDR verankerte die Bedeutung von Körperkultur und Sport zur Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit in Artikel 25 Absatz 3 mit den Worten:

„Zur vollständigen Ausprägung der sozialistischen Persönlichkeit und zur wachsenden Befriedigung der kulturellen Interessen und Bedürfnisse wird die Teilnahme der Bürger am kulturellen Leben, an der Körperkultur und am Sport durch den Staat und die Gesellschaft gefördert.“9

Der Förderungsanspruch sollte durch Betriebssportgemeinschaften (BSG) verwirklicht werden. Die Sportgemeinschaften hatten außerdem einen Erziehungs- und Bildungsauftrag zur Bildung der sozialistischen Persönlichkeit durch Sporttätigkeiten.10 Hierbei sollte die Sportausübung Disziplin und Ordnung, Gesundheit und Kräftigung fürs Arbeitsleben und Demonstration von Stärke und Leistungskraft trainieren.11

Da der Sport eine gesellschaftliche Tätigkeit und in gesellschaftliche Beziehungen eingebettet sei, eigne sich der Sportler auch sozialistische Verhaltensweisen an und lerne, sich in die sozialistische Gesellschaft einzuordnen und sie mitzugestalten.12 Durch eine enge Verbindung von Sport und kommunistischer Erziehung könne das Denken und Handeln der Sportler auf die Ziele der SED gelenkt und Organisiertheit, Bewusstheit und Disziplin herausgebildet werden, die „dem Kampf um die Verwirklichung dieser Ziele auch gegen Widerstände und Feinde des Sozialismus Stabilität verleihen“.13 Dabei bestünde zwischen gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnissen kein Unterschied. Mit Hilfe des Sports sollten die Bürger zu leistungsfähigen und einsatzbereiten sozialistischen Persönlichkeiten geformt werden.

3.2 Sportsystem der DDR

3.2.1 Massensport vs. Leistungssport

Um das Sportsystem der DDR zu verstehen muss zwischen Breitensport und Leistungssport unterschieden werden.

„Jeder Mann an jedem Ort, jede Woche mehrmals Sport.“14 Da die körperliche Ertüchtigung nach DDR-Maßstäben jedem zugänglich sein sollte, investierte die DDR zu Beginn viel in eine Sportstätteninfrastruktur. Aushängeschild dieser Politik sind vor allem das moderne SEZ (Sport- und Erholungszentrum) in Berlin- Friedrichshain und das Cantian-Stadion in Berlin- Prenzlauer Berg. Die sportliche Normierung des Lebens der DDR-Bürger äußerte sich in Sportveranstaltungen und sportlichen Massenveranstaltungen die alle Lebensbereiche durchdrangen, egal ob Schule, oder Betrieb, Arbeit oder Freizeit, Stadt oder Land.15 In den 80er Jahren ist jedoch ein wirtschaftlicher Niedergang der Sportstätteninfrastruktur zu verzeichnen, da nicht genügend Investitionen getätigt wurden.16 Zurückzuführen ist dies auf das leistungssportliche System, da sich die Konzentration darauf sehr negativ auf die Erhaltung der Sportstätten und ihrer funktionalen Erweiterung für den Massensport ausgewirkt habe.17 Hieran lässt sich die deutliche Konzentration der DDR auf ein leistungssportliches System erkennen.

Der Leistungssport hatte große außenpolitische Bedeutung, daher waren sportpolitische Entscheidungen in erster Linie politische Entscheidungen und wurden im Zentralkomitee (ZK) der SED getroffen.18

„daß die Sportpolitik wesenseigener Bestandteil der Gesamtpolitik unserer Partei ist, offenbart sich, wie sie stets in die Verwirklichung unserer Gesellschaftsstrategie, in den Zusammenhang innen- und außenpolitischer Entwicklungsprozesse eingebettet ist.“

Der Leistungssport müsse die Überlegenheit des Sozialismus unter Beweis stellen und zur inneren und äußeren Stärkung der DDR beitragen.19 Die drei Säulen des Leistungssportsystems der DDR waren das Staatssekretariat für Körperkultur und Sport (StKS), Der Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB) und die Abteilung Sport des ZK der SED. Personelle und materielle Mittel wurden auf ausgewählte medaillenträchtige olympische Sportarten konzentriert, die damit eine hohe Förderung genossen. Die dafür nicht ausgewählten Sportarten hatten mit einem Infrastruktur- und Materialmangel zu kämpfen und wurden zu internationalen Wettkämpfen nicht zugelassen.20

Es liege die Vermutung nahe, dass auch Körperkultur und Sport in der DDR als eine Machttechnologie verwendet worden seien.21

3.2.2. Kinder- und Jugendsport: Nachwuchsförderung für den Hochleistungssport

Vor allem das Kinder- und Jugendalter galt als Zeit geistiger Prägung. Als Jugendlich galt man in der DDR bis zum 25. Lebensjahr.22 Jugendliche sollten zur aktiven Teilnahme an der sozialistischen Gesellschaft motiviert werden und sozialistische Grundüberzeugungen verinnerlichen.23

[...]


1 Siehe Flugblatt zu den „10 Geboten der sozialistischen Moral“, Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Die „Norm „der sozialistischen Persönlichkeit “, S. 2

2 In: Ebd., S. 1

3 Reinhart, S. 60

4 Fulbrook, S. 23 und Stock, S. 176

5 Fulbrook, S. 58 und Wolle, Die heile Welt der Diktatur, S. 40-55

6 Ebenda, S. 23-26 und Stock, Die Szene von Innen, S. 167

7 Vgl. Litz, S. 27

8 Vgl. Litz, S.26

9 Zitiert nach Litz, S. 28

10 Litz, S. 33

11 Film, „Die Goldmacher“

12 Reinhart, S. 60

13 Reinhart, S. 61

14 Zitiert nach Reinhart, S. 99

15 Reinhart, S. 100f.

16 Teichler, S. 353

17 Teichler, S.356

18 Teichler, S.57

19 Reinhart, S. 59

20 Teichler, S. 24

21 Vgl. Reinhart, S.52

22 Vgl. Jugendgesetz 1974, X. Schlußbestimmungen, § 57, Absatz 1

23 Ebd., Vorbemerkungen und I. Die Entwicklung der Jugend zu sozialistischen Persönlichkeiten, § 1, 2, 3, 4 und 6

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Skateboardingszene der DDR. Protestform gegen den leistungsorientierten sozialistischen Einheitssport
Hochschule
Universität Potsdam  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Alltags- und Sozialgeschichte der DDR
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
16
Katalognummer
V379019
ISBN (eBook)
9783668560215
ISBN (Buch)
9783668560222
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
DDR, Skateboarding, Sport
Arbeit zitieren
Elisa Pfennig (Autor:in), 2016, Die Skateboardingszene der DDR. Protestform gegen den leistungsorientierten sozialistischen Einheitssport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/379019

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