Über die Unmöglichkeit des Schreibens in Jorge Semprúns "La escritura o la vida"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

16 Seiten, Note: 1,7

Siegfried Senfmann (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Über den Autor: Jorge Semprún

Historischer Kontext

La escritura o la vida

Schreiben oder doch leben?

Der Konflikt zwischen Erzählen und Verstanden werden

Konklusion

Bibliographie

Einleitung

Para poder narrar las historias que habitan en ese espacio interior, el autobiógrafo debe convertirse en un historiador de sí mismo. La autobiografía es la creación del ser por el ser mismo, la imagen especular de la vida. Crear y, creando, ser creado.1

Mit diesen einführenden Worten der Literaturwissenschaftlerin Jennifer Duprey soll die Abhandlung mit dem Titel ü ber die Unm ö glichkeit des Schreibens in La escritura o la vida des spanischen Schriftstellers Jorge Semprún eingeleitet werden. Semprún schrieb zahlreiche autobiographische Werke, verbindet er darin doch das direkt Erlebte im Konzentrationslager mit (fiktionalen) Geschehnissen, um die Ereignisse ausdrücken zu können. Der Autor beschreibt in La escritura o la vida, dass er große Schwierigkeiten hatte, seine Zeit und Erfahrungen im Lager in Buchenwald in Worte zu fassen. Inwiefern ist es für Semprún lange Zeit unmöglich zu erzählen und wieso gelingt es ihm mit Leutnant Rosenfeld die Lagererfahrungen in Worte zu fassen?

Dies zu untersuchen soll Ziel dieser Arbeit sein. Als Grundlage dafür dient zum einen sein Werk La escritura o la vida zum anderen die Arbeiten von Ulrike Vordermark Das Ged ä chtnis des Todes: die Erfahrung des Konzentrationslagers Buchenwald im Werk Jorge Sempr ú ns sowie Jennifer Dupreys Artikel La escritura, la vida y la representaci ó n del Holocausto.

Der erste Abschnitt stellt das Leben des Autors Jorge Semprún dar. Außerdem wird auf den historischen Kontext eingegangen. Danach wird auf die autobiographische Arbeit eingegangen und sie wird im Hinblick auf die Unmöglichkeit des Schreibens bzw. den Konflikt des Erzählens hin untersucht und mit ausgewählten Passagen belegt. Ziel der Arbeit ist es, nachzuzeichnen, inwieweit Semprún Schwierigkeiten auftreten, all diese Erinnerungen zu teilen und letztendlich verstanden zu werden.

Im Anschluss daran folgt die Schlussbetrachtung.

Über den Autor: Jorge Semprún

Jorge Semprún Maura war ein spanischer Autor, der am 10. Dezember 1923 in Madrid in eine gutbürgerliche Familie hineingeboren wurde.2 Sein Großvater war Ministerpräsident unter Alfonso XIII. gewesen, sein Vater hatte zudem einige Ämter während der Segunda Rep ú blica Espa ñ ola inne, war „representante del gobierno republicano en varias ciudades europeas.“3 Seine Mutter starb bereits früh, Semprún erlebte lediglich seine ersten acht Lebensjahre mit ihr.4

Als der Staatsstreich im Juli 1936 begann, welcher erst in einem Bürgerkrieg und schließlich im Franquismus mündete, floh seine Familie, Semprún war gerade einmal 14 Jahre alt, über die Niederlande nach Frankreich. Seine Erlebnisse der Flucht über Nacht beschrieb er später mit den Worten: „La noche insomne del exilio.“5 In Paris erlernte er schnell Französisch, machte sein Abitur und nahm später ein Studium der Philosophie an der Sorbonne auf.6 Das Studium beendete er jedoch nicht, da der zweite Weltkrieg ausbrach und er sich der Kommunistischen Partei und dem Widerstand, den Francs-tireurs et partisans anschloss. Im Jahre 1943 wurde er von der Gestapo aufgespürt und verhaftet. Im Januar des darauffolgenden Jahres erfolgte die Deportation ins Konzentrationslager Buchenwald, ein Lager für politische Gefangene, in welchem er bis zur Befreiung durch die Amerikaner am 11. April 1945 interniert war.7 „In Buchenwald wird Semprún zum sogenannten ‚Funktionshäftling’ und ist in der Arbeitsstatistik untergebracht.“8 Dort teilte er die jeweiligen Arbeiter ein und erstellte Transportlisten für die Außenlager.9 Nach der Befreiung kehrte Semprún nach Frankreich zurück und begann als Übersetzer für die Vereinten Nationen zu arbeiten.10 Nach Spanien zurückkehren konnte er offiziell nicht, war er doch Kommunist und Spanien mittlerweile eine franquistische Diktatur.

Er schloss sich der Kommunistischen Partei Spaniens an. Über diese schmiedete er unter Decknamen, sein bekanntester war Federico Sanchez, illegal in Spanien im kommunistischen Untergrund Pläne, um das franquistische Regime zu schwächen.11 Jedoch wurde er 1964 wegen zu reformistischer Ansichten aus dieser ausgeschlossen: „dice él por la tiranía [...] y los jerarcas soviéticos; se distancia hasta separarse.“12

Erst 16 Jahre nach Buchenwald, 1961, begann er seine Erlebnisse niederzuschreiben.13 Begründen tut er dies damit dass er eigentlich 1945 „[...]gleich nach der Befreiung aus Buchenwald, über die Erfahrung des Konzentrationslagers schreiben [wollte].“14 „Aber die Erinnerung hat mich gequält. Ich geriet an den Rand des Selbstmordes. Es gab nur die Alternative schreiben oder überleben.“15 Die Historikerin Dr. Ulrike Vordermark betont: „Es bedurfte eines langwierigen, sogar lebenslangen Prozesses, bis das Schreiben über die Lagererfahrung schließlich wieder möglich wurde.“16

Doch mit dem Ausscheiden aus der Kommunistischen Partei und der Veröffentlichungen seiner Werke „él inicia su larga carrera de escritor, conferencista, filósofo, guinista cinematográfico y muchas cosas más con un éxito asombroso.“17 Es kam zu einem Übergang von dem überzeugten Politiker Semprún hin zum Schriftsteller.18 Nach dem Ende der Franco-Diktatur lebte Semprún vorerst in Frankreich, bis er 1988 in die spanische Politik zurückkehrte:19 Zwischen 1988 und 1991 war er (parteiloser) Kulturminister in der Regierung von Felipe Gonzales.20 Zwanzig Jahre später, am 7. Juni 2011, verstarb Semprún mit 87 Jahren in der französischen Hauptstadt Paris.21

Semprún verfasste seine Werke auf Französisch, in einem Interview mit dem Spiegel aus dem Jahre 1994 begründet er dies damit, dass er in seinem ersten Buch seine „verarbeiteten Resistance-Erfahrungen in französischer Sprache gemacht“22 hatte und die spanische Zensur während des Franquismus seine Bücher sowieso verboten hatte, sodass er aufgrund seiner Zweisprachigkeit beim Französischen geblieben ist.23

Er ergänzt: „Wenn ich fünf Jahre in Deutschland lebte, würde ich wahrscheinlich in deutsch schreiben.“24

Charakteristisch für seine Werke sind die autobiographischen Elemente, welche sich in seinen Erzählungen wiederfinden lassen. Seinen Erzählungen aus Buchenwald verarbeitet er in mehreren Werken. Beispielsweise in El largo viaje (1963), noch aus Sicht eines Kommunisten geschrieben. Oder in Aquel domingo (1980), nun die katastrophalen Ausmaße des Faschismus sowie des Kommunismus beschreibend. „Darin spiegelt sich sein Abschied vom kommunistischen Ideal.“25 Oder in La escritura o la vida (1992), „seine Bilanz der Erinnerungen ans KZ.“26 Im Jahr der Veröffentlichung in Deutschland 1994 erhielt Semprún den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.27

Er beschreibt die Geschehnisse mithilfe von Illusionen, immer aus einer gewissen Distanz heraus. Seine Werke sind aber keine reine Fiktion, sondern stets voller autobiographischer Elemente, „aunque es muy difícil distinguirlos.“28 Er erklärt außerdem, wieso er lange nichts über die Lagererfahrungen verfassen konnte, dass es sehr schwer war über so etwas bedeutsames, wie dieses, zu berichten. Doch während er an seinem Werk Netchaiev ha vuelto arbeitete, „habe sich die Erinnerung plötzlich verselbstständigt und ihm, dem Erzähler, die Fäden aus der Hand genommen,“29 sodass er sich quasi unbewusst gänzlich dem Schreiben hingegeben habe.

In seinen autobiographischen Werken wird sein politischer Wandel deutlich sichtbar. Jedoch bezeichnet er sich durchgehend als europäischen Widerstandskämpfer, der dafür eintritt, dass man sich fortwährend des Sinns des Erinnerns vergewissern müsse. Gegen das Vergessen für eine friedvolle Zukunft.30

Historischer Kontext

In diesem Kapitel wird kurz auf den historischen Kontext des Werkes eingegangen.

Das Werk umfasst hauptsächlich die letzten Jahre (1944-45) des Zweiten Weltkrieges, in denen Hitlerdeutschland nicht nur danach strebte die gesamte Welt zu erobern, sondern ebenso begann Völkermord an Millionen von Juden, Zigeunern, Homosexuellen oder sogenannten Untermenschen. in den Konzentrationslagern zu verüben. Ebenso wurden politische Gegner festgenommen und in Lagern interniert. Semprún, welcher in den 40er Jahren sich Widerstandsbewegungen sowie der kommunistischen Partei anschloss, wurde von der Gestapo verhaftet und nach Buchenwald überführt. Ausgerechnet Buchenwald bei Weimar gelegen, bekannt als die Stadt der Dichter und Denker - durch die sogenannte Weimarer Klassik, geprägt von Persönlichkeiten wie Goethe, Schiller und Bach - wurde von den Nationalsozialisten während des zweiten Weltkrieges zu einer Lagerstätte für politische Gefangene des Hitlerregimes, in welchem eben auch Semprún interniert wurde.31

La escritura o la vida

Im folgenden Kapitel wird nun auf sein Werk La escritura o la vida eingegangen, welches als Hauptthematik nicht nur seine Erfahrungen der letzten beiden Kriegsjahre im Konzentrationslager in Buchenwald behandelt, sondern auch den langen Weg „vom anfänglichen Entschluss, das Schreiben gänzlich aufzugeben [...] [hin] zur Veröffentlichung“32 von El largo viaje detailliert beschreibt und die Notwendigkeit über das Erlebte zu berichten schildert.33 Das Besondere an La escritura o la vida ist, dass nun eine Betrachtung der Dinge aus einer zeitlich weit entfernten Perspektive, fast 50 Jahre, stattfindet. Die Thematik ist der seiner anderen autobiographischen Romane ähnelnd, es ist „die Zusammenfassung des gesamten vorherigen Werks Semprúns und greift dessen wesentliche Fragen wieder auf.“34 Außerdem vermischt Semprún die Fiktion mit der Realität, um die „verdad esencial de su experiencia del Holocausto“35 ausdrücken zu können, wobei er dennoch große Probleme damit hat, die grausamen Erinnerungen zu Papier zu bringen. Semprún gelingt es mithilfe von Poesie und Philosophie seine Erfahrungen in einem literarischen Stil niederzuschreiben. „Cada uno de sus grandes temas - el mal y la muerte, la memoria y la mirada - asume las diversas maneras genéricas para acercarse a la materia misma que da título al libro. ¿Escribir o vivir?“36

Auch reichen „seine autobiographischen Erinnerungen [...] weit über das eigene Leben hinaus, entwerfen [Bilder] von historischen Ereignissen und unterlegen diese mit vielfältigen philosophischen,

[...]

1 Duprey, J.: „Jorge Semprún: La escritura, la vida y la representación del Holocausto“, in Hispan ó fila (169), 2013, S.51-65, hier S.52.

2 Vgl. Ramiro-H, M.: „Ida y vuelta. La vida de Jorge Semprún“, in: Rinc ó n del internista. Med. Int. M é x. 32(6), 2016, S.694-697, hier S.694.

3 Ramiro (2016), S.694.

4 Vgl. Ramiro (2016), S.695.

5 http://www.elcultural.com/revista/letras/Jorge-Semprun/28156

6 Vgl. Ramiro (2016), S.694.

7 Vgl. Semprún, J.: La escritura o la vida. 1995, S.25.

8 Vordermark, U.: Das Ged ä chtnis des Tode: die Erfahrung des Konzentrationslagers Buchenwald im Werk von Jorge Sempr ú ns. 2008, S.21.

9 Vgl. Vordermark (2008): S.21.

10 Vgl. Ramiro (2016): S.694.

11 Vgl. Ramiro (2016): S.695.

12 Ramiro (2016): S.695.

13 Vgl. Vordermark (2008): S.26.

14 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683397.html

15 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683397.html

16 Vordermark (2008): S.24.

17 Ramiro (2016): S.694.

18 Vgl. Vordermark (2008): S.25.

19 Vgl. Vordermark (2008): S.22.

20 Vgl. Duprey (2013): S.53.

21 Vgl. https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/semprun

22 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683397.html

23 Vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683397.html

24 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683397.html

25 http://www.sueddeutsche.de/kultur/zum-tod-von-jorge-semprn-von-treue-und-verrat- 1.1106614

26 http://www.sueddeutsche.de/kultur/zum-tod-von-jorge-semprn-von-treue-und-verrat- 1.1106614

27 Vgl. Vordermark (2008): S.32.

28 Ramiro (2016): S.695.

29 Neuhöfer, M.: É crire un seul livre, sans cesse renouvel é . Jorge Sempr ú ns literarische Auseinandersetzung mit Buchenwald. Frankfurt am Main 2007, S.208.

30 Vgl. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2001_2007/2003/08- 2_Semprun.html

31 Vgl. Duprey (2013): S.53.

32 Vordermark (2008): S.26.

33 Vgl. Vordermark (2008): S.23.

34 Vordermark (2008): S.32.

35 Duprey (2013): S.52.

36 http://elpais.com/diario/1996/01/30/opinion/822956410_850215.html

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Über die Unmöglichkeit des Schreibens in Jorge Semprúns "La escritura o la vida"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
16
Katalognummer
V379271
ISBN (eBook)
9783668565517
ISBN (Buch)
9783668565524
Dateigröße
949 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schreiben oder Leben, Jorge Semprún, Konzentrationslager, zweiter Weltkrieg, Vergessen, Erinnerungsliteratur, Autobiographie, la escritura o la vida, el largo viaje, Holocaust, L'Écriture ou la Vie, Buchenwald, Schreiben gegen Vergessen, verstanden werden, Literatur, Literaturwissenschaft
Arbeit zitieren
Siegfried Senfmann (Autor:in), 2017, Über die Unmöglichkeit des Schreibens in Jorge Semprúns "La escritura o la vida", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/379271

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